Tochter des Patentanwalts Wilhelm Pataky (1862-1927) und dessen Ehefrau Mathilde, geb. Scheinberger (1871-1936). Zwei Brüder: Maximilian Karl Edgar Pataky (1893-1953), Ingenieur, und Walter Cornelius Georg Pataky (nach der Auswanderung in die Niederlande: Walter Cornelis Harry Pataky; 1898-1944), Chemiker. Während Maximilian Karl Edgar Pataky in der NS-Zeit rechtzeitig nach Palästina emigrieren konnte und 1953 in Tel Aviv starb, wurde sein Bruder nach der Einweisung in eine Nervenheilanstalt von den Niederlanden aus in das KZ Auschwitz deportiert, wo er 1944 ermordet wurde.
R. wurde in eine jüdisch-ungarische Familie geboren, die erst wenige Jahre zuvor nach Deutschland eingewandert war und die ungarische Staatsangehörigkeit beibehielt. R. selbst erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft am 7.8.1915 durch ihre Heirat mit dem Berliner Arzt Walter (auch: Walther) R. (1890-1976). Zwei Töchter: Renate, gen. Renée, R. (später verh. Hubert, 1916-2005), Literaturwissenschaftlerin, und Beatrice Sulamith, gen. Beate, R. (1917-2004), Künstlerin und Kunstsammlerin, die in Wiesbaden bzw. im niederländischen Den Haag geboren wurden.
Nach dem Schulbesuch studierte R. (damals noch Pataky) Medizin an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und an der neu gegründeten Universität in Ffm., wo sie im Frühjahr 1916 das Staatsexamen ablegte. Sie gehörte damit zu der ersten Generation von Frauen, die nach der regulären Zulassung von Studentinnen an preußischen Hochschulen ein Medizinstudium aufnehmen konnten. 1918 wurde R. in Ffm. zur Ärztin approbiert. Anschließend promovierte sie bei
Karl Herxheimer, der damals (bis 1930) die Universitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Ffm. leitete. Ihre Dissertation legte sie am 28.8.1919 zum Thema „Erfahrungen mit Choleval“, einem Mittel zur Behandlung der Gonorrhoe, vor. Zu diesem Zeitpunkt lebte R. zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Wiesbaden. Einen Teil der Kriegszeit (1916-19) hatte sie mit ihren Kindern in den Niederlanden verbracht, nachdem ihre Eltern 1912 dorthin verzogen waren.
Ihre Assistenzzeiten absolvierte Hertha R. u. a. an der Kinderklinik der Charité und dem Krankenhaus am Friedrichshain in Berlin, am Lazarett in Königsberg und am Städtischen Krankenhaus in Ffm. 1920 ließ sie sich zusammen mit ihrem Mann Walter R. in der Hermannstraße 50 in Ffm. nieder, wo beide eine ärztliche Praxis eröffneten, sie als Allgemeinpraktikerin und er als Nervenarzt. 1923 verlegten dann beide ihre Praxen in die Cronberger Straße (heute: Kronberger Straße) 6 im südlichen Westend, wo sie bis 1933 wohnten und tätig waren.
R. machte sich ab Ende 1924 vor allem als Leiterin der Sozial- und Beratungsstelle des Ffter Bundes für Mutterschutz und Sexualreform (BfM) einen Namen. Sie setzte sich für präventive Verhütungsmöglichkeiten und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund sozialer Indikation ein. Anders als in den kommunalen Eheberatungsstellen der damaligen Zeit in Deutschland konnten sich in der Ffter Stelle auch unverheiratete Frauen beraten lassen und erfuhren hier ärztliche wie soziale Unterstützung. 1927 hielt R. fest, sie habe in ihrer Zeit an der Ffter Beratungsstelle über 400 Fälle von Sterilisationen beobachten können. Dabei hob sie hervor, der Eingriff habe positive gesundheitliche Auswirkungen auf die behandelten Frauen gehabt.
Unterstützt wurde R. in der Ffter Beratungsstelle des Bundes für Mutterschutz durch Lotte Fink (1898-nach 1955), die wie sie selbst jüdischer Herkunft und praktische Ärztin war; außerdem übte Fink gutachterliche Funktionen für die „Wohlfahrtsschule für Hessen-Nassau und Hessen“ aus. Finanziell gefördert wurde die Beratungsstelle ab Ende der 1920 Jahre durch die US-amerikanische Frauenrechtlerin und Sexualreformerin Margaret Sanger (1879-1966). Die Abtreibung war nach den § 218 und 219 des preußischen Strafgesetzbuchs in den 1920er Jahren sowohl für schwangere Frauen als auch für ihre Helferinnen und Helfer verboten. Vor diesem Hintergrund gelang es R., dass die Ffter Krankenkasse als erste in Deutschland Patientinnen empfängnisverhütende Mittel frei zur Verfügung stellte.
