Einziges Kind von Kurt und Mara Eleonora Röhr, geb. Zaneff (1915-2000).
Kurz nach seiner Geburt zog die Familie nach Leipzig, wo sich die Eltern 1947 scheiden ließen. Mit seiner Mutter übersiedelte R. 1955 nach Langen/Hessen und 1956 nach Ffm., wo er 1959 aus der Volksschule entlassen wurde. Von 1959 bis 1962 absolvierte er eine Ausbildung in der Leuchtreklame- und Schilderherstellung in Ffm., die er mit der Gesellenprüfung beendete. Von 1962 bis 1965 besuchte er die Werkkunstschule in Wiesbaden, wo er in der Malereiklasse bei Vincent Weber (1902-1990) und Oskar Kolb (1923-1998) studierte. Nach dem Examen im April 1965 setzte er das Studium für ein Semester als Meisterschüler fort.
Von entscheidender Bedeutung für R. war die Begegnung mit dem engagierten Galeristen und Schriftsteller Adam Seide (1929-2004), der ihn in die Ffter Kunstszene einführte und durch den er die von Rochus Kowallek (* 1926) geleitete „galerie d“ kennenlernte. Die Galerien von Adam Seide (in Ffm.) und Dorothea Loehr (1913-2006; in Ffm. und Oberursel) richteten zu Lebzeiten R.s Ausstellungen mit seinen Werken aus. R. war mit den Ffter Künstlerkollegen
Charlotte Posenenske und Thomas Bayrle (* 1937) befreundet, zu deren Ansichten und Arbeitsweisen einige Parallelen bestanden. Eine enge Freundschaft entwickelte er zu Paul Maenz (* 1939), den er 1964 in Ffm. kennenlernte. Maenz, später einer der wichtigsten deutschen Galeristen, wurde zu R.s Sammler und Förderer.
Ausgangspunkt für R.s kuratorische Tätigkeit waren seine kunsthistorischen Recherchen zu einer „Chronologie der Seriellen Kunst“, mit der er sich seit 1965 beschäftigte. Zusammen mit Maenz organisierte er 1967 zwei wegweisende Ausstellungen, zunächst „Serielle Formationen“ in der Studiogalerie von Siegfried Bartels (* 1930) an der Ffter Universität (22.5. bis 30.6.1967). Trotz kleinem Budget gelang es den Kuratoren R. und Maenz, 62 Arbeiten von 50 Künstlern und Künstlerinnen aus verschiedenen Ländern zu präsentieren, um die Vielfalt serieller Arbeitsweisen hinter der vordergründigen optischen Verwandtschaft deutlich zu machen. Die Ausstellung zeigte als eine der ersten in Deutschland die Kunst des Minimalismus, und zwar auf hohem und internationalem Niveau. Zu den teilnehmenden Künstlern gehörten Carl Andre, Arman, Thomas Bayrle, Christo, Jan Dibbets, Dan Flavin,
Hermann Goepfert, Hans Haacke, Donald Judd, Sol LeWitt, Piero Manzoni, Agnes Martin,
Charlotte Posenenske, Markus Raetz, Dieter Roth, Frank Stella, Günther Uecker, Victor Vasarely, Andy Warhol u. a. R. selbst war mit dem Werk „Schwarze Tafeln“ vertreten.
Während die Ausstellung „Serielle Formationen“ trotz aktueller Arbeiten im Wesentlichen einen retrospektiven Überblick zu vermitteln versuchte, stellte der kurz darauf folgende performative Event „Dies alles Herzchen wird einmal Dir gehören“ in der Galerie von Dorothea Loehr (9.9.1967) die erste öffentliche Manifestation prozesshafter Kunst in Deutschland dar. Die Organisatoren Maenz und R. erklärten ausdrücklich, dass Ziel der Aktion sei, den kommerziellen Kunstbetrieb zu unterlaufen und Kunst „vergänglichen Charakters“ zu präsentieren, die man nicht kaufen könne. Mit der Entwicklung vom „Produkt“ zur „Aktion“ zielte R. auf eine grundsätzliche Kritik der traditionellen Kunst, deren Wirksamkeit oder gesellschaftlichen Wert er zunehmend bezweifelte. Beide Ausstellungen blieben zunächst ohne große Resonanz.
