Sch. kam in einer jüdischen Familie zur Welt. Im Alter von vier Jahren zog er mit seinen Eltern Heinrich (1878-1942) und Olga Sch., geb. Eisinger (1893-1944), sowie dem jüngeren Bruder Herbert (1926-1943) nach Ffm. Der Vater bekleidete als Wirtschaftswissenschaftler und österreichischer Handelsattaché eine Position im diplomatischen Dienst. Zunächst wohnte die Familie im Kettenhofweg 83, ab 1934 in der Kronberger Straße 30 im Westend. Die Brüder besuchten die Wöhlerschule und ab 1935 das Philanthropin. Beide absolvierten Sprachaufenthalte in Großbritannien und Frankreich. Befragt zur religiösen Einstellung der Familie erinnerte sich Sch. in einem Zeitungsinterview: „Nur an den hohen Feiertagen gingen wir in die Synagoge.“ (Zit. nach: Donaukurier, 26./27.2.2000, S. 49.) Die Jungen waren leidenschaftliche Sportler. Während Herbert Sch. die Leichtathletik bevorzugte, war es bei Sch. zeitlebens der Fußball; so spielte er in der Schülerelf der Ffter Eintracht: „Aber plötzlich wurde ich nicht mehr aufgestellt, obwohl ich ein guter Torwart war.“ (Zit. nach: ebd.)
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verlor der Vater seinen Status als Diplomat. Mehrfach musste er sich zu Verhören bei der Geheimen Staatspolizei einfinden. Die Familie zehrte nun von ihren Ersparnissen, verarmte aber rasch aufgrund der Zwangsabgaben für Juden. Während des Novemberpogroms 1938 wurden Sch. und sein Vater in einem „Schandmarsch“ – wie Sch. es bezeichnete – von SA-Leuten durch Ffm. getrieben; hasserfüllte Schaulustige sollen die Männer und Jugendlichen mit Steinen und Kot beworfen haben. Versuche der Familie Sch., sich in die Schweiz, die USA oder nach Australien zu retten, scheiterten. Olga und Heinrich Sch. hatten zudem erwogen, ihre Söhne mit einem „Kindertransport“ nach Großbritannien zu schicken. Dazu erklärte Sch. im Rückblick, Herbert und er hätten den Vorschlag abgelehnt, weil sie die Eltern nicht im Stich lassen wollten. 1940 folgte der erzwungene Umzug der Familie in die Leerbachstraße 10 in eines der zahlreichen „Ghetto-“ oder „Judenhäuser“. Sch. besuchte von August bis Oktober 1941 die „Jüdische Anlernwerkstätte“ in der Fischerfeldstraße 13. Dort erhielten jüdische Jugendliche für die geplante „Auswanderung“ eine praktische Ausbildung für spätere handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe. Zuvor hatte Sch. noch zusammen mit den letzten zwei Schülern seines Jahrgangs im Philanthropin das Abitur in Berlin abgelegt.
Am Sonntag, 19.10.1941, wurde die Familie bei der ersten Massendeportation aus Ffm. gewaltsam in das Ghetto Lodz verschleppt. „Um sechs Uhr früh läutete es Sturm bei uns“, erinnerte sich Sch. (Zit. nach: Erinnerungsstätte an der Ffter Großmarkthalle 2016, S. 137.) Mit mehr als 1.100 anderen Betroffenen dieser ersten Deportation musste sich die Familie unter Bewachung von SA und Geheimer Staatspolizei zu Fuß durch die Stadt zur Großmarkthalle begeben. Ab 1941 hatte die Geheime Staatspolizei den östlichen Kellerbereich der Halle als Sammelplatz zur Durchführung der Massendeportationen angemietet. Hier wurden die zusammengetriebenen Menschen durch das eingesetzte Personal gedemütigt, körperlich misshandelt und letzter Habseligkeiten beraubt. Nach stundenlangen Qualen wurden die Frauen, Männer und Kinder an das südlich der Großmarkthalle vorgelagerte Gleisfeld gezwungen, wo Personenzüge der Deutschen Reichsbahn für die Transporte in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager bereitstanden. Das erste Ziel hieß Ghetto Lodz, damals umbenannt in „Litzmannstadt“ (nach dem 1936 verstorbenen deutschen General Karl Litzmann). Die Fahrt bewahrte Sch. in seinem Gedächtnis: „Die Fenster waren verklebt, damit man nicht hinausschauen konnte. Und so fuhr der Zug nun los vom Main, die Großmarkthalle steht ja am Mainufer. Aber wohin? Das sagte man uns nicht.“ (Zit. nach: ebd., S. 139.)
In Lodz war die Familie zunächst mit rund 100 weiteren Personen notdürftig in einem Sammellager untergebracht. Später erhielt sie ein winziges Zimmer mit zwei Holzpritschen zugeteilt. Am 16.6.1942 starb der Vater. Er war von Beamten der Geheimen Staatspolizei brutal zusammengeschlagen worden und erlag kurz darauf seinen inneren Verletzungen. Einige Monate später, am 13.3.1943, starb auch der 16-jährige Herbert. Der durch Zwangsarbeit körperlich völlig entkräftete Bruder hatte zuletzt an Tuberkulose gelitten. Ein Onkel und die Großmutter waren ebenfalls nach Lodz verschleppt und in Chelmno vergast worden. Im August 1944 löste die Verwaltung das Ghetto Lodz auf und deportierte die dort noch lebenden etwa 60.000 Jüdinnen und Juden in Viehwaggons nach Auschwitz. Auch Sch. und seine 50-jährige Mutter mussten der Aufforderung zur „Aussiedelung“ Folge leisten. Unmittelbar nach der Ankunft im Vernichtungslager wurden beide getrennt; per Handzeichen wies SS-Arzt
Josef Mengele für Olga Sch. den Weg in die Gaskammer. Sch. erfuhr erst später durch mitgefangene Schüler aus Ffm. von der Ermordung seiner Mutter.