Auf der Sitzung des Ärztlichen Vereins zu Ffm. vom 21.3.1927 hielt R. einen Vortrag über „Das Geburtenproblem vom ärztlichen und ärztlich-sozialen Standpunkt“. Sie gehörte neben ihrem Mann, dem Berliner Ehepaar Maria (1880-1945) und Paul Krische (1878-1956) sowie dem dänischen Arzt Jonathan Høegh von Leunbach (1884-1955) dem Vorbereitungsteam zum zweiten „Internationalen Kongress der Weltliga für Sexualreform“ an, der Anfang Juli 1928 in Kopenhagen stattfand, fungierte hier als Schriftführerin und referierte über „Schwangerschaftsunterbrechung im Lichte medizinischer Zeitfragen“. Über den Kongress berichtete sie anschließend ausführlich in mehreren deutschsprachigen Zeitschriften, und zusammen mit Høegh von Leunbach gab sie 1929 den entsprechenden Kongressbericht heraus. Ihr eigener Vortrag in Kopenhagen wurde, wie die Einleitung zum Kongress durch den Arzt Magnus Hirschfeld (1868-1935) und der Vortrag der Frauenrechtlerin und Sexualreformerin Helene Stöcker (1869-1943), von einem Rezensenten als „[e]indrucksvoll, klar und reich an glücklichen Formulierungen“ bezeichnet. Anfang September 1930 hielt R. auf dem „Internationalen Kongress für Geburtenregelung“ in Zürich ein Übersichtsreferat zum Thema Sterilisation. Zusammen mit ihrem Mann war R. Mitarbeiterin der Zeitschrift „Hippokrates. Zeitschrift für praktische Heilkunde. Organ für die Einheitsbestrebungen in der Medizin und der naturgemäßen Heilmethoden“. Ferner schrieb sie in „Der praktische Arzt“, einer Halbmonatszeitschrift „für die wissenschaftliche und praktische Fortbildung des Arztes“ (mit der Beilage „Die praktische Arztfrau“).
In ihren Veröffentlichungen widmete sich R. vor allem sozialen Problemen wie dem Alkoholismus sowie Fragen zur Sexualität und Geburtenkontrolle angesichts von Armut, Wohnungsnot und Alkoholmissbrauch. In ihren Vorträgen wie ihren Schriften prangerte sie wiederholt die elenden Wohn- und Lebensverhältnisse für Frauen der Arbeiterklasse an, verlangte, dass diesen Frauen das Wissen um Verhütungsmethoden nicht länger vorenthalten werde, und argumentierte dafür, dass die soziale Indikation zum Schwangerschaftsabbruch berechtigen müsse. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass R. in Hinblick auf Abtreibungen bei Frauen der „Unterschicht“ auch von „geistiger oder moralischer Unterwertigkeit“ sprechen konnte. Sie plädierte dafür, den „moralisch nicht einwandfreien“ Frauen nur dann Hilfe zukommen zu lassen, wenn sie sich „endgültig und einwandfrei“ helfen ließen, womit eine Sterilisation gemeint war.
Nach dem Berufsbeamtengesetz vom 7.4.1933 galt R. als Jüdin, weshalb ihr noch im selben Jahr die Kassenzulassung als Ärztin entzogen wurde. Bereits am 27.2.1933, dem Tag des Reichstagsbrandes in Berlin, wurden R. und ihr Mann für drei Tage in „Schutzhaft“ in einem Ffter Gefängnis genommen. Als Gründe für die Maßnahme werden die Mitgliedschaften und Aktivitäten des Ehepaars im Verein sozialistischer Ärzte (VSÄ) und in der Zionistischen Arbeiterpartei sowie das Buch „Die Unfallneurose als Problem der Gegenwartsmedizin“ (1929) von Walter R. angenommen. In diesem Buch hatte sich R.s Mann vehement gegen Staatsorgane und Mediziner ausgesprochen, die Neurosen aufgrund von Kriegsereignissen nicht anerkannten und den Betroffenen die Rentenansprüche kürzten. Wenige Wochen nach der Freilassung flüchtete die Familie am 31.3.1933 in die Schweiz, wobei sie ihre sämtliche Habe in Ffm. zurückließ. Im Hochsommer 1933 zog die Familie weiter nach Frankreich, zunächst nach Paris und von dort aus nach Lyon. Hertha und Walter R. legten das Baccalauréat ab, das für alle notwendig war, die sich in Frankreich als Arzt oder Ärztin niederlassen wollten. Die französische Staatsbürgerschaft erhielten sie 1937 durch „Naturalisation“.
