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Maier, Hans

Hans Maier

Hans Maier
Fotografie (Ausschnitt).

© Jüdisches Museum Frankfurt am Main.
Maier, Hans Max Ernst. Ministerialrat. Dr. jur. Jurist. Sozialpolitiker. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 23.4.1889 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 18.12.1937 Ffm.
Sohn von Hermann Heinrich M. (1855-1926), Direktor der Deutschen Bank, und dessen Ehefrau Cäcilia (auch: Cäcilie) Minna, geb. Scheyer (1867-1922). Älterer Bruder des Rechtsanwalts Max Hermann M.
Besuch des Lessing-Gymnasiums in Ffm. 1907 Abitur. Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie in Freiburg, Berlin, München und Marburg. Im Frühjahr 1914 Promotion in Marburg mit der Dissertation über „Die geistesgeschichtlichen Grundlagen der konstitutionellen Theorie“. Bereits als Student hatte sich M. der liberalen Studentenverbindung „Deutsch-Akademischer Freibund“ und der Süddeutschen Volkspartei angeschlossen. Schon damals engagierte er sich in der Arbeiterbildung. 1909, nach dem Rücktritt des Reichskanzlers von Bülow, hatte er erste öffentliche Wahlreden für die Freisinnige Volkspartei gehalten. Während seines Referendariats lernte M. über die Wanderjugendbewegung Anna Maria Graetz (1890-1937) kennen; sie war Kindergärtnerin und Sozialarbeiterin, ausgebildet bei Ella Schwarz in Ffm. und Alice Salomon in Berlin. M. und sein „Annchen“ heirateten kurz nach Kriegsbeginn im August 1914. Die Kinder Hanna, Heinrich und Margarethe wurden 1915, 1918 und 1921 geboren.
Im Ersten Weltkrieg wegen eines Nierenleidens als kriegsuntauglich erklärt, trat M. 1915 eine – zunächst unbesoldete – Stelle beim Armenamt der Stadt Ffm. an. Unter Stadtrat Hermann Luppe befasste er sich mit der kommunalen Sozialpolitik; er galt im Magistrat als „der kleine Luppe“. 1916 begann er seine Lehrtätigkeit am Frauenseminar für soziale Berufsarbeit. Zwei Jahre später erarbeitete er die Vorlage für die Errichtung des Ffter Wohlfahrtsamts, das Ende 1918 in Funktion trat. Im Herbst des ersten Friedensjahres wurde M. in den Hauptausschuss des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge gewählt und spielte hier in den 1920er Jahren eine wichtige Rolle. Politisch hatte er sich schon während des Krieges von der Monarchie abgewandt und war Republikaner geworden. Zunächst der DDP verbunden, wechselte er nach deren Rechtsruck 1922 zur SPD und schloss sich der Arbeiterwohlfahrt an; er entwickelte sich zu einem ihrer führenden theoretischen Köpfe, Autoren und Dozenten. Inzwischen Leiter des Ffter Wohlfahrtsamts, wechselte M. 1924 nach Dresden, wo er eine leitende Position (zunächst als Oberregierungsrat, dann als Ministerialrat) im Sächsischen Arbeits- und Wohlfahrtsministerium übernahm. Zugleich, noch immer den Ideen der Jugendbewegung verbunden, war er Vorsitzender des Deutschen Jugendherbergswerks im Gau Sachsen.
Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus fand M. sich Anfeindungen, Intrigen und sogar Prozessen ausgesetzt, wobei er das Ansinnen, „freiwillig“ von seinem Amt zurückzutreten, auf Empfehlung der SPD-Fraktion ablehnte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verließ er im März 1933 zermürbt Dresden in Richtung Ffm. und erfuhr am nächsten Tag von seiner zwangsweisen Beurlaubung. Bei einer brutalen Hausdurchsuchung seines Dresdner Heims durch SA-Männer war er glücklicherweise nicht mehr anwesend, so dass er einer Verhaftung entging. Von den Nazis seiner Pension beraubt, lebte M. fast vier Jahre lang beinahe ohne Einkommen, bis er 1937 eine kleine wissenschaftliche Beschäftigung am Reichsarchiv-Abteilung Ffm. übernehmen konnte. In dieser Zeit hielt er noch engen Kontakt zu Persönlichkeiten der AWO und der SPD, so mit Lotte Lemke, Toni Sender, Hedwig Wachenheim und anderen ehemaligen (sozial-)politischen Weggefährten.
Nach mehreren Gerichtsverfahren wurden M. und sein Dresdner Vorgesetzter letztlich vom Vorwurf der Verschwendung öffentlicher Gelder rehabilitiert. Doch als M.s geliebte Frau im August 1937 überraschend starb, geriet er in eine seelische Krise. Ein Aufenthalt bei Freunden in der Schweiz, eine gemeinsame Reise ans Mittelmeer konnten ihn nicht stärken. Kurz vor Weihnachten 1937 nahm M. sich das Leben. In letzten Aufzeichnungen hat er notiert: „Gegen das von grausamen Gesetzen regierte Leben bleibt der Willensfreiheit des Menschen eine einzige Waffe: das Gegenteil vom Leben, die Zerstörung des Lebens selbst, der teure Tod.“ An seinem Grab sprach, argwöhnisch beobachtet (und später deswegen verhört), sein ehemaliger Vorgesetzter und Mentor Hermann Luppe.
Zahlreiche Fachaufsätze und -artikel, vor allem in den „Ffter Wohlfahrtsblättern“ (FWBl) und in der Zeitschrift „Arbeiterwohlfahrt“ (AW), u. a. „Demokratie und Wohlfahrtspflege“ (in: Die Hilfe, 5.2.1921), „Von deutscher Not“ (in: FWBl, Okt. 1921), „Sozialrentnerfürsorge“ (in: FWBl, 10.1.1922), „Gefährdetenfürsorge“ (in: FWBl, Juni 1922), „Öffentliche Fürsorge und Winternot“ (in: FWBl, Nov. 1922), „Karl Flesch’s soziales Vermächtnis“ (als Herausgeber, 1922), „Ruhreinmarsch und soziale Fürsorge“ (in: FWBl, Febr./März 1923), „Chronik der öffentlichen Armen- und Wohlfahrtspflege in Ffm.“ (in: FWBl, April 1923), „Wohlfahrtspflege und Sparpolitik“ (in: FWBl, Okt. 1923 bis März 1924), „Immanuel Kant und die soziale Reform“ (in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 4.5.1924), „Der wohlfahrtspflegerische Gehalt des Entwurfs eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches“ (in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, März 1925), „Brauchen wir noch Fürsorgeerziehung?“ (in: AW 5/1926), „Soziale Lehrstühle an Universitäten“ (in: AW 2/1927), „Ausbildung zu sozialen Berufen“ (in: AW 9/1927), „Wirtschaft und Wohlfahrtspflege“ (in: AW, März 1928), „Altersversorgung“ (in: AW, Febr. 1929), „Gegenwartsfragen des Fürsorgerechts“ (Lehrbuch, 1930), „Sparmöglichkeiten der gemeindlichen Wohlfahrtspflege“ (in: AW, Juni 1931), „Die Wohlfahrtspflege im Notwinter 1931-32“ (in: AW, März 1932), „Fürsorgerechtliche Behandlung der Ausländer“ (in: AW, Aug. 1932) und „Der Pauperismus und seine Überwindung“ (in: AW, März 1933).
Autobiographische Aufzeichnungen (1937; hg. v. Dieter u. Hanna Eckhardt, 2020).
Seit 17.5.2015 Stolperstein für M. vor seiner letzten Wohnung im Fuchshohl 27 in Ginnheim. Ehrengrabstätte auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann XIV Urnenhain 521).
Die drei Kinder aus der Ehe von Hans und Anna M. wurden ins Ausland gerettet und konnten eigene Familien gründen. Zahlreiche Nachfahren leben in den USA.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Hanna Eckhardt.