1968 entschied sich R. – wie auch
Charlotte Posenenske –, nicht mehr künstlerisch zu arbeiten, und lehnte weitere Ausstellungen seiner Arbeiten ab. Künstler und Kunsthandel interessierten ihn schon seit längerer Zeit nicht mehr, und die Motive, die in seinen Augen zur „Kulturproduktion“ führten, hielt er für gesellschaftspolitisch unverantwortlich und überflüssig. Mit Paul Maenz eröffnete R. im Januar 1968 im Ffter Holzgraben 9 einen Headshop namens „Pudding Explosion“ (in Anlehnung an das „Pudding-Attentat“), der nach Auskunft seiner beiden Inhaber „Psychodelicatessen mit Hippie-Zubehör“ anbot. Das von
Charlotte Posenenske eingerichtete Geschäft, das als „Kommunikationszentrum der Gegenkultur“ bezeichnet wurde, existierte noch bis Ende 1969.
„Ob das, was ich mache, Kunst ist, weiß ich nicht; andererseits wüßte ich aber auch nicht, was es sonst sein könnte“, notierte R. einmal. (Zit. nach Maenz: Peter Roehr 1988, S. 6.) Und auch die meisten Zeitgenossen wussten es wohl nicht so recht. Mit nur wenigen Einzelausstellungen war R. zu Lebzeiten vertreten, und verdient hat er mit seiner Kunst so wenig, dass er sich seine Materialien mühsam zusammensuchen musste, statt sie kaufen zu können. Eine angemessene Würdigung seiner Kunst hat der früh verstorbene Ffter Künstler selbst nicht erfahren. Die Qualität seiner zeitlosen und damit aktuell gebliebenen Kunst wurde erst spät entdeckt.
R. gilt heute international als einer der ersten und konsequentesten Protagonisten der Minimal Art in Deutschland. In seinem Werk vereinte er in Ffm., fernab des großen Kunstgeschehens, schon früh Elemente der Pop-Art und wurde damit zum Vorreiter der Konzeptkunst der 1970er Jahre. Seiner Zeit weit voraus, schuf R. in nur wenigen Jahren eines der eindrucksvollsten künstlerischen Œuvres von bestechender Reduktion. Von 1962 bis 1967 entstanden über 600 Arbeiten, die der Künstler selbst unter dem Oberbegriff „Montage“ zusammenfasste, womit er schon auf seine Arbeitsweise verwies: die serielle Anordnung industriell hergestellter Elemente gleicher Art.
Im Rückblick wirkt R.s Œuvre wie ein in sich geschlossenes, einziges großes Statement. Konsequent und kompromisslos wie sonst niemand wandte R. das Prinzip der strengen seriellen Reihung an. Serialität als Strategie einzusetzen, war ein zentraler Aspekt seiner theoretischen Überlegungen zur künstlerischen Praxis. Das (damals revolutionäre) Ziel sollte ein Bild sein, das nur für sich steht. Seine Arbeit als Künstler sah R. demgemäß im Montieren von Vorgefundenem: „Ich verwende präfabrizierte Elemente, um meine Beteiligung am Herstellungsprozess zu verringern.“ (Peter Roehr, Mai 1967, zit. nach Maenz: Peter Roehr 1988, S. 10.) Er wollte keine Geschichten erzählen oder Abbildungen hervorbringen, sondern setzte darauf, als Künstler hinter „nicht mehr erfundenen Bildern unkenntlich zu werden“ und damit „mehr reproduktiv als kreativ zu sein“ (ebd.). Sein Ziel war, dem Gestalten entgehen, um ein wirkliches Objekt zu erschaffen, eher Ordnungsgefüge statt Komposition, das auch gar nicht vorgab, etwas anderes zu sein: „Ich verändere Material, indem ich es unverändert organisiere.“ (Peter Roehr, 1964, zit. nach Maenz: Peter Roehr 1988, S. 12.) Maßgebliches Kriterium für die ordnende Montage sollte eine definierte Balance zwischen Einzelstück und Masse sein: Das einzelne Element bleibt deutlich erkennbar und geht dennoch eine Verbindung mit seinem Umfeld ein.
