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Hulverscheidt, Liselotte

Liselotte Hulverscheidt
Liselotte Hulverscheidt
Fotografie.
© Privatarchiv M. Hulverscheidt.
Hulverscheidt, Liselotte, geb. Wagner. Fürsorgerin. * 13.5.1907 Gelsenkirchen, † 24.7.2001 Bad Kissingen.
Tochter von Kurt Wagner (1880-1962), Elektroingenieur im Bergbau, und dessen Ehefrau Ottilie Alwine Frieda, geb. Dittmann (?-1953). Drei Geschwister: Hans Heinrich Wagner (Lebensdaten unbekannt), Kurt Wilhelm Wagner (1909-1921) und Elfriede Elisabeth Wagner (1918-2011). Verheiratet (seit 1935) mit dem promovierten Ingenieur Fritz H. (1905-1982). Drei Kinder: Hans Joachim H. (1936-1998), Erwin H. (1939-2012), Ulrike H. (* 1942).
H. wuchs in Gelsenkirchen, (Bochum-)Weitmar, Wathlingen bei Celle und (Kamp-)Lintfort auf. Nach der Mittleren Reife 1923 in Lintfort besuchte sie mit dem Berufsziel der landwirtschaftlichen Lehrerin die Landwirtschaftliche Frauenschule Mallinckrodthof im Paderborner Land, die dem Reifensteiner Verband angehörte. Nachdem sie im Rahmen eines Praktikums in der Oberförsterei von Wolkersdorf in (Burgwald-)Bottendorf bei Frankenberg an der Eder einen Schwächeanfall erlitten hatte, verbot ihr der Vater aus Sorge um ihre Gesundheit, diese Ausbildung weiterzuführen. Stattdessen absolvierte sie eine Ausbildung als Säuglingsschwester im städtischen Säuglingsheim Bochum und im Krankenhaus in Dortmund. Im Anschluss ließ sie sich ab Oktober 1927 am Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin unter Alice Salomon (1872-1948) zur Gesundheitsfürsorgerin ausbilden. Nach bestandenem Examen bemühte sie sich um eine Stelle als Fabrikfürsorgerin bei den Osram-Werken in Berlin, doch ihr Vater verbot ihr, diese Anstellung anzutreten. In seinem Weltbild war eine eigenständige Berufstätigkeit einer Tochter aus gutem Hause nicht angemessen. Das (unbezahlte) Anerkennungsjahr verbrachte H. zunächst am Hauptfürsorgeamt in Düsseldorf und dann als Familienfürsorgerin in Rheinberg im Kreis Moers. Nach der Anerkennung als Fürsorgerin war die wirtschaftliche Lage in Deutschland so schlecht, dass H. keine besoldete Stelle erhielt. Sie lebte weiter bei ihren Eltern und begann 1932 in ihrem Heimatort Kamp-Lintfort, ehrenamtlich für mehrere Hundert unter- und mangelernährte Kinder zu kochen. Rückblickend erzählte sie, dass sie aufgrund ihres sozialen Einsatzes ehrenhalber in die NSDAP aufgenommen werden sollte, was sie durch die Heirat mit Fritz H. am 6.4.1935 umgangen habe. Nach der Trauung stand allerdings eine Abordnung der Hitlerjugend Spalier vor der Kirche. Das junge Paar zog erst nach Düren, dann nach Köln. Dort wurden 1936 und 1939 die beiden Söhne geboren. Anfang Juni 1939 übersiedelte die Familie nach Ingelheim am Rhein, wo Fritz H. die Stelle eines Betriebsingenieurs bei den Boehringer-Werken angetreten hatte. Wegen eines Herzleidens wurde er nicht zum Militärdienst eingezogen. Die Familie lebte fast unbehelligt von den Einflüssen des Zweiten Weltkrieges in einem über 300 Jahre alten Schlösschen in der Stiegelgasse. Am 3.1.1942 kam die Tochter Ulrike zur Welt. Ab 1942 besuchte H. eine Hauswirtschaftsschule in Mainz, die sie im Juli 1944 als „Meisterhausfrau“ abschloss, einem Titel, den das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1938 als Anerkennung der Leistungen einer Hausfrau eingeführt hatte. In der direkten Nachkriegszeit engagierte sich H. in der Kommunalpolitik bei der SPD in Ingelheim, im Elternbeirat an den Schulen ihrer Kinder und als Schöffin am Amtsgericht in Mainz. Wegen einer beruflichen Neuorientierung von Fritz H. zog die Familie im Januar 1954 nach Ffm., vom Haus mit Garten in eine Etagenwohnung, zuerst in der Beethovenstraße, dann (ab 1960) in der Arndtstraße 4. In ihren Lebenserinnerungen schreibt Liselotte H. dazu: „Aber ich bin in den folgenden 26 Jahren in Frankfurt nie heimisch geworden. Ich habe die Großstadt als etwas Unabwendbares in Kauf genommen, aber als Heimat habe ich sie nicht akzeptiert.“ (Aufzeichnungen über das Leben von Liselotte Hulverscheidt, geb. Wagner, S. 32.)
Ihrem Ehemann hatte H. versprechen müssen, sich am neuen Wohnort nicht mehr parteipolitisch zu engagieren. Doch sie trat 1957 der 1954 gegründeten Ortsgruppe Ffm. des Deutschen Kinderschutzbunds (DKSB) bei und amtierte seit 1959 als deren Sozialreferentin. In dieser Funktion war sie bereits für die Mittelbeschaffung für den seit 1959 im Vereinsregister eingetragenen Ffter Ortsverband zuständig. Am 11.4.1967 übernahm H. den (ehrenamtlichen) Vorsitz im Ortsverband Ffm. des DKSB. Im Laufe ihrer 13-jährigen Amtszeit (bis 1980) etablierte sie den Kinderschutzbund fest in Ffm. Das Büro des Ortsverbands richtete sie in ihrer Wohnung in der Arndtstraße 4 ein. Sie begann ihre Vorstandsaufgabe damit, bei der Stadt Ffm. und beim hessischen Sozialministerium Fördergelder zu beantragen, und benannte dem Oberbürgermeister bedürftige Familien, in denen die Kinder gut von einem Weihnachtsgutschein profitieren könnten. Der jährliche Etat des Kinderschutzbunds Fft. lag Ende der 1960er Jahre bei rund 20.000 Mark, im Jahr 1976 schon bei über 120.000 Mark. H. gelang es, regelmäßige Treffen des Ffter Kinderschutzbunds mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamts, der Sozialstationen und anderer Behörden zu etablieren, um Missstände zu benennen und Zuständigkeiten zu besprechen. Sie trug wesentlich zu der 1974 geschlossenen grundsätzlichen Vereinbarung zwischen DKSB und Jugendamt zu deren Zusammenarbeit bei. Auf H.s Idee hin bot der Kinderschutzbund Fft. ab 1974 ein Sorgentelefon für Schulkinder an, was schnell Nachahmung in anderen Städten fand. Der Verein kümmerte sich um Kinder von „Gastarbeitern“ und um Familien in Bewährungswohnungen, und er engagierte sich im Kinderheim Preungesheim. Dort lebten Kinder, deren Mütter im Frauengefängnis Preungesheim ihre Strafe verbüßten. Doch auch die allgemeine Kinderfeindlichkeit in der bundesdeutschen und insbesondere der Ffter Stadtgesellschaft wurde von H. angeprangert. So forderte sie als „Kinderlobbyistin“, wie sich selbst nannte, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Straßen an Spielplätzen, und die FR schrieb im Juli 1975: „Als Maßnahme zur Erschließung von Spielraum empfiehlt der DKSB u. a., die Eigentümer von unbebauten Spekulationsgrundstücken zu veranlassen, die Flächen interimistisch als Bolzplätze zur Verfügung zu stellen.“ Die Arbeit des Kinderschutzbunds in Ffm. professionalisierte sich, indem examinierte Sozialarbeiterinnen angestellt wurden und Studierende der Sozialen Arbeit ihr Anerkennungsjahr beim DKSB absolvieren konnten. 1977 bezog der Verein neue Räumlichkeiten im ehemaligen Kinderkrankenhaus in der Böttgerstraße. 1979 regte H. an, eine Beratungsstelle für Kinderschutz – Kindesmisshandlung nach Hamburger Vorbild einzurichten. Im Jahr 1980, als H. von dem Posten der Ersten Vorsitzenden zurücktrat, betrug der Jahresetat des Kinderschutzbunds Fft. 284.000 Mark, und die Mitgliederzahl hatte sich mehr als verdoppelt.
1980 zog Liselotte H. gemeinsam mit ihrem Ehemann in die Seniorenresidenz Parkwohnstift in Bad Kissingen. Dort engagierte sie sich im Heimbeirat als Vertreterin der Bewohnerinnen und Bewohner. Sie überlebte ihren Mann, der bereits 1982 starb, um knapp 20 Jahre und blieb bis zum Ende ihres langen Lebens geistig rege.
1977 Bundesverdienstkreuz am Bande. 1978 Pro infante Auszeichnung des Deutschen Kinderschutzbunds. 1980 Silberne Ehrenplakette des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands. 1982 Ehrenplakette der Stadt Ffm.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Marion Hulverscheidt.