Lexika: Bibliographie zur Geschichte der Ffter Juden 1781-1945. Hg. v. der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Ffter Juden. Bearb. v. Hans-Otto Schembs mit Verwendung der Vorarbeiten von Ernst Loewy u. Rosel Andernacht. Ffm. 1978.Bibliogr. z. Gesch. d. Ffter Juden, S. 527. | Maier, Hugo (Hg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Freiburg im Breisgau 1998.Who is who der Sozialen Arbeit, S. 379f.
Literatur:
                        
Arnsberg, Paul: Die Geschichte der Ffter Juden seit der Französischen Revolution. Hg. v. Kuratorium für Jüdische Geschichte e. V., Ffm. Bearb. u. vollendet durch Hans-Otto Schembs. 3 Bde. Darmstadt 1983.Arnsberg: Gesch. d. Ffter Juden 1983, Bd. III, S. 290f. | Die jüdischen Schüler und Lehrer am Lessing-Gymnasium 1897-1938. Dokumentation zur Ausstellung der Archiv-AG des Lessing-Gymnasiums Ffm. Begleitdokumentation erstellt von Flavio M. Mazzante. Ffm. 1998.Die jüd. Schüler u. Lehrer am Lessing-Gymnasium 1998, S. 63. | Eckhardt, Dieter/Eckhardt, Hanna: „Hitler hat ihn umgebracht“. Der Sozialpolitiker Hans Maier (1889-1937). Berlin/Leipzig 2020.Eckhardt/Eckhardt: Der Sozialpolitiker Hans Maier 2020. | Eckhardt, Dieter/Eckhardt, Hanna: Ich bin radical bis auf die Knochen. Meta Quarck-Hammerschlag. Eine Biographie (...). [Ffm. 2016.]Eckhardt/Eckhardt: Meta Quarck-Hammerschlag 2016, bes. S. 180f. | Friedländer, Walter: Hans Maier. Sein Leben und Werk. Hg.: Arbeiterwohlfahrt, Hauptausschuss, Bonn. Bonn o. J. [um 1965].Friedländer: Hans Maier [1965]. | Neues Beginnen. Zeitschrift der Arbeiterwohlfahrt. Hg.: Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V., Bonn. 22 Jahrgänge. Bonn 1947-71.Friedländer, Walter: In memoriam Hans Maier. In: Neues Beginnen 1967, H. 4, S. 49-53. | Sozialpolitiker in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1919 bis 1945. Bearb. v. Eckhard Hansen, Christina Kühnemund, Christine Schoenmakers u. Florian Tennstedt. Kassel 2018. (Biographisches Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1871 bis 1945, Bd. 2).Sozialpolitiker in der Weimarer Republik u. im Nationalsozialismus 2018, S. 122f.
Quellen: ISG, Bestand Chroniken mit chronikalischen Schriften aller Art (Zeugenschrifttum wie Annalen, Tagebücher, Erlebnisberichte, Memoiren, Denkschriften), 1034-heute; erschlossen über Archivdatenbank.Luppe, Hermann: Mein Leben. Manuskript (in Kopie). Bd. 1. ISG, Chroniken, S5/307. | ISG, Einwohnermeldekartei („Nullkartei“), ca. 1870-1930.Meldekarte der Eltern in: ISG, Nullkartei. | ISG, Personalakten der Stadtverwaltung (Best. A.11.02), ab ca. 1900.ISG, PA 12.692 u. 73.759. | ISG, Bestand Nachlässe (S1).Nachlass des Bruders Max Hermann Maier: ISG, S1/43. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/4.592. | Korrespondenz d. Verf.Korrespondenz d. Verf. mit den Enkeln Mark Maier und Margaret A. West, beide USA.
Internet: Stolpersteine in Ffm., Internetdokumentation der Initiative Stolpersteine in Ffm. e. V., Ffm. https://www.stolpersteine-frankfurt.de/media/pages/dokumentation/a93c92e68f-1624115959/doku2015_web.pdf
Hinweis: Initiative Stolpersteine Ffm., 13. Dokumentation 2015, S. 31f.
Stolpersteine in Ffm., 7.2.2022.


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Empfohlene Zitierweise: Eckhardt, Hanna: Maier, Hans. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/8460

Stand des Artikels: 16.10.2020
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 07.2015.