Wolf, Eleonore Margarete, gen. Lore, geb. Winkler. Sekretärin. Politikerin. Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 11.3.1900 Sommerhausen/Unterfranken, † 4.8.1996 Ffm.
Tochter eines Webers und einer Landarbeiterin, späteren Verkäuferin. Der Vater Andreas Winkler (?-1945) konnte mit seinem Beruf die Familie nicht ernähren. Deshalb 1906 Umzug nach Höchst bei Ffm., wo der Vater – bis zu einem schweren Unfall – in den Farbwerken arbeitete.
Lore Winkler wurde mit Beginn des Ersten Weltkriegs zur Arbeit in der Munitionsfabrik Pokorny & Wittekind dienstverpflichtet. 1916 begann sie eine Ausbildung zur Stenotypistin in der Stadtverwaltung Höchst. Ihr Vorgesetzter,
Karl Kirchner, Ehemann von
Johanna Kirchner, machte sie mit der Gewerkschaft, der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und den Naturfreunden vertraut. Auch nach ihrer Ausbildung blieb Lore Winkler als Sekretärin bei der Höchster Stadtverwaltung tätig. Bei ihren politischen Aktivitäten lernte sie den Sattler Johannes Adam, gen.
Hans, W. (1899-1963) kennen, den sie 1923 heiratete. 1925 Geburt der Tochter Hannelore. 1929 wanderte die junge Familie in die USA aus, um der Not der Wirtschaftskrise in Deutschland zu entkommen. Arbeit in den Ford-Werken in Detroit. 1932 Umsiedlung in die Sowjetunion. Dort Arbeit im Ford-Werk in Nischni Nowgorod.
Im Frühjahr 1933 reisten Hans und Lore W. mit ihrer Tochter nach Ffm., um die Eltern zu besuchen. Bereits am Bahnhof wurden Reisepapiere und Rückreisevisum beschlagnahmt; dadurch Rückkehr in die UdSSR unmöglich. Lore W. trat umgehend der illegalen KPD bei. Am 10.5.1933 erlebte sie die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen auf dem Römerberg; knapp entging sie einer Denunziation. Mitarbeit in der „Roten Hilfe“, einer mittlerweile ebenfalls illegalen Hilfsorganisation für verfolgte Kommunisten und Sozialisten. Tätigkeit für die KPD, insbesondere durch Schreiben von Flugblättern und Zeitungen sowie Verteilen der illegalen Publikationen. Als Büro diente W. ein Zimmer in der Neuhofstraße 18 im Nordend, das sie bei überzeugten Nationalsozialisten in deren Wohnung angemietet hatte. Sie selbst wohne eigentlich in Wiesbaden, habe als Geschäftsfrau häufig in Ffm. zu tun und brauche den Raum, um eilige Korrespondenz zu tippen, lautete ihre Erklärung zur Tarnung gegenüber den Vermietern. In diesem Zimmer schrieb sie Zeitungsseiten und Flugblätter auf Wachsmatrizen zur Vervielfältigung. Über gut getarnte Verteilstellen in der ganzen Stadt erreichten die Flugblätter und andere Schriften mit dem Aufruf zum Widerstand gegen das NS-Regime Tausende von Menschen.
Illegale Tätigkeit in Ffm. bis Herbst 1934. Dann Verrat durch ein Mitglied der Gruppe, woraufhin es zu zahlreichen Verhaftungen kam. W. konnte mithilfe von Pfarrer
Alois Eckert von der Bernardus-Gemeinde im Nordend und weiteren politischen Aktivisten in das noch unter französischer Hoheit stehende Saargebiet fliehen. Dort erneut Arbeit bei der „Roten Hilfe“, vor allem Unterstützung für Flüchtlinge zur Rettung über die französische Grenze. Nach dem „Anschluss“ des Saargebiets an das Deutsche Reich 1935 musste W. selbst nach Frankreich emigrieren. Ansiedlung in Paris; dort in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Anlässlich des „Internationalen Schriftsteller-Kongresses zur Verteidigung der Literatur“ 1936 lernte W. die Schriftstellerin Anna Seghers kennen und übernahm bald die Abschrift des Manuskripts zu deren Roman „Das siebte Kreuz“. Sie unterstützte Seghersʼ Arbeit daran durch umfassende Hinweise auf die Gegebenheiten in Ffm., die in dem Roman eine wichtige Rolle spielen. Daneben illegale Kuriertätigkeit in Frankreich und der Schweiz, wo auch ihr Mann Hans W. aktiv war. 1938 kam die Tochter Hannelore nach Paris.
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich 1940 wurde W. von der Gestapo verhaftet, erneut aufgrund des Verrats eines vermeintlichen politischen Freundes. Auslieferung nach Deutschland, während die Tochter zurückblieb. Zunächst Untersuchungshaft in Ffm. und Wiesbaden. Am 18.6.1941 Verurteilung durch den Volksgerichtshof in Berlin zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Anschließend Haft in den Zuchthäusern Berlin-Moabit und Ziegenhain/Oberhessen, oft in Einzelhaft. März 1945 Überführung in das KZ Fuhlsbüttel bei Hamburg. Dort Entlassung am 25.5.1945.
Wenig später Rückkehr nach Ffm., wo W. als stellvertretende Leiterin in der Betreuungsstelle für Verfolgte des NS-Regimes tätig wurde. 1946 Zusammenführung der Familie W. Bis zu ihrer Pensionierung 1965 war Lore W. als Bürokraft bei der Ffter Stadtverwaltung angestellt, u. a. beim Fürsorgeamt (1945-50) und beim Sport- und Badeamt (1957-65).
Mitglied in der KPD, zeitweise in deren hessischem Landesvorstand; nach dem Verbot der KPD Wechsel zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). 1946 Mitglied des Beratenden Landesausschusses von Groß-Hessen.
Gründungsmitglied (1947) sowie Mitglied im Rat und im hessischen Landesvorstand der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Mitglied des 1991 gegründeten Verbands Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ (DRAFD).
Mitbegründerin (1950) und Mitarbeiterin der antifaschistischen Wochenzeitung „Die Tat“.
Autobiographische Veröffentlichungen: „Ein Leben ist viel zu wenig“ (Ffm. 1974) und „Ich habe das Leben lieb“ (Tagebuchblätter aus dem Zuchthaus Ziegenhain 1943-45, Dortmund 1983).
1991 Johanna-Kirchner-Medaille der Stadt Ffm.
Gedenktafel (2020) am Gebäudekomplex Gerlachstraße 24/Paul-Schwerin-Straße 2b in Höchst, wo W. zwischen 1924 und 1934 wohnte.
Eine Tafel in der Ausstellung „Nichts war vergeblich. Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, die als Wanderausstellung vom Ffter Verein „Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945“ erarbeitet und 2016 in der Zentralbibliothek der Stadtbücherei in Ffm. gezeigt wurde, war W. gewidmet.
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