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Steneberg, Eberhard

Eberhard Steneberg

Eberhard Steneberg
Fotografie.

© FM XX e. V., Verein zur Förderung der Malerei des 20. Jahrhunderts, Ffm.
Eberhard Steneberg

Eberhard Steneberg
Fotografie.

© FM XX e. V., Verein zur Förderung der Malerei des 20. Jahrhunderts, Ffm.
Steneberg, Eberhard. Maler. Kunstschriftsteller und -kritiker. Kurator. * 14.9.1914 Weimar, † 16.8.1996 Ffm.
S. gehörte seit seiner Übersiedlung im Jahr 1951 zur Ffter Kunstszene und beschäftigte sich intensiv mit konstruktiver Kunst – nicht nur als bildender Künstler, sondern auch als Vermittler. Eine Pionierleistung war die 1959 von ihm organisierte Ausstellung „Beitrag der Russen zur modernen Kunst“ der Städtischen Galerie im Ffter Karmeliterkloster. Sie gilt als die erste Ausstellung in der deutschen Nachkriegsgeschichte, die die Russische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts zeigte, und löste in Ffm. einen Skandal aus.
S., der aus sehr einfachen Verhältnissen stammte, interessierte sich schon früh für Kunstgeschichte. Aufgewachsen in Weimar, kam er mit der „Weimarer Klassik“ in Berührung und lernte zugleich Kunst und Kunsthandwerk des Bauhauses kennen. Erste Grundkenntnisse im Zeichnen erwarb er bei dem Maler und Grafiker Hans Joachim Breustedt (1901-1984), der am Bauhaus studierte. Nach einer Lehre als Schaufensterdekorateur (seit 1931) zog S. im Oktober 1933 von Weimar nach Berlin. Anfang 1934 begann er eine Ausbildung in Plakatmalerei bei Ottomar Anton (1895-1976) in Hamburg. 1935 musste er, erzwungen durch die Gestapo, den im NS-Staat obligatorischen sechsmonatigen Reichsarbeitsdienst ableisten. Es folgten ein kurzes Studium (nach eigenen Angaben in Plakatmalerei) bei Emil Preetorius (1883-1973) an der Staatsschule für angewandte Kunst in München, dann Unterricht in Porträt- und Aktzeichnen bei Moritz Heymann (1870-1937) und schließlich 1936/37 Privatstunden in Aquarellmalerei bei Fritz Stuckenberg (1881-1944). Ab 1937 übte S. verschiedene Tätigkeiten, u. a. als Grafiker, Plakat- und Schildermaler, Dekorateur, Fabrikanstreicher, in Berlin und Hamburg aus. Prägend war für ihn ein Besuch bei Lyonel Feininger (1871-1956) kurz vor dessen Emigration 1937. Von 1938 bis 1941 arbeitete er als Trickfilmzeichner bei der Tobis Filmkunst GmbH und der Universum Film AG (Ufa) in Berlin. Von 1941 bis 1945 war er im Kriegsdienst als Vermessungszeichner in Norwegen und Südfrankreich eingesetzt; im Juni 1945 wurde er aus amerikanischer Gefangenschaft nach Weimar entlassen. Von 1945 bis 1947 war S. als Dekorationsmaler in russischen Kasernen und als Bühnenbildner am neu gegründeten Theater des Tanzes in Weimar tätig. In dieser Zeit erhielt er theoretische Unterweisung in Konstruktivismus durch den Maler und Typografen Joost Schmidt (1893-1948), ehemals Meisterschüler am Bauhaus in Weimar und Lehrer am Bauhaus in Dessau. 1947 flüchtete S. aus der „Ostzone“ nach Baden-Baden, wo er von dem Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957) unterstützt wurde. 1948 heiratete er Halina von Zabotin (1910-2009), Tochter des ukrainischen Malers Wladimir Lukianowitsch von Zabotin (1884-1967), und 1950 kam Tochter Bettina († 2006) zur Welt.
