W. stammte aus einer bedeutenden Weinhändlerfamilie in Zell am Main bei Würzburg. Schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts beherrschten seine Vorfahren mit anderen fränkischen Weinhändlern wie Chandelle, Bögner, Specht und Vorgeitz den Ffter Weinmarkt bei den Frühjahrs- und Herbstmessen. Die von Verwandten W.s geführte Weinhandlung in Ffm. bestand unter dem Namen „Franz Wiesen sen.“ bis etwa 1840.
Siebtes Kind und vierter Sohn des katholischen Ffter Bürgers und Weinhändlers Andreas W. (1761-1831) und dessen Ehefrau Maria Theresia, geb. Penco (1766-1825), Tochter des Gewürzhändlers Giovanni Lorenzo (auch: Johann Lorenz) Penco (1739-1816) aus Nervi in der Republik Genua. Taufpate war ein Onkel, der Weinhändler Johann Theodor Heimbach (1742-1817) aus Zell am Main. Weitere Onkel waren u. a.:
Andreas Joseph Chandelle (1743-1820), Oberpostamtssekretär und Pastellmaler in Ffm.;
Mattheus (auch: Matthäus) Georg (seit 1816: von) Chandelle (1745-1826), promovierter Theologe, der 1818 zum Bischof von Speyer ernannt wurde, wo ihm W.s unverheiratete Tante Maria Elisabeth W. (1759-1822) den Haushalt führte.
Neun Geschwister: Johann
Lorenz W. (1785-1786), Maria
Dorothea Catharina W. (1786-1861), Johann
Franz Josef W. (1788-1823), Maria
Juliane Antonie W. (seit 1817 verh. Chandelle, 1789-1836), Johann
Josef W. (1791-1853), Anna
Rosina Theresia, gen. Rös, W. (1793-1873), Maria
Antonia W. (1797-1842), Johann
Carl W. (1798-1799), Maria Rosina
Carolina W. (seit 1826 verh. Chandelle, 1801-1857). Der Bruder Johann
Josef W. heiratete 1817 in Paris Maria Margarete Labenette-Corsse (1799-1881), Tochter des Bühnenschriftstellers und Theaterdirektors Jean-Baptiste Labenette-Corsse (1759-1815). Cousins und Cousinen:
Maria Dorothea Walpurgis Chandelle (1784-1866), Ffter Malerin;
Franz Josef (auch: Joseph) Chandelle (1785-1829), Oberpostamtssekretär in Ffm., verheiratet seit 1817 mit W.s Schwester Maria
Juliane Antonie;
Josef Anton Chandelle (1787-1831), Oberpostamtssekretär in Ffm., verheiratet seit 1826 mit W.s Schwester Maria Rosina
Carolina; Johann Lorenz W. (1793-1839), praktischer Arzt, Chirurg und Geburtshelfer in Ffm.; Mathias Georg W. (1795-1838), Oberpostamtssekretär in Ffm., u. a.
Verheiratet (seit 1838) mit Friederike
Marie Caroline, gen. Mimi, W., geb. Textor (1813-1851), der Tochter des Juristen und Mundartschriftstellers
Friedrich Karl Ludwig Textor (1775-1851), der ein Cousin von
Johann Wolfgang Goethe war.
Fünf Kinder: ein totgeborener Sohn (1839); Carl
Theodor W. (1840-1856), Gymnasiast;
Anna Maria W. (seit 1864 verh. Lucius, 1842-1927); Friedrich
Wilhelm W. (1845-1889), Landwirt, später Redakteur der Dürener Zeitung; Johann
Friedrich W. (1848-1870), Jurastudent, Einjährig-Freiwilliger im 1. Ffter Dragonerregiment.
