Die Angabe des Geburtsjahrs mit 1653 im Eintrag im Ffter Totenbuch und auf dem Epitaph im Ffter Dom dürfte irrig sein.
S. wuchs bei seinem Onkel in Padua auf, wo er das Gymnasium besuchte und als Chorknabe in der Basilica del Santo (Basilika des heiligen Antonius) sang. Seine Stimme erregte die Aufmerksamkeit des durchreisenden Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern (1636-1679), der ihn 1667 an den Hof nach München holte. Hier erhielt S. Orgelunterricht und eine umfassende musikalische Ausbildung. Von 1672 bis 1674 vervollständigte er seine Studien in Rom, wo er sich auch der Theologie widmete, und unternahm eine Bildungsreise nach Paris und Turin. 1674 erschienen seine ersten Kompositionen in Rom im Druck. Nach München zurückgekehrt, wurde S. zum Hof- und Kammerorganisten ernannt. Zum Abschluss seines Theologiestudiums wurde er 1680 zum Priester geweiht. Unter dem seit 1680 regierenden Kurfürsten Max Emanuel von Bayern (1662-1726) stieg er 1681 zum Direktor der Hofmusik auf. Im selben Jahr wurde seine erste Oper in München uraufgeführt, das Musikdrama „Marco Aurelio“, das von Lully beeinflusst war. 1686 wurde er zum Hofkapellmeister in München bestimmt. Gleichzeitig betraute ihn Kurfürst Max Emanuel mit diplomatischen Aufträgen, die ihn u. a. an den Welfenhof in Hannover führten. 1688 erhielt S. den ehrenvollen Abschied von München und wurde von dem späterem Kurfürsten Ernst August von Hannover (1629-1698) zu dessen Hofkapellmeister ernannt. Er komponierte für das neue Theater im Leineschloss in Hannover neun Opern und wurde zugleich wegen seiner Sprachkenntnisse für diplomatische Dienste eingesetzt. Von 1695 bis 1702 weilte er als hannoverscher Gesandter bei dem bayerischen Kurfürsten Max Emanuel, Statthalter der spanischen Niederlande, in Brüssel. Eine seiner Hauptaufgaben bestand in der Anerkennung Hannovers als Kurfürstentum gegen den Widerstand der katholischen Kurfürsten. 1703 trat S. in die Dienste des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658-1716) in Düsseldorf, wo er höchste Regierungsämter übernahm. Der Papst erhob ihn 1706 zum Titularbischof von Spiga (geweiht 1707 in Bamberg). 1708/09 vermittelte S. im Streit zwischen Kaiser Joseph I. (1678-1711) und Papst Clemens XI. (1649-1721) in Rom. In der Folge wurde er zum Delegat des Heiligen Stuhls und Apostolischen Vikar für Ober- und Niedersachsen mit Residenz in Hannover ernannt und mit dem Projekt der Rekatholisierung von protestantischen norddeutschen Fürstenhäusern betraut. Auf seine Initiative entstand die erste katholische Kirche in Hannover seit der Reformation, die Kirche St. Clemens, die 1718 eingeweiht wurde. Wegen Erschöpfung zog sich S. 1722 zur Erholung nach Carrara zurück, aber auf Anweisung des Heiligen Stuhls musste er 1725 nach Hannover zurückkehren. 1727 plante er aus Gesundheitsgründen die endgültige Übersiedlung nach Italien. Auf der Durchreise in Ffm., wo er wegen seiner Finanzsituation Kunstwerke aus Italien verkaufen wollte, starb er jedoch an einem Schlaganfall. Er wurde im Ffter Dom St. Bartholomäus begraben.
Obwohl er in seinen letzten Jahren kaum noch als Komponist hervortrat, wurde S. 1727 zum Präsidenten der „Royal Academy of Vocal Music“ in London gewählt.
S.s Leistungen als Komponist und als Diplomat bzw. Politiker stehen sich gleichwertig gegenüber. Er komponierte zahlreiche Opern sowie geistliche und weltliche Vokalwerke, wobei er französische und deutsche Elemente in die italienische Musik integrierte, und erlangte als Komponist europäischen Rang. Unter seinen Zeitgenossen waren vor allem seine Kammerduette für ein bis zwei Singstimmen und Basso continuo verbreitet, die als Musterbeispiele ihrer Gattung galten. S. beeinflusste Komponisten wie
Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel (1685-1759). Daneben unterhielt er Kontakte zu dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Königin Sophie Charlotte in Preußen (1668-1705) und Lothar Franz von Schönborn (1655-1729), dem Fürstbischof von Bamberg sowie Kurfürsten und Erzbischof von Mainz. S.s Korrespondenz ist zum großen Teil erhalten.
Grabplatte (von Hermann Jeß, 1935) aus schwarzem Marmor in der Magdalenenkapelle (seit 1855 auch: Christi-Grab-Kapelle) im Ffter Dom, gestiftet von den Katholiken der Stadt Hannover als Ersatz für das vermutlich beim Dombrand 1867 zerstörte ursprüngliche Epitaph.
Zum 250. Todestag 1978 Liturgie im Ffter Dom.
Ab 2012 sorgten die amerikanische Kriminalschriftstellerin Donna Leon (* 1942) und die italienisch-österreichische Opernsängerin Cecilia Bartoli (* 1966) für eine Renaissance S.s: Der Roman „Himmlische Juwelen“ (2012) von Donna Leon, der sich an S.s Lebensgeschichte anlehnt, und die fast gleichzeitige Herausgabe der Kompositionen von S. durch Cecilia Bartoli („The Steffani Project“, 3 CDs, 2013) sorgten dafür, dass der italienische Komponist wieder ins Bewusstsein der Musikwelt rückte. Das „Forum Agostino Steffani“, gegründet 2014 in Hannover auf Initiative des Organisten und
Helmut-Walcha-Schülers Lajos Rovatkay (* 1933), veranstaltet seit 2016 „Steffani-Festwochen“ in Hannover.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 418f.,
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