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Böse, Wilfried

Böse, Ernst Wilfried, gen. Boni (angeblich unter Bezug auf den hl. Bonifatius und dessen eigentl. Namen Winfried). Terrorist. Mitbegründer der „Revolutionären Zellen“. * 7.2.1949 Stuttgart, † 4.7.1976 Entebbe (Uganda).
B. wuchs in geordneten bürgerlichen Verhältnissen in Bamberg auf, besuchte dort die Grundschule und das Gymnasium; die letzten anderthalb Jahre bis zum Abitur 1968 absolvierte er das Ansbacher Platen-Gymnasium. Anschließend studierte er im Wintersemester 1968/69 in Freiburg, ab dem Sommersemester 1969 in Ffm. die Fächer Politologie, Psychologie und Soziologie.
1970 brach B. sein Studium ab, um den Vertrieb des Verlags Roter Stern zu übernehmen. Gegründet 1970 von dem ehemaligen SDS-Vorsitzenden Karl Dietrich Wolff (* 1943) in der Holzhausenstraße im Nordend, brachte der Verlag zunächst vor allem politische Schriften heraus, u. a. Texte aus dem linksradikalen Umfeld der Studentenbewegung und Werke des nordkoreanischen Diktators Kim Il-sung (1971). Der Verlag beschäftigte u. a. die späteren Terroristen Johannes Weinrich (* 1947), Magdalena Kopp (1948-2015) und Brigitte Kuhlmann (1947-1976), die B.s Lebensgefährtin wurde.
Um 1970 schloss sich B. der Ffter Sektion der „Föderation Neue Linke“ (FNL) an, wo er u. a. mit Micha Brumlik (* 1947) und Johannes Weinrich zusammenarbeitete. Er übernahm die Funktion des Kassenwarts und war, gemeinsam mit Hans-Jürgen Krahl und Matthias Beltz, für die Betreuung der Aschaffenburger Sektion der FNL zuständig.
Nach den Angaben des Politologen und Terrorismus-Forschers Wolfgang Kraushaar (* 1948) soll B. bereits vor 1972 unter dem Decknamen „der kleine Dicke“ für die linksextremistische terroristische Vereinigung „Rote Armee Fraktion“ (RAF) gearbeitet haben. Kraushaar berichtet auch, dass B. die Terroristen der palästinensischen Gruppe „Schwarzer September“ vor dem Münchner Olympia-Attentat vom 5.9.1972 unterstützt habe.
Im Sommer 1972 gründete B. mit weiteren Personen der Ffter Szene, u. a. Johannes Weinrich, die linksextremistische Organisation „Revolutionäre Zellen“ (RZ), die an internationalen Anschlägen wie dem Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien und der Flugzeugentführung nach Entebbe 1976 beteiligt sowie später höchstwahrscheinlich für die Ermordung des hessischen Wirtschaftsministers Heinz Herbert Karry in Ffm. 1981 verantwortlich war. Im Unterschied zur RAF und zur „Bewegung 2. Juni“ waren die RZ in wenig miteinander verbundenen Kleingruppen organisiert, um eine Verfolgung durch die Behörden möglichst zu erschweren.
Als sich die Revolutionären Zellen in einen sozialrevolutionären und einen internationalistischen Flügel aufspalteten, gehörte B. mit Johannes Weinrich, Hans-Joachim Klein (1947-2022), Magdalena Kopp, Brigitte Kuhlmann u. a. zu dem Kreis innerhalb der RZ, der international, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Terroristen Carlos (d. i. Ilich Ramírez Sánchez; * 1949), aktiv wurde. B. absolvierte mit seinen RZ-Mitkämpfern eine Guerilla-Ausbildung in einem geheimen Trainingslager der palästinensischen Terrorgruppe „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ („Popular Front for the Liberation of Palestine“, PFLP) in Südjemen und führte den Kampfnamen „Mahmud“. Im September 1975 tauchte B. gemeinsam mit Brigitte Kuhlmann unter, nachdem er zuletzt in Ffm. gemeldet gewesen war.
B. war mit Brigitte Kuhlmann seitens der Revolutionären Zellen und Angehörigen der palästinensischen Terrorgruppe „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) von Wadi Haddad (1927-1978) maßgeblich an der Entführung eines Flugzeugs der Air France mit zwölf Besatzungsmitgliedern und anfangs 258 Passagieren am 27.6.1976 auf dem Weg von Tel Aviv über Athen nach Paris beteiligt. Ziel war die Freipressung von insgesamt 53 Inhaftierten aus Gefängnissen, u. a. Mitgliedern der RAF in Deutschland und Angehörigen der PFLP in Israel. Nachdem das entführte Flugzeug am 28.6.1976 in Entebbe im damals von dem Diktator Idi Amin (1923/28-2003) regierten Uganda gelandet war, trennten B. und Kuhlmann die Passagiere in der alten Transithalle des Terminalgebäudes von Entebbe anhand der bereits im Flugzeug eingesammelten Ausweisdokumente in eine israelische und eine nicht-israelische Gruppe; auch Passagiere ohne israelischen Pass wurden wegen ihrer vermeintlich jüdischen Namen als Juden eingeordnet. Während die solchermaßen „selektierte“ jüdische Gruppe und – auf eigenen Wunsch – die Crew des Flugzeugs in der Gewalt der Entführer blieben, kamen die übrigen Geiseln frei. Bei den Betroffenen löste dieses Vorgehen der beiden deutschen Terroristen Erinnerungen bzw. Assoziationen an die Selektionen in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern aus. Als ein Holocaustüberlebender daraufhin B. seine eintätowierte Häftlingsnummer aus dem KZ zeigte, soll B. erwidert haben, er sei in Westdeutschland zum Guerillakämpfer geworden, weil das herrschende System Altnazis in den Dienst genommen habe, und nun sei sein Ziel, den unterdrückten Palästinensern zu helfen.
Bei der militärischen Aktion zur Befreiung der Geiseln durch israelische Spezialeinheiten („Operation Entebbe“) am 4.7.1976 wurden B., Brigitte Kuhlmann und die fünf anderen Geiselnehmer erschossen. Sie wurden auf einem Militärfriedhof in Uganda im Rahmen eines Staatsbegräbnisses beerdigt. 102 der verbliebenen 105 Geiseln wurden befreit. Drei Geiseln, etwa 20 ugandische Soldaten und der israelische Oberstleutnant Jonathan Netanjahu (1946-1976), ein Bruder des späteren israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (* 1948), kamen bei der Befreiungsaktion ums Leben.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Roman Fischer.

