Nach Stationen in Butzbach und Darmstadt wirkte H. von 1623 bis 1636 als städtischer Musikdirektor („director musices“) und Kapellmeister an der Barfüßerkirche, der evangelischen Hauptkirche, in Ffm. Zahlreiche Reformen, systematischer Aufbau der Kapellmusik an der Barfüßerkirche, Neuorganisation des städtischen Musikwesens unter seiner Leitung. Nach achtjähriger Tätigkeit als Kapellmeister in Nürnberg war H. von 1644 bis zu seinem Tod wieder in der alten Stellung in Ffm. tätig. In seiner 35-jährigen Amtszeit führte H. – dank seiner musikalischen und organisatorischen Fähigkeiten – das Ffter Musikleben von bescheidenen Anfängen zu einem ersten Höhepunkt um 1650.
Mit seinem angestrebten Wirkungskreis Ffm. trat H., damals noch Hofkapellmeister in Darmstadt, bereits 1621 bis 1623 in Verbindung, indem er jeweils zu Neujahr dem Rat der Stadt Motetten widmete. Diese Dedikationen bahnten ihm den Weg zur Kapellmeisterstelle an der Barfüßerkirche und zum neugeschaffenen Amt des städtischen Musikdirektors. Seine Aufgaben waren – laut dem (im ISG erhaltenen) Dienstbrief vom 1.9.1623 – die persönliche Leitung und Verbesserung der Kirchenmusik sowie die Ausbildung von sechs bis acht Sängerknaben aus der Lateinschule, die er selbst aussuchen konnte. Mit diesem Vertrag grenzte er bewusst sein neues Arbeitsfeld als Stadtmusikdirektor von dem des Kantors ab. In den ersten Monaten seiner Amtszeit setzte er sich für die Einstellung eines zweiten Organisten (Ratsbeschluss vom 23.12.1623) und für die Renovierung der großen Orgel (30.3.1624) ein. Eine einschneidende Maßnahme war 1624 die gegen den Widerstand des Rektors und des Kantors durchgesetzte Verbannung der nach seinen Worten „übel bestellten Schulmusic“ (d. i. des Chors der Gymnasiasten) aus dem Hauptgottesdienst der Barfüßerkirche. H. empfahl dessen Verwendung in der Nachmittagspredigt oder in St. Katharinen und behielt als Stamm seines eigenen Kapellchors die von ihm im modernen italienischen Gesangsstil ausgebildeten Sängerknaben und Berufssänger. Die Schulmusik an St. Katharinen kam im folgenden Jahr unter dem neuen Kantor
Lorenz Erhard (Laurentius Erhardi) wieder zu Ehren. Um den Aufbau der Instrumentalmusik bemühte sich H. zum einen, indem er das Orchester vergrößerte und neue Noten und Instrumente anschaffte. Zum andern wurde auf seine Empfehlung 1627 ein Orchesterleiter eingestellt, der zwar H.s Oberleitung unterstand, den Orchesterpart jedoch selbstständig mit den Musikern einzustudieren hatte. Ein Jahr später genehmigte der Rat auf H.s Antrag (er bekundete, „daß etliche hiesige Bürger sich freiwillig erboten, ein neu Orgelwerkh ... zu stiften“) die Errichtung einer zweiten Orgel, da das Regal, auf dem der zweite Organist spielte, während des Gottesdienstes immer nachgestimmt werden musste. Eigentlicher Anlass für H.s Reformen aber war der musikalische Stilwandel. Aus seinen Notenanschaffungen wird seine Vorliebe für anspruchsvolle mehrchörige Werke von Zeitgenossen wie z. B. Praetorius, Schütz, Gabrieli und anderen italienischen Komponisten deutlich, deren Aufführung qualifizierte Sänger und Musiker voraussetzte.
Als 1636 eine Kapellmeisterstelle in seiner Vaterstadt frei wurde, erhielt H. ein Schreiben des Nürnberger Stadtrats (13.8.1636), der ihn auf seine noch bestehenden Bürgerpflichten aufmerksam machte und ihn aufforderte, nach Nürnberg zurückzukehren, um diese Stelle anzunehmen. H. reichte deshalb beim Ffter Rat seine Entlassung ein, um dieser „unzweifelhaft von Gott zugeschriebenen Vocation zu folgen“ (25.8.1636). Der Rat, dem dieses Gesuch wohl ungelegen kam, antwortete erst auf einen zweiten Brief H.s, in dem er
Johannes Jeep als seinen Nachfolger empfahl (13.9.1636), und entließ ihn am 26.9.1636. Aus Nürnberger Ratsakten geht allerdings hervor, dass H. – entgegen den meisten biographischen Angaben – sich um die Stelle in Nürnberg beworben hatte und den Rat bat, „ihme durch ein schreiben avocieren zu lassen, damit er solch schreiben den rath zu Franckfurth fürweissen und mit des bessern willen von ihnen kommen möge“ (Nürnberger Ratsprotokoll, 13.8.1636).
