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Lauinger, Wolfgang

Wurde 1941 als „Swing Kid“ und 1950 als Homosexueller kriminalisiert.

Wolfgang Lauinger

Wolfgang Lauinger
Fotografie (um 1948/49; im Nachlass Wolfgang Lauinger als Dauerleihgabe im Jüdischen Museum Frankfurt).

© Dr. Bettina Leder, Berlin.
Lauinger, Wolfgang Leopold. Metallarbeiter. Hausverwalter. Chauffeur. * 5.9.1918 Zürich, † 20.12.2017 Ffm., begraben in Balduinstein-Hausen.
Jüngster Sohn des Journalisten Artur L. und dessen erster Ehefrau Mathilde, geb. Hepp (1889-1974). Der Vater, Wirtschaftsredakteur mit dem Spezialgebiet Versicherungswesen bei der Ffter Zeitung, entstammte einer jüdischen Hopfenhändlerfamilie aus Augsburg. Die Mutter, Pianistin und Sängerin, war christlichen Glaubens und kam aus (Wiesbaden-)Biebrich/Rhein. Die Ehe der Eltern wurde am 8.4.1924 geschieden. Artur L. heiratete in zweiter Ehe 1928 Emilie Moos und in dritter Ehe 1954 die verwitwete Elisabeth (eigentl.: Ellen) von Kayser, geb. Abramova (1901-?). Ein älterer Bruder: Herbert L. (1913-1981), der 1937 nach Argentinien emigrierte und dort zeitweise Direktor des Versicherungskonzerns „El Fenix Compañia de Seguros y Reaseguros“ war.
L. wuchs mit seinem älteren Bruder bei den Eltern in der Sophienstraße 18 in Ffm.-Bockenheim heran. Nach der Scheidung von Artur und Mathilde L. 1924 wohnte die Mutter möbliert in der Bockenheimer Landstraße. Die Söhne, die beim Vater blieben, wurden ab dieser Zeit von wechselnden Kindermädchen erzogen, bis Herbert auf ein Internat in Hochwaldhausen/Vogelsberg kam und nur noch gelegentlich zu Hause war. Die jüdische Religion spielte im Familienleben keine Rolle; stattdessen wurden die christlichen Feste gefeiert.
L. war ein „anarchistisches“ Kind, das Ungerechtigkeit und Bevormundung nur schwer ertragen konnte. Als Zweitgeborener sollte er zunächst jüdisch erzogen werden, nachdem der ältere Bruder evangelisch getauft worden war, doch kam es nicht dazu. Als der Vater 1928 erneut heiratete, zog die Familie in die Rheinstraße 23 im südlichen Westend um. L. ging in die Volksschule in Bockenheim, dann auf das Goethe-Gymnasium, doch war er ein schlechter Schüler, so dass der Vater ihn auf die Wöhlerschule, damals ein Realgymnasium, wechseln ließ. Ab 1935 besuchte L. das Hassel’sche Privatinstitut im Oeder Weg 56. In seiner Freizeit widmete sich L. mit Begeisterung dem Wasser- und Segelsport. Sein bester Freund in diesen Jahren war Franz Bamberger, ein Sohn von Heinrich Bamberger (1877-1934) und dessen Ehefrau Elisabeth (1898-?), die das Bekleidungsgeschäft „Bamberger & Hertz“ auf der Zeil 112/114 besaßen. Im Elternhaus Bambergers kam L. erstmals mit jüdischen Traditionen in Berührung.
