G. stammte aus wohlhabenden bürgerlichen Verhältnissen. Der Vater,
Friedrich G. (1882-1958), war in Ffm. Universitätsprofessor für öffentliches Recht. Der Spezialist für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrechtslehre engagierte sich politisch in der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei bzw. (ab 1930) der Deutschen Demokratischen Staatspartei.
1939 legte G. in Ffm. die Hochschulreife ab. Sein ursprüngliches Vorhaben, Priester zu werden und zu diesem Zweck Theologie zu studieren, gab er zugunsten der Medizin auf. Parallel studierte er deutsche Philologie und Philosophie. Während des Besuchs der Universitäten in Ffm., Jena, Marburg und Freiburg trat G., der zuvor der HJ angehört hatte, dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund bei (1940), dessen aktives Mitglied er als Amtsleiter für politische Erziehung und Kameradschaftserziehung wurde. 1941 folgte der Eintritt in die NSDAP.
Da die Wehrmacht ihn aufgrund der Diagnose eines Herzfehlers nicht einberief, konnte G. sein Studium während des Krieges absolvieren. 1943 wurde er in Ffm. mit der Arbeit „Das Polaritätsprinzip in
Goethes Dichtung“ zum Dr. phil. promoviert. 1944 hielt er an der Universität Freiburg/Breisgau im Medizinhistorischen Institut den Vortrag „Untersuchungen zum Wesen der Begegnung“, in dem er Homosexualität als mit dem Nationalsozialismus vereinbar zu deuten versuchte. Der Vortrag wird von der historischen Forschung als ein im Universitätsleben des „Dritten Reichs“ außergewöhnlicher Vorgang eingeordnet – umso mehr, als dem nationalsozialistisch überzeugten G., der in seiner Gymnasialzeit aufgrund einer Denunziation wegen homosexueller Kontakte mindestens einmal die Schule gewechselt haben soll, nichts geschah.
1946 wurde G. in Marburg mit der von Werner Villinger (1887-1961) betreuten Studie „Die Formen männlicher Homosexualität“ zum Dr. med. promoviert. Nach Hospitationen bei
Franz Volhard und Oskar Vogt (1870-1959) spezialisierte er sich unter dem Einfluss des Psychiaters und Philosophen Viktor Emil von Gebsattel (1883-1976) für die Bereiche Psychopathologie und Psychiatrie.
1949 gründete G. in seiner Privatwohnung in Kronberg im Taunus das Institut für Sexualforschung, das er noch im selben Jahr in sein Elternhaus in Ffm. (Hansaallee 7) verlegte. Das Unternehmen erwies sich als Motor für den Aufbau der Infrastruktur der Sexualwissenschaft in der gerade gegründeten Bundesrepublik. G. war maßgeblich an der Initiierung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) beteiligt, die auf dem ersten bundesdeutschen, ebenfalls von G. organisierten sexologischen Nachkriegskongress im April 1950 in Ffm. vollzogen wurde. Die als Publikationsorgan vorgesehene „Zeitschrift für Sexualforschung“ ging zwar nach vier Ausgaben wieder ein. Doch gelang es, mit der Schriftenreihe „Beiträge zur Sexualforschung“ (1952) ein bis heute aktives Forum einzurichten und die Tagungen zu verstetigen. Zudem erschienen unter federführender Beteiligung G.s mehrere für die Neuformierung des Fachs wichtige Nachschlagewerke und Handbücher, darunter das „Wörterbuch der Sexualwissenschaft“ (1952), „Mensch, Geschlecht, Gesellschaft“ (1954) und „Die Sexualität des Menschen“ (1953-55). Um diese Zeit lernte G. seinen langjährigen Lebensgefährten August Engert (?-1969) kennen, der an G.s Publikationen teilweise, jedoch inkognito, beteiligt war.
Die Sexualwissenschaft in der Bundesrepublik wurde bis in die 1970er Jahre wesentlich von den frühen Mitgliedern der DGfS und ihrem Umfeld geprägt. Nicht wenige von ihnen, darunter der Gründungspräsident und einflussreiche G.-Förderer Hans Bürger-Prinz (1897-1976) sowie die Mediziner Johannes Heinrich Schultz (1884-1970) und
Otmar Freiherr von Verschuer, waren massiv NS-belastet und standen teilweise auch forschungsprogrammatisch für eine Kontinuität zur Zeit des Nationalsozialismus. Traditionsanknüpfungen an die reformerische Fachgeschichte der Weimarer Republik blieben jedoch nicht nur deshalb Stückwerk, sondern auch unter den politischen und kulturellen Bedingungen der christlich-restaurativen 1950er Jahre. Den Versuch, Magnus Hirschfelds (1868-1935) Wissenschaftlich-humanitäres Komitee, das 1897 mit dem Ziel der Abschaffung des Antihomosexuellenparagraphen 175 gegründet und 1933 aufgelöst worden war, 1949 wiederzubeleben, gab G. nach kurzer Zeit auf und nahm anschließend ein eher distanziertes Verhältnis zur Homosexuellenbewegung ein. Seine eigenen Schriften zur Homosexualität, die zwischen ungebunden und gebunden lebenden Homosexuellen moralisch scharf unterschieden, zielten im konservativen Klima der Adenauerzeit vor allem auf das Erreichen bürgerlicher Respektabilität.