Der Grund für seine Bewerbung um Wiedereinstellung in Ffm. vom 15.3.1644 nach dem Tod von
Jeeps Nachfolger Völckel ist wohl die Tatsache, dass Nürnberg unter den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges litt. Die Berufung erfolgte wenige Tage später, und am 15.5.1644 kehrte H. in sein altes Amt zurück. Anders als zur Zeit von H.s erstem Aufenthalt zeigte der Rat in den nun folgenden Jahren wenig Entgegenkommen. Das jährliche Tuch wurde ihm nicht mehr gewährt, und fünf Jahre später musste H. eine Gehaltskürzung hinnehmen. Seine finanzielle Lage veranlasste ihn, sich 1644 um eine Stelle als Eisenwieger zu bewerben, um dadurch freie Wohnung zu erhalten, und zwei Jahre später bot er seine wertvolle Musikaliensammlung dem Ffter Rat zum Ankauf an, der jedoch ablehnte. Die Dedikationen an den Rat in den Jahren 1645-51, für die er nur ein bescheidenes Honorar erhielt, gelten als Krönung seines kompositorischen Schaffens. Seit 1650, in der Blütezeit des Ffter Musiklebens, begann sich H.s Gesundheitszustand zu verschlechtern; die Sparmaßnahmen des Rats leiteten den Niedergang des Konzertlebens ein. Es wurde still um H., und der Rat der Stadt sah sich zu seinen Lebzeiten bereits nach einem Nachfolger um, dachte aber nicht daran, den über siebzigjährigen, kränkelnden und verschuldeten Kapellmeister von seinem Amt zu befreien.
H. komponierte Vokalwerke, an denen der allmähliche Stilwandel von der Renaissance zum Barock deutlich wird, und schrieb didaktisch geschickt verfasste musiktheoretische Schriften, die im 17. Jahrhundert weit verbreitet waren. Sein Werk „Musica practica“ (1642) ist ein in deutscher Sprache verfasstes Handbuch für die musikalische Aufführungspraxis, in dem die moderne italienische Gesangstechnik und Verzierungskunst anhand von Beispielen und Übungen erläutert werden. Historisch betrachtet steht H. als Musiktheoretiker in einer Reihe mit anderen gelehrten Zeitgenossen wie beispielsweise Michael Praetorius (1571-1621), auf den er sich in seinem Buch auch bezieht. H.s Bedeutung auf diesem Gebiet ist primär in seiner Funktion als Vermittler zu sehen und kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ausgehend von den Erkenntnissen der italienischen Theoretiker wie Caccini (1551-1618) und nicht zuletzt dank seiner sprachlichen Vermittlung öffnete er musikalischen Erneuerungsimpulsen aus Italien den Weg in die deutsche protestantische Kirchenmusik. Dieser Brückenschlag zwischen Italien, insbesondere Venedig, dem musikalischen Innovationszentrum schlechthin, und Deutschland findet sich in seinem kompositorischen Schaffen (z. B. in Form venezianischer Mehrchörigkeit) und ist ebenso bedeutsam in seinen musiktheoretischen und didaktischen Werken. Auf seinen Ffter Wirkungskreis bezogen bedeutet dies: Die Kirchenmusik in Ffm. war damals dank H. von einem innovativen Geist bestimmt und auf der Höhe der Zeit.
H.s Einfluss als Theoretiker und Didaktiker war nicht nur unter Zeitgenossen groß, sondern wirkte nachhaltig. So bezieht sich beispielsweise
Julius Stockhausen, einer der bedeutendsten Gesangspädagogen des 19. Jahrhunderts und Lehrer an Dr. Hoch’s Konservatorium in Ffm., auf H. und zitiert ihn in seinem gesangspädagogischen Vermächtnis „
Julius Stockhausens Gesangs-Methode“ (1884). Lange in ihrer historischen Bedeutung verkannt, gelten die musiktheoretischen Werke H.s mittlerweile als eine wichtige Quelle für die musikalische Aufführungspraxis seiner Zeit.
Wichtige biographische Quellen zu H. (Ratssupplikationen, Dienstbriefe, Schulakten etc.) werden im ISG aufbewahrt. In der UB Ffm. befinden sich die Autographen der Widmungskompositionen von 1623, 1647 und 1650 sowie die Erstausgaben der Schriften „Musica poetica“ (dem Ffter Rat gewidmet, Nürnberg 1643) und „Arte prattica e poetica“ (Ffter Bürgern gewidmet, Ffm. 1653), denen jeweils das 1635 von
Sebastian Furck angefertigte Porträt H.s vorangestellt ist.
Die von H. aufgebaute Notenbibliothek, die von seinen Nachfolgern erweitert und durch eine Notensammlung aus der Peterskirche ergänzt wurde, ist ebenfalls in der UB Ffm. überliefert. Sie gilt als eine der bedeutendsten Sammlungen von Notendrucken des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts in Deutschland.
Anlässlich des 350. Todestags 2016 Ausstellung „Johann Andreas H. (1588-1666) und seine Notenbibliothek – Ein Zeugnis für Musikpraxis und Notendruckkunst“ in der UB Ffm.
Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 318-320,
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