Jüngstes Kind des Privatlehrers Baruch C. und dessen Ehefrau Hedwig, geb. Louis. Zwei Geschwister. Verheiratet in erster Ehe (von 1913 bis zur Scheidung 1929) mit Regine
Martha C., geb. Salomon (1890-?). Ein Sohn aus dieser Ehe: Hanns Werner C. (1915-?). Verheiratet in zweiter Ehe (seit 1940) mit der gebürtigen Frankfurterin Helene Margaret(h)e (später: Margaret), gen.
Marga, C., geb. Hahn, gesch. Bartmann (1889-?). Die zweite Ehefrau Marga C. war eine Tochter von Ludwig A. Hahn (1858-1946) aus der bekannten Ffter jüdischen Bankiersfamilie und zuvor (von 1912 bis zur Scheidung 1938) mit dem Bankier
Peter Bartmann (1883-1964) verheiratet.
Von 1898 bis 1907 Besuch des Realgymnasiums in Hagen/Westfalen. Von April bis Oktober 1907 „Volontär“ beim Hagener städtischen Hochbauamt. Von 1907 bis 1911 Studium der Architektur an der Großherzoglichen Technischen Hochschule in Darmstadt, abgeschlossen mit der Diplom-Hauptprüfung für das „Hochbau-Fach“ (19.7.1911). Im Herbst 1920 zog C. von Darmstadt nach Ffm., wo er sich als Architekt, anfangs kurzzeitig mit dem Büro „Stich und Cahn“, niederließ. Seinen Betriebssitz als Diplom-Ingenieur und Architekt mit drei Angestellten hatte er zwischen 1925 und 1935 in der Börsenstraße 2-4.
Im August 1935 wurde C. von der nationalsozialistischen Reichskulturkammer die weitere Ausübung seines Berufs als Architekt untersagt und die Berechtigung, den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu tragen, aberkannt. Am 22.10.1935 fand eine Betriebsprüfung für sein Architekturbüro statt, bei der moniert wurde, dass C. zwischen 1925 und 1935 seinen Umsatz und sein Einkommen „nicht in zutreffender Höhe der Besteuerung unterworfen“ habe. Konkret zum Vorwurf wurde ihm gemacht, dass er von Firmen Architektenrabatte erhalten und bei der Steuer nicht angegeben habe, was C. bestritt. Dem Strafbescheid vom 27.11.1937 ist zu entnehmen, dass C. noch am Tag der Betriebsprüfung „in die Schweiz abgereist und nicht wieder zurückgekehrt“ sein soll. Ein „zusätzlicher Strafbescheid“, der am 5.8.1939 erging, betraf die angebliche Nichtversteuerung von Honoraren, die C. für Umbauarbeiten am Landhaus von Opel in der Mörfelder Landstraße 277 (abgerissen in den 1990er Jahren) zwischen 1931 und 1933 erhalten hatte. Vermutlich ist das juristische Vorgehen gegen C. als Versuch der nationalsozialistischen Machthaber zu werten, einen erfolgreichen und gut beschäftigten jüdischen Architekten zu diskreditieren. Mit Beschluss vom 8.11.1939, nur drei Monate nach Erlass des zweiten Strafbescheids, wurden beide Verfahren ohne Angabe von Gründen eingestellt. Wie lange C. sich in der Schweiz aufhielt und wann er nach Großbritannien weiterreiste, lässt sich nicht mehr feststellen; in dem erwähnten Strafbescheid von 1937 wird jedoch bereits London als Wohnort angegeben. In einem Schreiben vom 16.8.1939 von C.s Sekretärin oder Sekretär an den vom Gericht in Ffm. bestellten Anwalt C.s wird sich gegen jede weitere Kontaktaufnahme von deutscher Seite verwahrt und erwähnt, C. „is on a job in the North for the time being“. 1940 wurde C. die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.
Mit einem am 30.5.1941 in London ausgestellten Visum emigrierte das Ehepaar C. in die USA, wo es im August 1941 ankam. In Tucson/Arizona schloss sich C. dem Büro des schweizerisch-amerikanischen Architekten Josias Thomas Joesler (1895-1956) an, der von 1927 bis zu seinem Tod mehr als 400 Gebäude in Tucson errichtete und damit als wichtigster Architekt der Stadt in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts gilt. C. gelang es sehr schnell, in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen. Seit einer Namensänderung 1949 nannte er sich William H. Carr; unter diesem Namen wurde er auch Mitglied des Arizona Chapter of the American Institute of Architects.
Zwischen 1921 und 1935 sind 20 Bauten von C. in Ffm. nachgewiesen: Villen, Einfamilien-, Reihen- und Mehrfamilienhäuser sowie Geschäftsbauten. Mit seinen Wohnbauten bewegte sich C. in der Tradition der Ffter Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts, wofür die heute mit dem Namen ihres Erbauers bezeichnete „Villa Cahn“ in der Frauenlobstraße 1/Ecke Miquelallee (um 1930/31; seit 1993 Gästehaus II der Goethe-Universität) ein repräsentatives Beispiel ist.
