Brenner, Heinrich, gen. Heinz. Signum: HB. Lyriker. Regisseur, Dramaturg und Schauspieler. Theaterkritiker. Psychologischer Mitarbeiter der Ffter Telefonseelsorge. * 10.4.1900 Nürnberg, † 8.6.1981 Samos (Griechenland).
Sohn des evangelischen Oberinspektors Josef B. und dessen Frau Rosa, gen. Rosl, geb. Förster.
B. verbrachte seine Kindheit und Jugend überwiegend in München, wo er die Oberrealschule besuchte. Er leistete ab 18.7.1918 Militärdienst in den bayrischen Infanterie-Regimentern 12 und 15, zunächst in München, später in Neuburg an der Donau. Nach dem Abschluss eines Studiums der Literatur, Kunst und Psychologie in München und Göttingen ließ er sich vor 1925 von Hermine Körner (1878-1960) an den Münchner Kammerspielen zum Schauspieler ausbilden, trat am Deutschen Theater in Berlin auf und war als Dramaturg und Schauspieler, etwa am Schwarzburgischen Landestheater in Rudolstadt (bis 1933), engagiert.
Seine erste Gedichtsammlung gab B. bereits 1920 heraus, und bis 1981 sollte er über 40 Bücher vorlegen. Die meisten erschienen im Augsburger Verlag Die Brigg, der 1950 gegründet worden war. Mehrere Bücher brachte B. auch im Selbstverlag heraus, und einzelne seiner Gedichte wurden von Franz Dannehl (1870-1947) vertont.
Stefan George soll B. einst als „lyrische Hoffnung“ gelobt haben. Später wurde B. von Joseph Goebbels eine silberne Ehrennadel verliehen. Er gab sie aber um 1937 zurück, was dazu führte, dass er mit einem Veröffentlichungsverbot belegt wurde. Nach B.s eigenen Worten soll Goebbels ihn anfänglich „umschmeichelt“ und in ihm so etwas wie einen „George-Ersatz“ gesehen haben. Vor 1933 erschienen B.s Gedichte auch in der Berliner Zeitschrift für Homosexuelle „Der Eigene“. Nach Marita Keilson-Lauritz handelte es sich um geschlechtsneutrale Du-Gedichte mit minimalen Signalen der Männlichkeit. B. war Anfang der 1930er Jahre Mitglied des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ (WhK) in Berlin und trat in Kontakt mit dem Homosexuellenaktivisten, Juristen und Lyriker Kurt Hiller (1885-1972), mit dem ihn in den nächsten Jahrzehnten eine freundschaftliche Beziehung verband. Er stand auch lange in brieflicher Verbindung mit Joseph Baur (1901-1984), der ab 1956 Hillers „Neusozialistischem Bund“ angehörte, sowie mit dem muslimischen Konvertiten Hugo „Hamid“ Marcus (1880-1966), dem er einen Gedichtband widmete, Hans Ludwig Held (1885-1954), Carlo Mor von Weber (1898-1984) u. a.
Seine Tätigkeit am Theater setzte B. im „Dritten Reich“ mit Engagements als Spielleiter, Dramaturg und Schauspieler an den Stadttheatern Bamberg (1934-37), Koblenz (1937/38) und Regensburg (1939-41), am Schauspielhaus Königshütte der Städtischen Bühnen Kattowitz (1941-44) sowie bei Festspielen während der Sommerzeit (Bergwaldtheater in Weißenburg, Heidecksburg in Rudolstadt und Luisenburg in Wunsiedel, bis 1941) fort. Vermutlich nach der Schließung fast aller deutschen und österreichischen Theater zum 1.9.1944 wurde B. zum Kriegsdienst eingezogen. Er wurde Sanitätssoldat und zum Theaterspielen in das Vernichtungslager Auschwitz abgeordert. Im Zuge dessen soll er Kontakt zum polnischen Untergrund gefunden und in Einzelfällen mit Schweizer Pässen geholfen haben; doch sind die näheren Umstände dieser Hilfstätigkeiten ungeklärt, und, soweit bekannt, ist der Name B.s in der Literatur zum Widerstand gegen das NS-Regime im besetzten Polen noch nicht explizit genannt worden.
1946 konvertierte B. zum Katholizismus und orientierte sich beruflich vom Theater zur Erwachsenenbildung um. So hielt er Volkshochschulvorlesungen über Werke der klassischen Literatur wie
Goethes „Faust“. Vermutlich aufgrund dieser Tätigkeiten kam er später in den Ruf, ein „verhinderter Literaturdozent“ zu sein. Nach einer Reihe von Zufallsbekanntschaften mit Psychologen, Psychiatern und Psychotherapeuten zog er um 1947 vorübergehend nach London, um sich bei Anna Freud (1895-1982), der Tochter
Sigmund Freuds, weiterzubilden.
