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Ettlinger, Karl

Karl Ettlinger

Karl Ettlinger
Porträtkarikatur von Erich Wilke (aus Ettlinger: Fräulein Tugendschön, die edle Gouvernante 1909, Frontispiz).

© entfällt. Diese Abbildung ist gemeinfrei.
Ettlinger, Karl (eigentl.: Carl) Emil. Psd.: Karlchen, Bim, Theophrastus Kinkerlitz u. a. Schriftsteller. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 22.1.1882 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 29.5.1939 Berlin, beigesetzt in Ffm.
Viertes von sieben Kindern des Kaufmanns Emil Samuel E. (1845-1912) und dessen Ehefrau Mathilde, geb. Oppenheim (1853-1936). Die Eltern betrieben in Ffm. eine „Fabrik vorgezeichneter und angefangener Handarbeiten“, die ihren Sitz im Bahnhofsviertel hatte, zuletzt in einem eigenen Geschäftshaus in der Neckarstraße 13 (Architekten: Schaffner & Albert, 1906/07; im Familienbesitz bis zur „Arisierung“ in der NS-Zeit 1939, erhalten). Fünf Brüder, u. a. Max Emil E. (1877-1929; zuletzt Professor für Philosophie in Münster/Westfalen) und Friedrich Emil, gen. Fritz, später Shlomo, E. (1889-1964; Rechtsanwalt und Notar, Historiker und Familienkundler auf dem Spezialgebiet der Geschichte der Ffter Juden), und eine Schwester.
Besuch der Wöhlerschule, dann (seit 1891) des städtischen Gymnasiums bzw. des 1897 daraus hervorgegangenen Lessing-Gymnasiums, abgeschlossen mit dem Einjährigen-Examen. Musikalische Ausbildung (Klavier- und Cellospiel) an der Vorschule von Dr. Hoch’s Konservatorium und erste literarische Versuche während der Schulzeit. Seit 1898 Lehre bei dem Ffter Bankgeschäft Lincoln Menny Oppenheimer. Anschließend Anstellung als Commis bei der Deutschen Vereinsbank in Ffm. Nach eigenen Angaben daneben Anfänge als Theaterkritiker für „ein kleines Blättchen“. Um 1902 Wechsel als Volontär zum Eugen-Diederichs-Verlags in Leipzig. Zugleich Einsendung eigener Texte an verschiedene Zeitungsredaktionen und daraufhin am 10.6.1902 erste Veröffentlichung (das heiter-gesellschaftskritische Gedicht „Die Konservatoristin“) in der Münchner Wochenzeitschrift „Jugend“, bei der er zunächst ein zweimonatiges Probe-Engagement erhielt.
Am 31.8.1902 Übersiedlung nach München. Festanstellung als Redaktionssekretär, seit 1905 als Redakteur bei der „Jugend“. Als langjähriger und produktiver Mitarbeiter prägte E. den Textteil dieser Münchner Wochenschrift wesentlich mit. Seit 1903 schrieb er unter dem Pseudonym „Karlchen“, unter dem er populär wurde; außerdem benutzte er gelegentlich weitere Pseudonyme in der „Jugend“, u. a. Bim, Fix, Helios und Kakadu. Seit seinem ersten Gedicht „von eme alde Frankforder“ („Zor Winderszeit“, 21.1.1903) veröffentlichte er regelmäßig frankfurterische Texte in der Münchner Wochenschrift. Bis zu seinem endgültigen Ausscheiden bei der „Jugend“ 1927 lieferte er insgesamt knapp 3.100 Beiträge für dieses Blatt, meist satirisch-humoristische Gedichte und Glossen zum politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zeitgeschehen, aber auch literarisch ambitionierte Lyrik und Kurzprosa. Daneben schrieb E. für weitere Zeitungen und Zeitschriften (u. a. als Münchner Korrespondent und Theaterkritiker für das Berliner Tageblatt, bis 1912), brachte seine besten Humoresken und Gedichte in Sammelbänden heraus, verfasste erfolgreich humoristische Bücher und versuchte sich um 1911/13 als Bühnenschriftsteller. Nicht nur für seine Buchveröffentlichungen verwendete er schon früh das aus der „Jugend“ bekannte Pseudonym „Karlchen“, das er – wie ein Markenzeichen – gezielt zum Aufbau und zur Pflege seines Images als humoristischer Schriftsteller nutzte.
