Als Kämpferin für die Rechte der Frauen war E. zwischen etwa 1898 und 1903 in der Schweiz in einen Scheidungsprozess verwickelt, der in der Medienöffentlichkeit viel beachtet wurde. Mehrmals wurde sie wegen des Vorwurfs der Beleidigung und der Erpressung steckbrieflich gesucht, verhaftet und auch über die Schweizer Landesgrenze hinweg verfolgt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen verbrachte sie eine Zeitlang in Ffm. Dort stand ihr die örtliche Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen unterstützend zur Seite.
Tochter von Martin E. (1831-1909) und dessen Ehefrau Julie, geb. Hahn (1834-1901). Geschwister:
Carl (auch: Karl) Martin E. (1860-1934), Ida E. (1863-1864), Ida E. (1866-ca.1943), Otto E. (27.4.1867-26.10.1867), Laura E. (1868-1944), Elise Paula E. (1873-1939); ein weiteres Geschwisterkind wurde 1870 tot geboren.
Die Eltern betrieben eine kleine Obst- und Gemüsehandlung in der Bonner Innenstadt, die Johanna und ihrem Bruder Carl E. 1882 für einige Jahre überschrieben wurde. E. absolvierte eine höhere Töchterschule in Bonn. Von 1884 bis 1891 arbeitete sie als Kassiererin bzw. Buchhalterin in Rinteln an der Weser, um ausreichend Geld für das geplante Studium in der Schweiz ansparen zu können. Weil Frauen in Preußen akademische Bildung verwehrt war, studierte E. ab 1891 in Bern Medizin, dann in Zürich Jura und Volkswirtschaft. Bereits seit 1885 gehörte sie dem Deutschen Schriftsteller-Verein an.
Erste Verbindungen von E. nach Ffm. dürfte es bereits seit Ende der 1880er Jahre gegeben haben. Ihre jüngere Schwester, die Modistin Ida E., war damals als Direktrice in der Putz- und Modewarenhandlung „H. Pflüger-Glauth“ des Kaufmanns Heinrich Justus Pflüger (1829-1909) und seiner Ehefrau Dorothea Sophie, geb. Glauth (1832-1920), in der Kaiserstraße 22 in Ffm. tätig, bevor sie sich ca. 1891 mit einem eigenen Hutgeschäft in Bonn selbstständig machte. Es ist gut möglich, dass E. sich zeitweise bei ihrer Schwester in Ffm. aufhielt und vor Ort Kontakte knüpfte. 1892 gelang es ihr, in der renommierten und überregional verbreiteten FZ einen mehrspaltigen offenen Brief an den Hofprediger a. D. Adolf Stoecker (1835-1909) zu publizieren. Stoecker hatte sich am 30.3.1892 im Preußischen Abgeordnetenhaus despektierlich über Medizin studierende Frauen in Zürich geäußert, worüber die FZ berichtete. E. widersprach ihm wortreich und mit Verve. Ihr Brief wurde an ihrem 28. Geburtstag (11.4.1892) in der FZ veröffentlicht. Damit zählte E. zu den wenigen Frauen unter den Mitarbeitenden der FZ zu dieser Zeit.
Das Studium in der Schweiz beendete E. ohne Abschluss und ohne die geplante Promotion. Dies hatte vermutlich finanzielle, aber auch private Gründe: Anfang der 1890er Jahre hatte E. in Bern
Anna Maria Eysoldt, verh. Aebi (1868-1913), kennengelernt, die Schwester der Schauspielerin Gertrud Eysoldt (1870-1955). Anna Eysoldt war mit dem Berner Rechtsanwalt Ernst Aebi (1856-1922) verheiratet, strengte aber spätestens 1898 eine Scheidungsklage gegen ihn an. Der langwierige Prozess endete erst 1905 mit der offiziellen Scheidung: Jahrelang musste sich Anna Eysoldt gegen Aebi wehren. Dieser hatte sie offenbar in eine Dreiecksbeziehung gezwungen, ihren Geisteszustand angezweifelt und ihr zudem Alimente und andere Gelder vorenthalten, die ihr rechtlich zustanden. Solidarisch unterstützte E. Eysoldt, die inzwischen wohl ihre Partnerin geworden war. Eine entlarvende Broschüre wurde angekündigt, die nicht publiziert werden sollte, wenn der Ehemann das unterschlagene Geld zurückgäbe. Aebi erstattete Anzeige wegen Erpressung und Beleidigung. Die Schrift wurde beschlagnahmt, und E. als deren Autorin wurde mehrmals kurz verhaftet.
