Eine von vier Töchtern des Bankiers Wolf David W. († 1793), eines vermögenden Ffter „Schutz- und Wechseljuden“, und seiner Ehefrau Merle, geb. Schwab (1760-1839). Dass der Rabbiner der jüdischen Gemeinde ihrem als „Neuerer“ geschmähten Vater 1793 ein ehrenvolles Begräbnis verweigerte, war eine traumatische Kindheitserfahrung. Der Eklat weist auf die Spannungen hin, die zwischen orthodoxen und aufgeklärten Juden damals aufbrachen. W. wuchs mit ihren Schwestern bei der Mutter im Haus zum Pflug in der Judengasse 65 ganz in der Nähe
Ludwig Börnes im Ffter Ghetto auf. Anders als ihr späterer Verehrer blieb sie ihrem jüdischen Herkunftsmilieu lange Zeit eng verbunden, wie sie überhaupt die Vaterstadt nur ungern verließ, um den auf Geheiß der in Ffm. ansässigen Bundesversammlung polizeilich verfolgten „Demagogen“
Börne zu treffen.
W. nahm Privatunterricht und erwarb sich ihre erstaunliche Belesenheit weitgehend eigenständig. Sie hatte auch keine andere Wahl, da es für jüdische Mädchen und Frauen in Ffm. keine Bildungsanstalt gab, die sie hätte besuchen können.
Börnes hohe Wertschätzung für W. beweist, dass sie, obgleich sie nach eigenen Worten „nichts gelernt“ hatte, ihm stets eine adäquate Gesprächspartnerin war. Die geistreiche Korrespondenz mit
Börne über Kunst und Literatur, Musik und Theater, aber auch ihre Kenntnis der politischen Verhältnisse in Deutschland gingen weit über das übliche Bildungswissen hinaus, über das religiös erzogene jüdische Frauen verfügten. W.s Schriftdeutsch war dabei nicht frei von orthografischen Schwächen – eine unvermeidliche Folge der Tatsache, dass Frauen ihrer Generation noch in Jiddisch sprechender Umgebung beheimatet waren.
Unter dem Einfluss der Mutter heiratete W. 1805 den wohlhabenden Ffter Glaubensgenossen Leopold Heinrich Oppenheimer, gen. Otten (1784-1829). Der Entschluss, die unglückliche Ehe gegen den Willen der Mutter nach neun Jahren zu beenden und als alleinstehende Frau einen eigenen Hausstand zu begründen, belegt ihre ausgeprägte Willensstärke. W. nahm ihren Mädchennamen wieder an und lebte unter wechselnden Adressen mit ihrer Zugehfrau in ihrer Heimatstadt Ffm.
Bei der benachbarten Familie des Seidenhändlers Amschel Samuel Ochs (1757-1831) aus der Judengasse lernte W. im Winter 1816/17
Börne näher kennen. Die ihm bald eng verbundene Freundin verkehrte im Kreise des gehobenen jüdischen Bürgertums. Ihre Schwestern waren „gut jüdisch“ verheiratet, hatten zeitweise auch mit nichtjüdischen Ffter Bürgern Kontakt. W. erhielt Klavier- und Zeichenunterricht, lernte Fremdsprachen und besuchte regelmäßig Schauspiel und Oper. Sie versäumte kaum eine Ffter Neuaufführung, von den Konzerten der Museums-Gesellschaft berichtete sie
Börne regelmäßig. Diese waren für sie „unstreitig das Beste nicht allein in ganz Deutschland, sondern das nur gehört werden kann“. Die Lektüre politischer Zeitschriften, historischer Werke und schöner Literatur, die sie sich über den Ffter Verlagsbuchhändler
Johann David Sauerländer besorgte, gehörte zu ihrem Alltag. So sehr sie die bürgerliche Geselligkeitskultur in Beschlag nahm, blieb W. doch im religiösen Ffter Judentum fest verwurzelt.
Das private Verhältnis zu
Ludwig Börne bewegte sich zunächst ganz in den Konventionen der herrschenden Geschlechterordnung.
Börne maßregelte die verehrte Freundin, wie sie sich verhalten solle, „um [dem] Ruf eines wohlerzogenen Frauenzimmers“ zu entsprechen, und stellte dabei zugleich die soziale Geschlechterhierarchie ironisch infrage. W. ging auf dieses Spiel ein, erwies sich aber bald als eine in jeder Hinsicht ebenbürtige Partnerin, deren Rat und Zuneigung
Börne ebenso dringlich bedurfte, wie es umgekehrt der Fall war. Der Briefwechsel offenbart, wie emotional sich die Bindung zwischen beiden im Laufe der Jahre entwickelte. Heiratspläne wurden ernsthaft erwogen und standen 1824 und noch einmal 1828 kurz vor der Verwirklichung. Dass es am Ende nicht dazu kam, lag an der Rücksicht auf W.s Mutter, die einer Ehe mit dem Freigeist und Konvertiten
Börne nicht zustimmen wollte. Bei
Börne verstärkte die Zurückweisung, die er seitens der Familie W. erleben musste, die Abneigung gegen das jüdische Traditionsmilieu.
