Zu den großen Solisten aus der Entstehungszeit des Jazz zählt Sidney B. Er selbst wollte immer „Musik spielen wie er fühlte“ (in seinen Worten: „just the way I feel“). Geboren als jüngster Sohn einer kreolischen Schuhmacherfamilie, in der der Vater und alle vier Brüder Instrumente spielten, zeigte Sidney sehr früh eine außergewöhnliche musikalische Begabung. Abgesehen von eher kurzem Unterricht bei Klarinettisten, die er sich als Vorbild ausgesucht hatte, blieb er Autodidakt.
Schon mit etwa 17 Jahren war B. eigentlich Berufsmusiker, und von 1917 an, als er seine Heimatstadt auf Dauer verließ, bis zu seinem Tod konnte er von seiner Musik leben. Ehe er sich von New York aus ab 1922 mit Plattenaufnahmen national – und mit der Verzögerung von einigen Jahren auch international – einen Namen machte, hatte er schon eine Tournee im Mittelwesten der USA sowie längere Engagements in Chicago, London, Paris und Brüssel absolviert. Mit der „Revue Nègre“, in der Josephine Baker berühmt wurde, reiste B. Ende September 1925 zum zweiten Mal nach Europa. Josephine Bakers Charleston-Partner in dieser Revue, der Tänzer, Choreograf, Schauspieler und Regisseur Louis Douglas, organisierte für die Saison 1926/27 die Nachfolgerevue „Black People“, wieder mit B. in der Begleitband. Am Wochenende des 14. und 15.5.1927 gaben die „Black People“ drei Vorstellungen im Ffter Schauspielhaus. Laut dem Theaterzettel, der in der UB Ffm. (Abt. Musik, Theater, Film) überliefert ist, hatte „Kapellmeister Sidney Bechet“ die musikalische Leitung dieses Gastspiels inne.
Der musikalischen Wirkung B.s und seiner Band hat sich auch
Theodor W. Adorno nicht entzogen (vgl. seine Besprechung in: Die Musik 1926/27, Heft 11, August 1927, S. 831). Was immer er später Kritisches über den Jazz schrieb, von seinem Verriss der Revue hat er die Band ausdrücklich ausgenommen. Dem starken Eindruck im Schauspielhaus verdankten die Musiker sehr wahrscheinlich alle weiteren Auftritte in der Stadt bis zu B.s polizeilicher Abmeldung aus Ffm. am 31.8.1927. Etwa von Ende Mai bis Anfang August 1927 spielte B. mit seiner neuen Band „Mississippi Jazzers“ in der Tanzklause des Vergnügungspalasts Groß-Fft. am Eschenheimer Turm. Während die Musiker der Revueband schwarze US- und Mittelamerikaner waren, fanden sich nun bei den „Mississippi Jazzers“ zwei oder drei US-Amerikaner von der alten Besetzung und drei weiße Europäer zusammen. Der Ffter Sender, der Südwestdeutsche Rundfunk, übertrug die Band mehrmals zum Ende des Tagesprogramms. Einen Auftritt hatten die „Mississippi Jazzers“ bei der „Johannisnacht“ in Bad Homburg, einem Fest der Ffter Nachbarhilfe, und ein Konzert gaben sie in der Beethovenhalle auf dem Messegelände im Rahmen des international beachteten „Sommers der Musik“, den die Stadt Ffm. in jenem Jahr 1927 veranstaltete.
Bei dem Konzert in der Beethovenhalle begegnete B. auch seiner späteren Frau Elisabeth Ziegler (1910-1985) zum ersten Mal. Sie war dort als Hostess angestellt; angelockt vom Klang des Sopransaxofons, schaute sie sich den Musiker an, der diese Töne hervorbrachte, und erfüllte sich schließlich den Wunsch, B. näher kennenzulernen. Bis September 1931, als B. zu einem Engagement in die USA zurückreiste, blieben die beiden ein Paar. Auf dem Notendruck einer Komposition B.s mit dem Titel „Negro Rapsody Nr. 1 – Voices of the Slaves“ ist im Copyright die Ffter Adresse von Elisabeth Zieglers Mutter (Eiserne Hand 42) und das Jahr 1928 angegeben; das Stück verwendete B. in den 1950er Jahren für ein Ballett wieder. Nach langer Trennung heirateten Sidney B. und Elisabeth Ziegler mit großem Pomp und Medienaufwand, den Freunde für sie inszenierten, am 18.8.1951 in Antibes.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam B. noch dreimal zu Konzerten nach Ffm.: Er gastierte 1950 im Franz-Althoff-Bau, 1956 im Film-Palast und 1958 im Kleinen Saal des Zoo-Gesellschaftshauses. Das erste der drei Konzerte, bei dem B. von der Band Claude Luters begleitet wurde, hatte über 3.000 Zuhörer und war um Mitternacht noch nicht zu Ende. Selbst in den riesigen Festbau fanden gar nicht alle Einlass, so dass viele sich die Musik stehend von draußen anhörten. Nach dem letzten Konzert gab es für B. ein Wiedersehen mit Katharina Bäppler, bei der er während seines ersten Fft.aufenthalts 1927 ein Zimmer im Mittelweg 52 gemietet hatte.
Als gutes Beispiel dafür, was das Ffter Publikum in den Zwanzigerjahren von B.s Spiel auf dem Sopransaxofon hörte, kann eine Aufnahme seiner Komposition „Characteristic Blues“ dienen. Zwar stammt das Tondokument von 1937, doch B. hatte das Stück spätestens seit 1919 in seinem Repertoire, wurde dafür bereits von Londoner Kritikern gelobt und spielte es nachweislich auf der Tournee von 1926/27.
„Treat It Gentle“ (Autobiographie, 1960, dt. 1961/92).
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