Dirmstein (auch: Dirmsteyn, Dirmensteyn, Dirmestein, Dirmesteyn; bei Lersner: Dirnstein), Hans. Goldschmied. Zeichner und Schreiber. Baudekorateur. * um 1435 Ffm., † September 1494 Ffm.
Aus der seit etwa 1350 in Ffm. ansässigen patrizischen Goldschmiedefamilie Kistner von Dirmstein. Sohn des Goldschmieds Peter D. († 1475) und dessen Ehefrau Dina, geb. Neuter. Auch D.s jüngerer Bruder Heinrich D. (um 1440-1501) war Goldschmied und als solcher u. a. für das Liebfrauenstift tätig.
1420 hatte D.s Großvater Heinrich D. († 1428), Stammvater des D.’schen Goldschmiedegeschlechts, von seinem Schwiegervater Peter zum Schellhorn das Haus zum Schellhorn geerbt, das an der Neuen Kräme neben dem Haus Grimmvogel lag. Das Haus und den väterlichen Grundbesitz erbte D.s Vater Peter D. Im Haus zum Schellhorn ist D. seit 1459 als Gehilfe in der Werkstatt seines Vaters bezeugt. 1459, im Alter von etwa 24 Jahren, ließ er sich von dem Harnischer Hans Kreiß einen „armgezug“ (Armpanzer) als Bestandteil eines Harnischs machen. Diesen benötigte er für seinen Wehrdienst, den er als späterer Bürger zu leisten hatte. 1462 schwor D. den Bürgereid. Verschiedener Besitz D.s ist in Währschaftsbriefen dokumentiert.
Goldschmiede waren nicht nur wegen ihrer Kunstfertigkeit und der von ihnen verwendeten Werkstoffe (Edelmetalle, Juwelen, Perlen), sondern auch wegen ihrer hochrangigen Auftraggeber gesellschaftlich angesehen. Der bereits gut situierte D. heiratete wohl spätestens 1460 die über ein beträchtliches Vermögen verfügende Adelige Guda von Rumpenheim (1441-1488/91). Ihr ritterbürtiger Vater Reinhard von Rumpenheim († 1466), verheiratet mit Elsa, geb. von Laufstadt († 1475), war Lehensträger der Grafen von Hanau. Als Mitgift brachte Guda das Haus Groß-Laubenberg (kriegszerstört 1944, rekonstruiert 1981-83) auf dem Römerberg in die Ehe. Das Hinterhaus Rosenbaum am Rapunzelgässchen kaufte das Ehepaar noch hinzu; hier befand sich D.s Werkstatt. Aus unbekanntem Grund kehrte Guda 1464 zu ihren Eltern zurück, woraufhin drei Ratsmitglieder im folgenden Jahr zwischen den Eheleuten vermittelten. Nach dem Ableben von D.s Schwiegereltern erhielten er und seine Ehefrau sowie deren zwei Schwestern einen beträchtlichen Nachlass, was D. zu einer Schuhstiftung an Bedürftige veranlasste.
Seit 1483 gehörte D. der Patriziergesellschaft Frauenstein an. Am 17.8.1488 übernahm er mit sechs weiteren Bürgern das Wachkommando am Eschenheimer Turm. Nachdem D. im September 1494 gestorben war, wurde er als Mitbruder von der Bruderschaft St. Nikolai, der viele Künstler und reiche (auch auswärtige) Kaufleute angehörten, im Barfüßerkloster zu Grabe getragen. Das Haus Groß-Laubenberg ging nach D.s Tod in den Besitz des Sohnes Philipp D. über, der ebenfalls Goldschmied war. Philipp D. verkaufte den Großen Laubenberg mit dem Hinterhaus Rosenbaum 1497 für 700 Gulden und erwarb von
Jakob Heller das Haus Schöneck (Zum Pfuhl) am oberen Kornmarkt für 1.600 Gulden.