Seit 1951 lebte S. in Ffm. Die ersten Jahre wohnte er mit Frau und Kind in einem von ihm selbst primitiv ausgebauten Holzspeicher im Stadtteil Sachsenhausen, wo er sich auch sein erstes eigenes Atelier einrichtete; erst 1966 konnte er eine vom Kulturamt vermittelte, solidere Atelierwohnung in der Nordweststadt beziehen. Seine erste Einzelausstellung hatte S. 1956 in der „Zimmergalerie Franck“ in Ffm. Er war Vorsitzender des Ffter Schutzverbands bildender Künstler, einer Vorgängervereinigung des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK), an dessen jährlichen Verbandsausstellungen in Ffm. er sich von 1957 bis 1970 beteiligte. Von 1957 bis 1960 war er zudem ehrenamtlicher künstlerischer Leiter und Berater der von der Gewerkschaft gestützten „Galerie am Dom“; dort fand 1957 eine weitere Einzelausstellung S.s statt. Auf Reisen lernte S. 1957 Nell Walden (1887-1975) und 1958 Johannes Itten (1888-1967) in der Schweiz kennen. Ebenfalls 1957 hielt er sich für drei Wochen in Moskau auf, wo er an der 6. Internationalen Kunstausstellung im Gorki-Park beteiligt war. Ab 1958 reiste er öfter nach Paris und lernte dort Künstler kennen, von denen viele zu Freunden wurden, u. a. Michail Fjodorowitsch Larionow (1881-1964), Natalija Sergejewna Gontscharowa (1881-1962), Sonia Delaunay-Terk (1885-1979), Ossip Zadkine (1890-1967), Antoine Pevsner (1884-1962), Paul Mansouroff (1896-1983), Alexander Archipenko (1887-1964), Naum Gabo (1890-1977), Serge Charchoune (1888-1975) und El Lissitzky (1890-1941). Als Maler – ohne akademische, aber mit handwerklicher Ausbildung – waren solche Begegnungen ein wichtiger Anreiz für S., und er lernte durch Beobachtung und unter Anleitung seiner Malerfreunde. Zeit seines Lebens stand er im Briefwechsel mit Künstlern der Abstraktion, französischen und russischen Avantgardisten sowie Protagonisten der Bauhaus-Zeit, u. a. mit Wassily Kandinsky (1866-1944). S.s umfangreiche Korrespondenz und seine Tagebücher, die seine Vernetzung in Künstlerkreisen belegen, sind bisher kaum erforscht.
In Ffm. konnte S. auf die Unterstützung zweier für ihn wichtiger Persönlichkeiten setzen: Im Ffter Kunstkabinett der Mäzenin Hanna Bekker vom Rath hatte er bereits 1955 Hanna Lambrette (1921-2014) kennengelernt, mit der ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Für das Ffter Kunstkabinett arbeitete S. als Restaurator, und Hanna Lambrette fertigte Bilderrahmen. Bekker vom Rath unterstützte ihn finanziell, u. a. als er bei einem Unfall auf einer Reise durch die Provence im Sommer 1956 seine linke Hand verlor, und kaufte ihm gelegentlich einige Werke ab. In der heute bestehenden „Galerie Hanna Bekker vom Rath“, in die das Kunstkabinett überführt wurde, ist S. als fester Künstler der Galerie etabliert.
Durch Kontakte zum städtischen Kulturamt bekam S. von Kulturdezernent Karl vom Rath, einem entfernten Verwandten von Hanna Bekker vom Rath, den Auftrag, eine Ausstellung „Beitrag der Russen zur modernen Kunst“ zusammenzustellen, die im Sommer 1959 von der Städtischen Galerie im Karmeliterkloster gezeigt wurde. Bei der von S. zwei Jahre lang vorbereiteten Schau handelte es sich um die erste Gruppenausstellung russischer Künstler in Deutschland seit 1923. Als S. die Öffentlichkeit, mitten im Kalten Krieg, auf den bedeutenden, aber vernachlässigten Beitrag der Russischen Avantgardisten zur Moderne aufmerksam machte und damit, wie er selbst sagte, „die Geschichte der Moderne zu korrigieren“ versuchte, war dies ein heikles Thema und ein Wagnis zugleich. Schon im Zuge der Vorbereitungen zu der politisch heftig umstrittenen Ausstellung wurde S. angefeindet und als Kommunist beschimpft. Bei der Eröffnung der Schau fehlten der Oberbürgermeister und andere Repräsentanten der Stadt, da sie politische Repressalien oder Beschlagnahmungen durch die Sowjetunion fürchteten. Auch verdeutlicht der Vergleich zur II. documenta in Kassel im selben Jahr, die ebenfalls abstrakte „Kunst nach 1945“ zeigte und dabei den Schwerpunkt auf US-amerikanische Kunst setzte, den gegenläufigen Trend der damaligen Zeit.
