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Hartmann, Georg

Ehrenbürger der Stadt Ffm.

Georg Hartmann

Georg Hartmann
Fotografie (Ende der 1920er Jahre; in Privatbesitz).

© privat. Nähere Informationen auf Anfrage bei der Redaktion.
Hartmann, Johann Georg. Industrieller. Kunstsammler. Mäzen. * 13.7.1870 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 27.10.1954 Ffm.
Aus alter Ffter Metzger- und Ratsherrenfamilie. Geboren im Haus zur Stadt Nürnberg an der Schmidtstube in der Altstadt (südlich des Doms).
Besuch des Wöhler-Realgymnasiums und kaufmännische Lehre in Ffm. Weitere Ausbildung in England und Frankreich. Seit 1894 Tätigkeit als Direktor der Linoleumfabrik Maximiliansau in Karlsruhe. 1898 kehrte H. in seine Vaterstadt zurück und übernahm hier die seit 1837 bestehende Bauersche Gießerei an der Bockenheimer Landstraße. 1904 errichtete er in der Moltkeallee (der heutigen Hamburger Allee) ein neues, für damalige Verhältnisse vorbildliches Firmengebäude. Bereits seit 1885 besaß die Bauersche Gießerei eine Filiale in Barcelona; 1916 wurde die Ffter Schriftgießerei Flinsch übernommen, und 1927 wurde eine Zweigniederlassung in New York gegründet.
Um die Jahrhundertwende, als H. die Bauersche Gießerei erworben hatte, war das Schriftgießereigewerbe duch das Aufkommen der Setzmaschinen, vor allem der „Linotype“, in eine schwere Existenzkrise geraten. Auf diese Herausforderung durch eine industrielle Massenproduktion reagierten die Schriftgießer, allen voran Karl Klingspor (1868-1950) in Offenbach, mit einer Spezialisierung auf den Entwurf neuer, künstlerisch anspruchsvoller Schriften, eine Entwicklung, die im Kontext der Buchkunstbewegung zu sehen ist. H. nahm eine Reihe von Schriftkünstlern unter Vertrag, u. a. Emil Rudolf Weiß (1875-1942), Paul Renner (1878-1956) und F. H. Ernst Schneidler (1882-1956), die zahlreiche neue Schriften für die Bauersche Gießerei schufen. Die wichtigste Schrift des Unternehmens war die von Paul Renner Mitte der Zwanzigerjahre entworfene und seit 1927 in zahlreichen Varianten produzierte „Futura“, die eine der bedeutendsten Druckschriften des 20. Jahrhunderts überhaupt und damit auch ein großer kommerzieller Erfolg für die Firma wurde.
Dem Nationalsozialismus stand H. distanziert und kritisch gegenüber. Er versuchte, bedrängten Personen dezent einen Schutzraum zu bieten, und nahm Menschen, die aus rassischen oder anderen Gründen bedroht waren, in seinen Betrieben auf. Gleichwohl kooperierte er während des Krieges eng mit Oberbürgermeister Krebs, der angesichts seines gespannten Verhältnisses zu Gauleiter Sprenger den Anschluss an die alteingesessenen Kreise des Ffter Bürgertums suchte. Nach dem Krieg war H., der als politisch unbelastet galt, gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere Ernst Beutler und Fried Lübbecke, einer der Fürsprecher für Krebs bei dessen langwierigem Entnazifizierungsverfahren.
