Bekker vom Rath, Johanna Emmy Adele, gen. Hanna, geb. vom Rath. Malerin. Mäzenin, Kunstsammlerin und -händlerin. * 7.9.1893 Ffm., † 8.8.1983 Bad Nauheim.
Tochter des Industriellen
Walther vom Rath und dessen Ehefrau Maximiliane, geb. Meister (1864-1942). Enkelin von
Wilhelm Meister, dem Mitbegründer der späteren Farbwerke Hoechst. Urenkelin des Malers
Jakob Becker.
Hanna vom Rath wuchs in Ffm. und Kronberg auf. Früh interessierte sie sich für Literatur, Musik und Kunst. Als Privatschülerin nahm sie Malunterricht bei Marie Steinhausen-Paquet,
Ottilie W. Roederstein und Ida Kerkovius. Sie besuchte Ausstellungen im Kunstsalon Ludwig Schames, bei dem sie erste Werke expressionistischer Kunst erwarb. Durch Ankäufe von Werken unterstützte sie Künstler angesichts von deren wirtschaftlicher Not während und nach dem Ersten Weltkrieg.
Nach ihrer eigenen Schilderung hielt Hanna vom Rath während einer SPD-Versammlung in der Paulskirche 1918 eine spontane Rede für die Emanzipation der Frauen. Im gleichen Jahr lernte sie
Paul Bekker, Musikschriftsteller und Kritiker der Ffter Zeitung, kennen, den sie im März 1920 heiratete; aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Das Paar bezog 1920 das spätere „Blaue Haus“ in Hofheim am Taunus, in dem B. v. R. fast bis zu ihrem Lebensende wohnte. Die Ehe mit
Paul Bekker wurde 1930 geschieden.
Bekker verließ Deutschland im Juni 1933 und starb 1937 im New Yorker Exil.
Das Hofheimer Domizil entwickelte sich schnell zu einem Treffpunkt von Künstlern der Musik, der Literatur und der bildenden Kunst. Unter den bildenden Künstlern, die B. v. R. regelmäßig besuchten, waren Alexej Jawlensky, Karl Schmidt-Rottluff, Emy Roeder, Ludwig und Else Meidner. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurde B. v. R.s Hofheimer Haus vielen der als „entartet“ diffamierten Künstler zu einem nur Eingeweihten bekannten Refugium, in dem sie unbehelligt arbeiten konnten. Während der Wintermonate in den Jahren 1939 bis 1943 organisierte B. v. R. in ihrer Berliner Atelierwohnung „heimliche“ Ausstellungen und vermittelte Sammlern Werke und jungen Besuchern die Gedankenwelt der verbotenen Künstler. Nach dem Zweiten Weltkrieg besorgte B. v. R. für Ernst Wilhelm Nay und Ludwig Meidner Ateliers in Hofheim, und für Schmidt-Rottluff errichtete sie 1954 ein Atelierhaus auf ihrem großen Gartengrundstück.
1947 gründete B. v. R. in Ffm. in der Kaiserstraße 5 das „Ffter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath“, das mit einer Ausstellung mit Werken von Käthe Kollwitz aus der Sammlung von
Helmut Goedeckemeyer eröffnet wurde. Zwei Jahre später zog die Galerie an den Börsenplatz um, in das Gebäude, in dem früher Ludwig Schames gewirkt hatte. In den 1950er Jahren begann B. v. R., deutsche Kunst auf Ausstellungsreisen durch Nord- und Südamerika, in Südafrika und Indien zu zeigen, und im Gegenzug brachte sie Werke aus diesen Ländern nach Ffm. Weitere Ausstellungen veranstaltete die „Botschafterin der Kunst“ in Spanien, Ägypten, Griechenland, dem Libanon und zuletzt 1967 in Marokko.