Die Beziehung zwischen L. und seinem Vater war schon in frühen Jahren nicht sehr eng. Artur L. wurde 1933 bald nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten erstmals verhaftet und im Ffter Polizeigefängnis kurzzeitig in „Schutzhaft“ genommen. L.s älterer Bruder Herbert machte zunächst eine Lehre bei der Deutschen Bank, doch wurde sein Lehrverhältnis 1934 vorzeitig beendet, weil er als „Halbjude“ galt. Er versuchte daraufhin, in die Schweiz zu emigrieren, und wanderte 1937 schließlich nach Südamerika aus. Freunde des Vaters und deren Familien verschwanden nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten von einem Tag auf den anderen, und L.s bester Freund Franz Bamberger wurde von seinen Eltern zum weiteren Schulbesuch nach England geschickt. Gleichwohl hat L. nach eigenen Angaben die Veränderungen in Deutschland nach 1933 kaum bemerkt. Im Rückblick sagte er 2015: „Tatsächlich hat sich in meinem Leben so gut wie nichts verändert. Ich habe die Fahnen wahrgenommen, die Hakenkreuze, die äußeren Symbole. Radio hörte ich nicht. In der Zeitung sah ich natürlich diese Artikel, später die Verordnungen über gewisse Einschränkungen.“ Aber: „Unser Leben zwischen 1933 und 1938 blieb eigentlich unberührt von den Veränderungen. Großveranstaltungen sind wir aus dem Weg gegangen.“
Um 1938 zog Artur L. mit seiner zweiten Frau und seinem Sohn Wolfgang in eine kleinere Wohnung in der Niedenau 56 im Westend um. Der Vater war am 30.6.1937 bei der Ffter Zeitung, für die er knapp 30 Jahre lang gearbeitet hatte, entlassen worden. Um diese Zeit verschaffte Artur L. seinem jüngeren Sohn eine Lehrstelle als Feinmechaniker. Am Familienleben nahm L. kaum noch teil; abends war er selten zu Hause, sondern traf sich mit seinen Freunden. Viele von ihnen hatten dem mittlerweile verbotenen Nerother Wandervogel angehört, der als reiner Jungenbund 1921 gegründet worden war. Nun traf man sich heimlich, sang Lieder und plante Fahrten. Vorrangiger Treffpunkt war die Körnerwiese, eine Grünanlage im Westend; man ging aber auch gelegentlich in die spanische Weinstube „Alegria“, Schnurgasse 7, in der Altstadt.
Artur L. wurde im Sommer 1938 von der Gestapo vernommen. Er und die verwitwete Elisabeth von Kayser wurden der „Rassenschande“ bezichtigt, nachdem Kaysers Mann 1937 gestorben war, sie daraufhin aber den freundschaftlichen Kontakt mit den L.s nicht abgebrochen hatte. Um diese Zeit wurde auch die Privatbibliothek Artur L.s von SA-Männern nach verbotener Literatur durchsucht und geplündert. Am Morgen des 10.11.1938 wurde Artur L. im Zuge des Novemberpogroms verhaftet, misshandelt und anschließend im Konzentrationslager Buchenwald interniert. Nach fünf Wochen kehrte er stark abgemagert und verstört nach Ffm. zurück. Artur L. und seine zweite Frau Emilie emigrierten im Juli 1939 nach London. L., der zuvor gemustert worden war und nach den Vorstellungen des Vaters seine „staatsbürgerliche Pflicht“ erfüllen und in der Wehrmacht dienen sollte, blieb in Deutschland zurück und wohnte zunächst bei Elisabeth von Kayser in der Nesenstraße 9, bis sie nach mehreren Verhören unter Misshandlung durch die Gestapo im August 1939 ebenfalls nach England flüchtete.
L. wurde am 1.1.1940 zur Wehrmacht eingezogen und in Wetzlar zum Funker ausgebildet. Doch erhielt er zum 27.5.1940 den Bescheid, dass er als „Mischling ersten Grades“ in der Wehrmacht nicht mehr tragbar sei, und wurde entlassen. L. zog vorübergehend zu einem Freund nach Dornholzhausen und bemühte sich von hier aus um eine neue Arbeitsstelle. Seine abgebrochene Lehre konnte er nicht wieder aufnehmen, weil sein alter Meister in der Zwischenzeit gestorben war. L. wurde schließlich von Josef Steingass (1915-1972) eingestellt, den er bereits aus seiner Ffter Zeit in der Rheinstraße kannte. Steingass hatte einst dem Nerother Wandervogel angehört und war um 1935 wegen eines Verstoßes gegen den Paragraphen 175 RStGB, der männliche Homosexualität mit Strafe belegte, im Berliner KZ Columbia-Haus inhaftiert gewesen. Er leitete nun einen Betrieb in Neu-Isenburg, in dem Kugellagerkränze hergestellt wurden und der deshalb als kriegswichtig eingestuft worden war. L. und Steingass verband Anfang der 1940er Jahre nicht nur ein Arbeitsverhältnis, sondern auch eine Liebesbeziehung, die sie jedoch vor der Außenwelt geheim hielten. L. wohnte bei Steingass in der Neuen Mainzer Straße 24 in Ffm. Ihre Freizeit verbrachten die beiden Freunde auf L.s Segelboot auf dem Main, beim Wandern und Skilaufen im Taunus, und um den Jahreswechsel 1940/41 machten sie gemeinsam Urlaub im österreichischen Galtür unweit der Schweizer Grenze.
