Aus jüdischer Familie. Erstes Kind von Jakob (auch: Jacob) D. (1850-1912) und dessen Ehefrau Henriette, geb. Herzstein. Ein Bruder: Wilhelm D. (1877-?). Der Vater war Lehrer am Brüsselschen Institut in Segnitz, einer renommierten Handelsschule mit Internat, die ab 1875
Samuel Spier (1838-1903) gehörte und 1881 geschlossen wurde. Die Familie zog nach Tauberbischofsheim, wo Jakob D. verschiedene Lehrerstellen übernahm.
Otto D. besuchte das Großherzoglich Badische Gymnasium in Tauberbischofsheim bis zum Abitur und studierte von 1893 bis 1897 in Berlin, Paris, Heidelberg und Straßburg, zunächst Rechts- und Staatswissenschaften. Während seines Aufenthalts in Paris verfasste er journalistische Beiträge über politische Themen für die Badische Landeszeitung in Karlsruhe und pflegte Kontakte zur deutschen Botschaft. In Heidelberg (1895) wechselte er zu den Studienfächern Geschichte und Neuere Sprachen und hielt sich länger in Italien und Paris auf, bevor er im Jahr 1900 in Straßburg das Staatsexamen ablegte und damit die Lehrbefähigung für Geschichte, Französisch, Englisch, Lateinisch, Deutsch und Erdkunde erhielt.
Inzwischen (1899) hatte Jakob D. eine Stelle als Sekretär des Großherzoglichen Oberrats und Direktor des israelitischen Landesstifts in Karlsruhe angetreten, und so konnte D. bei seinen Eltern wohnen, während er ein Probejahr am Großherzoglichen Gymnasium in Karlsruhe absolvierte und weitere Studien trieb. Diese führten 1901 zum Abschluss seiner Dissertation mit dem Titel „Der Ursprung des Harlekin“ (im Druck 1904) und zur Promotion in romanischer Philologie an der Universität Straßburg. Im selben Jahr heiratete D. die in Paris geborene Henriette Rosenbaum (1876-nach 25.3.1943). Die Tochter Martha (auch: Marta) wurde 1902 geboren, der Sohn Reinhold 1906.
Bis 1907 lebte D. als Privatgelehrter in Berlin-Charlottenburg. Während dieser Berliner Jahre veröffentlichte er seine Dissertation als Buch, einige Aufsätze in Zeitschriften und Artikel im Brockhaus-Konversationslexikon. Zwischen 1905 und 1910 hielt D. sich längere Zeit zu Studienzwecken in der Schweiz, in Frankreich und in Belgien auf. Außer an romanischen Sprachen blieb er an politischen Zusammenhängen interessiert, beispielsweise an den deutsch-französischen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg oder an der Flämischen Bewegung, deren spätere Nähe zur NS-Politik er nicht voraussehen konnte.
1908 wurde D. Oberlehrer an einer Realschule in Charlottenburg. Seit 1910 war er dann stellvertretender Schulleiter der Charlottenburger Waldschule, einer sozialen Einrichtung, die kränkelnden Großstadtkindern für einige Wochen eine Erholung am Rande der Stadt ermöglichte und sie gleichzeitig schulisch förderte. Als Pädagoge entwickelte er Vorstellungen, wie man technische Neuerungen wie einen Kinematographen (Apparat zur Aufnahme, zum Kopieren und zur Wiedergabe bewegter Bilder) für praktische Zwecke einsetzen könnte. So hielt er 1908 einen „Demonstrations-Vortrag: Der Kinematograph im Dienste der Wissenschaft und des Unterrichts (Nachweis kinematographischer Demonstrationsmöglichkeiten für Technik, Medizin, Betriebslehre und Volkswirtschaft, Botanik, Physik, Zoologie, Biologie, Literatur, Erdkunde, Rechtswissenschaft und Polizeiwesen, Heer und Marine, Geschichte und Kunst)“. Dieser Vortrag brachte ihm viel Aufmerksamkeit in der Presse und im Kultusministerium ein und trug dazu bei, dass er Mitarbeiter des Preußischen Kultusministeriums wurde und als Vertreter der Stadt Charlottenburg zur Weltausstellung in Brüssel reiste. Er erweiterte seinen Vortrag um einen Teil über das „Zusammenwirken von Kinematograph und Grammophon“ in Schule und Kindergarten und hielt ihn im Juli 1910 in Paris und 1911 in Berlin. 1913 veröffentlichte er ein zweibändiges Werk über „Das Grammophon im Dienste des Unterrichts und der Wissenschaft“, in dem er praktische Hinweise zum Einsatz von Schallplatten zu pädagogischen Zwecken gab.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs veranlasste D., mit ministerieller Zustimmung eine Initiative „Gold in die Reichsbank“ zu gründen, der deutsche Philologen, Lehrer, Lehrerinnen und Geistliche angehörten und die sich an der Sammlung von „entbehrlichem Gold und Silber zu Gunsten der Nationalstiftung“ unter „Gründung und Leitung einer besonderen ‚Schulabteilung‘“ beteiligen sollte. 1915 trat D. in die Organisation „Vaterlandsdank“ ein, die ebenfalls der Goldsammlung zur Kriegsfinanzierung diente, und Ende des Jahres nahm er an der „österreichischen offiziellen Kriegshilfeaktion ‚Gold gab ich für Eisen‘“ teil und hielt einen Vortrag in Wien über „Die Schule im Dienste der Goldsammlung“. Gute Sammelergebnisse in den Schulen wurden während des Krieges im Deutschen Philologen-Blatt veröffentlicht, teilweise verbunden mit Aufrufen von D. wie: „In jeder Kriegsstunde, in der vor versammelter Schule die Erlebnisse unseres großen Krieges in Wort und Ton und Bild vorüberziehen, erschalle die Losung ‚Gold in die Reichsbank!‘“ (Zit. nach: Deutsches Philologen-Blatt 1916, Nr. 24, S. 68.)