Literatur:
                        
Kraushaar, Wolfgang: Die blinden Flecken der RAF. [Stuttgart 2017.]Kraushaar: Die blinden Flecken d. RAF 2017. | Schröm, Oliver: Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus. Berlin 2004. (Aufbau-Taschenbücher 8119).Schröm: Im Schatten des Schakals 2004.
Quellen: Jungle World. [Wochenzeitung.] Berlin 1997-heute.Brumlik, Micha: Terror und Quellenkritik. Die „Operation Entebbe“ war ­antisemitisch motiviert. In: Jungle World, 21.6.2017 (https://jungle.world/artikel/2017/25/terror-und-quellenkritik, abgerufen am 3.7.2025).
Internet: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Hg.: Wikimedia Foundation Inc., San Francisco/Kalifornien (USA). https://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_Böse - https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Joachim_Klein_(Terrorist) - https://de.wikipedia.org/wiki/Magdalena_Kopp - https://de.wikipedia.org/wiki/Brigitte_Kuhlmann - https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Weinrich_(Terrorist) - https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Dietrich_Wolff - https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Entebbe -
Hinweis: Artikel über Wilfried Böse sowie über Hans-Joachim Klein, Magdalena Kopp, Brigitte Kuhlmann, Johannes Weinrich, Karl Dietrich Wolff und über die Operation Entebbe.
Wikipedia, 3.7.2025.


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Empfohlene Zitierweise: Fischer, Roman: Böse, Wilfried. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/14252

Stand des Artikels: 6.7.2025
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 07.2025.