Sohn des mecklenburgischen Kammerherrn, Geheimen Legationsrats und Gesandten am Deutschen Bundestag
Bernhard Friedrich Ferdinand Carl von B. (1820-1864) und dessen Ehefrau Paula, geb. Gräfin von Linden (1833-1920). Zwei Schwestern: Marie Louise, gen. Mimia, von B. (seit 1886 verh. von Gundlach, 1859-?), und Ilsabe von B. (seit 1884 verh. und verw. von Ferber, später in 2. Ehe verh. von Arenstorff, 1863-?). Ein Vetter des Vaters, Bernhard Ernst von B. (1815-1879), war der Vater des späteren Reichskanzlers Bernhard von B. (1849-1929).
B. verbrachte nur seine früheste Kindheit in Ffm. Der Vater war 1850 in diplomatischer Eigenschaft hierher entsandt worden und wurde 1858 mit der Stellung des Bundestagsgesandten für Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz betraut. Die Familie wohnte zunächst am Oeder Weg 3 (wo B. auch geboren wurde) und zog dann an den Blittersdorffplatz 25 um. Für B.s Mutter war Ffm. „die alte schöne Stadt des Wohllebens und der Kunst“, und in einer literarischen Rückschau erinnerte sie sich an die Bockenheimer Chaussee, das Eschenheimer Tor, das ehemalige Palais Thurn und Taxis sowie den Philosophen
Arthur Schopenhauer gleichermaßen. Als B. zwei Jahre alt war, verlor er seinen Vater. Die Mutter ließ sich mit den drei Kindern daraufhin für einige Jahre in der Nähe von Verwandten und Freunden in der Oberlausitz nieder, bevor sie als Oberhofmeisterin nach Schwerin ging.
B. wurde von seiner Mutter Franz Vollrath genannt, während er selbst im Rahmen seiner Veröffentlichungen wohl die Vornamen Franz Joseph bzw. Franz Josef vorzog. Er besuchte das Gymnasium in Schwerin und Waren, trat dann in den Militärdienst ein und absolvierte die Kadettenanstalten Plön und Groß-Lichterfelde (bei Berlin). Im Ersten Garde-Regiment zu Fuß diente er unter Prinz Wilhelm von Preußen (1859-1941), dem späteren Kaiser Wilhelm II., in Potsdam. Zwischen 1880 und 1888 unternahm er mehrere Reisen nach Italien, wo seine Mutter zu jener Zeit lebte. Später gehörte er der Leib-Kompagnie des Ersten Garderegiments an und begleitete die Beisetzungen der Kaiser
Wilhelm I. und Friedrich III. (1888) sowie der Kaiserin Augusta (1890). Als Offizier hoch dekoriert und 1890 zum Premierleutnant ernannt, wurde ihm doch schon am 18.12. desselben Jahres auf eigenen Wunsch der Abschied aus dem Militär gewährt; bislang kann nur darüber spekuliert werden, ob B.s Beendigung der Militärkarriere in Zusammenhang mit seiner Homosexualität stand.
B. hatte sich zuvor um eine Verwendung im Auswärtigen Dienst beworben und ging 1891 in das deutsche „Schutzgebiet“ Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), wo er in der Kolonialverwaltung eingesetzt wurde. Die Tätigkeiten sollten ihn auf das Konsulatsexamen und den konsularischen Dienst vorbereiten. B. war zeitweise Stationschef in Swakopmund, bereiste die gesamte deutsche Kolonie und durchquerte als einer der wenigen Europäer das relativ unbekannte Wüstengebiet nördlich des Kuiseb. Er kaufte während seiner Reisen in Deutsch-Südwestafrika auch eine Reihe von ethnografischen Gegenständen, die er u. a. dem Stuttgarter Museum für Länder- und Völkerkunde (später: Linden-Museum) zukommen ließ. Infolge eines Jagdunfalls verlor B. 1893 das Augenlicht, kehrte im folgenden Jahr vollständig erblindet nach Deutschland zurück und schied aus der konsularischen Ausbildung aus. Seine Erlebnisse in Afrika beschrieb er in dem Buch „Deutsch-Südwestafrika. Drei Jahre im Lande Hendrik Witboois. Schilderungen von Land und Leuten“ (1896, 2. Aufl. 1897), das er dem Prinzen Friedrich Leopold von Preußen (1865-1931) widmete. Es gilt auch heute noch als eines der inhaltlich und stilistisch anspruchsvolleren Bücher über die koloniale Frühzeit Deutsch-Südwestafrikas. Zeitgenossen bestätigten dem Verfasser „strenge Sachlichkeit und freimüthiges Urteil“.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitete B. auch an anderen literarischen Abhandlungen und war für die 1892 nach britischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft „South West Africa Company Ltd.“ tätig, die eine Vertretung in Berlin unterhielt. Am 16.4.1898 heiratete er die Gutsherrin Constanze von Goldacker (Haus Mahlsdorf), gesch. Gräfin von Beust (1847-1904). Die Ehe blieb kinderlos und wurde bereits am 26.5.1899 geschieden. Auch Hans von Beust (1845-?), Constanze von Goldackers erster Ehemann, der jüngste Sohn des sachsen-altenburgischen Staatsministers Carl Ludwig Graf von Beust (1811-1888), soll homosexuell gewesen sein. Im Jahr 1900 ließ sich B. dauerhaft in Venedig nieder, wo er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs den Palazzo Tiepolo im Stadtteil San Polo bewohnte. Für den Umzug nach Italien hatte er sich wohl vor allem entschieden, weil Homosexualität hier – anders als im Deutschen Reich – legal war. Offenbar unternahm B. von Venedig aus mehrere Reisen, nachweislich im Sommer 1903 zur Kur nach Gmunden/Salzkammergut und im Januar 1904 nach Neapel.
