Sohn von
Philipp Jakob H.Seit 1816 Besuch der Weißfrauenschule. Anschließend bis 1828 Schüler am Gymnasium im Barfüßerkloster. Studium der Medizin in Heidelberg (1829-32) und in Halle (1832-33). Promotion in Halle am 10.8.1833 mit der Arbeit „De phlegmasia alba“ (Über die weiße Zellgewebsentzündung): „Ein ziemlich wertloses Elaborat“, wie H. später bekannte. Von 1833 bis 1834 Aufenthalt in Paris. Im August 1834 Rückkehr nach Ffm. Nach der Examinierung durch die Ffter Stadtärzte 1835 Berufung zum Arzt am Leichenhaus auf dem Friedhof in Sachsenhausen sowie Niederlassung als praktischer Arzt und Geburtshelfer in Räumen des Gasthofs „Zum Tannenbaum“ (heute Brückenstraße 17-19). Der von ihm befürworteten, von fünf Ffter Ärzten 1834 gegründeten Armenklinik in der Meisengasse gehörte H. von 1835 bis 1846 an. Neben dem Betrieb der zur Versorgung der Landbevölkerung eingerichteten Poliklinik betreute jeder Arzt der Armenklinik eines der umliegenden Dörfer. H. wählte Bornheim. 1836 trat H. in die Ffter Freimaurerloge zur Einigkeit ein. In seinen „Lebenserinnerungen“ berichtet H., dass er die Loge nach einigen Jahren verlassen habe, da diese den jüdischen Maurern die Anerkennung versagte.
Ein Faible H.s war die Gründung geselliger Vereine. Am 9.10.1840 konstituierte sich ein Kreis von Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern unter dem Namen „Tutti Frutti“, für den H. die Statuten verfasste. Unter Verzicht auf akademische Titel trugen die Vereinsmitglieder den Namen einer Frucht. H. war die „Zwiebel“. Mit den meisten Malern der Stadt in Verbindung stehend, wurde H. 1841 Mitglied der Administration des Städelschen Kunstinstituts (bis 1855). Von 1844 bis 1851 versah H. das Lehramt an der Senckenbergischen Anatomie, das den Unterricht für Chirurgen, Lehrer und Gymnasiasten umfasste. In dem 1845 von ihm mitbegründeten Ärztlichen Vereins, der offiziellen Standesorganisation der Ärzte in Ffm., amtierte er als Schriftführer (1845) und Vorsitzender (1855).
Verheiratet seit 5.3.1840 mit Therese H., geb. Donner (1818-1911), Tochter des Ffter Hutfabrikanten Christoph Friedrich Donner. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Carl Philipp (1841-1868), Antonie Caroline (1844-1914) und Eduard (1848-1920). Sein Debüt als „Gelegenheitsversemacher“ gab H. 1842 mit einem Gedichtband. 1843 folgte die Komödie „Die Mondzügler“. Als Weihnachtsgeschenk für Sohn Carl zeichnete und textete H. 1844 das Buch, das seine weit über Ffm. hinaus reichende Popularität begründete: den „Struwwelpeter“. Aus Furcht, die Veröffentlichung eines Kinderbuchs könnte dem Ruf als Arzt schaden, ließ H. die erste Ausgabe des „Struwwelpeter“ unter dem Pseudonym Reimerich Kinderlieb drucken. Der „Struwwelpeter“ erfuhr bis 1939 etwa 5.000 Auflagen und bis heute ungezählte Nachdrucke. Keine der zahlreichen Publikationen H.s erzielte einen vergleichbar durchschlagenden Erfolg.
Im Festkomitee des ersten Deutschen Sängerfests 1838 in Ffm. war H. mit einem Toast auf die Pressefreiheit hervorgetreten. Als Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung (1846-49) und als liberaler Bürger wurde H. 1848 in das Vorparlament gewählt. H. beherbergte den Heidelberger Studienfreund und späteren badischen Revolutionär Friedrich Hecker in Ffm. Im Juni 1848 zählte H. zu den Initiatoren des „Bürgervereins“, der die Fraktionen der Ffter Nationalversammlung zum Meinungsaustausch zusammenzuführen suchte. H. war Anhänger der konstitutionellen Monarchie und der für ein Deutschland unter preußischer Führung plädierenden Erbkaiserlichen. Gegen die Republikaner schrieb H. 1848 die Satire „Handbuch für Wühler oder kurzgefaßte Anleitung in wenigen Tagen ein Volksmann zu werden“, der er, auf Ausgleich bedacht, 1849 die Schrift „Der Heulerspiegel“ folgen ließ. 1866 begrüßte H. die preußische Annexion Fft.s.
Dem Leben als Arzt gab das Jahr 1851 Richtung und Ziel: Am 12.6.1851 übernahm H. die Arztstelle an der „Anstalt für Irre und Epileptische“. Die Instruktion der Anstalt verpflichtete ihn, die ärztlichen Behandlungen der Insassen zu besorgen, die Kranken täglich zu besuchen sowie auf Reinlichkeit und Ordnung zu achten. An Heilung und medizinischer Therapie der Geisteskrankheiten orientiert, erkannte H. bald die Mängel des allein auf sichere Verwahrung abzielenden ehemaligen „Kastenhospitals“. Sein Plan einer neuen Heilanstalt fand sowohl beim Pflegamt als auch beim Senat Zustimmung. Es blieb hingegen H. überlassen, die Finanzierung des Neubaus zu sichern. In den Fünfzigerjahren mobilisierte er mit einer Artikelserie im Ffter Intelligenz-Blatt die Öffentlichkeit. Eine Sammlung trug 46.000 Gulden ein.
