Einziges Kind von Friedrich Wilhelm
Karl (auch: Carl) K. (1858-1922), Theateragent in Breslau, später in Mannheim, und dessen Ehefrau Katharina, geb. Bartl (1851-1921).
K. besuchte von 1900 bis 1906 die städtische evangelische Realschule in Breslau. Sein Vater hatte für ihn den Beruf des Kaufmanns vorgesehen, aber K. lehnte dies ab und wollte stattdessen im Gymnasium weiterlernen. Er schrieb einen dringlichen Brief an den Vater (im Hause), in dem er argumentierte, er könne mithilfe von Nachhilfestunden selbst für das Schulgeld aufkommen. Er wechselte dann auf die Oberrealschule und bestand 1909 das Abitur. Danach studierte K. an der Universität Breslau Naturwissenschaften, besonders die Fächer Botanik, Zoologie, Geologie und Geografie. Im März 1913 wurde er bei dem Botaniker und Direktor des Botanischen Gartens Breslau, Ferdinand Albin Pax (1858-1942), mit der Arbeit „Beiträge zur Kenntnis der Hölzer aus der schlesischen Braunkohle“ promoviert. Ein Jahr später, im Mai 1914, bestand er das Staatsexamen und erhielt die Lehrbefähigung für höhere Schulen in den Fächern Botanik, Zoologie, Geologie und Erdkunde für die I. sowie in Physik und Mathematik für die II. Stufe. Darauf folgten ein Seminarjahr in Breslau, entsprechend dem Referendariat heute, und Vertretungen an verschiedenen Schulen. Im April 1915 trat K. als Freiwilliger in den Heeresdienst ein. Kurz darauf, im Mai 1915, heiratete er Johanna Wellenstein (1887-1954). Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Hildegard (1922-2014), Irmgard (1923-1999) und Wolfgang (1924-2013). Im Juni 1916 wurde K. aus dem Heer entlassen, weil er als Lehrer gebraucht wurde, und im Januar 1917 bekam er die „Anstellungsfähigkeit zuerkannt“. Von Juli 1918 bis zum Kriegsende wurde er als Kriegsgeologe in Litauen und Südosteuropa eingesetzt.
Ab Dezember 1918 war K. wieder im Schuldienst und arbeitete gleichzeitig wissenschaftlich an den Themen weiter, die ihn schon während seines Studiums interessiert hatten: fossile Koniferenhölzer, die Tertiärflora Schlesiens, die Bestimmung fossiler Pflanzenreste und phylogenetische Fragen. Er publizierte seine Ergebnisse und bemühte sich um Kontakte zu verschiedenen Einrichtungen wie der Preußischen Geologischen Landesanstalt in Berlin, zu wissenschaftlichen Akademien und zum Naturkundemuseum in Basel. Im Jahr 1919 bewarb er sich auf zwei Stellen als Oberlehrer, in Ffm. und Berlin, und bekam von beiden Städten Anfang 1920 eine Zusage. Seine Entscheidung fiel für Ffm., und zum 1.4.1920 trat er dort die Stelle am Goethe-Gymnasium an. In einem der Schulgebäude, am Hohenzollernplatz (heute: Friedrich-Ebert-Anlage) 24, bezog er mit seiner Frau eine Wohnung, die nur aus einem großen Raum bestand und durch Schränke unterteilt wurde. Bereits während seines Studiums in Breslau war er der „Akademischen Turnverbindung“ beigetreten und wechselte nun in Ffm. zur Verbindung „ATV Tuiskonia Fft.“. Nicht nur die geselligen Treffen der Mitglieder waren ihm sehr wichtig, sondern auch der Sport. Er konnte so auch Turnunterricht an seiner Schule erteilen. In den 1930er Jahren wurde die „ATV Tuiskonia“ verboten, und K. gehörte nach 1945 zusammen mit seinem Sohn zu den Neubegründern der Verbindung.
