Fehlermeldung

Deprecated function: The each() function is deprecated. This message will be suppressed on further calls in FieldCollectionItemEntity->fetchHostDetails() (Zeile 378 von /var/www/vhosts/bec2659.online-server.cloud/frankfurter-personenlexikon.de/sites/all/modules/field_collection/field_collection.module).

Sautermeister, Renate

Renate Sautermeister

Renate Sautermeister
Fotografie (2006).

© Fernando Baptisto Photographie / bapfoto, Reichelsheim/Odenwald.
Sautermeister, Renate. Zeichnerin, Malerin und Fotografin. * 24.2.1937 Hamburg, † 9.7.2012 Ffm.
Aufgewachsen in Freiburg/Breisgau und im elsässischen Mulhouse. Besuch der Werkkunstschule in Bonndorf/Schwarzwald (1953-54) und in Wiesbaden (1954-57), abgeschlossen mit Diplom. 1956 zweimonatiges Stipendium der Dante-Gesellschaft an der „Accademia Di Belle Arti“ im umbrischen Perugia. Heirat mit dem Künstler und Kunstkritiker Nikolaus Jungwirth (1935-2018), den sie während ihres Studiums in Wiesbaden kennengelernt hatte. 1959 Geburt der Tochter Teresa Jungwirth.
Nach dem Studium war S. als Buchillustratorin für die Verlage Rothe in Heidelberg und Schroedel in Hannover, später für den Verlag Asia 2000 in Hongkong tätig. Während ihrer Ehe mit Jungwirth arbeitete sie in Ateliergemeinschaft mit ihrem Mann künstlerisch weiter. Mit ihren Werken nahm sie 1965 erstmals an einer Ausstellung teil, im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden, und ein Jahr später hatte sie eine Einzelausstellung im Wiesbadener Landesmuseum. Dennoch war S. selbst der Ansicht, in dieser Zeit, in der sie die traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter zu erfüllen hatte, stark an Mut und Selbstvertrauen eingebüßt zu haben. Nach der Trennung von Jungwirth fiel es ihr schwer, wieder an ihre Schaffenskraft anzuknüpfen. Die Vorstellung quälte sie, dass andere Künstlerinnen und Künstler ihr ein Jahrzehnt kontinuierlicher Weiterentwicklung voraus haben könnten; es kam ihr so vor, wieder von vorne anfangen zu müssen.
Seit 1972 lebte S. als freischaffende Künstlerin in Ffm., wo sie künftig die Kunstszene wesentlich mitgestaltete. 1972 gründete sie mit einigen Kollegen, u. a. Nikolaus Jungwirth, Gerhard Kromschröder (* 1941), Thomas Jensch (* 1941), Jürgen Wölbing (1942-2009), Wolfgang Schlick (1941-2014), Erika Hauke-Horn und Olaf Hauke (* 1935), die Künstlergruppe „detlev“, die sich bald mit ihrem Aktionismus und ihrer Aufmüpfigkeit einen Namen in der Stadt machte. So nutzte die Gruppe die damals gerade erst für den Autoverkehr gesperrte und zur Fußgängerzone erklärte Ffter Einkaufsstraße Zeil für eine spontane Ausstellung. 1975 schlossen sich S. und einige Künstler der Gruppe zum „Künstler-Syndikat“ zusammen, das Ausstellungen organisierte.
Schon im Jahr ihres Umzugs nach Ffm. 1972 veranstaltete S. mit dem neu gegründeten „Frauen Forum“ eine Reihe von Demonstrationen. Sie organisierte Ende der 1970er Jahre regelmäßige Treffen von Künstlerinnen aus Ffm., Marburg, Gießen und Darmstadt zum Austausch über ihre Arbeit und ihre Projekte. Aus dieser Initiative ergab sich 1980 die Reise von zehn Künstlerinnen (Barbara Isabella Bauer-Heusler, Amei von Brasch, Doris Conrads, Christiane Gumpert, Hildegard Lackschéwitz, Astrid Lincke-Zukunft, E. R. Nele, Wanda Pratschke, Henriette Riederer, S.) nach New York, wo die Gruppe die dortige Künstlerinnenszene studierte, die kontrovers diskutierte Installation „The Dinner Party“ (1974-79) von Judy Chicago (* 1939) im Brooklyn Museum besichtigte und die Künstlerin Lil Picard (1899-1994) traf. In Anlehnung an die feministisch anmutenden Performances von Picard und vor allem an Chicagos Werk „The Dinner Party“, bei dem jedes Tischgedeck den Platz für eine bedeutende, jedoch oft vergessene Frau der Zeitgeschichte symbolisiert, entstand die Idee zu der Ausstellungsreihe „Wir bitten zu Tisch“. Bei den Gruppenausstellungen in Ffm. 1981 und Bonn 1982 war S. mit ihren Werken vertreten. Auch an der umstrittenen Ausstellung „Künstlerinnen International 1877-1977“ in Berlin 1977, die sich erstmals in Deutschland in einem größeren Rahmen ausschließlich Kunst von Frauen widmete, nahm S. teil, obwohl das Projekt von einigen Künstlerinnen von vornherein abgelehnt worden war.