Ab Herbst 1898 veröffentlichte E. anonym mehrere Artikel zu den Rechtsstreitigkeiten in der Ffter Zeitung. Sie informierte darin über die ihr bekannten Hintergründe, ohne Namen zu nennen. Ernst Aebi fühlte sich jedoch beleidigt und erstattete Anzeige gegen die FZ. Daraufhin teilte E. dem Ffter Landgericht mit, dass sie die Urheberin der Artikel sei. Sehr wahrscheinlich war sie dann nach Ffm. geflohen, wo sie durch die Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen Unterstützung erhielt. Solche Rechtsschutzstellen boten mittellosen Frauen unentgeltlich juristischen Rat und leisteten Rechtsbeistand, oft in Eherechts- und Scheidungsfragen. Nach einem Vortrag von
Marie Stritt war die Ffter Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen auf Initiative von
Friederike Rosalie Dessoff, geb. Meisinger (1841-1907), und
Rosalie L(o)uise Teblée, geb. Lehmann (1837-1909), beide im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), am 13.5.1897 gegründet und dem ADF angegliedert worden. Erste Leiterin war die Sozialpolitikerin
Henriette Fürth. Deren Nähe zur Sozialdemokratie und der proletarischen Frauenbewegung passte zu E.s Zielrichtung; ihre Interessen überschnitten sich zudem in der Forderung nach gleichen Rechten für Frauen. Am 1.1.1899 rief E. öffentlich dazu auf, Materialien zum neuen Bürgerlichen Gesetzbuch zu sammeln: Ziel war es aufzuzeigen, wie Gesetze die juristische Unmündigkeit von Frauen festschrieben und dadurch zentrale Frauenrechte als Menschenrechte missachteten.
Auch im März und im April 1899 hielt sich E. in Ffm. auf. Im Sommer 1899 kam sie im Hause Bröll im Bornwiesenweg 1/Oeder Weg 49 in Ffm. unter (laut Brief vom 6.8.1899). Die unverheiratete Emma Bröll (1853-1921), Vorstandsmitglied der Ffter Ortsgruppe des ADF von 1896 bis 1906, und deren Schwägerin,
Friederike Jacobine Bröll, geb. Haack (1854-1941), waren beide in der bürgerlichen Frauenbewegung engagiert. Nachdem die Rechtsschutzstelle für Frauen seit Herbst 1898 von Friederike Dessoff geleitet worden war, übernahm Friederike Bröll am 22.5.1900 den Vorsitz. Seit dem 30.4.1901 amtierte Ida Kirch (1870-1928) als zweite Vorsitzende der kurz darauf ins Vereinsregister eingetragenen Rechtsschutzstelle. Welche Aufgaben im Einzelnen die Ffter Rechtsschutzstelle für E. und wohl auch für Anna (Aebi-)Eysoldt übernahm, konnte bisher nicht geklärt werden. Jedenfalls bot die Rechtsschutzstelle an, die Korrespondenz mit Gerichten und Behörden zu führen. Vielleicht konnte E. mit Hilfe der Rechtsschutzstelle denunzierende Nachforschungen von Aebi und dessen Helfershelfern abwehren, denn offenbar mussten alle, die etwas über E. und Anna Eysoldt erfahren wollten, 1899 bei der Ffter Rechtsschutzstelle vorstellig werden. Im April 1900 war E. wieder in Ffm. Nach Wirren und gerichtlichen Kontroversen um juristische Feinheiten wurden das Verfahren wegen Erpressung 1901 und das Verfahren wegen Beleidigung nach Rückzug der Klage 1902 eingestellt; schließlich kam es 1903 zur Zurückweisung des Strafantrags gegen E.