Um 1940 gehörte L. dem „Harlem-Club“ an, einem losen Zusammenschluss von etwa 30 jungen Männern und Frauen, dessen zentraler Treffpunkt das „Café Goetheplatz“, Goetheplatz 18, war. Der Besitzer des Cafés, Wilhelm Ahl, hatte ihnen erlaubt, ihre Schallplatten mitzubringen und im Lokal aufzulegen. Es war vor allem Swingmusik, von den Nazis als „artfremd“, „zersetzend“ und „fremdrassig“ gestempelt, die die jungen Leute verband. Mit der Musik kamen angloamerikanische „Einflüsse“ in das Leben der jungen Leute. Die Männer trugen die Haare länger als im „Dritten Reich“ üblich, lange Mäntel, Hornbrillen und weiße Schals. Die Frauen schminkten sich, rauchten Zigaretten und trugen kniefreie Röcke. In den Augen der Gestapo machten die jungen Leute den Eindruck „gelangweilter Müßiggänger“. In Wirklichkeit waren sie „mehr oder weniger unpolitisch“; nach L. waren er und seine Freunde „keine bewussten Gegner [des NS-Regimes] oder gar Widerstandskämpfer; wir waren einfach jung, wollten unser Leben leben. (…) Wir tanzten buchstäblich aus der Reihe.“
Zum „Harlem-Club“ gehörten auch Carlo Gramlich, Herbert Simon, Helmut Trautmann, Heinz Gaulke (1921-2004), Franz Kremer (1925-2005) und Annie Scheider. Ende 1941 bekamen mehrere aus dem Club, unter ihnen L., eine Vorladung zur Gestapo. Die Vorwürfe lauteten auf „Hören von Feindsendern“ und „anglophile Tendenzen“. Während einzelne der jungen Leute bereits am Tag nach den Verhören in der Lindenstraße 27 freigelassen wurden, wurde L. in das Polizeigefängnis in der Klapperfeldstraße eingeliefert und von dort aus mehrfach von der Gestapo vernommen. Er war als „tonangebend“ im Kreis der jungen Leute eingestuft worden. In längerer Haft war auch der 16-jährige Metzgerlehrling Franz Kremer, dem „Verwahrlosung“ und „Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftsordnung“ vorgeworfen wurden, weil er Wurstpakete mit seinen Freunden geteilt hatte. Er wurde bei den Verhören beschimpft, geschlagen und getreten. Die Gestapo versuchte auch, ihm ein Geständnis „homosexueller Ausschweifungen“ mit L. abzupressen, was ihr jedoch nicht gelang.
Am 6.3.1942 wurde L. schließlich wegen des Besitzes von einem Stück Leder und wegen Glücksspiels zu drei Monaten Haft verurteilt. Die Strafe saß er bis Juni 1942 im Gefängnis in Preungesheim ab. Nach seiner Entlassung verließ L. Ffm. und fuhr zu seiner Mutter nach Baden-Baden, deren neuer Lebensgefährte ihm Arbeit in einer Schraubenfabrik in Pforzheim vermittelte. Im November 1944 wurde L. zum „Westeinsatz“ im Elsass befohlen, doch gelang es ihm, von dort vorzeitig nach Pforzheim zurückzukehren. Wenige Monate später, im Februar 1945, sollte er sich im Raum Zittau zum Bau von Schützengräben melden. Sein Arbeitgeber schickte ihn stattdessen auf eine „Dienstreise“ ins Allgäu.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Einmarsch französischer Truppen erlebte L. wenig später in Pforzheim. Zusammen mit einem Freund zog er nun eine „Schwarzmarktfirma“ auf und handelte mit Uhren und Schmuck gegen Kartoffeln und Brot. Zeitweise arbeitete er für eine amerikanische Militäreinheit und gründete anschließend zusammen mit Carlo Gramlich einen Fell- und Häutehandel. Seit seiner Verurteilung im März 1942 galt L. als Krimineller, und er sah sich auch selbst so. Nach eigenen Angaben war er zu jener Zeit voller Verachtung gegen Gesetze und Verordnungen und wollte keine Staatsgewalt mehr anerkennen.
