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Klieneberger-Nobel, Emmy

Erste Frau, die sich an der Ffter Universität habilitierte.

Emmy Klieneberger-Nobel

Emmy Klieneberger, später verh. Klieneberger-Nobel
Fotografie.

© Universitätsarchiv Frankfurt am Main (UAF Best. 854 Nr. 784).
Klieneberger-Nobel, Emma, gen. Emmy, geb. Klieneberger. Dr. phil. nat. habil. Bakteriologin. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 25.2.1892 Ffm., † 11.9.1985.
Tochter des jüdischen Weinhändlers und ehemaligen österreichischen Kavallerieoffiziers Joseph Abraham, gen. Adolf, Klieneberger (1833-1923) und seiner Ehefrau Sophie, geb. Hamburger (1848-1941), einer Tochter des jüdischen Justizrats Julius Hamburger (1806-1887) aus Hanau. Emmy war das jüngste Kind aus der 1874 geschlossenen Ehe der Eltern und hatte zwei Brüder und eine Schwester.
Der Vater betrieb eine Weinhandlung mit eigener Kellerei, zuletzt in der Brönnerstraße 6, bevor er sich – im Alter von fast 70 Jahren – um 1902 zur Ruhe setzte. Die Familie wohnte zunächst in der Böhmerstraße 58, wo die Tochter Emmy auch geboren wurde. 1895 erwarb Adolf K. ein Haus im Reuterweg 51, in dem er sein Kontor hatte und die Familie in der ersten Etage wohnte. Die Eltern waren aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten und bezeichneten sich als freireligiös. Emmy K. folgte ihren Geschwistern und ließ sich 1899 evangelisch-reformiert taufen.
Zunächst besuchte K. die Elisabethenschule (1898-1908) und machte danach am dortigen Lehrerinnenseminar ihr Examen (1911). Ein naturwissenschaftliches Interesse, das auch durch die Brüder – beide Mediziner – angeregt worden war, und der Anspruch der Mutter, den Töchtern eine adäquate Ausbildung zu ermöglichen, bewogen K., sich für ein Studium zu entscheiden. Das notwendige Abitur bestand sie im Frühjahr 1913 an der Schillerschule in Ffm. Anschließend studierte sie Naturwissenschaften und Mathematik in Göttingen, wo ihr Bruder Otto K. (1879-1954) als Oberarzt in einer Nervenklinik arbeitete. Nach Kriegsbeginn wechselte K. 1914 an die Ffter Universität, jetzt mit Botanik und Zoologie als Studienschwerpunkten. 1917 promovierte sie bei Martin Möbius in Botanik mit einer Arbeit „Über die Größe und Beschaffenheit der Zellkerne mit besonderer Berücksichtigung der Systematik“; ihre Nebenfächer waren Zoologie und Mathematik. Anschließend studierte sie für ein Semester Mathematik erneut in Göttingen. Im Herbst 1918 bestand sie das Staatsexamen für das Lehramt an höheren Schulen in Ffm. Danach unterrichtete sie ein Jahr als Probekandidatin an der Ffter Schillerschule und legte dort 1919 die pädagogische Prüfung ab. Bis zum Herbst 1922 war sie als Lehrerin an der Nolden’schen Privatschule für Mädchen in Dresden tätig und kehrte dann nach Ffm. zurück, um ihren wissenschaftlichen Interessen zu folgen.
K. arbeitete künftig als Bakteriologin am städtischen Hygienischen Institut der Universität, dessen Direktor Max Neisser – bei dem sie sich persönlich beworben hatte – ihre wissenschaftliche Entwicklung förderte. Neben den Vorbereitungen von Kursen für Studenten war K. u. a. für die Untersuchung von Trinkwasserproben aus Ffm. und die methodische Prüfung von Desinfektionsmitteln zuständig. Ihr wissenschaftliches Interesse galt daneben den Bakteriophagen, nämlich Viren, die Bakterien als Wirtszellen nutzen und die von dem Engländer Frederick William Twort (1877-1950) und dem Franko-Kanadier