Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
die neue Artikellieferung des Frankfurter Personenlexikons spannt einen weiten Bogen über die Jahrhunderte: vom Stadtschultheißen Konrad von Sachsenhausen, der von 1263 bis 1268 Frankfurts Stadtoberhaupt war, bis zu der Künstlerin Charlotte Posenenske, die in den 1960ern – also ziemlich genau 700 Jahre später – mit ihren Werken auf dem Gebiet der Minimal Art in Deutschland hervortrat. Mit dem diesmaligen Artikel des Monats springen wir ins 19. Jahrhundert. Er gilt einer der vielen Frauen, die sich in der politischen Bewegung der 1830er Jahre für Deutschlands Einheit in Freiheit engagierten, etwa am Frankfurter Wachensturm von 1833 beteiligt waren – und von der Geschichtsschreibung lange vergessen wurden.
Artikel des Monats Februar 2021:
Revolutionärin im Vormärz
Sie riskierte und verlor ihr Leben für ihr politisches Ideal der Demokratie in Deutschland: Annette Stoltze. Die Frankfurter Gastwirtstochter war musisch begabt, sportlich und hatte ihren eigenen Kopf. So setzte sie ihre schulische Ausbildung an einem Institut für höhere Töchter in Mannheim durch. Nach ihrer Rückkehr kam sie im väterlichen Gasthof „Zum Rebstock“ in der Frankfurter Altstadt in Kontakt mit demokratisch-republikanischen Kreisen. Bereits nach dem „Mautkrawall“ an der Mainkur 1830 engagierte sich die damals 17-Jährige für die politischen Häftlinge. Bald schloss sie sich den Revolutionären an, die den Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833 planten – mit dem Ziel, den Deutschen Bund zugunsten eines einigen und freien deutschen Staats zu stürzen.
Nach dem Scheitern des Unternehmens kümmerte sich die junge Frau um die inhaftierten Wachenstürmer, die sie mit Essen, Nachrichten und Ausbruchswerkzeugen im Gefängnis versorgte, einmal etwa mit einem Kirschkuchen, in den 13 Uhrfedersägen eingebacken waren. Dieser Kuchen war für den Heidelberger Studenten Heinrich Eimer bestimmt, zu dem Annette Stoltze ein besonders enges Verhältnis entwickelte, ohne ihn jemals gesehen zu haben. An drei (erfolglosen) Versuchen, Eimer aus dem Gefängnis zu befreien, war sie beteiligt. Bei der dritten Befreiungsaktion fiel sie den Strafverfolgungsbehörden auf, wurde vor Gericht gestellt und zu vier Wochen Arrest verurteilt. Wahrscheinlich an den Folgen der Kerkerhaft im Rententurm, die ihre Gesundheit geschwächt hatte, starb Annette Stoltze nach längerer Krankheit 1840 im Alter von 27 Jahren.
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Annette war übrigens prägendes Vorbild für ihren „kleinen“ Bruder Friedrich Stoltze, der – wie er einmal bekannte – ohne sie kein Dichter geworden wäre. Aus der Familie des in Frankfurt ebenso verehrten wie unterschätzten Schriftstellers werden zwei weitere Frauen in Artikeln dieser Lieferung vorgestellt, Lyda und Laura Stoltze, die sich um das Andenken und den Nachlass ihres Vaters Friedrich Stoltze verdient gemacht haben.
Auf dem Weg durch die Jahrhunderte in der aktuellen Lieferung begegnen außerdem etwa:
Johann Hartmann Beyer, der seit 1589 Stadtarzt in Frankfurt war, die lange berühmten „Frankfurter Pillen“ erfand, in seinem Testament den Grundstock für die Stadtbibliothek (die heutige Universitätsbibliothek) legte und die älteste der heute bestehenden Frankfurter Stiftungen gründete;
Christian Julius Wilhelm Mosche, der seit 1795 am Frankfurter städtischen Gymnasium unterrichtete, als Konrektor dort ab 1804 eine umfassende Schulreform im Sinne eines philanthropischen Bildungskonzepts ausarbeitete, dem Gymnasium eine duale Ausrichtung als höhere Bürger- und Gelehrtenschule geben wollte und in diesem Zuge etwa den naturkundlichen Unterricht einführte, bevor Humboldt mit seiner preußischen Bildungsreform überhaupt erst auf den Plan trat;
Herbert Heckmann, der mit seiner Dissertation über das barocke Trauerspiel 1957 furios in eine Universitätskarriere als Germanist startete, sich nach dem Erfolg seines Erstlingsromans „Benjamin und seine Väter“ (1962) verstärkt dem literarischen Schreiben zuwandte, in seiner ausgedehnten Herausgebertätigkeit immer wieder auch Dialekt und Literatur seiner Geburtsstadt Frankfurt würdigte und als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung von 1984 bis 1996 seinen Einfluss geltend machte, etwa gegen die Rechtschreibreform.
Mit diesen Beispielen aus der prall gefüllten Februarlieferung will ich es bewenden lassen, auch wenn – wie immer – alle Beiträge das Lesen lohnen. Insofern lade ich Sie auch diesmal wieder gern zum Entdecken von Frankfurter Biographien auf unseren Seiten ein.
Mit besten Grüßen und Wünschen aus dem klirrend februarkalten Frankfurt
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. März 2021.