1944 wurde die Bauersche Gießerei zerstört. H. selbst wurde in Ffm. ebenfalls ausgebombt und musste jahrelang auf seinem Landsitz im Spessart wohnen. Trotzdem leitete er den Wiederaufbau seines Unternehmens noch selbst. Erneut, bis in die Sechzigerjahre hinein, erlebte die Firma einen großen Aufschwung. Mit dem Aufkommen neuer Technologien wie dem Fotosatz und der Digitalisierung aber wurde das Schriftgießereigewerbe vollkommen marginalisiert. 1972 musste die Bauersche Gießerei in Ffm. aufgegeben werden, während der Betrieb in Barcelona von einem Enkel H.s noch weitergeführt wurde.
Zusätzlich zur Schriftgießerei gründete H. 1919 in einer vollkommen anderen Branche einen weiteren Industriebetrieb in Ffm., die „EMDA“ („Elektro-Medico-Dental-Apparatur“), eine Spezialfabrik für elektro-medizinische und zahnärztliche Apparate, die später ihren Sitz in der Hanauer Landstraße hatte. Auch dieser Betrieb existiert heute nicht mehr.
Neben seiner kaufmännischen Tätigkeit wirkte H. als unermüdlicher Förderer von Kunst, Kultur und Pferdesport in Ffm. Vorstandsmitglied in der Ffter Bibliophilen-Gesellschaft. Mitbegründer des Schriftgussmuseums im Haus zum Alten Frosch (im Zweiten Weltkrieg zerstört). Mitbegründer und stellvertretender Vorsitzender des Bunds tätiger Altstadtfreunde. Mitglied in der Städel-Administration und ab 1933 Vorsitzender des Städelschen Museums-Vereins. Seit 1944 Vorsitzender im Verwaltungsausschuss des Freien Deutschen Hochstifts; hier initiierte er gemeinsam mit Ernst Beutler den raschen Wiederaufbau des Goethehauses. Tätig in weiteren Kuratorien und Stiftungen, u. a. im Kuratorium der Stadtbibliothek und im Ffter Kunstverein. H. besaß selbst eine hervorragende Kunstsammlung (vor allem mittelalterlicher Plastik, aber auch von Werken der Moderne, darunter Arbeiten von Max Beckmann). Er war auch mäzenatisch aktiv, indem er Künstler, wie die mit ihm befreundete Renée Sintenis, unmittelbar unterstützte und ihre Werke sammelte. Darüber hinaus förderte H. die Ffter Museen vielfach durch Schenkungen und Spenden. Dem Städel schenkte er die Plastik „Eva“ von Rodin und die Skulptur einer jungen Frau von Despiau. Für den Wiederaufbau der Alten Oper stiftete H. 10.000 Mark.
Ein wichtiges Kapitel in H.s Wirken stellt die Förderung des bibliophilen Buchdrucks und die Herausgabe entsprechender Werke dar. Diese handwerklich aufwendig gemachten Bücher, darunter Kostbarkeiten von großem bibliophilem Wert, wurden in limitierter und nummerierter Auflage unter Verwendung hauseigener Schriften direkt in der Bauerschen Gießerei hergestellt; sie dienten nicht dem Verkauf, sondern wurden zumeist unter den Mitgliedern der Bibliophilen-Gesellschaft verschenkt oder anderweitig gezielt gestiftet. Den Höhepunkt dieses Programms bildete die Zusammenarbeit mit Max Beckmann in der Zeit von 1941 bis 1944. H. und Beckmann