Die Lebensumstände L.s änderten sich sukzessive, nachdem sein Vater zusammen mit Elisabeth von Kayser am 1.10.1946 aus England nach Ffm. zurückgekehrt war. Artur L. bemühte sich, seinen Sohn vom Schwarzmarkt wegzuholen und ihm eine Anstellung zu verschaffen. 1947 fand L. Arbeit bei der amerikanischen Rhein-Main Air Base am Ffter Flughafen. Er begann hier als Küchenhilfe, dann wurde er Hausverwalter der US-amerikanischen Militärsiedlung Gateway Gardens. Nachdem er in die Villenkolonie Buchschlag versetzt worden war, wurde er für die Einstellung von Mitarbeitern im Reinigungsdienst verantwortlich. In dieser Zeit wohnte er selbst in einer der Buchschlager Villen und führte nach eigenen Angaben ein „fürstliches Leben“, bis er eines Tages im Spätsommer 1950 unvermittelt von der amerikanischen Militärpolizei abgeholt wurde: Er werde am Flughafen gebraucht.
Stattdessen wurde L. der deutschen Polizei übergeben und in das Untersuchungsgefängnis in der Ffter Hammelsgasse gebracht. Otto Blankenstein, ein jugendlicher „Stricher“, den L. seit einiger Zeit kannte, war ein paar Wochen zuvor, am 16.7.1950, verhaftet worden. In den polizeilichen Vernehmungen gestand Blankenstein über 200 homosexuelle Kontakte mit etwa 70 Freiern, und er ermöglichte dadurch mehrere Verhaftungswellen der Polizei. 1950 und 1951 liefen in Ffm. etwa 240 Ermittlungen gegen 280 Personen, die der Homosexualität bezichtigt wurden. Bis Anfang 1951 gab es ca. 100 Verhaftungen und 75 Anklagen, insgesamt sollen über 700 Männer vernommen worden sein. In homosexuellen Kreisen löste die Verfolgungswelle einen Schock aus, der von Furcht, Entsetzen und Panik begleitet war, und die „Ffter Homosexuellenprozesse“ gelten als „früher Höhepunkt der antihomosexuellen Repression“ in der Bundesrepublik Deutschland (Marcus Velke).
L. saß ohne Anklageschrift etwa sechs Monate in Haft, vermutlich da die ermittelnden Behörden auch von seiner Verhaftung 1941 wussten. Anders als Josef Steingass, der sich von Erich Schmidt-Leichner (1910-1983) vertreten ließ und nach ein paar Tagen der Untersuchungshaft wieder auf freien Fuß kam, hatte L. aus finanziellen Gründen nur einen Pflichtverteidiger. Als er seinen Vater um Hilfe bat, ließ dieser lediglich ausrichten, L. habe sich „die Suppe“ selbst eingebrockt und solle sie nun auch „allein auslöffeln“. Artur L. hatte sich bereits 1948 von seinem jüngeren Sohn losgesagt, als er sein Testament aufsetzte. Um 1950 gab er in einem parallel zu den „Ffter Homosexuellenprozessen“ verlaufenden Verfahren sogar eine strafbare Beziehung L.s zu Josef Steingass zu Protokoll. In der Sache ging es um Möbel, die Artur L. bei seiner Emigration 1939 in Deutschland zurückgelassen und die L. zusammen mit Steingass veräußert hatte, als die Spedition um 1940 bei L. Lagergebühren in Höhe von 2.000 Mark einforderte. Artur L. bezichtigte Steingass nach 1945 als „Arisierungsgewinnler“, der L.s Jugend und Unerfahrenheit ausgenutzt habe. L. selbst sei ein missratener Sohn, der in der Nazizeit „ein Leben vergoldet und verschleudert“ habe, „um sein Glück leben zu können“.