Im März 1916 wurde D. als „ungedienter Landsturmmann“ nach Labiau/Ostpreußen einberufen. 1917 wurde ihm die Leitung und Organisation des Goldankaufs in Ostpreußen übertragen, und er wurde in das Kriegspresseamt in Berlin berufen. Nachdem D. im März 1918 Referent des Pressechefs beim Reichskanzler geworden war, wurde er im November 1918 zum Leiter des Pressereferats der Deutschen Waffenstillstandskommission ernannt. Im September 1919 wechselte er in die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes. Aufgrund seiner langjährigen Auslandserfahrungen und -beziehungen erhoffte er sich eine Stelle als „Vortragender Rat in der Presseabteilung der Reichsregierung (Reichsministerium des Auswärtigen)“. Er schied jedoch bereits zum 1.10.1919 auf eigenen Wunsch aus dem preußischen Staatsdienst aus. Bald darauf machte man ihm in der Presse die von ihm 1918 veröffentlichte Schrift „Das deutsche Volk und die Fürsten. Eine Antwort auf die Verständnislosigkeiten des Auslandes“ wegen monarchistischer Ansichten zum Vorwurf und unterstellte ihm eine unredliche Beteiligung in der Sparprämien-Anleihen-Affäre. Nach einem Gespräch rehabilitierte ihn jedoch der Reichskanzler Gustav Bauer (1870-1944). Zudem stellte er ihm die eigentlich erhoffte Stelle in Aussicht, aber im Auswärtigen Amt hatte man keine Verwendung für D. Es gab schließlich 1920 langwierige Unstimmigkeiten zwischen D. und den Behörden wegen seiner Bezüge, die er zwar beansprucht, aber nicht erhalten hatte.
Bereits im Januar 1919 war D., empfohlen von Rabbiner Julius Galliner (1872-1949) in Berlin, als Direktor des Philanthropins nach Ffm. berufen worden; er hatte jedoch zugunsten seiner Arbeit in der Waffenstillstandskommission verzichtet. Mittlerweile war die Stelle noch nicht besetzt worden, und so trat er sie im April 1921 an. Die Familie zog noch im selben Monat von Berlin nach Ffm. Sie wohnte in einem der Schulgebäude in der Hebelstraße 15, I. Stock. Ende April starb D.s Sohn Reinhold durch einen Unglücksfall in Ffm., am selben Tag, an dem er einen Sportverein in der Schule gegründet hatte (27.4.1921).
Das Philanthropin bestand seit 1804 und hatte bereits eine lange und erfolgreiche Geschichte, als D. die Leitung übernahm. Mit vielen pädagogischen Reformprojekten wollte er die Schule erneuern und erweitern, um sie in der Ffter Schullandschaft konkurrenzfähiger zu machen. So ließ er Grammophonplatten im Fremdsprachenunterricht verwenden, um damit den Schülern die gesprochene Sprache näherzubringen. Jeden Freitagmorgen versammelten sich alle Lehrer und Schüler zum Gesamtunterricht, um zu bestimmten Themen, auch über tagesaktuelle politische sowie jüdische Fragen, offen zu diskutieren. Es wurden die Fächer nicht mehr grundsätzlich einzeln unterrichtet, sondern, besonders in den unteren Klassen, oftmals in fächerübergreifenden Projekten. Für Mädchen, die ihre Schulbildung im Lyzeum des Philanthropins beendet hatten, gab es ab 1922 die Frauenschule, die in einem Jahreskurs neben Fremdsprachen hauptsächlich praktische Fähigkeiten vermittelte wie Maschinenschreiben, Kochen, Babypflege und Waschen. Die Schülerinnen wohnten im Frauenschulheim, und da dies die einzige Schule für jüdische Frauen im Deutschen Reich war, kamen viele von weit her. D. gründete 1924 eine achtklassige Volksschule, die von Julius Spier (1890-1952) geleitet wurde, und erweiterte 1925 das Philanthropin zu einem Realgymnasium.