Im Wintersemester 1920/21 habilitierte sich K. für Paläobotanik an der Universität Ffm.; die Lehrerlaubnis wurde 1925 um Botanik erweitert. Im Naturmuseum und Forschungsinstitut Senckenberg arbeitete K. von 1920 bis zu seinem Tod ehrenamtlich, baute Abteilungen auf, ergänzte Sammlungen mit seinen eigenen Fundstücken von Fossilien und widmete sich dem Herbarium. Bereits in den 1920er Jahren unternahm er Reisen zu verschiedenen Museen und Forschungsinstituten im In- und Ausland. Die Abstimmung solcher Reisen mit seiner Arbeit als Lehrer war nicht immer einfach: Wenn K. außerhalb der Schulferien einen Forschungsaufenthalt oder eine Kongressteilnahme plante, musste er die Vertretungskosten für seinen ausfallenden Unterricht selbst tragen. 1935 übernahm einmal die „Lehrergemeinschaft des Goethe-Gymnasiums“ die Vertretung K.s unentgeltlich für zwei Wochen. Im Übrigen gab das Senckenberg-Institut auch Geld für Vertretungsstunden direkt an das Gymnasium. So wurde K. dort stundenweise beurlaubt und konnte dafür länger im Senckenbergmuseum arbeiten. Teilweise bezahlte die Universität Lehrauftragsvergütungen, damit er „für seine Vertretung im Schuldienst einen Studienassessor annehmen konnte“.
Seit 1922 war K. mit Hermann Weyland (1888-1974), einem leitenden Mitarbeiter der Bayer AG sowie Professor für Geologie und Paläontologie an der Universität Köln, befreundet. Mit ihm erarbeitete und veröffentlichte er viele Artikel, besonders über Devonfloren des Rheinlands sowie später über den Bau von Laubblättern im Tertiär. Durch seine Korrespondenz mit anderen Forschungseinrichtungen ergaben sich zahlreiche Kontakte, die ebenfalls zu Freundschaften führten, sodass er auf seinen Reisen an vielen Orten unterstützende Partner für eine Zusammenarbeit sowie auch für Unterkünfte fand. Seine erste größere Forschungsreise unternahm K. 1928 für acht Monate in die USA und nach Kanada, gefördert durch die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gewährte eine Beihilfe für seine Vertretung am Gymnasium während dieser Zeit. Im selben Jahr wurde K. zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor an der Universität Ffm. ernannt. Ebenfalls 1928 zog die inzwischen fünfköpfige Familie in eine Wohnung in der Danneckerstraße 5 in Sachsenhausen um.
K.s politische Einstellung in den 1920er Jahren war davon geprägt, dass er mit der Weimarer Republik und mit der Demokratie an sich nicht einverstanden war; den Weiterbestand des Kaiserreichs hätte er eindeutig vorgezogen. So trat er 1932 in den „Stahlhelm“ ein und nahm an politischen Kundgebungen teil, in der Hoffnung, dass sich die Situation durch die Nationalsozialisten in seinem Sinne verbessern würde. In der NS-Zeit trat er der SA (1934), der NSDAP (1937) und weiteren nationalsozialistischen Organisationen bei. An der Universität wurde K. 1939 zum außerplanmäßigen Professor (weiterhin ohne Vergütung) ernannt. 1941 wurde die Botanisch-Paläobotanische Abteilung des Forschungsinstituts und Naturmuseums Senckenberg unter der ehrenamtlichen Leitung K.s (auf Lebenszeit) gegründet, und K. übergab seine eigenen botanischen und paläobotanischen Sammlungen der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. Im Oktober 1943 verkaufte K. seine Bibliothek für 15.000 Reichsmark an die SNG.
Nach ersten schweren Bombenangriffen auf Ffm., bei denen auch benachbarte Universitätsgebäude zerstört worden waren, wurden die wissenschaftlichen Sammlungen des Senckenbergmuseums ab Anfang Februar 1944 auf 40 Standorte ausgelagert, und rechtzeitig vor den Luftangriffen im März 1944 waren die Gebäude ausgeräumt. Das Ausweichlager in Ober-Lais (heute Stadtteil von Nidda) in der Wetterau befand sich in zwei Gaststätten und einer Schule, wo einige Senckenberg-Wissenschaftler arbeiten konnten, die – wie auch K. mit seiner Frau – in Privatunterkünften wohnten. In einem Brief vom 30.3.1944 an das Schulamt schrieb der Direktor des Senckenbergmuseums,
Rudolf Richter: „Herr Stud. Rat a. o. Prof. Dr. Richard Kräusel ist dem Geologischen Universitäts-Institut und damit auch dem mit diesem verbundenem Natur-Museum mit der Hälfte seiner Arbeitszeit zur Verfügung gestellt worden.“ Er bat darum, dass K. bis zum Kriegsende in Ober-Lais bleiben könne. K.s vormals eigene Sammlungen waren im Glauberg-Museum am Rand des Vogelsbergs untergebracht und wurden dort Anfang April 1945 durch einen von US-amerikanischen Truppen verursachten Brand vernichtet. In späteren Jahren versuchte K., besonders die Verluste an Holotypen zu ersetzen, indem er auf seinen Forschungsreisen andere Exemplare suchte und sammelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die ausgelagerten Bestände nach ersten Wiederherstellungen der zerstörten Senckenberg-Gebäude rückgeführt.
