Studium an der Universität Sevilla. Eintritt in das Kloster San Isidoro del Campo im heutigen Santiponce bei Sevilla, ein geheimes Zentrum des evangelischen Glaubens, zu dessen führenden Köpfen er bald zählte. Im Sommer 1557, angesichts deutlicher Anzeichen, dass die Aufdeckung der evangelischen Untergrundgemeinde Sevillas durch die Inquisition kurz bevorstand, verließen R. und wahrscheinlich elf weitere Klosterbrüder unter Vorwänden die Abtei und flohen auf getrennten Wegen nach Genf. Am 26.4.1562 wurden in Sevilla er und zwei seiner Weggefährten in Abwesenheit symbolisch verurteilt und ihre Bildnisse öffentlich verbrannt.
Aus Genf, wo er aufgrund der restriktiven Haltung der Obrigkeit offenbar keine Möglichkeiten beim Aufbau einer spanischen Flüchtlingsgemeinde sah, war R. im Lauf des Jahres 1558 nach Ffm. gekommen, um sich hier zunächst der reformierten Gemeinde anzuschließen. Bald, nach dem Ende der katholischen Herrschaft in England durch den Tod der Königin Maria I. im November 1558, entschied er sich jedoch, nach London überzusiedeln; kurz nach der Krönung Elisabeths I. am 15.1.1559 traf er, begleitet von seinen Eltern, Geschwistern, dem Prior und einem Mitbruder seines früheren Klosters, dort ein. R. übernahm die Leitung der spanischen Flüchtlingsgemeinde in London und trug zu deren kirchlicher Verselbstständigung bei (vgl. auch seine Schrift „Confessio Hispanica“, 1559/60, Erstdruck Ffm. 1577, worin er sowohl lutherische wie calvinistische Standpunkte vertritt). An dem eigenen Gotteshaus, das die spanische evangelische Gemeinschaft 1560 vom Bischof von London zugewiesen bekam, versah R. seitdem die Predigerstelle. 1561 heiratete er Anna Leon, verw. le Feure, die Tochter eines niederländischen Flüchtlings aus Nivelles bei Brüssel, der sich im Jahr zuvor in Ffm. niedergelassen hatte.
Vor den spanischen Häschern der Inquisition floh R. 1563 nach Antwerpen und von dort 1564, nachdem ein Kopfgeld für seine Ergreifung ausgesetzt worden war, weiter nach Ffm., wo sein Schwiegervater Abraham Leon ein Handelshaus führte. In den kommenden Jahren wechselte R. häufig den Aufenthaltsort, arbeitete in Ffm., aber auch bei Freunden in Orléans und Bergerac an seiner in London begonnenen Bibelübersetzung ins Spanische weiter, freundete sich mit dem lutherischen Prädikanten
Matthias Ritter d. J. in Ffm. an, verhandelte mit der französisch-reformierten Flüchtlingsgemeinde in Straßburg um eine (letztlich gescheiterte) Anstellung als Prediger, schrieb sich in Basel an der Universität ein und organisierte dort den Druck seiner mittlerweile vollendeten Bibelübersetzung. Das Publikationsprojekt wurde finanziert mithilfe eines in Ffm. eingerichteten Fonds, den der aus Brügge stammende Tuchhändler Augustin Legrand, ein führendes Mitglied der Französisch-reformierten Gemeinde in Ffm., verwaltete. Die „Biblia del oso“ („Bärenbibel“), so genannt nach dem Verlagssignet mit einem Bären auf dem Titel, erschien erstmals 1569 in Basel und gilt als die erste vollständige spanische Bibelübersetzung, die im Druck herauskam; als „Reina-Valera-Ausgabe“ in vielfach revidierten Fassungen (zuletzt 1995) prägte sie das Bild der spanischsprechenden Protestanten von der Heiligen Schrift und ist bis heute in Gebrauch.