Ausstellungen in Stuttgart, München, Berlin, Hamburg, Bonn, Lyon, Paris und immer wieder in Ffm. Dort zahlreiche Einzelausstellungen: im Hessischen Rundfunk (1974), im Ffter Kunstverein (1975), im Forum Stadtsparkasse (1980), im Dominikanerkloster (1987), in der Galerie F. A. C. Prestel (1991, 1993, 1999, 2002), in der Oberfinanzdirektion (2005, 2008, 2012), im Goethe-Institut („Das Fenster“, 2007) und in der Galerie Das Bilderhaus (2010 sowie posthum 2014 und 2016).
Reisen nach Spanien, Italien, Frankreich und vor allem nach Irland sowie in die USA, nach Indien, Russland und China.
Seit 1980 Mitglied der Darmstädter Sezession. Von 1980 bis 1996 Mitglied im Vorstand des Ffter Kunstvereins. Von 1984 bis 1986 Lehrauftrag an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. 1992 Schulkünstlerin der Heinrich-Kraft-Schule in Ffm.
Stil und Technik der Arbeiten von S. haben sich im Laufe ihrer Schaffenszeit über fünf Jahrzehnte hinweg mehrfach gewandelt. Die Werke der ersten, sehr erfolgreichen Schaffensphase von S. in den 1970er Jahren changieren stilistisch zwischen Realität und Abstraktion. Zu sehen sind ihrer Funktion beraubte Türen und Fenster, Stühle und Tische zwischen sporadisch verteilten Grasbüscheln, zerstörten Mauern, zerbrochenen Fliesen in apokalyptisch-leeren Landschaften mit blauem Himmel. Der Mensch ist in diesen surrealen, farblich nur schwach akzentuierten Landschaften lediglich in den Spuren anwesend, die er hinterlässt. Die Bilder verletzter, mit Mullbinden umwickelter Bäume entstanden zu der Zeit, in der große Waldflächen für den Bau der Startbahn West des Ffter Flughafens gerodet wurden. Auch andere Arbeiten führen dem Betrachter die Zerstörung des Lebensraums, ganz konkret in Ffm., vor Augen.
In ihrer zweiten wichtigen Schaffensphase seit etwa Mitte der 1980er Jahre setzte S. eine polychrome Malerei mit wenigen Zeichenspuren ein. Allmählich löst sich das Erkennbare auf, wandelt sich das eindeutig Identifizierbare zu abstrakterer, Form und Farbe verpflichteter Malerei. Räume und Landschaften verschwinden unter wild bewegten Schraffuren und Farbflächen, die oft in mehreren Schichten nacheinander aufgetragen wurden. Mit dynamischen Pinselstrichen verwandte S. leuchtende Farben, anfangs nur Rot und Blau. Mit einem freieren Malgestus löste sie sich von der akribischen Darstellung narrativer Bildinhalte und folgte spontanen Eingebungen: „Ich setze an und weiß nicht, wie es enden wird“, so S.
Neben Malerei und Zeichnung war die Künstlerin auch offen für andere Medien und Gattungen wie Lithografie, Radierung, Objekt, Fotografie und Bühnenbild. Sie entwarf Bühnenbilder zu Stücken von John Hopkins („Diese Geschichte von Ihnen“, Schauspiel Fft., Kammerspiele, Regie: Peter Roggisch, 1979), Bodo Kirchhoff („Body-Building“, Schauspiel Fft., Regie: Peter Roggisch, 1980) und Pierre Byland („Autour d’une porte“, Theater am Turm, Regie: Ctibor Turba, 1980).
Im Grunde wurzelt die Kunst von S. in der lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen, um von dort aus zu existenziellen Fragen vorzustoßen. So kann die Fotoserie „Das Fenster“, entstanden etwa von 1980 bis 1990, als kleine Studie über das Zusammenleben in Städten und zugleich das sich stetig verändernde Stadtbild gesehen werden. S. beobachtete und fotografierte über Jahre hinweg täglich von ihrer Wohnung in der Battonnstraße 2 aus ein gegenüberliegendes Dachfenster. Nachthemden, Mullbinden, lange Unterhosen hingen dort an der Wäscheleine im offenen Fenster, eine Matratze ragte nach draußen, rote Schuhe standen auf der Fensterbank, ein vergilbter Vorhang wehte durch eine zerbrochene Scheibe. Niemals sah sie dort Menschen. Manchmal hörte sie Stimmen von einem Mann und einer Frau. Erst viel später lernte sie die beiden kennen. Irgendwann waren sie weg, und das Fenster wurde mit Brettern vernagelt und mit Ziegeln bedeckt. Anlässlich ihres 75. Geburtstags 2012, kurz vor ihrem Tod, zog S. ein Resümee ihres Schaffens, das sie als „Bestandsaufnahme des eigenen Zustands in einer Welt der Realitäten“ beschrieb.
1974 Preis „Junge Kunst in Hessen“ der Marielies Hess-Stiftung in Ffm., verbunden mit einer Einzelausstellung im HR. 1980 Reinhold-Kurth-Kunstpreis der Stadtsparkasse Ffm. 1982 Preis der Sparkasse Karlsruhe.
2016/17 Ausstellung „Farbsuggestionen“, veranstaltet vom ISG im Foyer des Karmeliterklosters.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Claudia Olbrych.