Werke aus der bedeutenden Kunstsammlung von B. v. R. waren seit den 1950er Jahren für viele Museen gefragte Leihgaben. Beispielsweise stellte die Sammlerin 1955 der ersten documenta sieben und 1963 dem Ffter Kunstverein 39 der 151 Exponate für die Ausstellung „Moderne Malerei in Ffter Privatbesitz“ zur Verfügung. Hatte das Ffter Kunstkabinett sich in den ersten Jahren des Bestehens vor allem der Generation seiner Gründerin – darunter vielen Emigranten – gewidmet, so wurden später zunehmend Ausstellungen jüngerer Künstler gezeigt. Kurz vor B. v. R.s Tod ging auch die Galerieleitung in jüngere Hände über.
1957 Goethe-Plakette des Landes Hessen. 1963 Ehrenplakette der Stadt Ffm. 1964 Großes Bundesverdienstkreuz.
B. v. R. wurde von zahlreichen bedeutenden Künstlern, u. a. von
Ottilie W. Roederstein (1937), Karl Schmidt-Rottluff (1940, 1952), Louise Stomps (Bronzebüste, 1968) und
Benno Walldorf (1968), porträtiert und schuf auch einige Selbstbildnisse.
Die eigene Malerei gab B. v. R. nie auf, zeigte ihre Werke aber nur selten in der Öffentlichkeit. Erst nach ihrem Tod würdigten das Ffter Kunstkabinett 1984 und das Stadtmuseum Hofheim 1993 das künstlerische Schaffen von B. v. R. in umfassenden Einzelausstellungen.
Einen ersten Überblick über den Bestand der Kunstsammlung von B. v. R. bot 1984 die Ausstellung „Privatbesitz Hofheim“ in der Jahrhunderthalle Hoechst. B. v. R.s letztem Willen folgend, dass „ein wesentlicher Teil der Sammlung an eine öffentlich zugängliche Kunstsammlung im Raum Ffm.-Darmstadt-Wiesbaden veräußert werden möge“, übernahm das Museum Wiesbaden 1987 insgesamt 30 Hauptwerke, die dort zum Teil permanent gezeigt werden. Aus dem Nachlass schenkten die Erben 1988 die Holzskulptur „Adorant“ von Karl Schmidt-Rotluff (1917/18) dem Ffter Städel.
Das Stadtmuseum Hofheim widmete dem Wirken von B. v. R. und ihrem Künstlerkreis fast 20 Ausstellungen seit seiner Eröffnung 1993, u. a. „Brücke und Blaues Haus“ im Rahmen des Kooperationsprojekts „Phänomen Expressionismus“ des Kulturfonds Fft.RheinMain (2010). Im Rahmen dieses Projekts präsentierte das Museum Giersch in Ffm. auch B. v. R. als Sammlerin und Malerin. Das Museum Wiesbaden würdigte die Sammlerin 2013 mit der Ausstellung „Zwischen Brücke und Blauem Reiter. Hanna Bekker vom Rath als Wegbereiterin der Moderne“, die auch im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt wurde. 2024 findet die Ausstellung „Hanna Bekker vom Rath. Eine Aufständische für die Moderne“ im Brücke-Museum in Berlin (24.2. bis 16.6.) und in den Kunstsammlungen Chemnitz (7.7. bis 16.10.) statt.
Das „Ffter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath“ war seit 1993 im Galerienviertel in der Braubachstraße ansässig; es musste 2015 Insolvenz anmelden, wurde 2016 von Anja Döbritz-Berti, der Inhaberin des benachbarten Auktionshauses Döbritz, übernommen und als „Galerie Hanna Bekker vom Rath“ am alten Standort (Braubachstraße 12) neu gegründet. Das Archiv des Ffter Kunstkabinetts befindet sich im ISG.
Zum 125. Geburtstag von Hanna B. v. R. 2018 verlegte die Ffter Bürgerstiftung in ihrer Schriftenreihe „Mäzene, Stifter, Stadtkultur“ die Biographie „Hanna B. v. R. Handelnde für Kunst und Künstler“ von Marian Stein-Steinfeld.
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Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 56f.,
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