1901 kehrte E. mit Anna Eysoldt ins Rheinland zurück und lebte in Bonn, Mehlem und Alfter. Sie engagierte sich in der freien Jugendbewegung und kämpfte im Preußischen Landesverein für Frauenstimmrecht zusammen mit Margarete Herz (1872-1947), bis 1912 als Beiratsmitglied im Deutschen Verband für Frauenstimmrecht und 1912/13 im von ihr mitgegründeten Reichsverein für Frauenstimmrecht explizit für ein demokratisches Wahlrecht für Frauen und Männer, auch als andere radikal-bürgerliche Frauenstimmrechtlerinnen dies für einen Kompromiss aufgaben. Trotz dieses Engagements für ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht wurden ihre frauenbewegten Aktivitäten von den Bonner Genossen als „bürgerlich“ etikettiert und als unvereinbar mit der Sozialdemokratie verstanden: Ihre seit 1911 nachgewiesene Tätigkeit in der deutschen Sozialdemokratie in Bonn – wo sie der Polizei als „Haupt-Agitatorin“ galt – wurde 1913 mit einem Ausschluss beendet, bis sie spätestens 1920 in Rüdersdorf bei Berlin wieder in die SPD eintrat.
Nach dem Tod von Eysoldt 1913 verließ E. Bonn und zog 1914 wahrscheinlich nach Berlin oder möglicherweise direkt nach Finkenwalde bei Stettin, wo sie einige Monate in einem Sanatorium als Naturärztin arbeitete. In Berlin wurde sie 1914 als eine der wenigen Frauen in das Amt eines „Obmanns“ des Wissenschaftlich humanitären Komitees (WhK) gewählt. Mit ihrer neuen Partnerin, der Gewerbe(ober)schullehrerin Hildegard Moniac (1891-1967), kaufte sie 1920 ein Haus in Rüdersdorf bei Berlin, wo sie zusammenwohnten und E. bis zu ihrem Tod eine Praxis für homöopathische Heilbehandlungen führte. Moniac wurde 1933 wegen ihrer früheren Mitgliedschaft in der USPD von den NS-Behörden aus dem Schuldienst entlassen. Die beiden Frauen lebten fortan zurückgezogen und in Armut. 1938 wurde E.s Buch „Die Liebe des dritten Geschlechts“ (1904) auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der nationalsozialistischen Reichsschrifttumskammer gesetzt und damit verboten. E. starb 1943 im Alter von 79 Jahren. Die Urne mit ihrer Asche wurde erst 1975 von zwei Frauen heimlich in der Grabstätte ihrer 1967 verstorbenen Lebenspartnerin Hildegard Moniac beigesetzt.
E. war ein Freigeist und eine unerschrockene Feministin, die sich Raum nahm und nicht nehmen ließ. Bestimmten politischen Strömungen oder wissenschaftlichen Schulen fühlte sie sich nicht verpflichtet. Mit ihren Provokationen und polemischen Schriften eckte sie an: als Linke und offen lesbische Frau im radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung, als Lesbe und radikale Feministin in der Arbeiter- und in der Homosexuellenbewegung, als Nicht-Ärztin in der Sexualwissenschaft. Jedoch zeigen sich in ihren ansonsten emanzipatorischen und kritischen Schriften auch Bruchstellen und Widersprüche: Mitunter schwamm sie mit dem „sozialhygienischen“ und „rassehygienischen“ Zeitgeist. Ausgewiesen rassistische oder antisemitische Überlegungen formulierte sie zwar nicht, jedoch bezog sie auch nicht klar dagegen Stellung.
E. hat zwischen 1887 und 1929 mehr als zehn Monographien, etwa 30 Aufsätze sowie zahlreiche Artikel, offene Briefe und Aufrufe in Zeitungen, davon mindestens sieben in der FZ, veröffentlicht und Vorträge in Deutschland und anderen europäischen Ländern gehalten. Zu ihren Hauptwerken können gezählt werden: „Socialdemokratie und sexuelle Anarchie. Beginnende Selbstzersetzung der Socialdemokratie?“ (1897), „Feminismus und Wissenschaft“ (1903) und „Die Mutter als Kinderärztin“ (mit Anna Eysoldt, 1907). E.s Biographie und ihr vielfältiges politisches Wirken als Grenzgängerin wie als Brückenfigur zwischen sozialen Bewegungen – auch zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung – wurden bis in die 1980er Jahre und auch darüber hinaus weitgehend übersehen.
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