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Arjouni, Jakob

Jakob Arjouni

Jakob Arjouni
Foto: Regine Mosimann.

© Regine Mosimann / Diogenes Verlag, Zürich.
Arjouni, Jakob. Psd. für: Jacob Benjamin Bothe. Eigentl. Nachname (Geburtsname): Michelsen. Schriftsteller. * 8.10.1964 Ffm., † 17.1.2013 Berlin.
Sohn des Dramatikers Hans Günter Michelsen (1920-1994) und der Lektorin und Literaturagentin Ursula Bothe (* 1929). Verheiratet mit der Rechtsanwältin und Immobilienmaklerin Miranda Junowicz Bothe. Drei Kinder.
Aufgewachsen in Ffm. und (Rödermark-)Ober-Roden. Von 1974 bis 1983 Besuch der damals als elitär geltenden Odenwaldschule bei Heppenheim an der Bergstraße; A. berichtete, von der (erst später öffentlich bekannt gewordenen) virulenten Praxis sexuellen Mißbrauchs an diesem Internat nicht betroffen gewesen zu sein. Nach dem Abitur mehrjähriger Aufenthalt in Montpellier/Südfrankreich, dort Hilfsjobs als Kellner und Verkäufer. Erste Schreibversuche. 1986 kurzer Besuch der Schauspielschule in Berlin. Danach ein ebenfalls schnell wieder abgebrochenes Studium an der Freien Universität in Berlin. Zeitweise pendelte A. als freier Schriftsteller zwischen dem südfranzösischen Ginestas und Berlin, das zuletzt wieder sein Lebensmittelpunkt wurde. Dort starb er 2013 im Alter von 48 Jahren an einem Krebsleiden.
1985 erschien im kleinen Hamburger Buntbuch-Verlag A.s Kriminalroman „Happy birthday, Türke!“, der in Ffm. spielt und den türkischstämmigen Privatdetektiv Kemal Kayankaya zum Helden hat. Um sich vom Renommee seiner Eltern – bekannter Größen in der Ffter Literaturszene – unabhängig zu machen, legte sich der junge Autor den Nachnamen seiner damaligen Lebensgefährtin, der französisch-marokkanischen Musikmanagerin Kadisha A., als Pseudonym zu. Zwei Jahre später konnte A. eine Neuauflage seines Debüts und zugleich dessen Fortsetzung, den zweiten Kayankaya-Krimi „Mehr Bier“, beim angesehenen Züricher Verlag Diogenes platzieren. Damit hatte er sich an die Spitze der bundesdeutschen Krimiautoren geschrieben: Seine spannenden Plots und sein an den Vorbildern der klassischen amerikanischen Kriminalliteratur (Chandler, Hammett) orientierter Stil boten einen hochwertigen Lesegenuss.
Die Erfindung des „türkischen“ Protagonisten Kemal Kayankaya und die Situierung der Krimis im Ffter Bahnhofsviertel stießen besonders beim Ffter Publikum auf eine begeisterte Resonanz. A.s Figur des Privatdetektivs Kemal Kayankaya folgt dem Typus des hemdsärmeligen, ruppigen, einsamen und durchaus gewaltaffinen „hard-boiled detective“ à la Philip Marlowe, Sam Spade oder Miles Archer, dessen Herz auf dem rechten Fleck sitzt. Dabei stellt sich Kayankaya als Mensch mit Migrationshintergrund heraus: Er kam als kleines Kind aus der Türkei nach Ffm. und wuchs nach dem Tod beider Eltern in einer deutschen Familie auf, ist also deutsch sozialisiert. Ohne weitere Verbindungen zur Türkei und ohne jegliche türkische Sprachkenntnisse weisen ihn lediglich sein Name und sein Aussehen als „Türken“ aus. Wie ein fiktionaler Günter Wallraff macht Kayankaya in den Kriminalromanen Erfahrungen, die auf Klischees, Ressentiments und Stereotypen beruhen. Paradoxerweise erlagen Literaturkritik und Publikum ähnlichen Vorurteilen: Der Autor wurde aufgrund seines fremdländischen Namens lange als „Sohn türkischer Gastarbeiter“ identifiziert. Auch A. selbst unterlaufen strukturelle Projektionen, die die damals geringe Vertrautheit mit dem Fremden zeigen. Ungeachtet dieser mehrfachen Fiktionen, die ein bezeichnendes Licht auf den Umgang der Deutschen mit den Fremden in den 1980er Jahren werfen, zeichnen sich A.s Texte als Konstruktionen gehobener Narration aus. A. greift Genrekonventionen auf und variiert sie virtuos. Die Romane spielen an akribisch recherchierten Schauplätzen im Rotlichtmilieu des Bahnhofsviertels mit seinen Bars, Spielhallen, Kaschemmen und Geldwäsche-Etablissements. Dadurch vermitteln sie nicht nur Lokalkolorit, sondern vielmehr eine beinahe dokumentarische Authentizität, die sich etwa auch in der dichten Beschreibung der Mode und der Alltagsgegenstände äußert. Als glänzender Stilist beherrscht A. perfekt den Einsatz verschiedener Sprachebenen, insbesondere in den Dialogen, in denen er seine Figuren, je nach Anlass und Sprechsituation, oft frankfurterisch babbeln, aber auch berlinern oder im „Ausländerdeutsch“ radebrechen lässt. Neben zwielichtigen Gestalten der Trinker, Schläger, Glücksspieler, Dealer, Junkies, Tänzerinnen, Sexsklavinnen, Zuhälter, Schutzgelderpresser, Bandenkrieger und Mafiaakteure treten in den Geschichten auch deutsche Behörden, Beamte und Bürokraten auf, die sich ebenso schuldig machen wie all die „Berufskriminellen“ und das organisierte Verbrechen. In späteren Romanen erweiterte A. die Antagonistenszene auf Umweltverbrecher, Neonazis, Balkankriegsgewinnler und Hassprediger islamistischer Couleur und erreichte auch mit diesem Setting ein gebildetes, gesellschaftskritisches, „links-grünes“ Publikum. Im fünften und letzten Kayankaya-Roman, „Bruder Kemal“ (2012), in dem der ehemals coole, mittlerweile in einer festen Beziehung lebende Protagonist sich nach aufsteigender Karriere nun als Mieter einer Westendwohnung wiederfindet, avanciert die Ffter Buchmesse zum kriminellen Schauplatz, und A.s süffisant-ironische Spitzen gegen die Ffter Intellektuellen-Schickeria mit ihrer „nervösen Ereignislosigkeit“ (so A. in „Bruder Kemal“) offenbaren deren sinistre Seite.
Die Serie der Kayankaya-Romane umfasst die fünf Bände: „Happy Birthday, Türke!“ (1985; Verfilmung unter der Regie von Doris Dörrie, 1992; Neuaufl., ill. v. Philip Waechter, 2016), „Mehr Bier“ (1987), „Ein Mann, ein Mord“ (1991), „Kismet“ (2001) und „Bruder Kemal“ (2012). Andere Romane von A.: „Magic Hoffmann“ (1996), „Hausaufgaben“ (2004), „Chez Max“ (2006), „Der heilige Eddy“ (2009) und „Cherryman jagt Mister White“ (2011). Theaterstücke: „Die Garagen“ (UA 1988), „Nazim schiebt ab“ (UA 1990) und „Edelmanns Tochter“ (UA 1996). Außerdem verfasste A. Kurzgeschichten („Ein Freund“, 1998; „Idioten. Fünf Märchen“, 2003) und Hörspiele.
Zu Lesungen aus seinen Werken kehrte A., dessen Bücher in 23 Sprachen übersetzt wurden, immer wieder in seine Geburtsstadt Ffm. zurück.
1987 Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg für das Theaterstück „Nazim schiebt ab“. 1992 Deutscher Krimipreis für den dritten Kayankaya-Roman „Ein Mann, ein Mord“.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Isolde Mozer.