Das Jahr 1926 brachte private Sorgen und Probleme, als D.s Tochter Martha, die als Schriftstellerin in Berlin lebte, dort in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wurde. Nach einem halben Jahr wurde sie entlassen und wohnte danach in Ffm. bei ihren Eltern.
D. hatte 1928 sein Ziel erreicht, aus dem Philanthropin ein „Schulwerk“ zu machen, eine Institution, die vom Kindergarten bis zum Abitur bzw. zum Abschluss an der Frauenschule führte. 1929 gab D. zusammen mit einigen Lehrern zum 125-jährigen Bestehen der Schule eine Festschrift mit dem Titel „Bausteine praktischer Pädagogik“ heraus; sein Beitrag darin hieß „Erziehung zur Freude als sittlicher Grundhaltung“. Man feierte das Jubiläum im Dezember, zusammen mit den 200. Geburtstagen von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn, denen das Philanthropin sich seit jeher verpflichtet fühlte und deren Gedanken wesentliche Leitsätze der Schule bildeten.
Seit D.s Amtsantritt war die Schülerzahl angestiegen: 1930 besuchten rund 900 Schüler das Philanthropin. Aber mit der Erweiterung der Schule hatten sich auch die Ausgaben vergrößert, und die Finanzierung wurde der Israelitischen Gemeinde zur Belastung, weshalb der Kindergarten 1930 und die Frauenschule 1932 geschlossen wurden.
Ab 1933 gab es aus politischen Gründen Veränderungen. Der Schulbesuch jüdischer Kinder in staatlichen Schulen wurde erschwert und ab 1935 unmöglich. Nichtjüdische Lehrer mussten das Philanthropin verlassen, und jüdische Lehrer wie Albert Hirsch (1888-1975) wurden an staatlichen oder städtischen Schulen entlassen und wechselten zum Philanthropin. D. bereitete die Schule und ihre Schüler auf weitere Änderungen vor. Einen Artikel aus dem Jahr 1934 schloss er mit dem Satz: „Nach wie vor leben wir, die Zukunft zwingend, der dreifachen Liebe, das ist: der dreifachen Pflicht: Heimat, Glaube, Menschheit.“ In erster Linie sollte die jüdische Identität für das schwierige Leben in Deutschland während der NS-Zeit gestärkt werden. Erst später wurden u. a. Iwrith sowie das neue Fach „Palästinakunde“ angeboten, um die Jugendlichen auf eine etwaige Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Ende 1934 organisierte D. eine „Pädagogische Woche“, in der erwachsene Interessenten Unterrichtsstunden und Diskussionen besuchen konnten, um sie an der „Schul-Freude“ der jüngeren Generation teilnehmen zu lassen. Eine weitreichende Neuerung bedeutete 1937 die von D. angeregte Einstellung zweier Engländer für den Englischunterricht. In zwei Klassen fand der gesamte Unterricht in englischer Sprache statt, und man konnte so am Philanthropin das Cambridge School Certificate Examination statt des Abiturs ablegen, was an einigen Universitäten in England zum Studium berechtigte.
Zum 1.4.1937 trat D. mit 62 Jahren in den Ruhestand. Sein Nachfolger als Direktor am Philanthropin wurde Albert Hirsch. D. zog am 11.9.1937 mit seiner Frau und der Tochter Martha nach Berlin, zuerst in die Pension Stadthagen in der Konstanzer Straße 7, dann in die Waitzstraße 7. Am 27.4.1939 emigrierte das Ehepaar D. nach Paris. Die Tochter Martha D. wurde am 14.6.1942 aus der israelitischen Jacoby’schen Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und kam dort um. Otto D. und seine Frau Henriette wurden über das Sammellager Drancy (Frankreich) mit dem Transport 53 am 25.3.1943 ebenfalls nach Sobibor deportiert und ermordet.
Stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Stiftung zur Erziehung geistig oder körperlich gefährdeter israelitischer Kinder, der Creizenach-Stiftung und der Pensionszuschusskasse des Philanthropins. Schriftführer im Vorstand der B. H. Goldschmidt’schen Stipendienstiftung. Mitglied im Vorstand der Julius und Amalie Flersheim’schen Stiftung, der Flora Geisenheimer-Kann-Stiftung zur Unterstützung für Mädchen zur Berufsausbildung, der David und Emanuel Höchberg’schen Stiftung zugunsten bedürftiger Schülerinnen und Schüler des Philanthropins, der Louis Mayer Maas’schen Stiftung zur Unterstützung armer jüdischer Schüler und Studenten, der Dr. Leopold Odrell’schen Stipendienstiftung und des Israelitischen Frauenvereins.
Seit 2004 Stolperstein für D. vor dem Wohnhaus seiner frühen Kindheit in der heutigen Hans-Kesenbrod-Straße 18 in Segnitz. Seit 2023 Stolpersteine für Otto, seine Frau Henriette und die Tochter Martha D. vor dem Haus in der Waitzstraße 7 in Berlin-Charlottenburg.
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