Die Familie H. war im 17. Jahrhundert aus Westfalen in Ffm. eingewandert. Zuerst einfache Handwerker, hauptsächlich Silberschmiede, gelangten ihre Mitglieder später zu Ansehen und Einfluss. Als Georg
Wilhelm H. (1808-1860; H.s Großvater), Jurist, Senator sowie 1850 und 1854 Jüngerer Bürgermeister der Stadt Ffm., mit 52 Jahren starb, musste sein Sohn Friedrich August H. (1843-1880; H.s Vater) den Plan eines Studiums aufgeben und sich dem Kaufmannsberuf widmen. Er wurde Teilhaber der familieneigenen Firma „Hessenberg & Wirsing“ (später „Hessenberg & Co.“), einer Juwelen-, Gold- und Silberhandlung, die damals von
Johann Friedrich H. (1810-1874), dem Bruder von Georg
Wilhelm H., geleitet wurde.
H. war das erste Kind von Friedrich August H. (1843-1880) und dessen Ehefrau Marie Julie, geb. Lindheimer (1854-1937), die 1873 in Ffm. geheiratet hatten. Die Mutter entstammte der bereits im 16. Jahrhundert in Ffm. ansässigen Kaufmannsfamilie Lindheimer, aus der auch
Goethes Großmutter kam. Ihre Vorfahren gehörten zu jenen lutherischen Glaubensflüchtlingen aus Antwerpen, die die Niederländische Gemeinde Augsburger Confession (NGAC) in Ffm. gründeten. Zwei Brüder:
Hans Carl H. (1876-1940), der die Firma von 1903 bis zu seinem Tod 1940 leitete, und Ernst Joost H. (1878-1949). Emeline Agnes
Emma H., geb. Ziegler (1885-1981), die Ehefrau von Hans H., übernahm nach dessen Tod das Geschäft, das sie aus den Kriegstrümmern wiederaufbaute und bis 1953 leitete.
Verwandt mit dem Arzt
Heinrich Hoffmann, Verfasser des Bilderbuchs „Der Struwwelpeter“: Antonie Caroline, gen.
Lina, H. (1844-1914),
Hoffmanns Tochter, war H.s angeheiratete Tante. H. war der Onkel zweiten Grades von dem Mathematiker
Karl H. (1904-1959).
Verheiratet (seit 1904) mit Elisabeth, gen.
Lilly, H., geb. Sommer (1884-?). Keine Kinder.
H. besuchte die Musterschule und anschließend das städtische Gymnasium in Ffm., an dem er die Reifeprüfung 1892 mit Auszeichnung bestand. Ab Herbst 1892 studierte er Physik in Straßburg bei Friedrich Kohlrausch (1840-1910), dem er durch Familienbeziehungen empfohlen worden war. Im Herbst 1893 wechselte er an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, um sich verstärkt der Mathematik zu widmen, womit er schon in Straßburg begonnen hatte. An der Berliner Universität besuchte er Vorlesungen in Mathematik und Physik u. a. bei Ferdinand Georg Frobenius (1849-1917), Lazarus Fuchs (1833-1902), Hermann von Helmholtz (1821-1894), Johannes Knoblauch (1855-1915),
Max Planck und vor allem bei Hermann Amandus Schwarz (1843-1921), der 1896 an der Berliner Universität ein Mathematisches Kolloquium gründete. Bei Guido Hauck (1845-1905) studierte er darstellende Geometrie an der Technischen Hochschule in Charlottenburg. Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung von H. war seine Dissertation „Über die Invarianten linearer und quadratischer binärer Differentialformen und ihre Anwendung auf die Deformation der Flächen“ (1899), die er bei seiner Ernennung zum Dr. phil. am 31.5.1899 in der alten Aula der Berliner Universität vorstellte.