waren sich bereits 1917 in Ffm. flüchtig begegnet, hatten dann aber zunächst keinen engeren Kontakt mehr. Jetzt erteilte H. dem im Amsterdamer Exil lebenden Künstler über Mittelsmänner den Auftrag, zunächst die Apokalypse und später Goethes „Faust II“ zu illustrieren. Diese Zusammenarbeit mit Beckmann, die nur über Briefkontakt und unter Geheimhaltung geschehen konnte, war als kulturpolitische Initiative gegen das NS-Regime gerichtet. Den Zyklus handkolorierter Steinzeichnungen zur „Apokalypse“ brachte H. 1943 in einem Privatdruck mit einer Auflage von offiziell 24 (inoffziell mehr als 40) Exemplaren heraus, die er persönlichen Freunden überreichte. Andererseits erledigte die Bauersche Gießerei damals auch Druckaufträge für die nationalsozialistischen Machthaber im Zusammenhang mit dem „Führermuseum“ in Linz. Die adäquate Reproduktion von Beckmanns Zeichnungen zu „Faust II“ war technisch anspruchsvoll und konnte erst 1957 in einer ersten Fassung realisiert werden.
Bereits kurz nach dem Krieg brachte die Bauersche Gießerei unter schwierigen Umständen eine aufwendig gestaltete Festschrift zu H.s 75. Geburtstag heraus. 1950 gab H. den Bildband „Alt-Fft. – Ein Vermächtnis“ (bearb. von Fried Lübbecke) heraus und verschenkte die gesamte Auflage von 3.000 Exemplaren. Das Material zur Ffter Altstadt, das das Buch bietet, stammt aus einer fotografischen Dokumentation, die H. angesichts der drohenden Zerstörung der Stadt während des Zweiten Weltkriegs veranlasst hatte.
Für seine Verdienste um das öffentliche Wohl seiner Vaterstadt wurde H. 1950 zum Ehrenbürger von Ffm. ernannt. Als Förderer des Kulturlebens war er bereits 1946 Ehrenbürger und 1949 Ehrensenator der Johann Wolfgang Goethe-Universität geworden. Weitere Auszeichnungen und Ehrungen, u. a. Goetheplakette der Stadt Ffm. (1948), Ehrenmitgliedschaft im Ffter Kunstverein (1952), Großes Bundesverdienstkreuz (1953) und Ehrenmitgliedschaft in der Ffter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft (1953) sowie in der 1951 gegründeten Max Beckmann-Gesellschaft.
Grabstätte auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann III 26).
H. war seit 1894 verheiratet mit Maria Margarethe Henriette H., geb. Eschelbach (1871-1950). Aus der Ehe stammten die Tochter Susette Charlotte, gen. Susi, H. (1895-1983), verheiratet mit Ernst Vischer (1884-1962), Geschäftsführer der Bauerschen Gießerei, die Tochter Johanna Margarethe, gen. Hanny, H. (1896-1971), verheiratet mit Dr. Alfons Finsterlin (1891-1943), und der Sohn Carl Georg H. (1899-1950), verheiratet in erster Ehe mit Boby Mouson (1905-1960), in zweiter Ehe mit Alice Fellner, einer Urgroßnichte des Bürgermeisters Carl Fellner.
Reste des Nachlasses im ISG.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Andreas Hansert.
Artikel in: Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 303f., verfasst von: Sabine Hock.