Um 1897 gehörte B. zu den ersten, die den Plan des Arztes Magnus Hirschfeld (1868-1935) finanziell unterstützten, zwecks Beseitigung des Paragraphen 175 RStGB eine Eingabe an die gesetzgebenden Organe in Berlin zu richten. Der Paragraph stellte seit 1871 männliche Homosexualität im gesamten Deutschen Reich unter Strafe. B. war auf Veranlassung des Berliner Kriminaldirektors Leopold von Meerscheidt-Hüllessem (1849-1900) zu dem Kreis um Hirschfeld gestoßen. Zusammen mit Hirschfeld, dem Verleger Max Spohr (1850-1905) und dem Eisenbahnbeamten Eduard Oberg (1858-1917) gründete er am 15.5.1897 das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), die weltweit erste Interessenorganisation Homosexueller. B. spendete 200 Mark für die Arbeit des WhK, die drei anderen Anwesenden gaben je 100 Mark. Nach dem Tod seiner Mitstreiter schrieb Hirschfeld, die vier Gründungsmitglieder hätten zunächst Form und Inhalt seines Petitionsentwurfs beraten. „Dann gelobten wir uns, solange die gesetzliche und gesellschaftliche Ächtung Homosexueller währt, gegen die Kulturschmach mit allen geistigen Kräften zu kämpfen. Die drei toten Freunde haben ihr Gelöbnis gehalten. Ich auch.“ In einer Festrede aus Anlass des 30-jährigen Bestehens des WhK ließ Hirschfeld 1927 jedoch den Namen B.s aus unerfindlichen Gründen unerwähnt.
B. war mit Magnus Hirschfeld und Dr. Adolf Glaser (1829-1916), dem ebenfalls homosexuellen Publizisten und Redakteur der Kulturzeitschrift „Westermanns Monatshefte“, „persönlich gut befreundet“ und trat – in Hirschfelds Worten – der Emanzipationsbewegung der Homosexuellen bei, „fest davon durchdrungen, daß durch die wissenschaftliche Erforschung des Uranismus [so der zeitgenössische Ausdruck für Homosexualität], wenn auch langsam, so doch sicher, die falschen Anschauungen weichen müßten, unter denen er mit so vielen seiner Schicksalsgenossen litt“.
B. starb 1915 in Dresden. Unter Anspielung auf seinen Jagdunfall von 1893 schrieb die Mutter später über ihren Sohn: „Mit staunenerregender Geduld und Tapferkeit hat er sein hartes Schicksal getragen. Seine schnelle Auffassungsgabe, sein scharfer Verstand, verbunden mit liebenswürdigem Wesen und feinsten Formen, hätten ihn zu einer guten Karriere befähigt. Unverzagt, mit regem Interesse für alles, mir in seiner Güte und Treue, die den Grundzug seines Charakters bildeten, ein lieber Sohn und trefflicher Berater, hat er trotz seiner Blindheit noch zweiundzwanzig Jahre mitten im Leben gestanden, bis er im Kriegsjahre 1915, als er gerade bei mir weilte, plötzlich erkrankte und in seinem vierundfünfzigsten Jahre starb.“
Weitere Schriften (in Auswahl): „Hendrik Witbooi“ (in: Deutsche Rundschau, 1895), „Deportation nach Südwest-Afrika“ (Zeitungsartikel, um 1896; online unter: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/5188236, abgerufen am 19.1.2021), „Garnisonleben in Süd-Westafrika“ [in: Salon-Feuilleton (Berliner Feuilleton), Wöchentliche Correspondenz für Zeitungen, 1897], „Zur Besiedelung von Südwestafrika“ (in: Deutsche Kolonialzeitung, 1897), „Die Führer der Hereros“ (in: Mährisches Tagblatt, 26.5.1904, und Czernowitzer Tagblatt, 28.5.1904), „Im Felde gegen die Hereros. Erlebnisse eines Mitkämpfers“ [1905] und „Die Beisetzung der beiden Kaiser“ (in: Paula von Bülow: Aus verklungenen Zeiten 1924, S. 132-138).
Sammlung Franz Joseph von B. (12 Objekte) und eine kleine Korrespondenz (3 Briefe an Graf Karl Heinrich von Linden, 1891-92), im Linden-Museum Stuttgart.
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