Der Vater Josef G. (1890-1968) war Schauspieler und Regisseur, später Intendant des Wiener Burgtheaters. Die Mutter Rose G., geb. Steuermann (1891-1973), die aus einer jüdischen Familie aus Sambor (Österreich-Ungarn, später Polen, heute Ukraine) stammte, war Schauspielerin. Eine Schwester:
Carola Stella G. (seit 1945 verh. G. de Spiller, * 1925). Verheiratet (seit 1957) mit der Sopranistin (Chorsängerin) Helga G., geb. Augsten (* 1925). Zwei Kinder: Claudia Rose G. (* 1957) und Lucas Christian G. (* 1959).
Unter dem Druck der Nationalsozialisten musste die Familie G. 1937/38 von Berlin nach Wien umziehen, 1940 von Wien nach Argentinien emigrieren, wo der Vater Josef G. bereits 1938/39 am Teatro Colón inszeniert hatte. G. studierte seit 1940 in Buenos Aires u. a. Klavier bei Rita Kurzmann (1900-1942) und Musiktheorie bei Erwin Leuchter (1902-1973), unterstützt durch einen Briefwechsel mit seinem in New York lebenden Onkel Eduard Steuermann (1892-1964). Nach kurzem Studium der Philosophie an der Universität Buenos Aires (1945-46) und ersten Kompositionen (1946) begann er seine berufliche Laufbahn um 1946/47 als Korrepetitor am Teatro Colón in Buenos Aires, u. a. bei
Wilhelm Furtwängler und Erich Kleiber (1890-1956). Daneben debütierte er in Buenos Aires als Pianist, u. a. zu Schönbergs 75. Geburtstag 1949 mit sämtlichen Klavierwerken des Meisters. Ende 1950 verließ G. Buenos Aires, um nach Wien zurückzukehren, wo seine Eltern wieder lebten, seitdem der Vater 1948 die Direktion des Burgtheaters übernommen hatte. Seit Anfang 1951 Korrepetitor, seit 1954 zugleich Dirigent und von 1959 bis 1960 Kapellmeister an der Wiener Staatsoper. Von 1960 bis 1965 Generalmusikdirektor an der Königlichen Oper in Stockholm. Daneben Beginn der internationalen Gastspieltätigkeit. Seit 1965 freischaffender Dirigent, u. a. an der Oper Köln. Von 1969 bis 1973 Chefdirigent des Orchestre National de Belgique in Brüssel. Ab 1973 erneut freiberuflicher Dirigent und bis 1975 – als Gast – Chefdirigent der Niederländischen Oper in Amsterdam. 1976/77 Professor für Orchesterleitung an der Musikakademie in Basel. Von 1977 bis 1987 Generalmusikdirektor der Oper Fft.; zugleich künstlerischer Leiter der Ffter Museumskonzerte. Daneben Erster Gastdirigent des BBC Symphony Orchestra London (1978-1981/82) und Leiter des Cincinnati Symphony Orchestra (1980-86). Von 1986 bis 1999 Chefdirigent des SWF-Sinfonieorchesters Baden-Baden (seit 1996: SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg), anschließend dessen ständiger Gastdirigent (1999-2014). Zudem u. a. Erster Gastdirigent der Staatsoper in Berlin (bis 2014). Von 1987 bis 1995 Professor am Mozarteum Salzburg.
In seiner Ffter Zeit als Generalmusikdirektor der Oper (1977-87) war G. beim Ffter Opernpublikum zunächst sehr umstritten und wurde teilweise heftig angefeindet. So kam es am 9.2.1981 bei der Premiere von „Aida“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels, in der die Protagonistin als Putzfrau auftrat, zu Tumulten. Schützenhilfe erhielt G. in der lokalen Presse hauptsächlich von Hans-Klaus Jungheinrich, dem Musikkritiker der Ffter Rundschau. G. errang zunehmend große Erfolge, und unter seiner musikalischen Leitung avancierte die Ffter Oper zu einem der bedeutendsten Opernhäuser Europas. Im Nachhinein wurden seine zehn Ffter Jahre zur „Ära Gielen“ verklärt, wozu allerdings beitrug, dass kurz nach seinem Abschied das Ffter Opernhaus am 12.11.1987 abbrannte und G.s Nachfolger Gary Bertini (1927-2005) glücklos blieb. Zu G.s Team gehörten Klaus Zehelein (* 1940) als Chefdramaturg sowie Hans Neuenfels (1941-2022) und
Ruth Berghaus als Regisseure.