Félix Hubert d’Hérelle (1873-1949) 1915 und 1917 entdeckt und erstmals beschrieben worden waren. K. konnte nachweisen, dass die Bauchspeicheldrüse nicht für das Auftreten von Bakteriophagen verantwortlich ist. 1930 habilitierte sie sich als erste Frau an der Universität Ffm. Ihre Habilitation aufgrund einer Arbeit über „Bakterienpleomorphismus und Bakterienentwicklungsgänge“ stieß zunächst auf Widerstand, zumal diese – unüblich für eine Nichtmedizinerin – an der Medizinischen Fakultät stattfand. Letztlich konnte sie nur durch Hinzuziehung eines Ordinarius aus Heidelberg, Emil Gotschlich (1870-1949), durchgesetzt werden, der neben Max Neisser das Korreferat hielt. Nach Erteilung der Venia Legendi für Bakteriologie (22.5.1930) stellte sich K. am 25.6.1930 mit ihrer Antrittsvorlesung über „Ultravisibles Leben“ vor. Sie hielt seitdem regelmäßig bakteriologische Vorlesungen, veranstaltete zusammen mit Neisser bakteriologische Kurse und vertrat ihn in seinen Hauptvorlesungen für Mediziner bei bakteriologischen Themen. Sie war Mitglied des Ffter Ärztlichen Vereins und der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie.
K. lebte nach dem Tod des Vaters (1923) zusammen mit ihrer Mutter, seit etwa 1930 in einer Wohnung Unter den Kastanien 14 in der Heimatsiedlung in Sachsenhausen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Einführung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde K. aufgrund ihrer jüdischen Herkunft im September 1933 von der Universität entlassen und in den unbezahlten Ruhestand versetzt. Daneben entzog man ihr die Lehrbefugnis. Im September 1933 bewarb sie sich erfolgreich am Lister Institute of Preventive Medicine unter der Leitung von John C. G. Ledingham (1875-1944) in London, wo sie zunächst einen unbezahlten Laborplatz erhielt. Unter anfangs sehr beschränkten persönlichen Bedingungen gelang es K. dort, wichtige Beobachtungen zu den Mykoplasmen zu machen, einer zellwandlosen Bakterienform, die später als Krankheitserreger erkannt wurde, etwa bei Meningitis, Lungen- und Harnröhrenentzündungen. Eine Reinkultur der zellwandlosen Streptobacillus moniliformis beschrieb sie als L-Phase (L für „Lister-Institut“). Nachdem Geldsendungen aus Deutschland unmöglich geworden waren, erhielt K. nach mehreren Stipendien schließlich eine feste Anstellung am Lister-Institut.
Für London als Zufluchtsort hatte sich K. aufgrund der Nähe zu ihrer Familie entschieden. Noch 1938 kam sie zu einem letzten Besuch nach Deutschland. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war sie verzweifelt bemüht, ihre Angehörigen aus dem Herrschaftsgebiet des NS-Staats herauszubringen, u. a. die Familie ihres Bruders Otto K., Oberarzt an der Universitätsnervenklinik in Königsberg. Ihn und seine Kinder unterstützte sie dabei, nach England zu kommen. Otto K. wanderte später nach Bolivien aus, wo er 1954 mittellos starb. Der älteste Bruder, der Internist Professor Carl K. (1876-1938), der bereits 1933 als Direktor und Chefarzt des Stadtkrankenhauses in Zittau entlassen worden war, beging am 30.9.1938 Suizid, nachdem ihm mit Wirkung ab dem folgenden Tag auch seine ärztliche Zulassung entzogen worden war. Die Mutter Sophie K. und die Schwester Anna, gen. Anny, Schönemann, geb. K. (1881-1941), nahmen sich am 4.11.1941 in Bad Homburg das Leben, um der Deportation zu entgehen.