C.s wichtigster Beitrag für das „Neue Fft.“ ist das Sendegebäude („Vortragsgebäude“) der Südwestdeutschen Rundfunk AG in der Eschersheimer Landstraße 29-33 (Baubeginn 1929, Inbetriebnahme 15.12.1930; verändert erhalten), das seit 1954 zum Komplex der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst gehört. Der 4.000 Quadratmeter große Bau, der von außen streng funktionalistisch und kubisch wirkte, bot durch seinen inneren trapezförmigen Grundriss völlig neue klangtechnische Lösungen an. Der Hauseingang, ursprünglich durch ein auf fünf Stützen ruhendes Vordach betont, wurde Anfang der 1990er Jahre im Rahmen des Neubaus der Musikhochschule, als es um eine bauliche Verbindung vom Alt- zum Neubau ging, geopfert. Der erhaltene große Sendesaal im Inneren des Gebäudes weist eine Länge von 27 Metern, eine durchschnittliche Breite von 17 Metern und eine Höhe von 10 Metern auf, wobei sich an der Kopfseite die Orgel und darunter schalldichte Regiezellen sowie an der gegenüberliegenden Seite eine Empore befinden. Neben dem Hauptsaal enthielt das Gebäude zwei kleinere Sendesäle mit einer Regiezelle bzw. einem Harmonium für kammermusikalische Aufführungen, diverse Orchesterräume, eine Bibliothek, eine Kantine sowie Räume für weitere technische Einrichtungen. Bei der Ausführung hat man seinerzeit im gesamten Haus auf modernste Technik gesetzt. Um Außengeräusche fernzuhalten, wurden Doppelfenster und Doppeltüren eingebaut, und da während der Aufnahmen weder Fenster noch Türen geöffnet werden durften, wurde eine diffizile Heizungs- und Entlüftungsanlage konstruiert. Im großen Sendesaal selbst sind heute noch wesentliche Teile der originalen Innenausstattung vorhanden. Auffällig sind das große, bunte Ornamentfenster gegenüber dem Saaleingang und die Wandvertäfelung aus Nussbaum im oberen Bereich.
Ein weiterer wichtiger Bau von C. in Ffm. ist das „Haus Malakoff“ in der Liebfrauenstraße 1-3/Ecke Bleidenstraße (1927-28; leicht beschädigt im Zweiten Weltkrieg, wiederaufgebaut durch den Architekten Georg Scotti 1948), das den abgerissenen Vorgängerbau von
Heinrich Burnitz (1855-58) ersetzte. Die Fassade des Neubaus war mit holländischen Klinkern verkleidet und war damit dem Backsteinexpressionismus der 1920er Jahre verhaftet. Das fünfgeschossige Geschäftshaus war zunächst Sitz des Herrenausstatters Ernst Nobel, dessen Firmenschriftzug ursprünglich prominent an dem Haus angebracht war; seit der Nachkriegszeit ist es unter dem Namen des dort ansässigen Schuhgeschäfts als „Onkel-Jordan-Haus“ bekannt. Andere Werke von C. in Ffm., in denen er die Formensprache der Neuen Sachlichkeit umsetzte, waren Umbau und Innenausstattung des Kaufhauses Gustav Carsch & Co. für Herren- und Knabenkonfektion auf der Zeil 121/Ecke Liebfrauenstraße (1927/28; nicht erhalten) und das weitgehend im Originalzustand befindliche Internat der Flersheim- und Sichel-Stiftung in der Ebersheimstraße 5 am Dornbusch (1929; heute Privathaus).
Das erste Projekt C.s in Arizona war das 1946 südlich von Tucson errichtete Siedlungsgebiet „Campo Bello Subdivision“ mit großflächigen Wohnhäusern im traditionellen Hacienda-Stil, das stilistisch stark von dem Einfluss Joeslers geprägt ist. Fast als Rückgriff auf die Neue Sachlichkeit und seine Ffter Zeit lässt sich hingegen das „Country Club Plaza Lush Shopping Center“ (1946; abgerissen 2014) in der Innenstadt von Tucson interpretieren. Eine eindeutige Reminiszenz an das Sendegebäude der Südwestdeutschen Rundfunk AG in Ffm. stellt das 1948 erbaute und noch bestehende „Tucson Musicians Building“ dar: Beide Gebäude weisen einen nahezu identisch gestuften Grundriss auf. Zwar errichtete C. in Tucson auch einige großzügige Ranch Houses für wohlhabende private Auftraggeber, aber er konzentrierte sich vorwiegend auf öffentliche Gebäude wie Einkaufszentren, Schulen, Bibliotheken, Kirchen, Tankstellen, Arztpraxen und Bankgebäude. Grundlage seines Erfolgs in Amerika war die Anpassung an den geografischen, lokalen und kulturellen Kontext unter Berücksichtigung der für ihn neuen architektonischen Parameter, ohne die eigene stilistische Identität zu verleugnen.
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