In seiner Studentenzeit arbeitete R. hauptsächlich an seiner Theorie. Seine ersten seriellen Montagen mit „Gegenständen“ ab 1962 bestanden aus einem festen Untergrund, beispielsweise einer Holzplatte, auf die er Reiskörner, Linsen oder Erbsen verteilte und mit weißer Farbe überstrich. Die anfangs eher zufällige Anordnung wurde bald von strenger Systematik abgelöst: Der Künstler arrangierte Pappkügelchen und Besenstiel-Scheiben auf einem Untergrund, umwickelte ein Stück Pappe gleichmäßig mit Kordel oder stempelte geometrische Formen wie Dreiecke oder das Wort „Drucksache“ neben- und untereinander wiederholt auf Karton.
1963 folgten die ersten Typo- und Text-Montagen, mit der Schreib- oder Rechenmaschine getippte Buchstaben, Zahlen oder Interpunktionszeichen, hinter- und untereinander aufgereiht, zunächst auf bis zu mehreren Meter langen Papierstreifen. R. reihte beispielsweise die selbstgewählte oder zufällige Zahl 1 untereinander oder wiederholte sie mittels Fingerdruck auf der Repetiertaste so oft, bis die Papierrolle zu Ende war, und ordnete die Streifen später auf meist quadratischen Felder mittig an. Auch wiederholte er ganze Wörter (so 192-mal „Kunst“ auf einem weißen Blatt Papier) oder Sätze (wie „Die Baupolizei zählt jeden Ziegel nach.“), die teilweise laut gelesen werden sollen. Die Bedeutung löst sich in der Wiederholung auf: Sprache wird Struktur. Da die Herstellung unkompliziert und kostengünstig war, bilden die Typo-Montagen R.s größte Werkgruppe.
Ab 1964 steigerte R. seine Produktion enorm, obwohl sich immer noch kaum jemand für seine Kunst zu interessieren schien und er für seinen Lebensunterhalt nach wie vor – bereits während des Studiums und bis zuletzt – in Ffter Werbeagenturen arbeitete. Zwischen 1964 und 1966 entstanden etwa 130 Foto-Montagen unter serieller Aufreihung von Motiven, wofür er fast ausschließlich Werbebroschüren des Automobilherstellers VW verwendete. R. hatte sich direkt an die Werbeabteilung der Firma gewandt und zu seiner Überraschung tatsächlich 100 Broschüren erhalten. Die Dominanz des Motivs „Auto“ hat daher zwar ganz pragmatische Gründe, liefert aber gleichzeitig, ganz im Sinne R.s, ein ideales Beispiel aus der Werbe- und Konsumwelt in der modernen Industriegesellschaft. Im Jahr 1965 verfertigte R. außerdem erste Film- und Ton-Montagen unter Verwendung von Fragmenten aus Werbefilmen, Wochenschauen, Rundfunksendungen, Zeitansagen und Wetterberichten, die er über einen Kontakt zum Hessischen Rundfunk zusammenstellen konnte.