Als Generalmusikdirektor in Ffm. leitete G. auch die Ffter Museumskonzerte. In seine Amtszeit fiel der Umzug der Museumskonzerte in die nach Kriegszerstörung wiederaufgebaute und 1981 als Konzerthaus wiedereröffnete „Alte Oper“; dort leitete er zahlreiche Konzerte mit Ffter Chören. Berühmt wurde seine programmatische Verschränkung von Beethovens 9. Sinfonie mit Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ (24./25.9.1978). Sein letztes Konzert in Ffm. gab G. im Dezember 2012 mit dem SWR-Sinfonieorchester in der Alten Oper.
Seit 1997 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.
G., der sich als Dirigent einen Autodidakten nannte, setzte sich vorwiegend mit Komponisten des 20. Jahrhunderts auseinander, besonders mit den Vertretern der Neuen Wiener Schule (Schönberg, Berg, Webern). Als „epochemachend“ wurde sein Dirigat der Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ in Köln (1965) gewertet. Die Oper Fft. stand unter seiner Leitung für avantgardistische Aufführungen, deren Stil durch G.s streng sachliches Musizieren als „getreuer Korrepetitor“ (nach
Theodor W. Adorno) wesentlich mitgeprägt wurde. Mit dem SWF- bzw. SWR-Sinfonieorchester realisierte G. zahlreiche Uraufführungen bei den Musikfestspielen in Donaueschingen. Er selbst rühmte sich, erstmals die Aufführung von Beethovens Sinfonien im originalen (vom Komponisten angegebenen) Tempo realisiert zu haben. Er war jedoch Gegner der „historischen Aufführungspraxis“ mit deren Bemühungen um einen möglichst „authentischen“ Originalklang, sondern forderte, die Musik vergangener Zeiten der heutigen Aufführungspraxis anzupassen. Seinen eigenen Kompositionen blieb ein breiteres Echo versagt.
Wichtige Inszenierungen unter der musikalischen Leitung von G. an der Oper Fft. (in Auswahl): Nonos „Al gran sole carico d’amore“ (dt. EA der revidierten Fassung, Regie: Jürgen Flimm, 1978),
Schrekers „Die Gezeichneten“ (Regie: Hans Neuenfels, 1979), Bergs „Lulu“ (dt. EA der dreiaktigen Fassung, Regie:
Harry Kupfer, 1979), Verdis „Aida“ (Regie: Hans Neuenfels, 1981, mit 100 Aufführungen), Zimmermanns „Die Soldaten“ (Regie: Alfred Kirchner, 1981),
Wagners „Parsifal“ (Regie:
Ruth Berghaus, 1982), Berlioz’ „Die Trojaner“ (Regie:
Ruth Berghaus, 1983) und
Wagners „Der Ring des Nibelungen“ (Regie:
Ruth Berghaus, 1985-87).
Erinnerungen: „Unbedingt Musik“ (2005, 2. Ausgabe 2012).
Zahlreiche Auszeichnungen, Orden und Ehrungen, u. a. Hessischer Kulturpreis (1985), Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Ffm. (1986), Ernennung zum Ehrenmitglied der Ffter Museums-Gesellschaft (1987), Ffter Musikpreis (1999), Ernennung zum Ehrendirigenten des Ffter Museumsorchesters (2001) und des SWR-Sinfonieorchesters (2002), Cannes Classical Lifetime Achievement Award (2002), Deutscher Theaterpreis Der Faust für sein Lebenswerk (2007), Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (2010) und Ernst von Siemens Musikpreis („Nobelpreis der Musik“, 2010).
Michael G. Archiv (Nachlass) bei der Akademie der Künste in Berlin.
Am 20.6.2019 Gedenkkonzert für G. in der Oper Fft.
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