W.s Einfluss auf
Börnes literarisches Werk kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Vom Erscheinen der Zeitschrift „Die Wage“ 1818 über die langjährige Geschäftsbeziehung zu dem Verleger Johann Friedrich Cotta bis hin zur gemeinsamen Vorbereitung der Herausgabe der „Gesammelten Schriften“ im Hamburger Verlag Hoffmann & Campe war W. nicht nur an allen publizistischen Entscheidungen maßgeblich beteiligt. Sie kopierte und bearbeitete, redigierte und bewertete
Börnes Manuskripte bis zur endgültigen Veröffentlichung. Sein populärstes Werk, die „Briefe aus Paris“ (1830-34, erschienen in 6 Bänden, 1832-34), ging auf ihre Initiative zurück.
Börne war nach eigenem Bekunden von W.s Werturteil geradezu abhängig: „Ich bin so ängstlich, etwas drucken zu lassen, das nicht vorher Ihren Beifall erhalten hat.“ W. wusste um ihre Unentbehrlichkeit und brachte den erbetenen Rat selbstbewusst zur Geltung. Obgleich ihr Anteil an
Börnes literarischem Erfolg nicht materiell entlohnt wurde, war ihr doch gesellschaftliche Anerkennung gewiss. In ihrer Heimatstadt Ffm. war W. eine prominente Person des öffentlichen Lebens geworden.
Im Alter von 50 Jahren entschloss sich W., den zwölf Jahre jüngeren jüdischen Kaufmann Salomon Strauss (1795-1866) zu heiraten. Unter den Ffter Juden sorgte die Hochzeit für großes Aufsehen, war W. doch geschieden und galt zudem als „Frau an der Seite“ des Apostaten
Börne. Weil der Vorstand der Ffter jüdischen Gemeinde sein Einverständnis versagte, wurde die Ehe am 7.10.1832 von einem Darmstädter Rabbiner geschlossen. Zuvor hatte W. ihre Ehezusage an eine Bedingung geknüpft: Ihr künftiger Gatte musste sich ihrem „Ideal von Lebensglück (…), wenn wir drei vereinigt leben“, fügen, weil sie „den Doktor“ nicht verlassen könne: „er wäre ein aufgegebener verlorener Mann!“ Dass der gläubige Jude Strauss sich zu einer Lebensgemeinschaft zu dritt (ab 1833) überreden ließ, war seiner Verehrung für
Börne und der Überzeugung zu verdanken, dass W. nur eine „geistige Partnerschaft“ mit dem Schriftsteller suchte. Sie selbst hatte mit dem ungewöhnlichen „Freundschaftsbund“ den endgültigen Bruch mit der jüdischen Familientradition vollzogen.
Nach
Börnes Tod lebte das Ehepaar Strauss zurückgezogen in Paris. W. konnte jetzt frei über die Herausgabe von
Börnes Schriften verfügen, nachdem sie testamentarisch zu dessen literarischer Nachlassverwalterin bestimmt worden war. Als 1840
Heines berüchtigte Polemik gegen
Börne erschien, reagierte sie, indem sie ihrerseits herabsetzende Passagen über
Heine aus
Börnes Pariser Briefen nachträglich veröffentlichte, die auf ihren Rat hin zunächst weggelassen worden waren. Mit Unterstützung von ihrem Mann gab W.
Börnes „Nachgelassene Schriften“ (6 Bände, 1844-50, Neuaufl. 1858) heraus. Das letzte Jahrzehnt ihres Lebens verbrachte sie im Zustand schwerer Depressionen. Sie starb fast ein Vierteljahrhundert nach dem bewunderten Schriftsteller und Gefährten und wurde wie
Börne auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt. Nach ihrem Tod kehrte Strauss nach Ffm. zurück.
Die Korrespondenz mit
Börne ist in dessen Nachlass in der Handschriftenabteilung der UB Ffm. erhalten. Die „Briefe der Frau Jeanette Strauß-W. an
Börne“ wurden erstmals 1907 von
Elisabeth Mentzel herausgegeben.
.
Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 448,
.