Im Juli 1570 kam R. mit Frau und Söhnen nach Ffm. zurück, wo er sich um das Bürgerrecht bemühte, das er schließlich am 14.8.1571 erhielt. Die Familie, der in Ffm. vier weitere Kinder geboren wurden, wohnte zeitweise im Haus Braunfels am Liebfrauenberg, das sich bis 1578 im Besitz Legrands befand. Ihren Lebensunterhalt verdiente R., wie schon in Basel, im Seidenhandwerk und -handel sowie als Buchhändler (mit einem angemieteten Lager im Haus zum Groll in der Mainzer Gasse, 1577); außerdem übersetzte er für den Drucker
Nicolaus Bassée spanische Werke. Nach anfänglichem Zögern des Vorstands der Französisch-reformierten Gemeinde, der zunächst Erkundigungen über R., dessen Moral und Lehre u. a. in Genf und London einholte, wurde R. in diese Gemeinde aufgenommen, in der er auf Französisch und möglicherweise auf Spanisch auch predigte. Als nach der Verkündung des „Ewigen Religionsfriedens“ in Antwerpen 1578 einige Glaubensflüchtlinge aus Ffm. in ihre Heimatstadt zurückkehrten, boten sie R. an, als französischer Prediger der lutherischen Kirche in Antwerpen mitzukommen. Dieser sagte zu, reiste aber zunächst nach London, um das dort seit 1563 gegen ihn schwebende Verfahren (u. a. wegen Häresie) abzuschließen, wofür er das Helvetische Bekenntnis unterschreiben musste. Daraufhin wurde seine Anstellung als lutherischer Prediger vom Rat der Stadt Antwerpen am 6.8.1579 bestätigt. Beim inneren Aufbau der dortigen Gemeinde orientierte sich R. am Ffter Vorbild, u. a. anhand der Ffter Agenda (Gottesdienstordnung) und der Abendmahlsliturgie, die er sich von
Ritter schicken ließ; auch richtete er einen Almostenkasten für die Bedürftigen der Gemeinde ein.
Angesichts der spanischen Belagerung von Antwerpen, noch vor der Kapitulation der Stadt am 17.8.1585, sahen viele Mitglieder der französischsprachigen lutherischen Gemeinde aus religiösen wie wirtschaftlichen Gründen dort keine Zukunft mehr, und sie zogen mit ihren beiden Predigern, R. und Antonius Serrarius (eigentl.: Antoine Serray), nach Ffm., wo sie als Gemeinde zusammenblieben. Angeregt durch eine Predigt von R. gründeten sie am 31.5.1585 die „Niederländische Gemeinde Augsburger Confession“ (NGAC), einen genossenschaftlich organisierten Almosenkasten für lutherische Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden, in den die Mitglieder regelmäßig einzahlten, um aus den Erträgen des gesammelten Kapitals die Armen, Witwen und Waisen aus ihrer Gemeinschaft unterstützen zu können. In ihrem Bemühen, sich auch als eigene Kirchengemeinde zu etablieren, richteten Mitglieder der Niederländischen Gemeinde immer wieder Eingaben an den Rat der Stadt, um öffentlich französische Gottesdienste feiern und R. als ihren Prediger anstellen zu dürfen; ihre Gesuche wurden vom Rat jedoch dilatorisch oder gar nicht beantwortet. Erst im Januar 1592 wurde Antonius Serrarius als französisch-lutherischer Prediger eingesetzt, und die Antwerpener Exilanten bekamen eine eigene Kirche für ihre Gottesdienste zugewiesen, zunächst die Kirche des Hospitals zum Heiligen Geist, dann kurzzeitig die Barfüßerkirche und schließlich seit 1593 die Weißfrauenkirche. Im Frühling desselben Jahres wurde R. dem gesundheitlich angeschlagenen Serrarius als Prediger zur Seite gestellt. Das Amt konnte R. jedoch nur ein knappes Jahr, bis zu seinem Tod am 15.3.1594, ausüben.
Die Schrift „Sanctae Inquisitionis hispanicae artes (...)“, eines der ersten bedeutenden Bücher gegen die Inquisition, erschien unter dem Pseudonym „Reginaldus Gonsalvius Montanus“ 1567 in Heidelberg und wird von der Forschung R., zumindest als Mitverfasser (mit Antonio del Corro), zugeschrieben.
Ölporträt (von unbekannter Hand, um 1585) im Besitz der NGAC, seit 2002 als Dauerleihgabe im HMF. Kupferstich (von Peter Fehr, 1725) nach diesem Porträtgemälde angefertigt für die „Historische Nachricht (...)“, die erste gedruckte Geschichte der NGAC, von Johannes Lehnemann.
Der Sohn
Marcus Cassiodore de R. (1565-1625), der mit einem Stipendium des Ffter Rats in Wittenberg studierte, war von 1596 bis 1625 französisch-lutherischer Prediger und somit Nachfolger des Vaters in Ffm.
Die von R. mitbegründete „Niederländische Gemeinde Augsburger Confession“ (NGAC) besteht bis heute, seit 1998 in der Form einer Stiftung, fort.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 182f.,
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