Carlé, James, gen. Hans. Eigentl.: James Grünstein. Schauspieler. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 3.7.1899 Ffm., † 15.11.1950 Tel Aviv (Israel).
Sohn des in Mainz geborenen Kaufmanns Nathan Moritz Grünstein, gen. Carle (1872-1942), und dessen Ehefrau Margarete, geb. Salomon (1871-1943). Zwei jüngere Schwestern: Charlotte C. (1901-1943) und Alice C. (1902-1943).
Hans C. dürfte nur die ersten Monate seines Lebens in Ffm. verbracht haben. Der Vater betrieb in der Ostendstraße 49 ein Geschäft für Portefeuillewaren. Es existierte laut Adressbuch noch 1903, doch hatte die Familie Ffm. vermutlich schon um 1900 verlassen. Die Töchter Charlotte und Alice C. kamen in Berlin zur Welt. Nicht bekannt ist, ob sich die Familie dem Judentum verbunden fühlte. Auch ist ungeklärt, auf welcher Grundlage sie den Wechsel des Nachnamens von Grünstein zu C. offiziell vollzog. Möglicherweise lag der Wunsch nach Integration in die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft hinter dem Namenswechsel. Der Geburtseintrag von Hans C. trägt den handschriftlichen Vermerk eines Ffter Standesbeamten: „Mit Genehmigung des Preußischen Justizministers vom 29. März 1932 führt das Kind den Familiennamen ‚Carle‘.“
Als Schauspieler trat Hans C. 1917/18 am Städtischen Theater in Bad Homburg erstmals in Erscheinung. Er wechselte mehrfach durch die Provinz sowie das deutschsprachige Ausland, auch als Operettendarsteller. So spielte er an Theatern in Küstrin (1919/20), Gleiwitz (1920/21), Basel (1921/22), Pilsen (1922/23), Halberstadt (1923/24, 1925/26), Hagen (1924/25), Recklinghausen (1926/27), Hannover (1927/28), München (1929-31) und Kreuzburg (1932/33) sowie an den Wanderbühnen des Verbandes der deutschen Volksbühnenvereine (1928/29). In Gleiwitz war er u. a. Schauspiellehrer von Walter Wicclair (1901-1998), und in Recklinghausen trat er an der Seite von
Theo Lingen auf. Am Münchner Theater am Gärtnerplatz war er offenbar auch als Regisseur tätig.
Hans C. war der Einzige in seiner Familie, der die Shoah überlebte. Alle seine Angehörigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Die Eltern Nathan Moritz und Margarete C. wurden im August 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort kam der Vater am 11.10.1942 ums Leben, die Mutter am 9.2.1943. Die Schwestern Alice und Charlotte C. wurden Ende August 1943, ein halbes Jahr nachdem sie untergetaucht waren, in einem Berliner Vorort von der Gestapo aufgegriffen und nach einem Verhör am 10.9.1943 nach Auschwitz verschleppt, wo sie vermutlich umgehend ermordet wurden.
Hans C. hatte Deutschland bereits im Herbst 1933 verlassen, nachdem an deutschen Bühnen so gut wie keine jüdischen Künstler mehr engagiert wurden. Er verbrachte zunächst drei Jahre in den Niederlanden, um in einem Werkdorf einen „Umschichtungskurs“ zu absolvieren. In dieser Zeit wurde er auch für den „Oost-Joodsch Verbond“ (Ostjüdischer Bund) in Amsterdam tätig und inszenierte mindestens zwei Theateraufführungen, ein Chanukka-Märchen für Kinder und das Drama „Zesejt un zeschprejt“ von Scholem Alejchem (1859-1916). Unbekannt ist, wann genau C. nach Palästina auswanderte. Am 23.10.1936 heiratete er in Rischon LeZion bei Tel Aviv die aus (Bad) Homburg vor der Höhe gebürtige Frieda Sommer (1905-1998), die als Jüdin ebenfalls aus ihrer Heimat vertrieben worden war. Am 18.10.1947 wurde in Tel Aviv der gemeinsame Sohn Gil geboren. Frieda C. verließ Israel Anfang 1952, kaum anderthalb Jahre nach dem Tod ihres Mannes, zusammen mit dem Sohn. Gil C. starb am 1.9.2015 in New Jersey (USA).
Da Hans C. kein Hebräisch beherrschte und in der Folge seinen Beruf als Schauspieler in Palästina nicht ausüben konnte, versuchte er, seinen Lebensunterhalt durch wechselnde Tätigkeiten, so etwa als Tischler, zu bestreiten. Freunde der Familie, die die Geschwister C. seit ihren Kindertagen aus Berlin kannten, waren erschüttert, Hans C. in Tel Aviv als Straßenhändler für Würstchen wiederzusehen. In einem Brief an Eva Siewert (1907-1994), die Berliner Lebensgefährtin seiner Schwester Alice, schrieb C. am 1.11.1945, er habe sich mit „einem winzigen Rest an Hoffnungen“ bereits an sämtliche Behörden gewandt, um etwas über den Verbleib seiner Angehörigen in Erfahrung zu bringen, erfolglos. Mit ihrem Tod konfrontiert teilte er mit, der Verlust sei unaussprechlich, das Leben nunmehr sinnlos für ihn. Hans C. starb 1950 im Alter von 51 Jahren an einem Herzleiden. Er wurde auf dem Friedhof Kiryat Shaul in Tel Aviv beigesetzt.
.