Literatur:
                        
Die bildenden Künstler in Ffm. Hg. v. d. Stadt Ffm., Dezernat für Kultur und Freizeit, Amt für Wissenschaft und Kunst. Bearb. v. Kurt Lotz u. Rudi Seitz. Ffm. 1982, 2. Aufl. 1989.Die bildenden Künstler in Ffm. 1982; 1989. | Hoffmann, Hilmar: Fft.s starke Frauen. Begegnungen 1945 bis heute. [Untertitel der 3., aktualisierten u. überarb. Aufl.: Ohne Quote ganz nach oben.] Ffm. 2006, 3. Aufl. 2014.Hoffmann: Frauen 2006, 3. Aufl. 2014, S. 223-230. | Renate Sautermeister. Werke 1957-2007. Malerei, Zeichnung, Grafik. [Red. Mitarb.: Nina Boguslawski.] Freiburg im Breisgau 2007.Renate Sautermeister. Werke 1957-2007. | Sautermeister, Renate: Philofaxe. denn: wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man faxen. Freiburg im Breisgau 1994.Sautermeister: Philofaxe 1994.
Quellen: Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur. Hamburg 1946-heute.Spatz, Christa: Kunstkalender: Fft.: „Zehn Künstlerinnen bitten zu Tisch“. In: Die Zeit, 23.10.1981. | Ffter Allgemeine Sonntagszeitung. Ffm. 1990-heute.Schütte, Christoph: Leitern, Treppen, Stufen. In: FAS, 17.4.2016, S. R5. | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Deschka, Katharina: Mehr Farbe. Renate Sautermeister in der Galerie Bilderhaus. In: FAZ, 9.4.2010, S. 45. | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Schütte, Christoph: Hände, Füße, Stühle. Renate Sautermeisters Bilder in der Oberfinanzdirektion. In: FAZ, 30.3.2012, S. 49. | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Fischer, Katinka: Ein Werk voller Stühle. Zum Tod der Ffter Künstlerin Renate Sautermeister. In: FAZ, 12.7.2012, S. 39. | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Schütte, Christoph: Treppen in den Himmel und in den Abgrund. In: FAZ, 11.7.2014, S. 37. | Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Michels, Claudia: Malerin und wache Beobachterin. Nachruf in: FR, 12.7.2012. | Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Todesanzeigen in: FR, 14.7.2012 und 21.7.2012. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/10.746.
Internet: Renate Sautermeister, Internetseite zu Leben und Werk, hg. zur Verwaltung des Nachlasses von Renate Sautermeister v. Teresa Jungwirth, Ffm. https://www.renatesautermeister.deRenate Sautermeister, 7.9.2020. | Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Hg.: Wikimedia Foundation Inc., San Francisco/Kalifornien (USA). https://de.wikipedia.org/wiki/Renate_SautermeisterWikipedia, 7.9.2020.

GND: 118804804 (Eintrag der Deutschen Nationalbibliothek).
© 2024 Frankfurter Bürgerstiftung und bei dem Autor/den Autoren
Empfohlene Zitierweise: Olbrych, Claudia: Sautermeister, Renate. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/5779

Stand des Artikels: 7.9.2020
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 09.2020.