Nach einer Zuschrift an „Rolf“ (eigentl.: Karl Meier, 1897-1974), den Züricher Herausgeber der Homosexuellenzeitschrift „Der Kreis“, konnte B. ab 1948 seine Gedichte auch in der Schweiz zum Abdruck bringen. Er bezeichnete sich als einen „der wenigen Dichter der Freundschaft“ in Deutschland; in der Nazizeit habe er „geschwiegen“ (was nicht ganz zutreffend war). B. wohnte um 1948 in Bamberg, wo er für die Spielzeit 1947/48 als Oberspielleiter und Schauspieler am Stadttheater beschäftigt war, zog aber im Jahr darauf nach Augsburg. Äußerer Anlass für den Ortswechsel dürfte ein Strafverfahren nach Paragraph 175 StGB gewesen sein, das 1948 wegen einer homosexuellen „Affäre“ gegen ihn angestrengt wurde, aber offenbar glimpflich ausging: B. wurde 1949 – wie in dem zwei Jahre später aufsehenerregenden Landgerichtsprozess gegen ein Hamburger Freundespaar – zur gesetzlichen Mindeststrafe von drei Mark verurteilt. Bis weit in die 1960er Jahre erschienen mehr als 30 Gedichte B.s im „Kreis“. „Rolf“ hob 1960 lobend „die behutsame, leise Art des uns seit langem vertrauten Dichters“ hervor, und obwohl er im Einzelnen dem Werk B.s kritisch gegenüberstand, hielt er fest, die Verse würden „zu vielen von uns sprechen[,] und [wir sollten] dankbar dafür bleiben, dass unsere Welt in diesen Rhythmen eingefangen wurde“.
Anfang der 1950er Jahre litt B. unter erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Er war vorübergehend arbeitslos und ohne Verdienst. Wenn er in dieser Zeit trotzdem Gedichtbände vorlegen konnte, gelang ihm dies nur, weil er im Vorfeld einer Veröffentlichung Freunde bat, ihm Exemplare abzunehmen. Seine Hinwendung zum Katholizismus wurde nicht von allen geschätzt. Kurt Hiller etwa brach den Kontakt mit B. um 1956 ab und bezeichnete ihn abfällig als „katholischen Mystiker und Ästheten“. Außerdem sprach er ihm ab, eine „Kampfnatur“ zu sein. Ein „stiller“ Beobachter der homosexuellen Emanzipationsbestrebungen seiner Zeit wie der Regensburger Josef Wagner (1905-1962) konnte dies anders sehen. Er erachtete das Wirken des Freundes als einen Beitrag innerhalb der „Bewegung“; seine Gedichte böten Erbauung und Trost „für manchen niedergedrückten Menschen dieser Art“.
Im Herbst 1957 zog B. nach Ffm. und wurde auf Empfehlung von Freunden Mitarbeiter der durch Pfarrer Karl Pehl (1913-2003) neu gegründeten Telefonseelsorge im katholischen „Haus der Volksarbeit“ in der Eschenheimer Anlage 21. Von Ende der 1950er Jahre bis an sein Lebensende wohnte B. in der Schäfergasse 42 und blieb bis zu seiner Pensionierung psychologischer Mitarbeiter des Telefonnotrufs. In einem Nachruf von Pater Bernhard Kilian (1936-2013), dem damaligen Rektor des „Hauses der Volksarbeit“, heißt es, B. sei bis zu seinem Tode vielen Menschen „mit seinen Worten und seiner Güte nahe“ gewesen: „Durch seine vielfältigen Gaben, sein einfühlsames Verstehen und vor allem durch seine herzliche Zuwendung zu den Menschen wurde er für ungezählte eine Hilfe zum Leben.“ B. schrieb in Ffm. unter dem Kürzel „HB“ auch Theaterkritiken für die Kirchenzeitung „Der Sonntag“ und betreute die literarische Reihe der „Katholischen Volksarbeit“. Er starb im Juni 1981 im Urlaub in Griechenland und wurde in Athen beigesetzt. B.s Lebensweg und sein umfangreiches Werk sind wissenschaftlich nach wie vor nicht aufgearbeitet.
Buchveröffentlichungen: „Akkorde des Lebens“ (1920), „Das All im Ich“ (1921), „Abschiedsarabeske“ (1922), „Märchen“ (1926), „Konradinsonate“ (1926), „Der Cäsar“ (1927), „Ecce Homo“ (geistliche Gedichte, 1928), „Musik des Herzens. Gedichte zwischen Liebenden“ [1928], „Unterm Wendekreis. Die siebenundzwanzig Sonette der Freundschaft“ (1930), „Die letzten Menschen“ (mythisches Oratorium, [1930]), „Spiel“ (zeitgenössisches Puppenspiel, 1932), „Traum, Dämmerung und Tag“ (Gedichte, 1933), „Der Stern im Fenster“ [1936], „Furche im Ackerland“ [1937], „Gebete“ (1946), „Des Daseins tiefste Frage“ (1947), „In der Mitte der Zeiten“ (Laienspiel, 1949), „Der Mensch hat das Wort“ [1953], „Umriß in Raum und Zeit“ (1954), „Rondo“ [1956], „Du Mond“ [1957], „Im Spiegel“ [1959], „Zwölf Sonette“ [1960], „Die Welle rauscht, die Muschel singt“ (1961), „Arietta“ (1962), „Uhrschlag der Zeit – Herzschlag der Liebe“ (1963), „Auf Mauern und Zäune geschrieben“ (Hugo Marcus gewidmet, 1964), „Doch wo werde ich sein dann am Ende?“ (1965), „Signaturen I“ [um 1967], „Signaturen II“ [1968], „Signaturen III“ [um 1969], „Wunder der Kindheit“ (1969), „Ufer des Lichts“ [1971], „Göttern zugast“ [1973], „Die blaue Spur“ (1975), „Schwebungen“ [1975], „Wolkenziehen. Der Stern im Fenster“ (1976), „Nachklänge, Einklang“ [1977], „Ägäische Inseln“ [um 1978], „Hellas“ [um 1979], „Minos. Odysseus“ [1979], „Phasen des Lichts“ [1979], „Ufer und Übergang“ [um 1979], „Metamorphosen“ [1980] und „Fermate“ [um 1981].
Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Teilnachlass in der Stadtbibliothek Nürnberg.
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