Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
manchmal ist es wie verhext. Für die Mailieferung waren die Artikel angefragt und begonnen, und einige waren sogar schon fast fertig. Doch dann fielen nach und nach mehrere Autorinnen und Autoren wegen Krankheit, beruflicher und persönlicher Zwischenfälle aus. Dazu kamen Widrigkeiten wie wochenlange Wartezeiten auf Archivauskünfte und Verzögerungen in der Postzustellung. (Ja, auch heutzutage geht nicht alles digital.) Lag es vielleicht daran, dass der Abgabetermin für die Artikel diesmal auf die Walpurgisnacht folgte?
Doch wir wollten nicht an Hokuspokus glauben und blieben hartnäckig dran. So kann ich Ihnen auch in diesem Mai eine zwar kleine, aber feine Artikellieferung präsentieren. Dabei darf der Artikel des Monats natürlich nicht fehlen. Er stellt eine Frau vor, die einst mit ihrer schönen Stimme nicht nur bezaubert, sondern auch Mut gemacht hat.
Artikel des Monats Mai 2025:
Die sibirische Nachtigall
Sie lebte fast 50 Jahre lang ruhig und friedlich in Frankfurt: Mara Jakisch. Die erste Hälfte ihres langen Lebens war weitaus aufregender verlaufen. Die gebürtige Dresdenerin hatte früh Karriere als Operettensängerin gemacht und es bis nach Berlin gebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es der alleinerziehenden Mutter eines Sohnes, an ihre Bühnenerfolge anzuknüpfen – bis sie direkt nach einer Operettenvorstellung am 28. Dezember 1946 in Dresden von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet wurde. Wegen eines privaten Besuchs im Westsektor von Berlin war sie unter Spionageverdacht geraten. Fast neun Jahre lang blieb Mara Jakisch in Haft, seit 1950 im Lager in Sibirien, wo sie schwerste körperliche Arbeit leisten musste. Sie gab nicht auf und sang für sich und ihre Mitgefangenen, anfangs einzelne Lieder am Abend, die sie auf Deutsch aus der Erinnerung aufschrieb und mit Hilfe einer Lagerkameradin ins Russische übersetzte. Später konnte sie kleine Konzerte im Lager geben und einen Chor gründen, der zu den Geburtstagen der gefangenen Frauen sang. Dafür wurde sie „die sibirische Nachtigall“ genannt.
Bald nach ihrer Rückkehr 1955 ließ sich Mara Jakisch in Frankfurt nieder. Bis in die 1960er Jahre trat sie noch gelegentlich als Sängerin auf. Weiterhin blieb sie in Kontakt zu ihren früheren Lagerkameradinnen. Erst 1995 erhielt sie ein Schreiben der Russischen Föderation zu ihrer Rehabilitierung. Im Alter von 100 Jahren starb Mara Jakisch 2005 in Frankfurt. Vor einiger Zeit wurde ein Platz in Bockenheim, ganz in der Nähe ihrer ehemaligen Wohnung, nach ihr benannt.
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Die Biographie von Mara Jakisch ist noch nicht abschließend wissenschaftlich erforscht. Eine Pfarrerin schrieb dem ehemaligen Star 2002 zwar einen Liebesbrief, und eine Autorin erzählte die Leidensgeschichte der Sängerin 2014 in einem Roman. Die Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden, die auch den Nachlass besitzt, erinnert seit einigen Jahren regelmäßig an Mara Jakisch und deren Schicksal. Für den Artikel über Mara Jakisch im Frankfurter Personenlexikon wurden wesentliche Fakten, insbesondere zu deren Karriere in den 1920er und 1930er Jahren, neu zusammengetragen. Dennoch mussten einige Fragen (zunächst) offenbleiben. In diesem Jahr stehen der 120. Geburtstag (am 4. September) und der 20. Todestag (am 27. Dezember) von Mara Jakisch an – vielleicht ein Anlass, um sich weiter mit deren Biographie zu beschäftigen. Auch die Anregung zu weiteren Forschungen sieht das FP als eine seiner Aufgaben.
Besonders danken möchte ich an dieser Stelle dem Autor Fedor Besseler, der für die aktuelle Lieferung einen Artikel über den verdienstvollen jüdischen Geschichtsforscher Adolf Diamant beigesteuert hat. Wie ein Fels in der Brandung hat Fedor Besseler auch diesmal seine Aufgabe zuverlässig und kompetent erledigt. Seine Beiträge über jüdische Persönlichkeiten aus der Frankfurter Stadtgeschichte der Nachkriegszeit (wie Isaak Emil Lichtigfeld, Alfred Jachmann, Ludwig Joseph und Ignaz Lipinski) bilden inzwischen eine wichtige Reihe im Frankfurter Personenlexikon, die wir in loser Folge fortsetzen werden.
Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser: Wir bleiben also auch künftig der Wissenschaft treu und haben uns nicht „der Magie ergeben“, obwohl sie manchmal dazwischenzufunken scheint. Und so arbeiten wir gleich weiter daran, dass das Frankfurter Personenlexikon wächst und sich füllt – auch mit den diesmal ausgefallenen Beiträgen, die selbstverständlich baldmöglichst nachgeliefert werden.
Sie dürfen gespannt sein, und ich würde mich daher freuen, wenn Sie dem Frankfurter Personenlexikon weiterhin treu und gewogen blieben.
Herzlichst
Ihre Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Juni 2025.