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Müller-Palleske, Carl Friedrich

Müller-Palleske, Carl (auch: Karl) Friedrich Christof. Eigentl. Nachname: Müller; nahm nach der Heirat mit Johanna Palleske deren Geburtsnamen zusätzlich an. Psd.: Carl Friedrich. Lehrer. Schriftsteller. Vereinsaktivist. * 14.5.1856 Rügenwalde/Pommern, † 1930 Berlin.
Über das Elternhaus M.s ist bisher nichts Näheres bekannt. Verheiratet mit Johanna Maria M.-P., geb. Palleske (1853-1932), Tochter des Schauspielers, Vortragskünstlers und Schriftstellers Emil Palleske (1823-1880), der eine Zeit lang in M.s Heimatort Rügenwalde gelebt hatte.
Nach einem Studium der Klassischen Philologie und der Pädagogik ging M.-P. 1879 nach Paris, wo er einige Jahre Privatunterricht gab. 1885 eröffnete er in London eine deutsche Privatschule. 1891 wurde er zum Leiter der Anglo-German-School in Brixton gewählt. Er kehrte jedoch schon kurz nach Antritt dieser Stelle nach Deutschland zurück. 1892 in Münster in den Fächern Pädagogik, Französisch und Englisch examiniert, wurde er 1893 Direktor der Städtischen höheren Töchterschule in Landau. Dieses Amt füllte M.-P. in den folgenden Jahren aus, mit großer Resonanz in der lokalen Öffentlichkeit, u. a. aufgrund der prominenten Einbindung seiner Schülerinnen in städtische Theater- und Festveranstaltungen. Zudem engagierte sich M.-P. in örtlichen und regionalen Vereinen. 1894 trat er dem Literarischen Verein in der Pfalz bei, dessen Vorstand er bis 1906 angehörte. Weitere Tätigkeiten legen Zeugnis von M.-P.s liberaldemokratischen Überzeugungen und gesellschaftspolitisch progressiven Wertvorstellungen ab. So engagierte er sich im Verein für Fraueninteressen und wahrscheinlich auch im Bund für Mutterschutz, und er bemühte sich um eine stärkere Integration der jüdischen Gemeinde in schulpolitische Belange.
Vor allem aber gehörte M.-P. zu den frühen Mitgliedern des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Die Vereinigung, die 1897 von dem Berliner Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935) gegründet worden war, setzte sich für die Rechte Homosexueller ein. Ein wesentliches Ziel bestand in der Abschaffung des Paragraphen 175 RStGB, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. M.-P.s Engagement war in der Region Rhein-Neckar für Hirschfelds Komitee wesentlich, erfolgte aber aus Rücksicht auf seine berufliche Stellung auf eine für die Allgemeinheit nicht sichtbare Weise. Er zählte um 1900 zu dem engeren Kreis regional organisierter „Vertrauensmänner“, die hinter den Kulissen im Namen des WhK in Not und Bedrängnis geratene Homosexuelle berieten. Auch war er offenbar am Aufbau einer Ffter WhK-Niederlassung beteiligt, woran in dieser Zeit der jugendbewegte Landwirt Wilhelm Jansen (1866-1943), an dessen später offenkundiger Pädophilie sich um 1910 heftige Auseinandersetzungen im „Wandervogel“ entzünden sollten, federführend arbeitete. Das Projekt eines Ffter WhK zerschlug sich um 1903, ähnlich wie in anderen Großstädten außerhalb Berlins, in denen um die Jahrhundertwende ein solcher Versuch unternommen wurde.
1905 berichteten Landauer Lokalzeitungen über eine Erpressung M.-P.s durch einen Diener. Den in diesem Zusammenhang gestreuten Verdacht, sich im Sinne des Paragraphen 175 strafbar gemacht zu haben, konnte er zwar entkräften. Doch scheint die Aufgabe seiner Vorstandstätigkeit im Literarischen Verein 1906 eine Konsequenz aus dieser „Affäre“ gewesen zu sein. 1911 geriet M.-P. erneut ins Visier der homosexuellenfeindlichen Justizbehörden. Infolge des Suizids eines Mannheimer WhK-Mitglieds war das Homosexuellendezernat in Berlin auf einen ausgedehnten Schriftwechsel und weitere Dokumente aufmerksam geworden, deren Inhalt eine Anklage M.-P.s auf Grundlage des Paragraphen 175 wahrscheinlich machte. Der damals 55-Jährige flüchtete in dieser Situation in die Schweiz.
Nach der Revolution von 1918/19 kehrte M.-P. nach Deutschland zurück. Er ließ sich 1919 in Ffm. nieder, wo er sein Engagement für das WhK wiederaufleben ließ. Unter dem Eindruck neuer Freiheiten in einem demokratischen Deutschland gab er dabei einen Teil seiner Anonymität auf. Als „Carl Friedrich“ schrieb er nun für Hirschfelds „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ und für die Wochenschrift „Die Freundschaft“, eine der ersten auf weite Verbreitung angelegten Homosexuellenzeitschriften der Weimarer Republik. In Ffm. las er als „Carl Friedrich“ auch gelegentlich öffentlich aus Klassikern der modernen homosexuellen Literatur. Belegt sind Auftritte in Ffter Szenelokalen (wie den „Hansa-Hallen“ nahe der Maininsel und dem „Café Wien-Berlin“ im Bahnhofsviertel) zu Anfang der 1920er Jahre, wobei er sich besonders dem Werk des Dichters August von Platen (1796-1835) zuwandte. Er wurde 1921 vom Ffter Ortsverein des Freundschaftsbunds zum stellvertretenden Vorsitzenden und 1922 vom örtlichen WhK-Verband in dessen Gründungsvorstand gewählt. Zu seinem 66. Geburtstag 1922 nahm er auf der 25-Jahr-Feier des WhK im Institut für Sexualwissenschaft in Berlin die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft entgegen.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte M.-P. offenbar in Berlin, wo er im Jahr 1930 gestorben sein soll.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Richard Kühl.

Literatur:
                        
Cohen, Dana-Livia/Knapp, Wolfgang/Könne, Christian (Hg.): Queer im Leben! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region. Ubstadt-Weiher u. a. [2022]. (Schriftenreihe Marchivum 09).Könne, Christian: Von Selbstmord und sozialem Tod. Homosexualität im Kaiserreich. In: Cohen u. a. (Hg.): Queer im Leben 2022, S. 56-64. | Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Bisher 64 Hefte. Berlin 1983-2020.Kühl, Richard: Vertrauensmänner*. Fragmente zur Frühgeschichte des Wissenschaftlich-humanitären Komitees in Ffm. In: Mitt. d. Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, H. 68 (März 2022), S. 13-26.
Internet: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Müller-PalleskeWikipedia, 27.2.2023.

GND: 1165104067 (Eintrag der Deutschen Nationalbibliothek).
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Empfohlene Zitierweise: Kühl, Richard: Müller-Palleske, Carl Friedrich. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/13199

Stand des Artikels: 7.3.2023
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 03.2023.