Zender, Johannes Wolfgang, gen. Hans. Prof. Dirigent und Komponist. * 22.11.1936 Wiesbaden, † 22.10.2019 Meersburg/Bodensee.
Bereits seit 1949 Teilnahme an den „Internationalen Ferienkursen für Neue Musik“ in Darmstadt. Von 1956 bis 1959 Studium in Ffm. und Freiburg. 1963 Meisterklassenabschluss (Komposition bei Wolfgang Fortner, Klavier bei Edith Picht-Axenfeld, Dirigieren). Beeinflusst von
Adorno und der Ffter Schule. Schon als Student von 1959 bis 1963 Kapellmeister an den Städtischen Bühnen in Freiburg. Von 1963 oder 1964 bis 1968 Chefdirigent der Oper Bonn. Von 1969 bis 1971 Generalmusikdirektor in Kiel. Von 1972 bis 1984 Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken. Von 1983 oder 1984 bis 1987 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, zugleich von 1984 bis 1986 Generalmusikdirektor des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Danach Chefdirigent des Radiokammerorchesters des Niederländischen Rundfunks Hilversum (1987-94) und Erster Gastdirigent der Opéra National Brüssel. Von 1999 bis 2010 ständiger Gastdirigent des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Gastdirigent u. a. an den Opernhäusern München, Köln, Rom und Bayreuth.
Von 1988 bis 2000 Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Ffm.
Mitglied der Akademie der Künste Berlin (seit 1990), der Freien Akademie der Künste in Hamburg und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
In den 1980er Jahren etablierte Z. mit der Oper Fft. und dem Ensemble Modern die Werkstattreihe „Happy New Ears“ mit erklärenden Konzerten zeitgenössischer Musik in Ffm.
2004 gründeten Z. und seine Frau die „Hans und Gertrud Zender-Stiftung“ zur Förderung der Neuen Musik; sie verleiht seit 2011 alle zwei Jahre (in Zusammenarbeit u. a. mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste) die „Happy New Ears Preise“ (einen Kompositionspreis, einen Preis für Publizistik zur Neuen Musik und ggf. einen Förderpreis).
Z. gehörte als Komponist und Dirigent gleichermaßen zu den führenden Protagonisten der Neuen Musik in Deutschland. Als Dirigent verfügte er über ein breites Repertoire mit Schwerpunkt auf modernen und vor allem zeitgenössischen Werken (Olivier Messiaen, Bernd Alois Zimmermann, Giacinto Scelsi und Helmut Lachenmann). Als Komponist wurde Z. beeinflusst von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970). Zunächst, in den 1960er Jahren, arbeitete er mit zwölftönigen und seriellen Methoden. Er ließ sich von japanischer Musik und Zen-Buddhismus inspirieren. In den 1990er Jahren entwarf er eine Harmonik, die die Oktave nicht in zwölf, sondern in 72 Kleinstintervalle („Mikrointervalle“) unterteilt, wodurch er eine subtile harmonische Farbigkeit erzielte. Er war „einer der atmosphärisch ansprechendsten, farbig reichsten und harmonisch biegsamsten Komponisten in Deutschland“ (Bernhard Uske).
Hauptwerke: „Shir Hashirim – Lied der Lieder (Canto VIII)“, eine Vertonung des alttestamentlichen Hoheliedes (UA der vier Teile: 1995-97, wobei Teil 2 als Sonderaufführung der Oper Fft. am 15.9.1995 uraufgeführt wurde) und „Logos-Fragmente (Canto IX)“, ein Zyklus von neun Stücken mit Texten biblischer und gnostischer Herkunft (UA des Gesamtwerks: 2011). Bühnenwerke: „Stephen Climax“ (Oper, UA: Ffm., 1986), „Don Quijote de la Mancha“ (Oper, UA: Stuttgart, 1993), „Der Barbier von Bagdad“ (Oper, UA: Ffm., 1994) und „Chief Joseph“ (musikalisches Theater in drei Akten, UA: Berlin, 2005). Außerdem schrieb Z. eine ganze Reihe von „komponierten Interpretationen“, d. h. Bearbeitungen fremder Werke, u. a. von Debussys 5 Préludes (UA: Ffm., 1991, geschrieben für das Ensemble Modern), Schuberts „Winterreise“ (UA: Ffm., 1993, entstanden im Auftrag der „Fft.-Feste“), Schumanns Klavierfantasie C-Dur op. 17 (1997) und Beethovens Diabelli-Variationen (UA: Berlin und Ffm., 2011, gewidmet dem Ensemble Modern). Im Rahmen des Projekts „
Hölderlin 2020“ zum 250. Geburtstag des Dichters war in einer Aufführung unter Mitwirkung des Ensemble Modern in der Alten Oper in Ffm. am 16.9.2020 erstmals der vollständige Zyklus „
Hölderlin lesen“ von Z. (5 Teile, 1979-2012) zu hören.
Schriften: „‚Happy New Ears‘. Das Abenteuer, Musik zu hören“ (1991), „Wir steigen niemals in denselben Fluß“ (1996), „Die Sinne denken. Texte zur Musik 1975-2003“ (hg. v. Jörn Peter Hiekel, 2004, 2., erw. Aufl. 2018), „Waches Hören. Über Musik“ (Essays, 2014), „Denken hören – Hören denken. Musik als Grunderfahrung des Lebens“ (2016) und „Mehrstimmiges Denken. Versuche zu Musik und Sprache“ (2019).
1997 Goethepreis der Stadt Ffm. 1997 Ffter Musikpreis. 2002 Hessischer Kulturpreis.
Z. war überzeugt, dass „wir das große Erbe der europäischen Kultur nur durch radikale Neubestimmung bewahren können“ und „das gleiche Erbe verspielen, wenn wir es nur in den alten Formen weitergeben“: „Eine bloß konservierende Kulturpflege ist im Zeitalter des Kommerzes dazu verurteilt, zur unverbindlichen, quasi ‚touristischen‘ Unterhaltung zu werden. (…) Kunst ist in ihrem Kern etwas Geistiges – eine Chiffre für das Heilige im Menschen.“ (Aus der Rede bei der Verleihung des Ffter Musikpreises, zit. nach: FR, 28.2.1997.)
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