Der inzwischen 20-jährige Sch. wurde bereits nach drei Wochen von Auschwitz über Wien nach Bayern geschickt, zunächst kurzfristig in das Konzentrationslager Dachau, dann in eines von dessen Außenlagern in Kaufering, wo er ab Mitte September 1944 im Lager IV („Typhuslager“) bei Hurlach Sklavenarbeit leisten musste. 90.000 Arbeiter, darunter etwa 30.000 jüdische Häftlinge der insgesamt elf Kaufering-Lager, sollten unter Leitung der „Organisation Todt“ für das Rüstungsprojekt „Ringeltaube“ drei gigantische unterirdische Bunker zur Produktion des Düsenjägers Messerschmitt Me 262 bauen. In den Lagern von Kaufering, von den Häftlingen als „kalte Krematorien“ bezeichnet, wurden etwa 14.500 Personen ermordet durch Ausbeutung der Arbeitskraft bis zur Vernichtung. Auch Sch. wurde in Kaufering von einem SS-Mann namens Willi Tempel schwer misshandelt: „Er schlug mich zum Krüppel“, kommentierte er später. Am 26./27.4.1945 – in den Tagen der Befreiung durch US-amerikanische Truppen – gelang Sch. mit drei Gefangenen die Flucht. Einige Tage harrten die Männer in einem Waldstück aus, bis sie sich den Amerikanern zu erkennen gaben.
Aufgrund seiner guten Englischkenntnisse bekam Sch. Arbeit bei der US-Armee in Kaufbeuren im Allgäu. Dort konvertierte er 1946 zum Protestantismus, nachdem er sich spätestens im Lager Kaufering für die Abkehr vom Judentum entschieden hatte. Nach der Heirat wanderte Sch. 1947 nach Australien aus. Er schloss ein Studium der evangelischen Theologie ab und wirkte nach seiner Ordination 1962 in Adelaide und Melbourne als Jugendpfarrer in deutschsprachigen Gemeinden. Auf Einladung des bayerischen Landesbischofs kamen Sch., seine Frau und zwei ihrer drei Kinder 1974 in die Bundesrepublik Deutschland, wo er als Pfarrer zunächst in Unterfranken, ab 1978 in Augsburg tätig war. Irgendwann hatte seine Ehefrau, die sich vor der Heirat als Sympathisantin des Widerstands ausgegeben hatte, ihm offenbart, dass sie in der NS-Zeit eine höhere BDM-Führerin gewesen sei und ihn als Juden aus strategischen Gründen geheiratet habe, um das Entnazifizierungsverfahren unbeschadet zu durchlaufen. Jetzt ließ sich Sch. scheiden. Als Pfarrer ging er auf eine Aushilfsstelle nach Nürnberg und schließlich 1982 ins mittelfränkische Schopfloch. In der Gemeinde kam es wiederholt zu antisemitischen Anfeindungen gegen Sch.; Briefe mit judenfeindlichen Äußerungen, anonyme Drohanrufe oder sonstige verbale Taktlosigkeiten von Alt-Nationalsozialisten gehörten zu seinem Berufsalltag in Schopfloch. Eine neue Heimat fanden Sch. und seine zweite Ehefrau Elfriede Barnickel-Sch. in Bobingen, von wo aus er ab 1986 anteilig die Pfarrei Schwabmünchen betreute.
Zu seiner Überlebensgeschichte in der NS-Zeit hielt Sch. weit über 100 Vorträge. Etwa ab den 1990er Jahren war er regelmäßig zu Gast in seiner alten Heimat Ffm., um Zeugnis abzulegen. Als ehemaliger Schüler der Wöhlerschule und des Philanthropins sprach er vor Schulklassen und auch im Jüdischen Museum bzw. im Museum Judengasse. In der Ausstellung „‚Und keiner hat für uns Kaddisch gesagt…‘. Deportationen aus Ffm. 1941 bis 1945“ des JMF 2005 wurde die erste Massendeportation in das Ghetto Lodz exemplarisch am Schicksal der Familie Sch. aufgearbeitet.
1998 Bundesverdienstkreuz.
Seit 2006 Stolpersteine für die Eltern, den Bruder Herbert und für Sch. selbst als dem einzigen Überlebenden der Familie vor dem Haus Kronberger Straße 30 in Ffm. Die Patenschaften für die Stolpersteine übernahm Sch. persönlich, und bei deren Verlegung waren er und seine Frau zugegen.
Teilnachlass im Jüdischen Museum Ffm.
Seit 2020 kann die Biographie Sch.s im Raum „Zerstörte Leben“ der neuen Dauerausstellung im Jüdischen Museum rezipiert werden.
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