Mit Kriegsbeginn wurde das Lister-Institut geschlossen, und die Mitarbeiter wurden auf andere Institute verteilt; K. kam an ein Zweiginstitut nach Elstree. An der London University erwarb sie die akademischen Grade Ph. D. (1941) und D. Sc. (1942). Aufgrund des Kriegsmangels in den Laboren, wo u. a. weniger Nährböden hergestellt werden konnten, beschäftigte sich K. in den folgenden Jahren mit den Kernstrukturen der Bakterien und Färbemethoden für Proben. 1943 lernte sie den aus Wien emigrierten Kinderarzt Professor Edmund Nobel (1883-1946) kennen, den sie am 28.1.1944 heiratete. Ein Herzinfarkt Nobels beendete schon am 26.1.1946 die Ehe. Nach dem Krieg widmete sich K.-N. am Lister-Institut wiederum den Mykoplasmen. Nach einer schweren Lungenentzündung arbeitete sie zur Luftveränderung 1947 für einige Monate am Hygiene-Institut in Zürich. Bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand am 1.10.1962 war sie weiterhin am Lister-Institut in London tätig. Zahlreiche Vorträge und Kongresse führten K.-N. wiederholt auch nach Deutschland und Österreich, wo sie ehemalige Kollegen aus Ffm. wiedertraf, doch blieb sie bis zu ihrem Lebensende in ihrer neuen Heimat in England wohnen.
Weitere Veröffentlichungen (in Auswahl): „Unsichtbares Leben?“ (in: Natur und Museum, 1931), „The Pleuropneumonia-like Organism: Further Comparative Studies and a Descriptive Account of Recently Discovered Types” (in: Journal of Hygiene, 1940), „Origin, Development and Significance of L-forms in Bacterial Cultures” (in: The Journal of General Microbiology, 1949), „L-Forms of Bacteria” (in Band 1 von: „The Bacteria. A Treatise on Structure an Function”, hg. v. Irwin C. Gunsalus and Roger Y. Stanier, 1960), „Pleuropneumonia-like Organisms (PPLO) Mycoplasmataceae” (1962), „Focus on Bacteria” (1965) und „Hundert Jahre Professor Max Neisser” (in: Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde, Infektionskrankheiten und Hygiene, 1970).
Lebenserinnerungen: „Pionierleistungen für die medizinische Mikrobiologie“ (1977, engl. 1980).
International wuchs die wissenschaftliche Anerkennung für die Forschungen der Bakteriologin zu den Mykoplasmen und zur L-Phase, was sich in zahlreichen Auszeichnungen für K.-N. widerspiegelte, u. a. Ehrenmitgliedschaften des Robert-Koch-Instituts (1967) und der „International Organization for Mycoplasmology“ (IOM; 1976) sowie Robert Koch-Medaille (1980). Zudem war K.-N. seit 1967 korrespondierendes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Bakteriologie und Hygiene. 1980 stiftete die IOM den „Emmy K.-N. Award“ als Auszeichnung für Forschungen im Bereich der Mykoplasmologie.
Eine Schwester der Mutter Sophie K., Emma Hess, geb. Hamburger (also eine Tante und wahrscheinlich die Namensgeberin von Emmy K.), war mit dem Kaufmann und Numismatiker Adolph Hess (?-1912) verheiratet. Hess gab ab 1871 das münzkundliche Fachblatt „Autographierte Numismatische Correspondenz“ in Ffm. heraus und übersiedelte im selben Jahr mit seiner Münz- und Kleinkunsthandlung von Gießen nach Ffm., wo er auch mit der Veranstaltung öffentlicher Münzauktionen begann. Louis Hamburger, Bruder von Sophie K. und Emma Hess, übernahm 1894 das Geschäft von Hess in Ffm., das sich unter dem Namen „Adolph Hess Nachf.“ zu einem der bedeutendsten Münzauktionshäuser in Deutschland entwickelte (seit 1940: „Dr. Busso Peus & Co.“, seit 1967: „Dr. Busso Peus Nachf.“).
Seit 2020 Emmy-K.-N.-Straße auf dem Universitätscampus am Riedberg.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Sebastian Martius.

