Der Ffter Johann Valentin R., über dessen Leben und Werkstatt bisher nur wenig bekannt ist, ist einer der bedeutendsten deutschen Möbelschreiner des Klassizismus. Seine Werke bestechen durch eine vorzügliche Ausarbeitung, in der eine eigenständige „deutsche“ Formensprache des Empire- und Biedermeier-Stils zur Geltung kommt.
Drittes Kind des Ffter Schreinermeisters Benjamin R. (1738-1813) und dessen Ehefrau Catharina (auch: Catherina) Margaretha (auch: Margarethe), geb. Wild (1747-1822). Sechs Geschwister: Johann Jacob R. (1775-1835), Georg Michael R. (1776-1781), Henriette Magdalena R. (später verh. Eßlinger, 1779-1842), Johann Christian R. (1780-1823), Susanna Magdalena R. (1782-1847) und Benjamin R. (1786-1842). Einige Familienmitglieder erlernten handwerkliche Berufe; der Bruder Johann Christian R. arbeitete als Tapezierer, und der Bruder Benjamin R. war Schlossermeister.
Verheiratet in erster Ehe (seit 1810) mit Anna Maria R., geb. Leidecker (auch Leydecker; 1793-1813), in zweiter Ehe (seit 1814) mit Maria Elisabetha (auch: Elisabethe) Welker (auch: Welcker, Walker; 1783-1839). Zwei Kinder aus erster Ehe: Eva Rosina R. (1812-1828) und Benjamin Theodor Gustav R. (1813-1814). Ein Sohn aus zweiter Ehe: August Carl Wilhelm R. (30.11.1814-14.12.1814). Lt. Adressbuch 1834-38 wohnte R. in der Ankergasse (heute: Karmelitergasse) Lit. J 210 (später Nr. 16).
Über die Lehr- und Gesellenjahre von R. ist nichts bekannt. Wahrscheinlich hat er eine Ausbildung in Frankreich genossen. Dafür spricht, dass er seine Möbel später mit einem Schlagstempel (I.V. RAAB.) signierte, wie er zur damaligen Zeit nur in Frankreich verwendet wurde. Auch war R. der französischen Sprache mächtig. Die Berufsbezeichnung „Ebenist(e)“ in französischer Manier, die er benutzte, wurde im deutschsprachigen Raum auch von anderen seiner Kollegen verwendet, um den künstlerischen Anspruch in ihrem Beruf hervorzuheben.
Als sich R. 1806 in seiner Geburtsstadt Ffm. zur Meisterprüfung im Schreinerhandwerk anmeldete, beantragten er und sein Kollege Peter Friedrich Ditmar, statt des üblichen Schreibkabinetts ein anderes, moderneres Meisterstück anfertigen zu dürfen. Das Aufbegehren gegen zünftische Regeln hatte damit einen Höhepunkt erreicht, denn schon 1804 hatten sich die Schreiner um R. empört, dass Fensterrahmen nach uralter Art und Weise als Musterstück angefertigt werden mussten, obwohl sich deren Bauweise längst gewandelt hatte und die hergestellten unverwendbaren Stücke einfach entsorgt wurden. Die Ffter Schreinerzunft genehmigte R.s und Ditmars Antrag und bestimmte, dass in Zukunft jeder Schreiner einen eigenen Entwurf für sein Meisterstück vorlegen müsse. Die Vorteile für die angehenden Meister lagen in einer kürzeren Herstellungszeit, einem niedrigeren Materialaufwand und daher geringerer Kosten sowie der Verkäuflichkeit des Meisterstücks. Das erleichterte ihnen die Aufnahme in die Zunft, wofür sie nachweisen mussten, dass ihre Mittel zur Eröffnung einer eigenen Werkstatt ausreichten, und damit den Erwerb des Ffter Bürgerrechts.