Noch stärker interessierten R. industriell hergestellte, identische und gefundene Alltagsmaterialen wie Knöpfe, Nägel, Klebetiketten, Streichholzschachteln, Diarahmen, Bierdeckel mit dem Ffter Henninger-Turm, Preisschilder, Pappbuchstaben, Reißzwecken, Glaskugeln, Geldstücke u. ä., die er aus finanziellen oder technischen Gründen für die eigentlichen Objekt-Montagen ungeeignet hielt und daher für Lege-Montagen benutzte. Allein durch die vielfache Wiederholung vorgefertigter Materialien, die ursprünglich zu anderen Zwecken hergestellt wurden, entstanden Bildräume und „Ordnungsfelder“. Als einzige Werkgruppe existieren die Lege-Montagen nicht im Original, sondern wurden ausschließlich zu Reproduktionszwecken hergestellt. Zusammen mit den Foto-Montagen dominierten sie R.s Schaffenszeit zwischen 1964 und 1966.
Schließlich versuchte R. die Übertragung des seriellen Prinzips auf die Präsentation im Raum. Die Installation „Schwarze Tafeln“ von 1966 kann als Höhepunkt und Hauptwerk nach dem Ideal des Künstlers angesehen werden und bildet zugleich den Abschluss seines Schaffens. Sie besteht aus zehn identischen schwarzen Tafeln. Auf einem Träger aus gekantetem Blech im Format von 120 x 120 Zentimetern sind jeweils 35 schwarze, rechteckige Kartontafeln im Querformat (in je fünf waagrechten und sieben senkrechten Reihen) angebracht, bei denen es sich eigentlich um Preisschilder handelt, wie sie in Schaufenstern verwendet wurden. Durch das potenzierte Prinzip der Wiederholung und den Verzicht auf Farbe ist diese Arbeit radikal angelegt und ruht doch ganz bei sich, womit sie dem Raum eine kontemplative Atmosphäre verleiht. Die Installation war zuerst in der Galerie von Adam Seide in der Einzelausstellung „Roehr bei Seide“ zu sehen (17.-29.3.1967) und wurde später vom Städel Museum gezeigt und erworben (2008).
Im Alter von 22 Jahren wurde bei R. 1966 eine unheilbare Erkrankung diagnostiziert. Als sein baldiger Tod feststand, fragte er Paul Maenz, ob dieser sich seiner Arbeiten annehmen würde. Das Nachlassverzeichnis R.s wurde unmittelbar nach seinem Tod 1968 angelegt. Es enthält sämtliche Arbeiten, die sich zum Zeitpunkt seines Todes in R.s Besitz befanden. Unvollendete Werke wurden vernichtet; die wenigen Werke, die er zu Lebzeiten verkauft, getauscht oder verschenkt hatte, sind nicht erfasst. Es ist dem Nachlassverwalter Paul Maenz zu verdanken, dass R.s Werke erhalten blieben und posthum in zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen weltweit zu sehen waren, u. a. auf der documenta 5 und 6 (1972 und 1977). R.s Montagen sind heute im Besitz renommierter Museen und internationaler Privatsammlungen.
In Ffm. waren Werke von R. posthum vielfach in Ausstellungen zu sehen, so in Einzelausstellungen in der Galerie Klaus Lüpke (1973), im Ffter Kunstverein (1977), in der Galerie Meyer-Ellinger (1986, 1988, 1991, 1994), in der Galerie Luis Campaña (1991), im Museum für Moderne Kunst (1991, 2004, 2017) sowie des MMK im Fotografie-Forum (1994) u. a. Das Museum für Moderne Kunst (MMK) und das Städel Museum zeigten in einem Gemeinschaftsprojekt 2009/10 die Ausstellung „Peter Roehr. Werke aus Ffter Sammlungen“ mit rund 100 Arbeiten aus allen Werkgruppen des Ffter Künstlers. Beide Ffter Häuser besitzen durch Erwerb und Schenkungen inzwischen wesentliche Teile des Œuvres von R. Seit 2011 befinden sich das Archiv und der schriftliche Nachlass des Künstlers im MMK in Ffm.; nach Erfassung, Verzeichnung und Digitalisierung ist das „Archiv Peter R.“ inzwischen in einer Onlinepublikation zugänglich.
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