Bei Beginn des Ersten Weltkriegs schwenkte E. mit der „Jugend“ sofort auf einen propagandistisch-patriotischen Kurs ein und startete am 18.8.1914 die kriegshumoristische Serie „Karlchens Kriegsberichte“, die auch als Buchausgabe in drei Bänden („Grandebouche und Lausikoff“, 1914; „Lausikoff lügt weiter“, 1915; „Grandebouche sucht Spießgesellen“, 1915) herauskam und in kurzer Zeit hohe Auflagen (insgesamt über 150.000 Exemplare) erreichte. Am 29.3.1915 zum Kriegsdienst bei der Infanterie eingezogen und bald zum Unteroffizier aufgestiegen, schickte E. noch aus dem Feld regelmäßig Beiträge an die „Jugend“, u. a. eine Reihe „Lieder eines Landsturmmannes“ (als Buchausgabe 1916). Nach schwerer Verwundung an der Westfront (25.7.1916) und längerem Lazarettaufenthalt kehrte E. im Herbst 1916 in die „Jugend“-Redaktion zurück, die er 1917/18 kurzzeitig leitete. Zum 1.7.1918 schied er aus der Redaktion aus.
Seit 1918 lebte E. als freier Schriftsteller. 1919 veröffentlichte er sein erzählerisches Meisterwerk, die Novelle „Der Widerspenstigen Zähmung“, in der er den Ffter Dialekt gezielt als Stilmittel in den Dialogen einsetzt. Seine literarischen Ambitionen musste E. in den kommenden Zeiten wirtschaftlicher Krisen jedoch hinter der Notwendigkeit des Broterwerbs zurückstellen. Mit kreativem wie planerischem Talent organisierte er in den 1920er Jahren seinen eigenen Schriftstellereibetrieb, wobei er sich durchaus offen für neue Genres und Medien zeigte. Er lieferte weiterhin regelmäßig Beiträge für die „Jugend“ (bis 1927) und etablierte sich zugleich als „fester freier Mitarbeiter“ bei anderen Zeitungen und Zeitschriften, u. a. bei der Münchener Zeitung mit Humoresken von seinem vermeintlichen Alter Ego „Theophrastus Kinkerlitz“ über dessen groteske Abenteuer im tückischen Alltag (ca. 1921-33); die „Theophrastus-Humoresken“ brachte er in überarbeiteter Fassung als Geschichten von „Karlchen“ bei zahlreichen Blättern im gesamten deutschsprachigen Raum (oft auch beim Ffter General-Anzeiger) an. Bereits seit 1918 unternahm E. ständige Vortragstourneen zur Lesung aus eigenen Werken. Jährlich absolvierte er rund 200 Veranstaltungen („Karlchen-Abende“) überall in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. Publikumsschlager seines Vortragsprogramms waren die „Karlchen-Aufsätze“, fingierte Schulaufsätze eines Lausbuben, etwa über „Das Konzert“ (in erster nachgewiesener Fassung 1916), worin die geschilderte Atmosphäre und eine zur Szene verarbeitete Anekdote an die Ffter Museumskonzerte im Saalbau erinnern. Auf seinen Vortragsreisen kam E. auch häufig nach Ffm. (nachweislich 1919, 1920 und 1931), und 1923 und 1924 war er jeweils einen Monat lang beim Kabarett „Astoriabühne“ in seiner Geburtsstadt engagiert. Er brachte weitere Bücher mit seinen gesammelten Kurzgeschichten und Gedichten heraus, verfasste Kriminalromane (u. a. „Die verhexte Stadt“, 1922), arbeitete schon früh für den Rundfunk (ab 1925) und schrieb einen Zukunftsroman („Das Land ohne Kinder“, im Druck u. d. T. „Der erschossene Storch“, 1930). Der Sammelband „Der ewige Lausbub“ (1931) war sein letztes Buch. Die große Presseresonanz zu E.s 50. Geburtstag 1932 belegt, dass „Karlchen“ zu dieser Zeit als humoristischer Unterhaltungsschriftsteller in Deutschland noch immer sehr bekannt, wenn auch schon etwas aus der Mode gekommen war.