Nach seiner Promotion 1899 arbeitete H. als Assistent an der Technischen Hochschule in Charlottenburg, an der er sich 1901 habilitierte. Seit seiner Antrittsvorlesung im Mai 1901 lehrte dort als Privatdozent für darstellende Geometrie; später wurde seine Lehrbefugnis auf reine Mathematik erweitert. 1904 erhielt er eine Dozentenstelle für höhere Mathematik an der Militärtechnischen Akademie in Charlottenburg, und es wurde ihm der Professorentitel verliehen. In seine Berliner Zeit fielen die meisten seiner Publikationen, so auch seine größte mathematische Leistung, der Beweis des Desargues’schen Satzes aus dem Pappos-Pascal’schen in einer projektiven Ebene (Satz von Hessenberg, 1905), „ein Markstein in den Grundlagen der Geometrie“ (Walter Benz). Ebenfalls 1905 erschienen seine wichtigsten Beiträge zur Möbiusgeometrie. Bekannt wurde H. auch durch seine Abhandlung „Grundbegriffe der Mengenlehre“ (1906); in der Mengenlehre sind die „Hessenberg’schen natürlichen Operationen“ nach ihm benannt.
Seit 1907 wirkte H. als Professor der Mathematik an der Landwirtschaftlichen Akademie in Bonn-Poppelsdorf und zugleich als Dozent an der Universität in Bonn. Aus dieser Zeit stammt sein Buch „Transzendenz von e und π. Ein Beitrag zur höheren Mathematik vom elementaren Standpunkte aus“ (1912). 1910 wechselte er als Professor für darstellende Geometrie an die neu gegründete Technische Hochschule in Breslau, deren Rektor er zeitweise (1914-16) war. Im Sommer 1918 erhielt er einen Ruf an die Universität Tübingen, wo er seine Professur mit der vielbeachteten Rede „Vom Sinn der Zahlen“ 1919 antrat. Berufungen nach Berlin (1918) und Leipzig (1921) lehnte er ab. Im Juni 1925 entschloss er sich, einen Ruf als ordentlicher Professor für darstellende Geometrie an die Technische Hochschule in Berlin-Charlottenburg anzunehmen. Kurz nach seinem dortigen Amtsantritt starb H. an einem Schlaganfall.
Seit 1894 Mitglied des Mathematischen Vereins an der Universität in Berlin. 1901 Gründungsmitglied der Berliner Mathematischen Gesellschaft. Seit 1904 Mitglied, von 1916 bis 1919 Vorstandsmitglied und seit 1925 Ausschussmitglied der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Seit 1916 Mitglied der Leopoldina in der Sektion Mathematik.
H. arbeitete und publizierte auf den Gebieten der Differentialgeometrie, Grundlagen der Geometrie und der darstellenden Geometrie, Mengenlehre und kritischen Mathematik. Einige seiner Beiträge zur Mathematik, insbesondere zur Geometrie, waren wegweisend. Der vielseitige Wissenschaftler, der zudem Autor mehrerer Lehrbücher war, befasste sich aber nicht nur mit der Theorie, sondern auch mit der Anwendung, z. B. mit Gelenkmechanismen. Gelegentlich schrieb er über technische Themen, u. a. in dem Artikel „Taten der Technik“ über die Auswechslung der Eisenbahnbrücke über die Elbe bei Magdeburg, der 1906 in der Ffter Zeitung erschien. H. widmete sich außerdem philosophischen Betrachtungen und zeigte Verständnis für künstlerische Fragen. In der philosophischen Zeitschrift „Abhandlungen der Fries’schen Schule“, die er zusammen mit Karl Kaiser und Leonard Nelson (1882-1927) ab 1904 wiederbegründete und herausgab, veröffentlichte H. die Aufsätze „Das Unendliche in der Mathematik“ (1904), „Grundbegriffe der Mengenlehre“ (1906) und „Kritik und System in Mathematik und Philosophie“ (1907). Seine wichtigsten „Aufsätze und Reden“ sind gesammelt in einer Werkausgabe erschienen (2 Bde., hg. v. Karin Reich, 2002).
Nachlass im ISG, u. a. Liebesbriefe und Postkarten an seine Braut Lilly Sommer in Straßburg, vereinzelt mit mathematischen Formeln und geometrischen Skizzen auf der Rückseite (1903-04).
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