Quellen: ISG, Bestand Fürsorgeamt (Best. A.51.02), 1929-2012.ISG, Fürsorgeamt 4.764 (Deutscher Kinderschutzbund, 1975-78). | ISG, Bestand Fürsorgeamt (Best. A.51.02), 1929-2012.ISG, Fürsorgeamt 5.048 (Kindesmisshandlung und schwere Vernachlässigung von Kindern, 1978-80). | ISG, Magistratsakten (Best. A.02.01), Serien 1868-1930 und 1930-69.ISG, MA 2.602 (Kinderschutz und Kindererholungsfürsorge, Jugendschutz, Landaufenthalt der Stadtkinder, 1957-69). | ISG, Bestand Materialsammlungen, 14. Jh.-1994.Materialsammlung Zeitungsausschnitte PIA. ISG, Materialsammlungen, S6b/393 (Vereine und Verbände K-L, 1950-64; hier: Deutscher Kinderschutzbund). | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/9.565. | Privatarchiv M. Hulverscheidt.Privatarchiv M. Hulverscheidt, Aufzeichnungen über das Leben von Liselotte Hulverscheidt, geb. Wagner. | Stadtarchiv Ingelheim/Rhein.Stadtarchiv Ingelheim, Rep. A-47-175 (zur Wahl des Elternbeirats an der Präsident-Mohr-Schule in Ingelheim, Februar 1949).

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Empfohlene Zitierweise: Hulverscheidt, Marion: Hulverscheidt, Liselotte. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/13707

Stand des Artikels: 10.11.2024
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 11.2024.