Das einzige noch nachweisbare Objekt unter einer Vielzahl, die D. als Goldschmied geschaffen haben dürfte, ist eine Reliquienbüste des hl. Petrus (1473; heute im Stiftsmuseum Aschaffenburg). D. war von dem Stiftskapitel in Aschaffenburg damit beauftragt worden, für die dortige Stiftskirche St. Peter und Alexander ein Pendant zu dem früher entstandenen Büstenreliquiar des hl. Papstes Alexander zu schaffen. D.s silbergetriebene und vergoldete, mit Edelsteinen, Perlen und Emailarbeiten reichverzierte Petrusbüste trägt auf dem Amikt (Schultertuch) des dargestellten ersten Papstes in zierlicher Schrift den Namen des Künstlers und das Jahr der Herstellung 1473: „Dis · heubt · hatt · gemacht · Hans · Dirmsteyn · von · Franckfurt · M° cccc° lxxiii°“. In der Rechnung des Stifts wurden die Arbeits- und Materialkosten sowie das übliche Trinkgeld für D.s Frau angeführt: „2 fl. deß Goldtschmidts fraw verehrt“. (Zit. nach Girstenbrey: Stiftskirche in Aschaffenburg 1882, S. 56.) In der Kunstgeschichtsschreibung wird D. erstmals aufgrund dieser Reliquienbüste des hl. Petrus erwähnt (May, 1837), und
Philipp Friedrich Gwinner machte ihn damit 1862 in Ffm. bekannt. Seitdem wurde D.s Büstenreliquiar als Goldschmiedewerk ersten Ranges in der Kunstgeschichte vielbeachtet. Bis heute wird D.s Petrusbüste, zusammen mit der Alexanderbüste, alljährlich während des Festgottesdiensts zum Patrozinium der Stiftskirche in Aschaffenburg gemäß ihrer ursprünglichen Bestimmung auf den Altar gestellt.
Weitere Goldschmiedearbeiten von D. wurden auch deshalb nicht bekannt, weil die entsprechende erhaltene Überlieferung erst später einsetzt, insbesondere das Probierbuch der Ffter Goldschmiedezunft (1512-76; ISG, Sign. S4c/387) und das prächtige Ffter Meisterbuch der Goldschmiede (1534-1863; HMF, Inv.-Nr. X25211).
Als Goldschmied mit dem Erstellen von Bildwerken vertraut, wurde D. vom Rat der Stadt 1483 für etwa sechs Monate als künstlerischer Leiter mit der Errichtung eines reichverzierten Portalvorbaus an der Römerfassade beauftragt (entfernt 1791). Für die drei Portale entwarf D. gotische Zierformen wie Blumen und Laubverzierungen. Unter seiner Aufsicht waren auch die Maler Thomas von Straßburg (nachgewiesen 1475-1488) und
Hans Caldenbach tätig, die die Portale und Verzierungen bemalten und vergoldeten.
Der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder (1878-1947) hielt es „für nicht ganz unmöglich“, dass D. auch als Bildhauer tätig gewesen sei, wofür es aber zu wenige Anhaltspunkte gibt.
Überliefert von D. sind drei eigenhändige, von ihm selbst bebilderte Abschriften von Verserzählungen in zwei Büchern („D.-Handschriften“), die insofern einzigartig zu sein scheinen, als dass von keinem anderen Goldschmied solche Handschriften bekannt sind. Wohl für den Gebrauch der Familie schrieb D. die Verserzählungen auf Papier und versah sie mit insgesamt 85, teils blattgroßen und mit kräftigen Farben kolorierten Federzeichnungen, die die Handlung veranschaulichen und Einblicke in die Lebenswelt des 15. Jahrhunderts gewähren. Die erste Handschrift enthält die beliebte orientalische Erzählung „Die sieben weisen Meister“ (UB Ffm., Ms. germ. qu. 12), eine spätmittelalterliche Übersetzung der Geschichtensammlung „Historia septem sapientum“, die in weiteren Handschriften und Frühdrucken überliefert ist (wobei ein Exemplar bei Blasius von Holzhausen nachgewiesen ist). Am Ende des Romans gibt D. in den Schlussversen an, dass er die Niederschrift der Geschichte am 25.1.1471 beendet und die Blätter illustriert und gebunden habe. Auf der ersten Seite dieser Handschrift bildete D. zwei Engel vor dem thronenden Gottvater ab. Darüber sind die (von
Walther Karl Zülch identifizierten) Wappen D.s und seiner Frau angebracht, die zusätzlich in der Initiale O des Gedichtanfangs vereinigt sind. Das Wappen war D.s Vater 1448 von Kaiser Friedrich III. bestätigt worden.
Die zweite Handschrift von D., von ihm datiert auf 1479, enthält einen zweiten Stoffkomplex mit Morolf, der im Brautwerbungsepos „Salman und Morolf“ als Held und im folgenden Spruchgedicht „Salomon und Markolf“ als Tölpel dargestellt wird (UB Ffm., Ms. germ. qu. 13; im Druck erschienen bei Friedrich Heinrich von der Hagen/Johann Gustav Büsching, 1808). Eine Version des „Salomon und Markolf“, die in einer Sammelhandschrift überliefert ist, besaß im 16. Jahrhundert auch
Johann von Glauburg (ULB Darmstadt, Hs 724).
