Zweites Kind des Reichsbahnbeamten
Wilhelm August H. (1875-1926), eines gelernten Orchestermusikers, und dessen Ehefrau
Martha Clara, geborene Bigler (1877-?). Zwei Brüder: Wilhelm (auch: Willy) H. (1902 bis um 1986), Alfred H. (1912-13). Die Familie gehörte der neuapostolischen Kirche an. Verheiratet in erster Ehe (ca. 1927-30) mit Claus Geerz (auch fälschlich: Geerts), Import- und Exportkaufmann in Hamburg, in zweiter Ehe (1938-48) mit Kurt (auch: Curt) Kurfiss (1908-1987), Architekt in Berlin, in dritter Ehe (1948-54) mit Rudolf Schnyder (?-1956), Holzkaufmann aus der Schweiz, und in vierter Ehe (1957-63) mit
Rudolf Heribert Mühlfenzl (1919-2000), Fernsehjournalist, Leiter des Wirtschaftsressorts beim Bayerischen Rundfunk.
H. wurde in der elterlichen Wohnung in der Frankfurter Straße (heute: Leipziger Straße) 32 in Ffm.-Bockenheim geboren. Im Frühjahr 1904 zog die Familie in die Juliusstraße 7, ebenfalls in Bockenheim; später wohnte sie in der Falkstraße 96 (ab 1911), dann in der Bredowstraße (heute: Metzstraße) 6 (ab 1917) und blieb somit immer in derselben Gegend. Seit 1909 ging H. in die Sophienschule, eine Volksschule in Bockenheim, die sie 1917 abschloss. Im selben Jahr empfing sie die neuapostolische Konfirmation und begann eine Lehre als Schneiderin im Ffter Modesalon Bucher. Parallel besuchte sie die Kunstgewerbeschule und nahm Unterricht in Klavier und Fremdsprachen. Nach dem Abschluss der Schneiderlehre mit dem Gesellenbrief 1919 eröffnete H. in der Wohnung der Eltern in Bockenheim ein eigenes Atelier mit sechs Mitarbeiterinnen.
Ab 1922 übte H. ihren Beruf als Schneiderin zunächst in Erfurt und dann in Berlin weiter aus, insbesondere durch das Entwerfen von Herren-Pyjamas. Nebenher absolvierte sie eine Tanzausbildung bei dem ungarischen Tänzer Rudolf von Laban (1879-1958). Dadurch erhielt sie 1924/25 Auftritte als Tänzerin in den Revuen von Rudolf Nelson (1878-1960) in dessen Theater am Kurfürstendamm. Nachdem sie schon 1921 erstmals als Statistin in einem Stummfilmdrama („Kean“, Regie: Rudolf Biebrach; mit
Heinrich George) mitgewirkt hatte, folgten 1925/26 weitere Komparsenrollen beim Film, u. a. in „Madam wünscht keine Kinder“ (Regie: Alexander Korda, 1926), wobei sie Marlene Dietrich (1901-1992) kennenlernte. Bei den Dreharbeiten zu „Tartüff“ (1925) sollte H. die Schauspielerin Lil Dagover (1887-1980) in einer Szene doubeln und wurde dabei von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) entdeckt. Murnau engagierte H. daraufhin für die Rolle als Gretchen in seinem nächsten Film „Faust – Eine deutsche Volkssage“ (1926), der ersten filmischen Adaption von
Goethes Tragödie. Diese Rolle brachte H. den Durchbruch als Schauspielerin, und sie erhielt einen dauerhafteren Vertrag bei der Universum-Film AG (Ufa) mit Schauspielunterricht bei Lucie Höflich (1883-1956).
1927 wurde H. nach Hollywood eingeladen. Sie erhielt einen Vertrag bei „United Artists“ und drehte u. a. „Tempest“ (dt. „Wetterleuchten“, Regie: Sam Taylor, Lewis Milestone und Viktor Tourjansky, 1928) und „Eternal Love“ (dt. „Der König der Bernina“, Regie: Ernst Lubitsch, 1929), beide mit John Barrymore (1882-1942) als Partner. Für die Premieren der Filme kam H. immer wieder zu Besuch nach Deutschland. In Hollywood schloss sie Bekanntschaft mit Charlie Chaplin (1889-1977), wenn auch eine Filmzusammenarbeit nicht zustande kam. Dafür wirkte sie in New York am ersten abendfüllenden deutschsprachigen Tonfilm mit, „The Royal Box“ (dt. „Die Königsloge“, Regie: Bryan Foy, 1929; mit Alexander Moissi), der von „Warner Brothers“ produziert wurde.