L. bestritt bei den Vernehmungen alle von den Behörden gegen ihn gerichteten Beschuldigungen und sandte in seiner Not auch ein Bittgesuch an den Bundespräsidenten Theodor Heuss, der jedoch keine rechtlichen Möglichkeiten sah, um eine Überprüfung der Untersuchungshaft vorzunehmen. Erst im Zuge der zunehmend kritischen Presseberichterstattung über die Prozessserie kam es zu einer Wende: Ende 1950 wurden Amtsgerichtsrat Kurt Ronimi (1909-1958) zum Landgerichtsdirektor „wegbefördert“ und seine berüchtigte „Sonderkammer“ aufgelöst. Die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des „Kronzeugen“ Blankenstein wurden immer lauter. Als es im Februar 1951 zur Verhandlung gegen L. kam, gelang es ihm, durch die Wand seiner Einzelzelle Kontakt mit Blankenstein aufzunehmen und ihn zu bitten, im Gerichtssaal die Wahrheit zu sagen. Bei der anschließenden Zeugenbefragung verweigerte Blankenstein die Aussage, woraufhin L. freigesprochen wurde.
Ab etwa 1953 arbeitete L. noch einmal eine Zeitlang für Josef Steingass, bevor sich die Freunde um 1955 endgültig trennten. Nach kurzer Arbeitslosigkeit reagierte L. auf eine Zeitungsanzeige von Ernst Weinig, der 1947 ein Taxiunternehmen in Ffm. gegründet hatte. Weinig verfügte inzwischen über einen Mietwagenpark von 700 Fahrzeugen und bot mit seiner Firma „Metro Verkehrs GmbH“ amerikanischen Touristen einen umfassenden Chauffeurdienst für Deutschland- und Europareisen an. Er stellte L. ein, und dieser reiste mit Weinigs Kunden jetzt kreuz und quer durch Europa oder überführte Fahrzeuge. In diesem Zusammenhang benötigte L. einen Dauerpassierschein für den militärischen Teil des Ffter Flughafens, und so erfuhr er, dass 1950 sogar ein Flughafenverbot über ihn verhängt worden war. Nachdem dieses Verbot aufgehoben worden war, wurde 1961 auch die Verurteilung L.s vom 6.3.1942 aus dem Strafregister gelöscht. Als Ernst Weinig sein Unternehmen 1965 an die Firma „Avis“ verkaufte, wurde L. als Mitarbeiter übernommen, und er blieb bis weit über den Beginn des Rentenalters hinaus in seinem Beruf als Chauffeur tätig.
In den 1970er Jahren gehörte L. zu den Gründern der Jugendburg Balduinstein an der Lahn, die er, auch unter Aufbringung persönlicher Mittel, mitaufbaute. Von 1974 bis 1998 war er Geschäftsführer des Freien Bildungswerks Balduinstein. Ab dieser Zeit war es ihm ein großes Anliegen, vor allem mit jungen Menschen über die NS-Zeit zu sprechen. Er besuchte Schulen, setzte sich in Gesprächen mit Schülern und Schülerinnen für Demokratie und Toleranz ein und erzählte in zahlreichen Veranstaltungen, vor allem in Hessen und Rheinland-Pfalz, von seinen Erfahrungen. 2012 zog L. von Balduinstein, wo er lange seinen Wohnsitz hatte, nach Ffm. zurück. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in einem jüdischen Altersheim. Überregional bekannt wurde L. ab 2015 durch das Buch „Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland“ der Ffter Journalistin Bettina Leder (* 1954). Dem „Archiv der anderen Erinnerungen“ der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin, das „das Leben und die gesellschaftliche Situation homosexueller Männer und Frauen, die in Deutschland gelebt haben und leben“, erforschen und dokumentieren soll, gab L. am 18.4.2015 ein vierstündiges Video-Interview. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland Anfang 2017 ein Gesetz zur Entschädigung von Menschen verabschiedet hatte, die nach dem 1994 gestrichenen Paragraphen 175 StGB verfolgt worden waren, stellte L. einen Antrag auf Entschädigung für die 1950/51 von ihm erlittene Haftzeit. Doch wurde sein Antrag im Herbst 2017 abgewiesen, da L. seinerzeit freigesprochen worden war. Bundesjustizminister Heiko Maas zeigte sich daraufhin „betroffen“, dass das Gesetz in L.s Fall nicht angewandt werden könne, und kündigte an, sich mit L. in Verbindung zu setzen. Offensichtlich kam es dazu nicht mehr. L. starb Ende 2017 im Alter von 99 Jahren, ohne für seine Untersuchungshaft in der frühen Nachkriegszeit entschädigt und rehabilitiert worden zu sein.