Sowohl philologisch wie auch literatur-, kultur- und kunstgeschichtlich sind die beiden von D. gefertigten und reizvoll illustrierten Handschriften von großer Bedeutung. Wie lange sie in Ffm. verblieben, ist nicht bekannt. Ihre Überlieferungsgeschichte setzt erst wieder 1790 ein, als sie von dem Literatur- und Philosophieprofessor Johann Joachim Eschenburg (1743-1820), Freund von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), bei einer Versteigerung von Beständen aus der Bibliothek der Bürgermeisterfamilie Anderson in Hamburg erworben wurden. Zu dieser Zeit waren die Handschriften noch in einem Band zusammengebunden; wohl von Eschenburg wurden sie getrennt und mit zwei Pappeinbänden versehen. Als „Eschenburg-Handschriften“ gingen sie in die Philologie ein und wurden vielfach rezipiert. Aus dem Nachlass von Eschenburg kamen sie 1822 in Braunschweig zur Auktion. Auf dem Dachboden des dort ansässigen Vieweg-Verlags tauchten die Handschriften 1929 wieder auf, worüber der Kunsthistoriker
Walther Karl Zülch, der Bibliothekar Walter Schürmeyer (1889-1976) und der Germanist
Hans Naumann in der Ffter und Berliner Presse berichteten. Die Ffter Stadtbibliothek unter Leitung von
Richard Oehler war an dem Erwerb der D.-Handschriften sehr interessiert, doch konnte sie zunächst der in Berlin ansässige jüdische Antiquar und Kunsthändler Paul Graupe (1881-1953) erwerben, nachdem die Handschriften zuvor in den Händen vier weiterer Händler gewesen waren. In einer ansprechend gestalteten Broschüre (in einer Auflage von 100 Exemplaren) stellte Graupe die Handschriften 1930 vor; die Informationen zu D. lieferte ein Zeitungsartikel
Zülchs. Anfang 1937 wurden die Handschriften, auch mit Hilfe der Unterstützung des Ffter Oberbürgermeisters
Friedrich Krebs, aus dem Besitz von Graupe für die Ffter Stadtbibliothek erworben. Begeistert wurde darüber vielfach in der Ffter Presse berichtet, und im Herbst 1937 erstellte der Ffter Bibliotheksrat Hubert Schiel (1898-1983) mit der Unterstützung Ffter Firmen eine aufwendige Informationsschrift, die exklusiv für „Gäste der Stadt und besondere Besucher der Stadtbibliothek“ bestimmt war, wie das Ffter Volksblatt beklagte (13.10.1937). Eine Prüfung der Erwerbsumstände der D.-Handschriften für die Stadtbibliothek durch die Provenienzforschung steht derzeit noch aus.
Es ist kein Bildnis von D. und seiner Frau überliefert. Von ihrem Sohn Philipp D. († 1506) und dessen Frau Margarethe, geb. von Umstadt († 1530), waren laut
Achilles August von Lersner noch bis um 1700 Porträts bei dem Kaufmann Johann Fester an der Neuen Kräme vorhanden; die Familie war mit den D. verwandt.
Mit Philipp D., der mit seiner Frau Margarethe zwei Töchter hatte, starb die Familie D. 1506 im Mannesstamm aus. Aus der Ehe von Philipps Tochter Anna D. (1498-1552) mit Heinrich Mußler gingen zehn Kinder hervor, darunter der angesehene Goldschmied Philipp Mußler (1521-1604), Generalmünzwardein des oberrheinischen Kreises.
Ein auf 1493 datierter Specksteinmodel zur Herstellung von Backwaren, der das D.-Wappen trägt, könnte sich im Besitz von Philipp oder Hans D. befunden haben (Stiftung Stadtmuseum Wiesbaden, Inv.-Nr. 400203). Darauf sind zwei über einen Mann spottende Frauen mit Spruchbändern zu sehen.
Eine im Besitz des Geschlechts erwähnte Familienchronik aus dem 15. Jahrhundert, die D. geschrieben haben könnte, ist verschollen.
Vor allem die Petrusbüste von D. wurde oft ausgestellt, zuerst 1893, später u. a. bei Sonderausstellungen 2004 und 2007 in Aschaffenburg, zuletzt 2015 in Mainz. Die Petrusbüste und die Handschriften von D. wurden in der Ausstellung zum Stadtjubiläum 1994 in Ffm. gezeigt.
.
Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 160,
.