1959 ging G. mit dem Institut für Sexualforschung nach Hamburg. Dort hatte er sich im selben Jahr unter dem Protektorat von Bürger-Prinz mit der Studie „Der homosexuelle Mann in der Welt“ für das Fach Psychiatrie habilitiert. Sein Institut wurde nun als „An-Institut“ der Universität angegliedert, was im deutschsprachigen Raum ein Novum darstellte. Es erhielt jedoch keinen Etat, sondern blieb ungeachtet der rasch wachsenden Zahl Ratsuchender auf Zuwendungen der Universitätsklinik für Psychiatrie angewiesen, auch noch nach der Verleihung einer Titularprofessur an G. (1965) und dessen Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat (1967).
Schon gegen Ende von G.s Zeit in Ffm. war die christlich-konservative Autorität der „Wiederaufbau“-Jahre verbraucht. Schlagworte der 1960er Jahre wurden „Sexwelle“ und „sexuelle Revolution“. Generationell stand die Sexualforschung vor einem Umbruch. G.s bzw. Bürger-Prinzʼ Assistenten Gunter Schmidt (* 1938), Eberhard Schorsch (1935-1991) und Volkmar Sigusch (1940-2023) sollten das Profil des Fachs Sexualwissenschaft in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinaus formen. Dabei setzten sie, geprägt durch Kritische Theorie und Psychoanalyse, zum großen Teil andere Akzente als G. Sie standen für eine Abkehr von G.s in Ffm. und Hamburg verfolgten populärwissenschaftlichen Kooperationen, die er mit dem Publizisten und Filmemacher Oswalt Kolle (1928-2010), dem Regisseur Veit Harlan (1899-1964), dem Boulevardblatt „Neue Revue“ oder dem Erotikmagazin „Praline“ eingegangen war. Vor allem aber lösten die Jüngeren sich von G.s Bündnissen mit dem konservativen Fachspektrum. G.s Indolenz gegenüber der massiven Homosexuellenfeindlichkeit in der damaligen Psychochirurgie soll 1969 der Grund für den Wechsel in der bis dahin von ihm und Bürger-Prinz verantworteten Redaktion der „Beiträge zur Sexualforschung“ gewesen sein, die fortan Sigusch und Schmidt übernahmen.
Infolge einer immensen medialen Präsenz war G. schon in seiner Ffter Zeit eine feste Größe in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Forschungsprogrammatisch überließ er im Laufe der 1960er Jahre seinen jüngeren Assistenten zunehmend das Feld, wenngleich er durchaus Anteil an Umbrüchen hatte. 1966 begann er zusammen mit Schmidt die empirisch dichte Studie „Studenten-Sexualität“ (1968). Damit griff er nicht nur ein zentrales Thema der studentischen Protestbewegung auf, sondern nahm auch einen langfristigen Forschungsschwerpunkt des Hamburger Instituts vorweg. 1968 initiierte G. die Reihe „rororo sexologie“, die international relevante sexologische Werke in Deutschland bekannt machte, darunter Schriften der US-amerikanischen Sexualforschung zur Physiologie des Sexualverhaltens, die für einige Jahre auch in der Bundesrepublik einen Trend setzten. Insgesamt war G., der zu Beginn der Dekade progressiv-kritische Köpfe wie
Theodor W. Adorno,
Fritz Bauer (1903-1968) und Klaus Dörner (1933-2022) für Tagungs- und Publikationsprojekte gewonnen hatte, am Prozess der sexuellen Liberalisierung in der Bundesrepublik fraglos beteiligt. Dem von G. mitherausgegebenen Taschenbuch „Sexualität und Verbrechen“ (1966) wird im Zusammenhang mit der Strafrechtsreformdebatte, die u. a. zu einer ersten Entschärfung des Paragraphen 175 führte (1969), eine wichtige Rolle zugesprochen.
Im Wintersemester 1970/71 sollte G. eine Gastprofessur an der Universität Prag wahrnehmen. Dazu kam es nicht mehr. Unter bis heute nicht geklärten Umständen verunglückte G. im Juli 1970 während eines Frankreichurlaubs auf einer Bergwanderung nahe der Kleinstadt Saint-Paul-de-Vence tödlich.
Nach G.s Tod wurde die von der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf zu seinen Lebzeiten perspektivisch zugesicherte Einrichtung einer eigenständigen Abteilung für Sexualwissenschaft auf Vermittlung durch Hans Bürger-Prinz und mit Eberhard Schorsch als Direktor 1972 bzw. 1974 realisiert. Kaum von G.s Wirkungsgeschichte zu trennen ist auch die Einrichtung der Abteilung (ab 1996: Institut) für Sexualwissenschaft am Universitätsklinikum Ffm. im Jahr 1973, die G.s bereits 1972 nach Ffm. berufener Schüler Volkmar Sigusch zu einer international renommierten Einrichtung aufbaute.
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Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 249,
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