Mit einem Brief des Oberbürgermeisters vom 30.11.1945 wurde K. auf Befehl der Militärregierung seine Entlassung aus dem Schuldienst wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP seit dem 1.5.1937 mitgeteilt. Kurz darauf erhob K. dagegen Einspruch und erbat von zahlreichen Kollegen an der Schule und von Wissenschaftlern, nicht nur am Senckenbergmuseum, Zeugenaussagen, die ihn im Spruchkammerverfahren entlasten sollten; zusätzlich führte er namentlich einige ausländische Wissenschaftler als mögliche Entlastungszeugen an. Am 16.6.1947 wurde Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil der Spruchkammer vom 2.5.1947, das auf Einstufung in die Gruppe 3 (Minderbelastete) gelautet hatte, eingelegt. Der 1. Senat der Berufungskammer Ffm. stufte K. am 14.4.1948 in die Gruppe 4 (Mitläufer) ein und verurteilte ihn zu „einem einmaligen Sühnebeitrag von RM 1.500 zu Gunsten des Wiedergutmachungsfonds“. Der „Fünferausschuss“, der daraufhin die mögliche Wiederanstellung K.s zu prüfen hatte, hielt in einer Sitzungsniederschrift vom 1.7.1948 fest: „Von Seiten des Koll[egiums] wird hervorgehoben, dass gegen seine Wiederbeschäftigung im Schuldienst nichts einzuwenden, eine Wiederkehr an die alte Schule jedoch nicht gewünscht“ sei. Wilhelm Fries, der Direktor des Goethe-Gymnasiums, erklärte in einem Schreiben: „Seine [K.s] Doppelstellung als Universitaetslehrer und Studienrat brachte ihn oft in eine schiefe Stellung dem Kollegium gegenueber, da er die zusaetzlichen Lasten des Schulbetriebs nur ungern mituebernahm und dem Kollegium Universitaetsaufgaben in den Vordergrund stellte.“ Er befürwortete jedoch einen Unterrichtsauftrag, und am 7.1.1949, also etwa drei Jahre nach seiner Suspendierung, trat K. seinen Dienst am Goethe-Gymnasium wieder an und wurde am 1.4.1949 zum Studienrat ernannt. Ab Oktober 1949 war er mit voller Stundenzahl am Goethe-Gymnasium angestellt, und 1951 wurde er ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen. Auch die Rückkehr an die Universität betrieb K. aktiv und erbat zu diesem Zweck z. B. 1948 vom Paläontologen Otto H. Schindewolf (1896-1971) ein „Gutachten über die wissenschaftliche Tätigkeit“. Von 1952 an konnte er wieder Vorlesungen an der Universität halten.
Zum 1.10.1952 wurde K. aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert; seine Arbeit am Senckenbergmuseum und seine Lehrtätigkeit an der Universität hingegen führte er bis zu seinem Tod fort. Ab 1952 unternahm er verschiedene Forschungsreisen, wie beispielsweise 1953/54 für sieben Monate nach Süd- und Südwestafrika. Während dieser Zeit, im März 1954, starb in Ffm. seine Frau, und er erfuhr davon erst, als sie schon begraben war. Dennoch brachte er seine Reise zu Ende. Er hielt am 7.6.1954 in Windhoek einen Vortrag über „Vererbungs- und Abstammungslehre“ und sammelte neben Fossilien auch Früchte und Samen, die später an den Palmengarten in Ffm. abgegeben wurden. Der Transport des zentnerschweren Materials aus Afrika wurde unentgeltlich von den Deutschen Ostafrika-Linien übernommen. Weitere Reisen führten K. 1956/57 nach Brasilien, 1960/61 für ein Semester als „Visiting Scientist“ nach Indien, 1963 nochmals für zwei Monate nach Afrika und 1964 erneut nach Indien. K. gehörte zu den international bekanntesten und angesehenen Paläobotanikern seiner Zeit. Er hat grundlegende Arbeiten zu fossilen Hölzern und mesozoischen Floren veröffentlicht, befasste sich aber auch mit den Pflanzen anderer Perioden der Erdgeschichte wie des Devons und des Tertiärs. Das durch K. bei seinen Expeditionen zusammengetragene Fundmaterial aus dem Gondwana-Gebiet (Brasilien, südliches Afrika und Indien), darunter besonders zahlreiche Kieselhölzer, gehört heute zur Sammlung der Paläobotanischen Sektion des Forschungsinstituts Senckenberg am Standort Ffm., einer der größten derartigen Sammlungen in Deutschland.