Lexika: Bergmann, E. (Hg.): Ffter Gelehrten-Handbuch. Ffm. [1930].Bergmann: Ffter Gelehrten-Hdb. 1930, S. 88.
Literatur:
                        
Benzenhöfer, Udo (Hg.): Ehrlich, Edinger, Goldstein et al.: Erinnerungswürdige Ffter Universitätsmediziner. Münster/Ulm 2012.Weiske, Katja: Die Bakteriologin Emmy Klieneberger – 1930 als erste Frau in Ffm. habilitiert, 1933 entlassen. In: Benzenhöfer (Hg.): Universitätsmediziner 2012, S. 127-143. | Benzenhöfer, Udo/Birkenfeld, Monika: Angefeindete, vertriebene und entlassene Assistenten im Bereich der Universitätsmedizin in Ffm. in der NS-Zeit. Ulm 2016.Benzenhöfer/Birkenfeld: Assistenten d. Universitätsmedizin in der NS-Zeit 2016, S. 41f. | Bleker, Johanna/Schleiermacher, Sabine: Ärztinnen aus dem Kaiserreich. Lebensläufe einer Generation. Weinheim 2000.Bleker/Schleiermacher: Ärztinnen aus dem Kaiserreich 2000, S. 266f. | Drexler, Siegmund/Kalinski, Siegmund/Mausbach, Hans: Ärztliches Schicksal unter der Verfolgung 1933-1945 in Ffm. und Offenbach. Eine Denkschrift. Ffm. 1990.Drexler/Kalinski/Mausbach: Ärztl. Schicksal 1990, S. 31. | Grinstein, Louise S./Biermann, Carol A. (Hg.): Woman in the Biological Sciences. A Biobibliographic Sourcebook. Westport 1997.Rice, Gary E.: Emmy Klieneberger-Nobel (1892-1985). In: Grinstein/Biermann (Hg.): Woman in the Biological Sciences 1997, S. 261-265. | Heuer, Renate/Wolf, Siegbert (Hg.): Die Juden der Ffter Universität. Mit einem Vorw. v. Notker Hammerstein. Unter Mitarbeit von Holger Kiehnel u. Barbara Seib. Ffm./New York 1997. (Campus Judaica 6).Heuer/Wolf (Hg.): Juden d. Ffter Univ. 1997, S. 218-221; vgl. auch S. 418f. | Einzeln & Gemeinsam. 100 Jahre starke Frauen an der Goethe-Universität. Hg. v. Helma Lutz, Marianne Schmidbaur, Verena Specht-Ronique u. Anja Wolde zum 100-jährigen Bestehen der Goethe-Universität Ffm. Ffm. 2014.Hundert Jahre starke Frauen a. d. Goethe-Univ. 2014, S. 58f. | Jahrbuch Hochtaunuskreis. Bisher 25 Jahrgänge. Usingen, später Ffm. 1993-2017.Rieber, Angelika: „Ist mit einer Jüdin verheiratet“. Familien Schönemann-Klieneberger. In: Jb. Hochtaunuskreis 26 (2018), S. 252-261. | (The) Journal of Medical Microbiology (JMM). Hg.: Society for General Microbiology. 67 Bde. London/Edinburgh u. a. 1968-2018. Fortgesetzt als Online-Ausgabe ab 2019.Lemcke, Ruth/Collier, Leslie H.: Emmy Klieneberger-Nobel 1892-1985. Obituary Notice. In: Journal of Medical Microbiology 22 (1986), S. 183-185. | Klieneberger-Nobel, Emmy: Pionierleistungen für die medizinische Mikrobiologie. Lebenserinnerungen. Stuttgart/New York 1977.Klieneberger-Nobel: Pionierleistungen für die medizinische Mikrobiologie 1977. | Laßleben, Angela: Max Neisser. Stationen im Leben eines deutschen Bakteriologen und Hygienikers. Diss. Ffm. 1988.Laßleben: Max Neisser 1988.
Quellen: Dr. Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Ffm.Dr. Senckenbergisches Institut für Geschichte u. Ethik der Medizin, Protokollbücher der Medizinischen Fakultät der Universität Ffm. | Universitätsarchiv Ffm. (UAF), Archiv der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Ffm.Universitätsarchiv Ffm., Best. 4 Nr. 1384.
Internet: Internetauftritt der Goethe-Universität Ffm. https://www.uni-frankfurt.de/54105768/Emmy_Klieneberger_Nobel
Hinweis: Artikel über Emmy Klieneberger-Nobel im Wissenschaftsstadtplan anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Goethe-Universität“.
Goethe-Universität Ffm., 7.12.2020.
| University Women’s International Networks Database, biographische Datenbank „Internationale Netzwerke von Akademikerinnen“, hg. v. Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin. http://uwind.mpiwg-berlin.mpg.de/de/fm13-dab-detail/99University Women’s International Networks Database, 7.12.2020. | Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Emmy_Klieneberger-NobelWikipedia, 7.12.2020.

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Empfohlene Zitierweise: Martius, Sebastian: Klieneberger-Nobel, Emmy. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/6269

Stand des Artikels: 8.12.2020
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 12.2020.