Freiherr von Wiesenhütten stiftete testamentarisch 100.000 Gulden, und das Hospital zum heiligen Geist gewährte eine Hypothek über weitere 100.000 Gulden. Um die Position gegenüber den städtischen Behörden zu festigen, publizierte H. 1859 seine zentrale Schrift zur Psychiatrie: „Beobachtungen und Erfahrungen über Seelenstörung und Epilepsie in der Irren-Anstalt zu Ffm. (1851 bis 1858)“. Die Stadtkasse konnte schließlich einen Beitrag für den Neubau nicht mehr verwehren und übernahm die restlichen Baukosten. Auf dem Affensteiner Feld wurde von 1859 bis 1864 die neue „Irrenanstalt“ erbaut. Der Bezug des Neubaus mit rund 100 Kranken im Mai 1864 bedeutete für H. die Verwirklichung seines Lebenswerks. Bis zur Pensionierung am 1.7.1888 leitete H. die Ffter „Irrenanstalt“.
Seinen Lebensabend stellte H. unter das Motto: „Bergab, aber bequem!“ Von 1889 bis 1891 schrieb er seine erst 1926 veröffentlichten „Lebenserinnerungen“. H. starb nach einem Schlaganfall und wurde auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann G an der Mauer 541) beerdigt.
Von H. sind zahlreiche Porträts überliefert. Als gelungen gelten die Bildnisse, die der Ffter Künstler
Eugen Klimsch 1889 (Öl auf Leinwand) und am 11.4.1894 (Bleistiftzeichnung; im Besitz der Dr. Senckenbergischen Stiftung) anfertigte. Kalksteinbüste (von Friedrich Heinrich Wirsing, 1913; im Besitz der Dr. Senckenbergischen Stiftung) im Foyer der Psychiatrie des Universitätsklinikums. Eine H.-Medaille wurde nach H.s Tod gestiftet, aber erst im Jahr 1900 ausgegeben.
Gedenktafeln an der Stelle des Geburtshauses in der „Fressgass“ und des Wohnhauses von 1851-1859 in der Hochstraße 45 sowie am letzten Wohnsitz im Grüneburgweg 95. Die von H. konzipierte und geleitete „Anstalt für Irre und Epileptische“ wurde später unter dem Namen „Städtische und Universitätsklinik für Gemüts- und Nervenkranke“ in die neu gegründete Universität eingegliedert und in einen von 1927 bis 1930 entstandenen Neubau in Niederrad verlegt. Heute arbeitet dort die „Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie“ in der Heinrich-H.-Straße. Das alte „Irrenschloss“ auf dem Affenstein wurde nach dem Verkauf des Geländes an den IG Farben-Konzern, der dort seine Verwaltungszentrale („IG-Hochhaus“) errichtete, 1929 abgerissen [Baureste („Eiskeller“) im Zuge der Bauarbeiten für den neuen Campus Westend 2008 freigelegt und in den 2013 fertiggestellten Neubau der Bibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie (BSP) integriert].
Der Sohn Eduard H. trat als Jurist hervor. Er wirkte als Ministerialdirektor im Reichsjustizamt (1903-13), dann als Präsident des Oberprisengerichts in Berlin (1914-20). Von ihm stammten die Neufassung des Handelsgesetzbuchs und das Gesetz über die GmbH.
Nachlass in der Handschriftenabteilung der UB Ffm. Das Urmanuskript des „Struwwelpeter“ verwahrt seit 1902 das Germanische Nationalmuseum Nürnberg.
Struwwelpeter Museum, in dem seit 2007 die beiden früheren Museen für H., das Heinrich-H.-Museum (eröffnet 1977) und das Struwwelpeter-Museum (eröffnet 1982), vereinigt sind, bis März 2019 in der Schubertstraße 20 im Westend, ab September 2019 in den Häusern zum Eßlinger und Alter Eßlinger (Hinter dem Lämmchen 2-4) am Hühnermarkt in der neuen Altstadt.
Zum 200. Geburtstag 2009 „Heinrich H.-Sommer“ mit acht Ausstellungen und zahlreichen Veranstaltungen in Ffm.
Heinrich-H.-Straße in Niederrad. Heinrich-H.-Schule, Schule für Kranke und überregionales sonderpädagogisches Beratungs- und Förderzentrum, mit Sitz in Niederrad. Das Gebäude der früheren, 1988 geschlossenen Heinrich-H.-Schule, einer Sonderschule (bis 1962:
Hölderlinschule) im Ostend, wird als Dependance des Heinrich-von-Gagern-Gymnasiums genutzt.
Struwwelpeterbrunnen, dem „Dichter und Arzt Heinrich H.“ gewidmet (mit einem Porträtrelief H.s; von Johann Joseph Belz, 1923, aufgestellt 1929) im Stadionbad. Struwwelpeterbrunnen (von Franziska Lenz-Gerharz, 1985) an der Hauptwache.
Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 341-343,
(redigierte Onlinefassung für das Frankfurter Personenlexikon).