Mitgliedschaften in politischen Vereinigungen und Parteien: Altdeutscher Verband (seit 1910), Deutschnationale Volkspartei (1918-26), „Stahlhelm“ (seit 8.12.1932), Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV, seit 1.11.1933), SA (seit 27.3.1934), Nationalsozialistischer Lehrerbund (seit 1.6.1934), Reichsluftschutzbund (seit 1.6.1935), NSDAP (seit 1.5.1937), Nationalsozialistischer Altherrenbund der Deutschen Studenten (seit 1.4.1938).
Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereinigungen: Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft (seit 1920), Deutsche Botanische Gesellschaft (seit 1921; zeitweise als Vizepräsident), Paläontologische Gesellschaft (seit 1921; zeitweise als Zweiter Vorsitzender), Deutsche Geologische Gesellschaft (seit 1921), Geologischer Verein (seit 1921), Botanical Society of America (als korrespondierendes Mitglied, seit 1954), Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (seit 1957). Ehrenmitglied der Palaeobotanical Society of India (seit 1959) und der International Organization of Palaeobotany (seit 1959).
Veröffentlichungen zur Botanik und insbesondere zur Paläobotanik, u. a. „Die Pflanzen des schlesischen Tertiärs“ (in: Jahrbuch der Preußischen Geologischen Landesanstalt zu Berlin, 1920), „Die paläobotanischen Untersuchungsmethoden“ (1929, 2. Aufl. 1950), „Die Flora des deutschen Unterdevons“ (mit Hermann Weyland, 1930), „Versunkene Floren. Eine Einführung in die Paläobotanik“ (1950) und „Mitteleuropäische Pflanzenwelt“ (2 Bde., 1954-60) sowie zahlreiche weitere Aufsätze und Beiträge in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, u. a. „Die fossilen Koniferenhölzer“ (in: Palaeontographica, 1919 und Abt. B, 1949), „Beiträge zur Kenntnis der Devonflora“ (mit Hermann Weyland; Teil 1 in: Senckenbergiana, 1923; Teile 2 und 3 in: Abhandlungen der SNG, 1926/29), „Untersuchungen zur mesozoischen Florengeschichte des alpinen und süddeutschen Raumes“ (Teile 1-3 in: Palaeontographica, Abt. B, 1938, 1943 und 1949), „Kritische Untersuchungen zur Kutikularanalyse tertiärer Blätter“ (mit Hermann Weyland; Teile 1, 2 und 4 in: Palaeontographica, Abt. B, 1950, 1954 und 1959) und „Die Keuperflora von Neuewelt bei Basel“ (mit Friedemann Schaarschmidt; Teile 1, 3 und 4 in: Schweizer Paläontologische Abhandlungen, 1955, 1959 und 1966).
Zum 60. Geburtstag 1950 Eiserne Senckenberg-Medaille. 1957 Orville-A.-Derby-Medaille der „Brasil Divisão de Geologia e Mineralogia” in Rio de Janeiro. 1959 André-Dumont-Medaille der „Société géologique de Belgique“. 1963 Ehrendoktor der University of Durham in Newcastle upon Tyne/England.
„Richard-Kräusel-Festschrift“ zum 70. Geburtstag (als Band 41 der Reihe „Senckenbergiana lethaea“, 1960).
Zum 100. Geburtstag 1990 „International Symposium in Palaeobotany” zum Gedenken an K. in Ffm. (vgl. den dazu erschienenen Tagungsband „Anatomical Investigations of Plant Fossils. In memoriam Richard Kräusel”, hg. v. Friedemann Schaarschmidt in der Reihe „Courier Forschungsinstitut Senckenberg”, 1992).
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