1993 Johanna-Kirchner-Medaille der Stadt Ffm. 2005 Ernennung zum Ehrenbürger seiner langjährigen Heimatgemeinde Balduinstein. 2008 Bundesverdienstkreuz am Bande.
Bettina Leder übergab das Familienarchiv L.s mit Dokumenten zur Familien- und zu L.s Verfolgungsgeschichte, Fotografien, Zeitungsausschnitten und Reden 2021 als Dauerleihgabe an das Jüdische Museum Ffm.
Zum 100. Geburtstag 2018 Gedenkveranstaltung „Wir feiern und erinnern uns an Wolfgang Lauinger“ im Gallus Theater in Ffm.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Raimund Wolfert.

Literatur:
                        
Institut für Stadtgeschichte (Hg.): Ffm., Lindenstraße. Gestapozentrale und Widerstand. Bearb. v. Lutz Becht. Ffm./New York 1996.Institut für Stadtgeschichte (Hg.): Ffm., Lindenstraße 1996, S. 143-196. | Leder, Bettina: Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland. Mit einem Vorwort v. Volker Beck. Berlin 2015. (Jüdische Memoiren 26).Leder: Lauingers 2015. | Leder, Bettina/Schneider, Christoph/Stengel, Katharina: Ausgeplündert und verwaltet. Geschichten vom legalisierten Raub an Juden in Hessen. Berlin 2018. (Schriftenreihe des Fritz-Bauer-Institut 36).Über Artur Lauinger: Leder/Schneider/Stengel: Ausgeplündert und verwaltet 2018, S. 276-280. | Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Bisher 64 Hefte. Berlin 1983-2020.Speier, Daniel: Die Ffter Homosexuellenprozesse zu Beginn der Ära Adenauer – eine chronologische Darstellung. In: Mitt. d. Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, H. 61/62 (2018), S. 47-72. | Plötz, Kirsten/Velke, Marcus: Aufarbeitung von Verfolgung und Repression lesbischer und schwuler Lebensweisen in Hessen 1945-1985. Bericht im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration zum Projekt „Aufarbeitung der Schicksale der Opfer des ehemaligen § 175 StGB in Hessen im Zeitraum 1945 bis 1985“. Hg.: Verein der Freundinnen und Freunde des Schwulen Museums in Berlin e. V. Berlin/Wiesbaden 2018 (https://soziales.hessen.de/sites/default/files/media/hsm/forschungsbericht_aufarbeitung_verfolgung.pdf, abgerufen am 1.3.2021).Velke, Marcus: Verfolgung und Diskriminierung – Männliche Homosexualität. In: Plötz/Velke: Aufarbeitung von Verfolgung u. Repression lesbischer u. schwuler Lebensweisen in Hessen 2018, S. 192. | Schulz, Nina: Spiel auf Zeit. NS-Verfolgte und ihre Kämpfe um Anerkennung und Entschädigung. Berlin/Hamburg [Copyright 2016].Schulz: Spiel auf Zeit 2016, S. 310-327. | Wenzel, Mirjam/Kößling, Sabine/Backhaus, Fritz (Hg.): Jüdisches Fft. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Katalog zur Dauerausstellung des Jüdischen Museums Fft. München 2020.Wenzel/Kößling/Backhaus (Hg.): Jüd. Fft. 2020, S. 125. | Zeitschrift für Sexualforschung. Organ der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Ffm. 1950. Bisher 33 Jahrgänge. Stuttgart 1988-2020.Schiefelbein, Dieter: Wiederbeginn der juristischen Verfolgung homosexueller Männer in der Bundesrepublik Deutschland. Die Homosexuellen-Prozesse in Ffm. 1950/51. In: Zs. f. Sexualforschung 5 (1992), Nr. 1, S. 59-73.