Literatur:
                        
Jędrzejewski, Maciej: Gesellschaft in Jakob Arjounis Werk. Berlin/Bern/Wien 2019. (Warschauer Studien zur Germanistik und zur angewandten Linguistik 33).Jędrzejewski: Gesellschaft in Jakob Arjounis Werk 2019. | Kulturelle Entdeckungen: Literaturland Hessen. Hg. v. d. Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. [Regensburg] 2009.Fischer, Kathrin: Tatort Hessen. Auf den Spuren der Krimiautoren. In: Kulturelle Entdeckungen: Literaturland Hessen 2009, S. 238-247, hier S. 243f. | Ruffing, Jeanne: Identität ermitteln. Ethnische und postkoloniale Kriminalromane zwischen Popularität und Subversion. Würzburg 2011. (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft 51).Ruffing: Identität ermitteln 2011, S. 251-301. | Waibel, Ambros: Jakob Arjouni. Hamburg 2000.Waibel: Jakob Arjouni 2000.
Quellen: Der Spiegel. Hamburg 1947-heute.Buß, Christian: Der Straßenköter und die scharfe Mutter. Arjouni-Krimi „Bruder Kemal“. In: Der Spiegel online, 3.9.2012 (https://www.spiegel.de/kultur/literatur/jakob-arjouni-bruder-kemal-der-neue-fall-von-detektiv-kayankaya-a-853125.html, abgerufen am 10.5.2020). | Der Spiegel. Hamburg 1947-heute.Buß, Christian: Heimat, das ist eine Dose Bier. Zum Tode Jakob Arjounis. In: Der Spiegel online, 17.1.2013 (https://www.spiegel.de/kultur/literatur/zum-tode-jakob-arjounis-a-878192.html, abgerufen am 10.5.2020). | Die Welt. [Tageszeitung.] Berlin 1946-heute.Krekeler, Elmar: Jakob Arjouni kocht grüne Soße mit Schuss. In: Die Welt, Internetausgabe, 4.9.2012 (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article108971297/Jakob-Arjouni-kocht-gruene-Sosse-mit-Schuss.html, abgerufen am 10.5.2020). | Die Welt. [Tageszeitung.] Berlin 1946-heute.Krause, Tilman: Jakob Arjouni, der Magic Man der Literatur. In: Die Welt, Internetausgabe, 17.1.2013 (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article112846221/Jakob-Arjouni-der-Magic-Man-der-Literatur.html, abgerufen am 10.5.2020). | Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur. Hamburg 1946-heute.Henning, Peter: Früher der Mord, jetzt das Leben. Liebesgeschichte, Räuberpistole, Berlinroman: Jakob Arjounis hinreißendes Gaunerbuch „Der heilige Eddy“. In: Die Zeit online, 13.2.2009 (http://www.zeit.de/online/2009/08/jakob-arjouni-der-heilige-eddy?page=al, abgerufen am 10.5.2020). | Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur. Hamburg 1946-heute.Henning, Peter: Sie wird mir fehlen, seine Nähe. Zum Tod Jakob Arjounis. In: Die Zeit online, 17.1.2013, aktualisiert am 6.9.2013 (https://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-01/jakob-arjouni-nachruf, abgerufen am 10.5.2020). | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Kegel, Sandra: Zum Tod Jakob Arjounis. Eine Frage der Moral. In: FAZ, Internetausgabe, 17.1.2013 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/zum-tod-jakob-arjounis-eine-frage-der-moral-12028171.html, abgerufen am 10.5.2020). | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Balke, Florian: Sehnsuchtsbücher. Der Schriftsteller Jakob Arjouni ist tot. In: FAZ, 18.1.2013. | Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Staude, Sylvia: Ade, Kayankaya. Zum Tode von Jakob Arjouni, Erfinder eines famosen deutsch-türkischen Detektivs. In: FR, 18.1.2013. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/14.214. | Korte, Hermann (Hg.): Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG). Begründet von Heinz Ludwig Arnold. München 1978-heute.Sandro Moraldo in: KLG (Stand: 1.10.2009). | Munzinger-Archiv. Internationales Biographisches Archiv u. a. Archivdienste für die Medien. Ravensburg 1913-heute.Munzinger, Internationales Biographisches Archiv 24/2013 vom 11.6.2013 (ergänzt bis Kalenderwoche 23/2017). | Süddeutsche Zeitung. München 1945-heute.Rühle, Alex: Zum Tod von Jakob Arjouni. Hinter Ginestas beginnt das Paradies. In: Süddt. Zeitung, Internetausgabe, 17.1.2013 (https://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-jakob-arjouni-hinter-ginestas-beginnt-das-paradies-1.1575953, abgerufen am 10.5.2020).
Internet: Deutschlandradio, Internetpräsenz des Rundfunksenders mit den Programmen Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova, Köln. https://www.deutschlandfunkkultur.de/einer-der-erfolgreichsten-und-besten-deutschen.954.de.html?dram:article_id=234574
Hinweis: „Einer der erfolgreichsten und besten deutschen Krimischriftsteller“. Krimiautor Ulrich Noller würdigt den verstorbenen Autor Jakob Arjouni. Ulrich Noller im Gespräch mit Andreas Müller. Beitrag in Deutschlandfunk Kultur vom 17.1.2013.
Deutschlandradio, 10.5.2020.
| Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_ArjouniWikipedia, 21.2.2013.

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Empfohlene Zitierweise: Mozer, Isolde: Arjouni, Jakob. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/4736

Stand des Artikels: 11.5.2020
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 05.2020.