Im Rahmen seiner ausgedehnten kunstpublizistischen Tätigkeit veröffentlichte S. die Monographien „Russische Kunst Berlin 1919-1932“ (1969) und „Arbeitsrat für Kunst. Berlin 1918-1921“ (1987), mit denen er sich endgültig als Kenner des russischen Konstruktivismus auswies. Er schrieb Aufsätze für Kunstzeitschriften und Kataloge und hielt Vorträge an Universitäten in Bonn, Kassel, Berlin und Kunstvereinen in Ffm., Dortmund, Gießen, Baden-Baden.
Erst ab etwa 1970 arbeitete S. als freischaffender Künstler. So leidenschaftlich er sich für die Kunst einsetzte, so schlecht war er zeitlebens in der Kunst, sich und seine eigenen Werke zu verkaufen. Seine Bilder auf dem Kunstmarkt anzubieten oder anbieten zu lassen, war ihm suspekt. Mit seiner Malerei oft unzufrieden, war er erst wieder in den letzten Jahren seines Lebens dazu bereit, seine Kunst einem breiteren Publikum zu zeigen. Nach frühen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, auch auf internationaler Ebene (Moskau, New York, Kopenhagen, Lyon), in der Zeit von 1956 bis 1965 nahm S. erst ab 1985 wieder an Gruppenausstellungen teil (u. a. bei der Heussenstamm-Stiftung in Ffm., 1985), und ab 1987 präsentierte er sein Werk wieder in Einzelausstellungen (in Galerien in Darmstadt, 1987, Chemnitz, 1991, und Schweinfurt, 1992).
S.s Œuvre zeigt ein vielschichtiges Spiel mit Farben und Formen, mit Harmonie und Unruhe. Beherrschten in seinem kurzen Frühwerk eher zurückgenommene, gedämpfte Farben seine Malerei, wie das noch sehr gegenständliche Porträt seiner Frau „Halina“ von 1948 illustriert, so erforschte S. später, mit seinem Umzug nach Ffm., die Grundprinzipien moderner, abstrakter Malerei. Die Abstraktion stellte für ihn einen Neuanfang dar, die Möglichkeit, sein Material von Grund auf neu zu erproben. Typisch für S. wurden konstruktive Bilder mit kräftigen Farben und mit klaren geometrischen Formen, die sich oft in transparent wirkenden Flächen überschneiden. Bei aller Abstraktion nahm S. seine Gegenwart zum Ausgangspunkt seiner Bilder, worauf die Titel manchmal einen Hinweis geben. Sein Werk reflektiert damit auch die städtebaulichen Veränderungen seiner Wahlheimat Ffm., wie bei dem Gemälde „Blick in die Stadt“ (1953) oder dem Bild „Das neue Fft.“ (1968), das den Römer in abstraktem Muster zeigt. Einem großen Ölgemälde gab er den Titel „Rotunde“, mit dem es sich auf den 1949 von Gerhard Weber errichteten Rundbau bezieht, der der Bundesrepublik als Parlamentssitz hätte dienen sollen, wenn Ffm. Bundeshauptstadt geworden wäre; heute gehört der Bau zum Funkhaus des HR am Dornbusch. Sein späterer Wohnort in der Nordweststadt inspirierte S. zu dem Bild „Nordwest. Die neue Stadt“ (1967), das, in einem anderen Stil ausgeführt, den Übergang des Künstlers in sein Spätwerk deutlich macht.
Eine noch zu Lebzeiten S.s geplante Werkschau konnte erst 1998, zwei Jahre nach seinem Tod, realisiert werden. Die Städtische Galerie zeigte im Karmeliterkloster, wo knapp 40 Jahre zuvor die von S. kuratierte Ausstellung mit Künstlern der Russischen Avantgarde zu sehen gewesen war, nun S.s eigene Gemälde („Steneberg. Bilder 1948-1978“). 2007 gründete Hanna Lambrette den „Verein zur Förderung der Malerei des 20. Jahrhunderts“ (FM XX), der sich um die Pflege des künstlerisch wie literarisch bemerkenswerten Nachlasses von S. kümmert. Die „Galerie Hanna Lambrette“ würdigte S.s Arbeiten 2017 mit einer Einzelausstellung. Eine Retrospektive „Eberhard Steneberg: Zwischen allen Stühlen“ zeigte das Institut für Stadtgeschichte in Zusammenarbeit mit dem von Roland Lambrette (* 1951), dem Sohn der Gründerin, weitergeführten Verein „FM XX“ 2020/21 wiederum im Karmeliterkloster.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Claudia Olbrych.

