Stoltze, Anna Margaretha, gen. Annette oder Annett. Revolutionärin. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 11.9.1813 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 17.11.1840 (Ffm.-)Bornheim.
Drittes von insgesamt fünf Kindern des Gastwirts Friedrich Christian S. (1783-1833) und dessen Frau Anna Maria, geb. Rottmann (1789-1868). Schwester des Freiheitsdichters, Mundartautors und Satirikers
Friedrich S.Aufgewachsen im väterlichen Gasthof „Zum Rebstock“ in der Ffter Altstadt gegenüber dem Dom. Das Lokal war Treffpunkt der Ffter Demagogen, und früh erfuhren die Geschwister Annette und
Friedrich dort von den Forderungen nach bürgerlichen Rechten, individuellen Freiheiten und politischer Mitbestimmung. Die selbstbewusste Gastwirtstochter setzte eine Schulausbildung am von Stephanie von Baden geförderten „Großherzoglichen Institut zur Erziehung und Bildung der weiblichen Jugend höherer Stände“ in Mannheim durch. Im Alter von 17 Jahren kehrte sie nach Ffm. zurück. Die musisch begabte junge Frau sang, spielte Klavier und malte. Einige frühe Verse ihres
Bruders hat sie vertont. Vor allem auch literarisch und politisch interessiert, beeinflusste S. ihren drei Jahre jüngeren Bruder
Friedrich S. maßgeblich, und der Autor machte sie später scherzhaft dafür verantwortlich, dass er zum Dichter geworden sei. In mehreren autobiographischen Texten hat
Friedrich S. seine enge Beziehung zu Annette beschrieben, sie als emanzipierte Frau gewürdigt und ihr politisches Engagement bewundert. Nach seiner Schilderung soll das aufgeweckte Mädchen außerdem die erste Schwimmerin und Schlittschuhläuferin in Ffm. gewesen sein.
Im Gasthaus ihres Vaters kam S. in Kontakt mit demokratisch-republikanischen Kreisen. Der „Rebstock“ war seit der französischen Julirevolution 1830 ein Treffpunkt der „Demagogen“ und Asyl politisch Verfolgter. Auch polnische Flüchtlinge fanden hier Aufnahme. Nach dem „Mautkrawall“ an der Mainkur im September 1830 schmuggelte S. Zeitungen und Briefchen in die Gefängniszellen zu den politischen Häftlingen und veranstaltete zugunsten der Inhaftierten eine Versteigerung und einen Losverkauf. Im Januar 1832 gehörte S. einem Frauenkomitee zur Unterstützung der Polenflüchtlinge an, die nach dem gescheiterten Aufstand gegen die russische Besatzungsmacht durch Ffm. zogen.
Im folgenden Jahr schloss sich S. dem Kreis der Revolutionäre des Ffter Wachensturms vom 3. April 1833 an. Die etwa 50 Aufständischen planten die Befreiung der Gefangenen vom Herbstkrawall 1831 und den Sturz des Deutschen Bundes mit Sitz im Palais Thurn und Taxis. Der Aufstand wurde vom Militär niedergeschlagen, einige ortsfremde Studenten wurden gefangengenommen. S. nahm trotz Verbots am Begräbnis des erschossenen Weißbindergesellen Johann Georg Carl Henckelmann (1808-1833) teil und führte einen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife mit sich. Dafür wurde sie zu fünf Gulden Strafe verurteilt. S. versorgte inhaftierte politische Gefangene mit Nahrung, Kassibern und Ausbruchswerkzeug. Teils dienten hierzu Flaschen mit doppelten Böden oder hohlen Stöpseln, teils half ein eingeweihter Barbier, der zweimal wöchentlich zur Rasur der Häftlinge ins Gefängnis kam. Einige der Briefe sollen Hinweise des Advokaten
Jucho enthalten haben, wie sich die Gefangenen beim Verhör zu verhalten hätten.
Zu dem im Rententurm inhaftierten Heidelberger Studenten Heinrich Eimer (1810-1887) entwickelte S. ein besonders enges Verhältnis, ohne ihn jemals gesehen zu haben. Am 1.7.1833 brachte S. ihm einen Kirschkuchen ins Gefängnis, in den 13 Uhrfedersägen eingebacken waren, die bei einer Kontrolle von der Wache entdeckt wurden. Vorläufig gelang es S., den Verdacht des Befreiungsversuchs auf einen von ihr erfundenen Lithografen Kreischer zu lenken, der sie beauftragt habe, den Kuchen abzugeben. Der von ihr Beschriebene wurde in der ganzen Stadt vergeblich gesucht. Ein zweiter Befreiungsversuch Eimers im November 1833, den S. gemeinsam mit dessen Vetter Ferdinand Diehl vorbereitete, misslang. S. wurde mehrmals verhört. Im Mai 1834 war S. an einem weiteren, größer angelegten Versuch beteiligt, mehrere gefangene Wachenstürmer zu befreien. Eimer, der unter den Befreiten war, brach sich auf der Flucht ein Bein und wurde wieder gefangengenommen. Bernhard Lizius (1812-1870) gelang die Flucht in Frauenkleidern. Bei der dritten Befreiungsaktion fiel Annette S. den Strafverfolgungsbehörden auf. Wegen Beihilfe zu den verschiedenen Fluchtversuchen und demagogischer Umtriebe wurde sie vor Gericht gestellt und Ende 1834 zu vier Wochen Arrest verurteilt. Inzwischen war sie jedoch hochschwanger. Im Dezember 1834 brachte S. ihren Sohn Friedrich Philipp, genannt Fritzchen (12.12.1834-7.1.1876), zur Welt, für den ihr
Bruder die Taufpatenschaft übernahm. Der Vater des Kindes blieb unbekannt, was zu Spekulationen Anlass gab. Mit Rücksicht auf ihre Schwangerschaft und die Geburt ihres Kindes durfte S. ihre Haftstrafe erst im August und September 1835 absitzen.
Friedrich S. vermutete, dass die Kerkerhaft im Rententurm die schwache Gesundheit von Annette weiter geschädigt habe.
Am 17.11.1840 starb Annette S. im Alter von 27 Jahren nach längerer Krankheit. Der Packer Leonhard Moritz Rempel und der Musiker Johann Georg Oechsner wurden im Januar 1841 zum Vormund des sechsjährigen Fritzchen S. bestellt. Fritzchen S. wuchs gemeinsam mit seinem Cousin
Adolf S. bei der Großmutter Anna Maria S. auf und verdiente später als Kärcher seinen Lebensunterhalt.
Friedrich S. betrauerte seine Schwester Annette in mehreren Gedichten.
Einblattdruck „
Friedrich Stoltze’s Annette“ (von Ad. Leichum) im Stoltze-Museum der Ffter Sparkasse.
.
Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 441f.,
.