In der NS-Zeit wurde E. wegen seiner jüdischen Religionszugehörigkeit verfemt, verfolgt, entrechtet und ausgebeutet, was seinen frühen Tod zumindest mitverschuldet haben dürfte. Am 28.3.1933, am Tag des Aufrufs zum „Judenboykott“ durch die NSDAP, gab der Schriftsteller seinen ständigen Wohnsitz in München, den er (abgesehen von einer Episode in Starnberg, 1919-22) trotz seiner Vortragstourneen stets beibehalten hatte, auf und zog sich in sein 1928 eigentlich zum Sommeraufenthalt erworbenes Landhaus in Egern am Tegernsee zurück. Bis 1933 hatte E. verschiedenen Berufsverbänden angehört, etwa dem Reichsverband der deutschen Presse im Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS), dem Verband deutscher Bühnenschriftsteller und dem Verband deutscher Erzähler. Nun wurde er, als ehemaliger Frontkämpfer zunächst von dem „Erfordernis arischer Abstammung“ befreit, in den 1933 eingerichteten linientreuen Reichsverband Deutscher Schriftsteller als Fachverband der Reichsschrifttumskammer und damit der Reichskulturkammer aufgenommen, so dass er zumindest eingeschränkt schriftstellerisch tätig bleiben und in den Unterhaltungsbeilagen einiger Zeitungen weiter veröffentlichen konnte. Spätestens 1936 wurde E. aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Während er mühsam wenige Publikationsgenehmigungen für einzelne seiner Humoresken bei der Reichsschrifttumskammer erreichte und gelegentlich mit einem „Karlchen-Abend“ beim Jüdischen Kulturbund (so in Ffm. am 31.3.1937) auftreten konnte, sollen sich nationalsozialistische „Kulturschaffende“ skrupellos seiner Werke bedient und etwa das beliebte Ffter „Schneewittchen“ (1908) anonym oder unter anderer Verfasserangabe im Radio gesendet haben. Am Tag des Novemberpogroms 1938 wurde E. von der Gemeindeverwaltung Rottach-Egern – nach Zeitzeugenaussagen unter Ausübung massiver Gewalt – befohlen, den Ort innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Er reiste über Ffm. nach Berlin, von wo aus er wahrscheinlich seine Emigration in die USA vorbereiten wollte. Doch sein bereits im Frühjahr 1938 aufgetretenes Gallenleiden verschlimmerte sich zusehends. Am 18.5.1939 wurde E. in das Israelitische Krankenheim in Berlin eingeliefert, wo er einige Tage später starb, angeblich an Herzschwäche infolge einer Gallenoperation.
Die Urne mit seiner Asche wurde im Grab der Eltern auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße in Ffm. beigesetzt (Block 97, Nr. 851 A und B). Dort befindet sich eine Gedenkplatte für E.
Nach 1945 erinnerte zunächst der Schauspieler Carl Luley an den fast vergessenen Schriftsteller, dessen Ffter „Schneewittchen“ er alljährlich zu Weihnachten im Radio vorgetragen haben soll. Auf Initiative von Herbert Heckmann veranstalteten die „Freunde Fft.s“ 1979 einen „Nachmittag mit Karlchen“, u. a. mit Liesel Christ und Johann Philipp von Bethmann, im Volkstheater Fft. Spätestens seitdem pflegte vor allem Liesel Christ das Andenken an E. und brachte bei ihren Lesungen dessen frankfurterische Werke bis nach Israel. Heute gilt E. als einer der bedeutendsten Autoren der Ffter Mundartliteratur, und einige seiner Gedichte „von eme alde Frankforder“ sowie insbesondere der Dialog „Die geteilte Walküre“ (1912) sind zu Klassikern im Ffter Dialekt geworden.