Lexika: Neue Deutsche Biographie. Hg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bisher 27 Bde. (bis Wettiner). Berlin 1953-2020.Franz Lerner in: NDB 7 (1966), S. 742f. | Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. 2 Bde. Berlin 1930/31.Reichshdb. 1930/31, S. 664f.
Literatur:
                        
Bauer, Konrad F.: Werden und Wachsen einer deutschen Schriftgießerei. Zum hundertjährigen Bestehen der Bauerschen Gießerei Ffm. 1837-1937. Ffm. 1937.Bauer: Bauersche Gießerei 1937. | Bauer, Thomas: „Mit lebhaftem Bedauern und aufrichtigem Dank“. Der Mitteldeutsche Kunstgewerbe-Verein in der Zeit des Nationalsozialismus. Ffm. 2016.Bauer: Mitteldt. Kunstgewerbe-Verein in der Zeit d. NS 2016, S. 24-26, 65. | Emrich, Willi: Bildnisse Ffter Demokraten. Ffm. 1956.Emrich: Bildnisse Ffter Demokraten 1956, S. 51-53 (m. Abb. auf S. 96). | Fleckner, Uwe/Hollein, Max (Hg.): Museum im Widerspruch. Das Städel und der Nationalsozialismus. Berlin 2011. (Schriften der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ 6).Kurzbiographie in: Fleckner/Hollein (Hg.): Museum im Widerspruch 2011, S. 348. | Fleiter, Michael (Hg.): Heimat/Front. Ffm. im Luftkrieg. Ffm. 2013.Hansert, Andreas: Im Angesicht der Apokalypse. Ffter Bürger beauftragen Max Beckmann mit der Illustration der Johannes-Offenbarung (1941-1943). In: Fleiter (Hg.): Heimat/Front 2013, S.121-129. | Emda 1919-1969. Fünfzig Jahre im Dienste der internationalen zahnärztlichen Praxis. Hg. aus Anlaß des 50jährigen Bestehens der Emda Fabrik elektro-medizinischer und dentaler Apparate Georg Hartmann, Ffm. Text u. Produktionsleitung: Rolf Bernhart. Darmstadt 1969.FS Emda 1969. | Georg Hartmann zur Vollendung seines 75. Lebensjahres am 13. Juli 1945. Ffm. 1946.FS Georg Hartmann 1945/46. | Hansert, Andreas: Georg Hartmann (1870-1954). Biografie eines Ffter Schriftgießers, Bibliophilen und Kunstmäzens. Wien/Köln/Weimar 2009.Hansert: Georg Hartmann 2009; dort auch weiterführende Angaben zu Quellen und Literatur. | Hansert, Andreas: Geschichte des Städelschen Museums-Vereins Ffm. Hg. vom Vorstand des Städelschen Museums-Vereins. Ffm. 1994.Hansert: Städelscher Museums-Verein 1994, S. 88f., 91, 93, 97f., 100-102, 111, 316. | Hoffmann, Hilmar: Die großen Ffter. Ehrenwürdige Bürger und Ehrenbürger [von Karl dem Großen bis Friedrich von Metzler]. 4., durchges. Aufl. Ffm. 2012.Hoffmann: Die großen Ffter 2012, S. 152f. | Museum Giersch (Hg.): Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet. Künstler – Händler – Sammler. Katalogred.: Christoph Otterbeck, Birgit Sander, Manfred Großkinsky, Sophia Dietrich. Ffm./Petersberg 2011.Kat. Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet 2011, bes. S. 38f., 217f., 259, 380f. | Lübbecke, Fried: Der Muschelsaal. Ffm. 1960.Lübbecke: Muschelsaal 1960, S. 468-472, 512. | Seng, Joachim: Goethe-Enthusiasmus und Bürgersinn. Das Freie Deutsche Hochstift – Ffter Goethe-Museum 1881-1960. Göttingen 2009.Seng: Freies Deutsches Hochstift 2009. | Stemmler, Gunter: Die Vermessung der Ehre. Zur Geschichte der Ehrenbürger, Ehrensenatoren sowie Ehrenmitglieder an deutschen Hochschulen und an der Universität Ffm. Ffm. [u. a.] 2012.Stemmler: Ehrenbürger u. Ehrensenatoren an der Univ. Ffm. 2012, S. 94, 161 u. 164.
Quellen: ISG, Bestand Nachlässe (S1).Restnachlass: ISG, S1/440. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/274. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S3 (mit Kleinschriften, bes. Zeitungsausschnitten, zur Ortsgeschichte).ISG, S3/4.054 (Bauersche Gießerei).
Internet: Ffm. 1933-1945, Internetportal zur Geschichte der Stadt Ffm. im Nationalsozialismus, Projekt des ISG im Auftrag des Dezernats für Kultur und Freizeit der Stadt Ffm. https://www.frankfurt1933-1945.de/beitraege/sonstiger-widerstand/beitrag/georg-hartmann/
Hinweis: Artikel von Andreas Hansert: Georg Hartmann, 3.8.2009.
Ffm. 1933-1945, 21.7.2022.
| Hessische Biografie, Kooperationsprojekt des Instituts für Personengeschichte in Bensheim und des Hessischen Instituts für Landesgeschichte in Marburg zur Erstellung einer umfassenden personengeschichtlichen Dokumentation des Landes Hessen. http://www.lagis-hessen.de/pnd/137126530Hess. Biografie, 26.3.2015. | Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Hg.: Wikimedia Foundation Inc., San Francisco/Kalifornien (USA). http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Hartmann_%28Fabrikant%29Wikipedia, 26.3.2015.

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Empfohlene Zitierweise: Hansert, Andreas: Hartmann, Georg. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/2499

Stand des Artikels: 30.3.2015
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 04.2015.