Ab 1809 Besuch des philosophischen Vorkurses und Studium der Rechte an der Karls-Universität in Aschaffenburg. Einer seiner Kommilitonen, der Weinhändlersohn Desiderius Bayard aus Mons, widmete W. im Februar 1809 ein Aquarell mit den Worten „Alles vergeht, nur Freundschaft nicht“, das dieser später in sein Stammbuch (erhalten in Privatbesitz) einlegte. Am Johannistag 1809 Teilnahme an einem studentischen Zechgelage mit Ausschreitungen in Goldbach, u. a. mit Rinaldo von Herder (1790-1841), dem jüngsten Sohn von Johann Gottfried (von) Herder (1744-1803), und
Andreas Josef Chandelle (1789-1821), W.s Cousin aus Ffm. Ab Oktober 1810 Fortsetzung des Jurastudiums an der Universität Heidelberg. 1814 Promotion und Zulassung als Advokat in Ffm.
W. wohnte mindestens ab 1831 in der Großen Gallengasse (der späteren Großen Gallusgasse) Lit. E 8 (später Nr. 13), einem Familienanwesen, in dem auch ein Weinlokal, Weinkeller und Mietwohnungen untergebracht waren. Der demissionierte Diplomat Wolfgang von Goldner (1764/65-1837) war 1831 ein prominenter Mieter. W. betrieb in dem Haus auch seine Anwaltskanzlei. Nach dem Tod des Vaters 1831 vertrat er als Generalbevollmächtigter seinen Bruder Johann Josef W., der als Marmorfabrikant in Paris lebte, bei den familiären Erbauseinandersetzungen. Als seine Schwester Maria
Juliane Antonie Chandelle, geb. W., 1836 starb, übernahm W. die Vormundschaft für die verwaisten Kinder Maria Theresia (1822-1900) und Jean Germain (1828-1904), die er bei sich aufnahm. Später (1845) vertrat W. als „General- und Spezialbevollmächtigter“ seine Nichte Maria Theresia Chandelle bei der Teilung des elterlichen Erbes; der Bruder Jean Germain Chandelle wurde durch W.s Schwager, den Advokaten Wilhelm Carl Friedrich Textor (1806-1882), und den Buchdrucker Johann Friedrich Bayrhoffer (1779-1855) vertreten, die zur Vermeidung eines Interessenkonflikts nun dessen Vormundschaft übernommen hatten. Anlass der Teilung war die anstehende Hochzeit von Maria Theresia Chandelle mit dem Kölner Kaufmann Friedrich Georg Wilhelm Gerbel (1819-1871).
Bereits 1843 hatte W. die Versteigerung der Restbestände des hinterlassenen Kunstbesitzes von
Andreas Joseph Chandelle zugunsten von dessen verwaisten Enkeln organisiert, die in seinen Wohnräumen in der Großen Gallusgasse stattfand. Neben mehreren Ölgemälden namhafter Künstler wurden 112 Pastelle von
Chandelles Hand sowie das Meisterstück des Ffter Bildhauers
Cornelius Andreas Donett (des Großvaters von
Chandelle) und eine elfenbeinerne Kreuzigungsgruppe des Mainzer Hofbildhauers Peter Heinrich Hencke (des Schwiegersohns von
Donett; 1715-1777) angeboten. W. kaufte selbst fünf
Chandelle’sche Pastelle aus dieser Auktion.
W. war leidenschaftlicher Kunstsammler. Der „Gegeißelte Heiland von der Wies“ war von jeher der Schutzheilige der Weinhändlerfamilie W., den sie auch an ihrem Palais (erbaut von Balthasar Neumann, 1742-44; verändert erhalten) in Zell am Main hatte anbringen lassen. 1856, im Todesjahr seines Sohnes Carl
Theodor, erwarb W. das Gemälde „Christus an der Geißelsäule“ (um 1604) von Guido Reni (1575-1642) aus einer Ffter Sammlung.
