Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
nicht nur in diesen schwierigen Zeiten stellt uns das Leben immer wieder vor die Aufgabe, Gewohntes aufzugeben und neu zu denken. Kreative und manchmal auch radikale Lösungen in solchen Situationen suchen Künstlerinnen und Künstler, und je weiter sie greifen, desto aktueller wird und bleibt ihr Schaffen. Das zeigt sich auch in der Betrachtung von Leben und Werk des Frankfurter Künstlers Peter Roehr, die der diesmalige Artikel des Monats ermöglicht.
Artikel des Monats April 2021:
Meister der minimalistischen Montage
Er stellte den klassischen Kunstbegriff auf den Kopf: Peter Roehr. Der kurz vor seinem 24. Geburtstag 1968 verstorbene Frankfurter Künstler war einer der ersten und konsequentesten Protagonisten der Minimal Art in Deutschland. Er selbst bezeichnete seine Werke als Montagen, in denen er vorgefundene Elemente und Materialien nach dem Prinzip strenger serieller Reihung ordnete: „Ich verändere Material, indem ich es unverändert organisiere“, sagte er einmal. Dadurch wollte er auch seinen Anteil am „Herstellungsprozess“ eines Werkes möglichst gering halten. Sein (damals revolutionäres) Ziel war ein Bild, das nur für sich stehen sollte.
Zugleich ordnete der Peter Roehr sich und seine Kunst in einen größeren Zusammenhang ein. Mit seinem Freund und Förderer Paul Maenz kuratierte er 1967 die wegweisende Ausstellung „Serielle Formationen“ in der Studiogalerie der Frankfurter Universität, die als eine der ersten in Deutschland die Kunst des Minimalismus zeigte, und zwar auf hohem und internationalem Niveau.
Zu Lebzeiten fand der junge Künstler jedoch kaum Anerkennung. Verdient hat Roehr mit seiner Kunst so wenig, dass er sich die Materialien für seine Montagen nicht kaufen konnte, sondern mühsam zusammensuchen musste. Heute genießt seine zeitlose und dadurch aktuell gebliebene Kunst internationalen Rang. Das Museum für Moderne Kunst (MMK) und das Städel Museum in Frankfurt besitzen wesentliche Teile des Œuvres von Peter Roehr. Sein zentrales Werk „Schwarze Tafeln“ von 1966 ist im Städel zu sehen. Im MMK befindet sich das Archiv Peter Roehr, das auch den schriftlichen Nachlass des Künstlers umfasst.
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In dieser Aprillieferung des Frankfurter Personenlexikons wird außerdem mit dem Beitrag über Johann Schäfer die seit einiger Zeit laufende Reihe von Artikeln über frühe Protagonisten der Fotografie in Frankfurt fortgesetzt. In den 1850er Jahren war Schäfer einer der angesehensten Porträtfotografen in der Mainstadt. Zu seinen Stammkunden gehörte auch der Philosoph Arthur Schopenhauer. Als erster Fotograf in Frankfurt nahm Schäfer Stadtansichten auf, etwa vom Mainufer oder der Holzhausen-Öde. Für das Frankfurter Personenlexikon konnten einige neue Details aus seiner Biographie ermittelt werden, u. a. sein Sterbedatum, das bisher unbekannt war.
Neu im Frankfurter Personenlexikon ist auch der kritische Intellektuelle Walter Boehlich, der in den 1950er Jahren ein einflussreicher Literaturkritiker war. Aufgrund von einem Verriss der bei Suhrkamp erschienenen deutschen Übersetzung von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ 1957 wurde er von Peter Suhrkamp in dessen Verlag in Frankfurt geholt. Nach Suhrkamps Tod 1959 zum Cheflektor aufgestiegen, prägte er maßgeblich die „Suhrkamp-Kultur“ mit. 1968 war er am „Aufstand der Lektoren“ bei Suhrkamp beteiligt und stieg in der Folge aus dem Verlag aus. Boehlich wurde zum Mitbegründer des „Verlags der Autoren“ und war ein hervorragender Übersetzer, der mit bedeutenden Auszeichnungen bedacht wurde.
Zwei gebürtige Frankfurter, die andernorts Karriere machten, stellen die Artikel über den Ingenieur-Offizier Felix Stregen von Glauburg und über den Schauspieler Hans Carlé vor. Stregen, der als 15-Jähriger 1797 in die k. k. Ingenieur-Akademie in Wien eingetreten war, war später im Auftrag von Erzherzog Johann von Österreich u. a. an der Planung der Semmeringbahn beteiligt und stieg schließlich (1848) bis zum Feldmarschall-Leutnant und Direktor der Ingenieur-Akademie auf.
Carlé, der aus der jüdischen Familie Grünstein stammte, war seit seinem Debüt in Bad Homburg 1917 ein gut beschäftigter Schauspieler an deutschsprachigen Bühnen, bis er nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 nicht mehr engagiert wurde. Er konnte über Amsterdam nach Palästina emigrieren, während seine Eltern und seine beiden Schwestern von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Hans Carlé, der heute fast vergessen ist, so dass sich bisher noch nicht einmal ein Porträtfoto von ihm entdecken ließ, stand einst zusammen mit Theo Lingen auf der Bühne, wenn auch nicht in Frankfurt.
Lingen, aus zahlreichen Filmen als Komiker populär und dabei oft als Theaterschauspieler unterschätzt, war von 1926 bis 1930 am Neuen Theater in Frankfurt engagiert. Hier begann seine große Karriere: mit der Rolle als Mackie Messer in der Frankfurter Erstaufführung der „Dreigroschenoper“, die ihm den Sprung nach Berlin ermöglichte. Die auch für die städtische Theatergeschichte bedeutende Frankfurter Zeit von Theo Lingen wird in einem für das Frankfurter Personenlexikon grundlegend neu bearbeiteten Artikel dargestellt. Bei der Recherche kam manches Detail wieder zutage, auch erheiternde Nebensächlichkeiten wie etwa die Mitwirkung von Lingen bei den Hausfrauen-Nachmittagen der Frankfurter Gasgesellschaft, bei denen er den Teufel und die Sängerin Marie Wellig-Bertram vom Opernhaus seine Großmutter spielten.
Manchmal steckt auch bei der Arbeit für das Frankfurter Personenlexikon der Teufel im Detail – meist aber für Sie, unsere verehrten Leserinnen und Leser, unsichtbar. Denn wenn Sie von all den Mühen der biographischen Lexikonarbeit nichts merken, haben wir unser Ziel erreicht. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen auch in diesem Monat wieder eine möglichst mühelose und doch spannende Lektüre im Frankfurter Personenlexikon.
Mit besten Grüßen
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Mai 2021.