Während ihr Mann 1937 Gründer und Leiter eines Laboratoriums für vergleichende Hirnanatomie an der Pariser Universität Sorbonne wurde, studierte Hertha R. hier Deutsch und Englisch, übte während ihrer Zeit in Frankreich aber auch beratende Funktionen an verschiedenen Schulen aus, etwa indem sie Kinder in Hinblick auf ihre Eignung für ein akademisches Studium testete. Einen Tag vor ihrer eigenen Abschlussprüfung an der Sorbonne musste sie 1940 aus Paris fliehen; sie ging zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern zunächst in die Dordogne und zog dann über Bordeaux und Casablanca (Marokko) in die USA.
R., ihr Mann und ihre jüngere Tochter erhielten Anfang 1941 in New York die unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis für die USA und siedelten wenig später nach Richmond/Virginia über, wo Walter R. Leiter eines neugegründeten hirnpathologischen Laboratoriums der örtlichen Universität wurde. Die erste Tochter, Renée R., war zunächst zum Studium nach London gegangen, kam dann 1944 aber ebenfalls in die USA. Die Familie nahm 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. R. selbst blieb in der Emigration für lange Zeit eine erneute medizinisch-therapeutische Arbeit verwehrt. Sie musste erfahren, dass „Anpassung an die Vereinigten Staaten nicht nur Domestizierung als Frau, sondern auch politische Entradikalisierung bedeutete“ (Atina Grossmann). R. wurde ehrenamtlich am Jugendgericht in Richmond tätig und konnte erst ab 1942 sukzessive in einer von ihr aus kleinsten Anfängen aufgebauten Einrichtung für straffällig gewordene Schwarze beruflich wieder Fuß fassen. Sie gründete das „Educational Therapy Center“, in dem Heranwachsende behandelt wurden, die im Zuge rassistischer Diskriminierungserfahrungen Schäden erlitten hatten, und wirkte hier 20 Jahre lang als Direktorin. Von 1962 bis 1965 arbeitete sie zusätzlich in einem katholischen Heim für elternlose Kinder, und selbst nach ihrer Pensionierung war sie als Beraterin und behandelnde Psychiaterin an verschiedenen US-amerikanischen Einrichtungen tätig.
Weitere Veröffentlichungen (in Auswahl): „Die sexuelle Not unserer Zeit“ (1927), „Der internationale Kongreß in Kopenhagen der Weltliga für Sexualreform (W. L. S. R.)“ (in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik, 1928), „Germany“ (in: International Medical Group for the Investigation of Birth Control, 1929), „Die wahren Aufgaben der Sexualberatungsstellen“ (in: Die Aufklärung, 1929), „Sexual Reform Congress. W. L. S. R. World League for Sexual Reform. Proceedings of the Second Congress. Copenhagen, 1-5 July 1928“ (als Herausgeberin zusammen mit Jonathan Høegh von Leunbach, 1929; darin von R.: „Kinderzahl – Krankheiten – Sterblichkeit“ und „Schwangerschaftsunterbrechung im Lichte medizinischer Zeitfragen“), „Das Sexualleben des Trinkers und seine Familie“ (in: Die Volksgesundheit, 1930), „Geschlechtsleben und Gesundheit, Gesittung und Gesetz“ (1932), „Heal the Hurt Child. An Approach through Educational Therapy With Special Reference to the Extremely Deprived Negro Child” (1962), „Historical Explorations in Medicine and Psychiatry“ (als Herausgeberin, 1978).
Der Nachlass von Walter und Hertha R. befindet sich in der VCU Health Sciences Library in Richmond/Virginia (Walther and Hertha Riese papers, Identifier 1982.03.25, vgl. Bestandsverzeichnis online unter: https://archives.library.vcu.edu/repositories/3/resources/585, abgerufen am 29.8.2023).
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