Literatur:
                        
Die bildenden Künstler in Ffm. Hg. v. d. Stadt Ffm., Dezernat für Kultur und Freizeit, Amt für Wissenschaft und Kunst. Bearb. v. Kurt Lotz u. Rudi Seitz. Ffm. 1982, 2. Aufl. 1989.Die bildenden Künstler in Ffm. 1982; 1989. | Begegnung Bauhaus. Kurt Schmidt und Künstler der Avantgarde von Kandinsky bis Vasarely. [Katalog zur Ausstellung der Kunstsammlung Gera, 2009.] / [Hg.: Kunstsammlung Gera. Red.: Frank Hrouda u. a.] Gera 2009.Kat. Begegnung Bauhaus 2009. | Klemp, Klaus (Hg.): Eberhard Steneberg. Bilder 1948-1978. Ffm. 1998.Klemp (Hg.): Eberhard Steneberg 1998. | Steneberg, Eberhard: Arbeitsrat für Kunst. Berlin 1918-1921. [Düsseldorf] 1987.Steneberg: Arbeitsrat für Kunst 1987. | Steneberg, Eberhard: Russische Kunst Berlin 1919-1932. [Hg.: Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst (Kunstverein Berlin).] Berlin 1969. (Bildende Kunst in Berlin 4).Steneberg: Russische Kunst 1969.
Quellen: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin.Berlinische Galerie, Abteilung Künstler*innen-Archive, Findübersicht zum dokumentarischen Teilnachlass von Eberhard Steneberg, 2020 (http://dfg-viewer.berlinischegalerie.de/findbuecher/finduebersicht_teilnachlass_steneberg_bg.pdf, abgerufen am 11.5.2020). | Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Crüwell, Konstanze: Konstruktivismus als Lebensthema. In: FAZ, Nr. 70, 24.3.1998, S. 53. | Ffter Neue Presse. Ffm. 1946-heute.Wolters, Dierk: Es ist Zeit, den Ffter Maler Eberhard Steneberg wiederzuentdecken. In: FNP, 15.1.2018. | Ffter Neue Presse. Ffm. 1946-heute.Wolters, Dierk: Ringen um die rechte Form. In: FNP, 6.4.2018, S. 21. | Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Kemfert, Beate: Raum für einen Konstruktivisten. In: FR, 13.4.1996. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/7.599.
Internet: FM XX e. V., Verein zur Förderung der Malerei des 20. Jahrhunderts, Ffm. http://www.fmxx.de/de
Hinweis: Der Verein und damit auch dessen Internetseite pflegt insbesondere die Erinnerung an Eberhard Steneberg.
Mit Beiträgen von Jelena Hahl-Fontaine, Klaus Klemp und Inge Wierda.
FM XX, Verein zur Förderung d. Malerei d. 20. Jh.s, 8.5.2020.


GND: 117270768 (Eintrag der Deutschen Nationalbibliothek).
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Empfohlene Zitierweise: Olbrych, Claudia: Steneberg, Eberhard. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/11495

Stand des Artikels: 20.9.2021
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 05.2020.