Weitere Buchveröffentlichungen (in Auswahl): „Der Neue Martial“ (Nachdichtung, 1905), „Ovids Liebeskunst“ (Nachdichtung, 1906), „Das Tagebuch eines Glücklich-Verheirateten“ (1906), „Kraut unn Riewe. Gesammelte Gedichtcher von eme alde Frankforder“ (1907, veränderte Neuausgabe u. d. T. „Unschenierte Gedichtcher von eme alde Frankforder“, 1916), „Der Neue Juvenal“ (1907), „Unsere Donna. Das Tagebuch eines modernen Dienstmädchens“ (1907), „In Freiheit dressiert“ (Humoresken, 1908), „Moritzchens Tagebuch“ (unter dem Psd.: Edgar Kolmar, 1908), „Fräulein Tugendschön, die edle Gouvernante (Parodie auf einen Backfisch-Roman) und andere Humoresken“ (1909), „Streifzüge eines Kreuzvergnügten“ (Gedichte, 1910), „Die Hydra“ (Lustspiel, UA: München, 14.10.1911, Ffter EA: Komödienhaus, 28.10.1911), „Marquis Bonvivant“ (1912), „Die Heimkehr des Odysseus“ (Operettentext, mit Erich Motz, UA: Ffm., Opernhaus, 22.4.1913), „Das Beschwerdebuch“ (Komödie, UA: München und Wien, 13.9.1913, Ffter EA: Schauspielhaus, 21.9.1913), „Scherzo“ (drei Einakter, 1913), „Aus fröhlichem Herzen“ (Sammelband, 1914/16), „Mister Galgenstrick“ (Humoresken, 1915), „Der Kanuff“ (Sammelband, 1918), „Die duldsame Eva“ (1920), „Das Verhältnis“ (1920), „Karlchen-Album“ (Sammelband, 1923), „Der Bub’ muss einmal seine Prügel haben“ (Erzählung mit frankfurterischen und bairischen Dialogen, 1925) und „Frech und vergnügt“ (Sammelband, 1930).
Seit den 1990er Jahren wurden einige Werke von E. neu aufgelegt, u. a. in den Sammelbänden „Die geteilte Walküre“ (hg. v. Sabine Hock, 1993) und „Erlebdes un Erlauschdes“ (hg. v. Sabine Hock, 1994) mit Texten „von eme alde Frankforder“ sowie die Bücher „Der Widerspenstigen Zähmung“ (1919, Neuausgabe 2000) und „Benno Stehkragen“ (1917, Neuausgabe 2014), beides Erzählungen mit Dialogen im Ffter Dialekt. Besonders beachtet und auch in der Forschung diskutiert wurde in den vergangenen Jahren E.s spätes Werk „Der erschossene Storch“ (1930), der Zukunftsroman aus dem „Land ohne Kinder“.
„Frankforter Gebabbel. Plaudereien aus meiner Kindheit“, autobiographische Artikelserie in zehn Folgen, erschienen 1922 im Ffter General-Anzeiger.
Teilnachlass im ISG.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Sabine Hock.
Artikel in: Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 192f., verfasst von: Sabine Hock.

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Quellen: Ffter General-Anzeiger. Titel auch: Ffter Anzeiger, General-Anzeiger der Stadt Ffm. Ffm. 1876-1943.Ettlinger, Karl: Frankforter Gebabbel. Plaudereien aus meiner Kindheit. Artikelserie in 10 Folgen. In: FGA, 1922. (Vorhanden in: ISG, Bibliothek, Sign. Le 23 u. 2° Le 23a.) | Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Über das Haus der Eltern Emil und Mathilde Ettlinger in der Neckarstraße 13 in Ffm.: Hock, Sabine: Baustile in Hessen. Jugendstil: Monument und Ornament. In: FR, Immobilienbeilage, 28.11.2009. | ISG, Bestand Nachlässe (S1).Teilnachlass: ISG, S1/55; dazu Rep. 518 (Findbuch von Erwin Kester, 1974). | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/1.413.
Internet: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Hg.: Wikimedia Foundation Inc., San Francisco/Kalifornien (USA). https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_EttlingerWikipedia, 12.4.2019.

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Empfohlene Zitierweise: Hock, Sabine: Ettlinger, Karl. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/2117

Stand des Artikels: 12.4.2019
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 04.2019.