Schon 1851 hatte W. seine Frau verloren. In das (in Privatbesitz erhaltene) Stammbuch, das Marie ihm 1834 (also noch vor ihrer Heirat) geschenkt hatte, schrieb er: „Meine liebe Mimi endigte auf die bedauernswürdigste Weise ihr Leben am 2. Februar 1851. Unsere glückliche Ehe werde ich nie vergessen, ewig werde ich Ihrer gedenken! – Trennung kennt die wahre Liebe nicht, Ihrer Losung ist die Ewigkeit!“ Die ledig gebliebene Schwester Anna
Rosina Theresia W. („Tante Rös“) führte dem Witwer den Haushalt. Im Juli 1861 verkaufte W. sein Anwesen Große Gallusgasse 13 für 70.000 Gulden an den Ffter Bürger und Handelsmann Johann
Albert Varrentrapp (1821-1885). Wenige Monate später, im Dezember 1861, veräußerte er seinen Eigentumsanteil an dem Haus Fahrgasse 107/Ecke Töngesgasse für 24.000 Gulden an den Ffter Bürger und Kaufmann Jacob Gottscho (1830-?). Danach wohnte und firmierte W. als Advokat auf der Zeil 38 (lt. Adr. 1863-66) und schließlich in der Fahrgasse 2 (ab Adr. 1868). W. starb am Abend des 21.2.1875 in seiner Wohnung in der Fahrgasse 2.
Ein Bildnis von W. ist bis heute nicht bekannt, obwohl sein Onkel, der Pastellmaler
Andreas Joseph Chandelle, zahlreiche Familienmitglieder (darunter W.s Eltern Andreas und Maria Theresia W. und Großvater Johann Lorenz Penco) porträtierte.
Bestattet wurde W. in der Familiengruft W.-Penco auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gruftenhalle, Gruft 25). Die Gruft war durch W.s Schwester Maria
Dorothea Catharina W. zum Tode von W.s Sohn Carl
Theodor 1856 angekauft worden. Seitdem fanden viele Mitglieder der Familien W., Chandelle und Lucius dort ihre letzte Ruhe. Auch seine bereits 1851 verstorbene Ehefrau Mimi ließ W. im Dezember 1856 dorthin umbetten. 2014 wurde an der Wand der Gruftenhalle eine Erinnerungstafel mit den Namen aller Bestatteten angebracht.
W.s einzige Tochter
Anna Maria (1842-1927) war seit 1864 mit dem Kaufmann und Fabrikanten Carl Joseph
Adolph Lucius (1837-1879) aus Erfurt verheiratet. Lucius betrieb um 1868 in der Schulstraße 11 in Ffm.-Sachsenhausen eine Parfümerie- und Seifenfabrik unter der Firma „Lucius & Ducca“. Bei der Sanierung der Turmspitze der Dreikönigskirche entdeckten Bauarbeiter 2021 eine Zeitkapsel aus der Bauzeit um 1880, die u. a. einen Flacon von „Lucius & Ducca“ (vermutlich gefüllt mit Nordhäuser Korn) enthielt. Aus der Ehe von Anna und Adolph Lucius stammten sechs Kinder, u. a. die Tochter Louisa Antonia Lucius (1874-1955) und der Sohn Heinrich Carl Lucius (1876-?). Louisa Antonia Lucius heiratete 1899 den Freiburger Architekten und Kunstsammler Carl Anton Meckel (1875-1938), der als Sohn des Architekten
Max Meckel in Ffm. geboren worden war. Heinrich Carl Lucius betrieb in der Weserstraße 47-49 in Ffm. eine Fabrik für Weinkorken und einen Importhandel für spanische Korken, die er 1900 gegründet hatte.
Nach W.s Tod 1875 wurde die Kunstsammlung aus seinem Nachlass versteigert. Die Auktion organisierte der mit einer Nichte W.s verheiratete Kupferstecher und Kunsthändler Georg
Ludwig Kohlbacher (1826-1894), damals Inspektor des Ffter Kunstvereins. Über diese Versteigerung kam das Gemälde „Christus an der Geißelsäule“ von Guido Reni für 7.200 Mark ins Ffter Städel Museum (Inventar-Nr. 1103).
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