Am 12.10.1807 wurde R. als Schreinermeister in das Ffter Bürgerrecht aufgenommen. Sein Meisterstück hatte er am 15.6.1807 fertiggestellt. Die Risszeichnung von 1806 ist im ISG erhalten (ISG, Handwerker: Akten, Nr. 1.065). R.s Meisterzeichnung, die einen monumentalen Schreibschrank auf fast quadratischem Grundriss skizziert, offenbart bereits sein künstlerisches Talent und seine Auseinandersetzung mit aktuellen Moden. Vergleiche, beispielsweise mit den Entwürfen der für
Napoleon tätigen Architekten und Raumausstatter Charles Percier (1764-1838) und Pierre François Léonard Fontaine (1762-1853), verweisen eindeutig auf französische Vorbilder. Den französischen Konsolentypus des Empire-Stils verstand R. geschickt mit den Vorschriften des Säulenschranks aus dem Hochbarock zu kombinieren und zu variieren, so dass unter Verwendung von Edelholzfurnier und zurückhaltender Vergoldung ein hochmodisches Möbelstück entstand, das vermutlich auch frei in der Raummitte aufgestellt werden konnte.
Noch vor dem Erwerb des Meisterrechts erhielt R. seinen ersten bedeutenden Auftrag: die Ausstattung und Möblierung der „Toskanazimmer“ in der Würzburger Residenz. Als der Habsburger Ferdinand III. (1769-1824), bis 1801 Großherzog von Toskana, im Jahr 1806 als neuer Großherzog von Würzburg die dortige Residenz bezog, ließ er sich im Würzburger Schloss Wohn- und Repräsentationsräume nach der neuesten Mode, im eleganten und edlen Empire-Stil, neu gestalten. Der in Frankreich geschulte und in Ffm. lebende Architekt
Nicolas Alexandre Salins de Montfort wurde mit der Neugestaltung dreier Appartements im Südflügel der Residenz beauftragt.
Salins de Montfort schuf die Entwürfe für einen Großteil der repräsentativen Möblierung in modernen Empireformen. Als einer seiner engsten Mitarbeiter wirkte R. ab 1806 wesentlich an der Möbelausstattung vor Ort mit. Die von R. gefertigten Möbel wie Sessel, Stühle, Hocker, Tische, Standspiegel und Ofenschirme werden in der Kunstgeschichte zu den besten Möbeln des Empire gezählt. Unter den Räumen befand sich auch ein Boudoir, ein Salon für die künftige Großherzogin, der aufgrund der eindrucksvollen Gesamtwirkung von Wanddekoration, Deckenmalerei, Fußboden und Mobiliar als interessantestes der „Toskanazimmer“ gilt. Den Höhepunkt im Schaffen R.s bildet die „Schwanengarnitur“ für dieses prachtvolle Zimmer. Die Würzburger „Toskanazimmer“ brannten bei der Bombardierung der Stadt 1945 vollständig aus. Etwa 230 der 400 Möbelstücke, in erster Linie Sitzgarnituren, wurden durch rechtzeitige Evakuierung gerettet, wenn auch in beschädigtem Zustand. Sie wurden von der Bayerischen Schlösserverwaltung und durch Spenden der „Freunde der Residenz Würzburg e. V.“ 2007 und 2017 aufwendig restauriert. Die Entwürfe zu den Würzburger Innenausstattungen haben sich im Nachlass von
Salins de Montfort in der Grafischen Sammlung des HMF erhalten.
Weitere Aufträge erhielt R. von wohlhabenden Familien, in Ffm. beispielsweise von den Familien
Rothschild und
Bethmann. Landgräfin Elisabeth von Hessen-Homburg, geb. Prinzessin von Großbritannien und Irland (1770-1840), bestellte für ihre Räumlichkeiten im Schloss in (Bad) Homburg ab 1818 auch Mobiliar und wandfeste Holzarbeiten bei R., wofür sich zwischen 1819 bis 1828 Zahlungen nachweisen lassen, fast alle aus Elisabeths Privatkasse.
Im HMF befindet sich ein Satz von vier Stühlen R.s (als Dauerleihgabe der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung für Kunst- und Kulturpflege). Es handelt sich um Staatsmöbel des Hauses Österreich für dessen Präsidialgesandten beim Deutschen Bund im Palais
Thurn und Taxis, wo der Deutsche Bundestag von 1816 bis 1866 seinen Sitz hatte.
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