Quellen: Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Bebenburg, Pitt von: Wer den Swing hat, kann nicht strammstehen. In: FR, 7.8.2020, S. 18 (https://www.fr.de/zukunft/storys/75-lektionen-mut/wolfgang-lauinger-nazis-verfolgt-jude-swing-kid-schwul-90019311.html, abgerufen am 31.1.2022). | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/15.465.
Internet: Website der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH), Berlin. https://mh-stiftung.de/projekte/interviews/
Hinweis: Archiv der anderen Erinnerungen, Übersicht der Interviews, Eintrag zum Interview mit Wolfgang Lauinger am 18.4.2015.
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, 31.1.2022.
| BuzzFeed.de, Entertainment- und Newsportal im IPPEN.MEDIA-Netzwerk, hg. v. ID Metropolen News GmbH, Hamm/Ippen Digital GmbH & Co. KG, München. https://www.buzzfeed.de/recherchen/er-wurde-als-homosexueller-verfolgt-und-eingesperrt-bis-heute-bekommt-er-dafuer-keine-entschaedigung-90134703.html
Hinweis: Artikel von Juliane Löffler: Er wurde als Homosexueller verfolgt und eingesperrt. Bis heute bekommt er dafür keine Entschädigung, 2.12.2017.
BuzzFeed, 2.2.2022.
| Internetseiten des Jüdischen Museums der Stadt Ffm. https://www.juedischesmuseum.de/blog/wolfgang-lauinger/
Hinweis: Blogbeitrag von Franziska Krah: Das Lauinger Archiv. Ein eindrucksvoller Zuwachs unserer Familiensammlung, 16.7.2021.
JMF, 31.1.2022.
| Queer.de, Portal der Queer Communications GmbH (queercom), Köln. https://www.queer.de/detail.php?article_id=30277 - https://www.queer.de/detail.php?article_id=30326 - https://www.queer.de/detail.php?article_id=30339 -
Hinweis: Artikel: cw: Paragraf 175. Keine Entschädigung für Untersuchungshaft, 13.12.2017; dk: Opfer des Paragrafen 175. Wolfgang Lauinger ist tot, 20.12.2017; Daniel Baranowski: Nachruf. Wolfgang Lauinger, 1918-2017, 22.12.2017.
Queer.de, 31.1.2022.
| Queer History Month (QHM), Web-Seite mit Bildungsangeboten zu queerer Geschichte und Gegenwart, hg. v. Archiv der Jugendkulturen e. V., Berlin. https://queerhistory.de/2019/06/04/wolfgang-lauinger-nach-45-hab-ich-erleben-muessen-dass-sich-weder-die-gefaengniszellen-noch-die-richter-in-der-jungen-bundesrepublik-geaendert-haetten/
Hinweis: Biographischer Artikel über Wolfgang Lauinger (mit dem Zitat von ihm als Titel: „Nach ’45 hab ich erleben müssen, dass sich weder die Gefängniszellen, noch die Richter in der jungen Bundesrepublik geändert hätten“) mit einem über halbstündigen Ausschnitt aus dem Video-Interview mit Lauinger für das „Archiv der anderen Erinnerungen“ (2015).
Queer History Month, 31.1.2022.
| Rheinland-Pfälzische Personendatenbank (RPPD), eine regionale Dokumentation zu Personen aus dem Bundesland Rheinland-Pfalz und seinen historischen Vorläufern, redaktionell betreut von der Rheinischen Landesbibliothek, erarbeitet von Mitarbeitern der Stadtbibliotheken Mainz und Trier sowie des Landesbibliothekszentrums an den Standorten Speyer und Koblenz. http://www.rppd-rlp.de/pk00687Rheinland-Pfälzische Personendatenbank, 31.1.2022. | Siegessäule, We Are Queer Berlin, Onlinemagazin des Special Media Verlags, Berlin. https://www.siegessaeule.de/news/3690-sein-fall-soll-sich-nicht-wiederholen-biss-zum-tode-von-wolfgang-lauinger/
Hinweis: Nachruf auf Wolfgang Lauinger von Sigmar Fischer, 22.12.2017.
Siegessäule, 31.1.2022.
| Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_LauingerWikipedia, 28.1.2022.

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Empfohlene Zitierweise: Wolfert, Raimund: Lauinger, Wolfgang. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/11848

Stand des Artikels: 4.4.2022
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 02.2022.