Mit der Einführung des Tonfilms entschloss sich H. zur Rückkehr nach Deutschland. In dem Revuefilm „Die große Sehnsucht“ (Regie: Stefan Szekely, 1930) sang H. erstmals; die Lieder wurden von der Firma Odeon als H.s erste Schallplatte herausgegeben. Ihr Einkommen ermöglichte ihr den Erwerb einer Villa in Roquebrune(-Cap-Martine) an der französischen Riviera, wo sie sich seitdem immer wieder aufhielt. Ihre Heimatstadt Ffm. besuchte sie wieder zur Uraufführung des Films „Fundvogel“ (Regie: Wolfgang Hoffmann-Harnisch, 1930; mit Franz Lederer und Paul Wegener), bei dem es sich um ihren letzten Stummfilm handelte. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe hatte sie zahlreiche Liebesbeziehungen, u. a. mit den Schauspielerkollegen Walter Rilla (1894-1980) und Gustav Diessl (1899-1948). In dieser Zeit wandelte sich auch das von H. in ihren Rollen verkörperte Frauenbild vom unschuldigen und tugendhaften Mädchen zum blonden Vamp und zur Femme fatale. Mehrfach drehte sie in Paris, London und Budapest, meist deutschsprachige Versionen französischer und amerikanischer Filme. Für „Die fünf verfluchten Gentlemen“ (1932) arbeitete sie in Marokko mit dem französischen Regisseur Julien Duvivier (1896-1967) zusammen.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 und der folgenden nationalsozialistischen Einflussnahme auf das Kulturleben musste auch H. der Reichsfachschaft Film beitreten, einer Abteilung innerhalb der Reichsfilmkammer, der künftig alle Filmschaffenden angehören mussten, wenn sie ihren Beruf weiter ausüben wollten. 1934 hatte sie ihren letzten Dreh in Großbritannien mit „The Luck of a Sailor“ (Regie: Robert Milton), von dem keine deutsche Fassung mehr entstand. H. begann ein Verhältnis mit dem englischen Bariton Louis Graveure (1888-1965), mit dem sie in „Ein Walzer für dich“ (Regie: Georg Zoch, 1934; mit Heinz Rühmann,
Fritz Odemar und
Theo Lingen) und „Ich sehne mich nach dir“ (Regie: Johannes Riemann, 1934; mit Adele Sandrock und
Theo Lingen) auch vor der Kamera stand. Obwohl die von ihr verkörperten lasziven Frauentypen im Widerspruch zu dem von der NS-Propaganda geförderten Frauenbild standen, konnte H. ihre Arbeit zunächst fortsetzen. Bei einer Tournee mit Schauspielerkolleginnen und -kollegen im Januar und Februar 1935 gastierte sie auch im Saalbau in Ffm. (25.1.1935), u. a. mit einem Sketch mit Paul Hörbiger (1894-1981) sowie Filmschlagern und Chansons.
Wegen eines „Devisenvergehens“ – sie hatte auf einer Urlaubsreise in die Tschechoslowakei unerlaubt deutsches Geld ausgeführt – geriet H. im Sommer 1935 in Konflikt mit dem NS-Regime. Die Folge war der Ausschluss aus der Reichsfilmkammer, was praktisch einem Berufsverbot gleichkam. Zugleich wurde sie durch einen NSDAP-Zellenleiter, dem im Schaufenster eines jüdischen Modesalons am Kurfürstendamm in Berlin ein Foto mit einer Widmung von H. an die Inhaberin aufgefallen war, denunziert. Nach einem Gnadengesuch 1936 wurde H. durch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945) rehabilitiert. Der Minister hatte wohl Gefallen an der Schauspielerin gefunden und ließ sie auch dazu überreden, von einem schon unterschriebenen Theatervertrag in der Schweiz Abstand zu nehmen und wieder zum deutschen Filmschaffen zurückzukehren. Von Exilanten in Paris wurde das Gerücht verbreitet, sie habe eine Affäre mit Goebbels, was sich aber nicht belegen lässt.
Doch stellte H. ihre schauspielerischen Fähigkeiten nun in den Dienst des NS-Regimes, etwa in dem in Jugoslawien gedrehten antisowjetischen Propagandafilm „Panzerkreuzer Sebastopol“ (später „Weiße Sklaven“, Regie: Karl Anton, 1936; mit Theodor Loos und Werner Hinz) und dem propagandistischen Spionagefilm „Rote Orchideen“ (Regie: Nunzio Malasomma, 1938; mit Olga Tschechowa und Albrecht Schoenhals), worin sie Hauptrollen spielte. Doch erhielt sie beim Film zunehmend nur mehr kleinere Rollen, u. a. als Kunstreiterin Pepita in „Fahrendes Volk“ (Regie: Jacques Feyder, 1938; mit Françoise Rosay und
Hans Albers) und als Hoftänzerin Mariella Fiorini in „Friedemann Bach“ (Regie: Traugott Müller, 1941; mit Gustaf Gründgens). Inzwischen hatte H. ihr eigentliches Bühnendebüt 1939 in dem Lustspiel „Seltsamer 5-Uhr-Tee“ des Wiener Autors Fritz Koselka (1905-1978) im Berliner Komödienhaus am Schiffbauerdamm gegeben. Während des Krieges reiste H. mehrfach in die Schweiz und vor allem nach Italien, wo sie noch Filme drehen konnte und eine Affäre mit ihrem Kollegen Luis Hurtado (1898-1967) hatte. Schließlich zog sie sich auf ihren Gutshof in Rossow bei Neuruppin zurück, den sie bei Kriegsbeginn erworben hatte. Ihr vorläufig letzter Film, „Intimitäten“ (Regie: Paul Martin, 1944; mit Viktor de Kowa), wurde wegen einer Kussszene zensiert und erst 1948 uraufgeführt. Ende 1944 soll H. am Stadttheater von Mährisch-Ostrau (für die Mitwirkung in der Komödie „Ein unbeschriebenes Blatt“) engagiert gewesen sein, wo sie aber aufgrund der verfügten Schließung aller Theater im Zuge des „totalen Kriegseinsatzes“ zum 1.9.1944 kaum noch aufgetreten sein dürfte.
Bei Kriegsende wollte H. vor der anrückenden Roten Armee über Schwerin zu ihrer Mutter in Ffm. fliehen. Doch sie wurde kurz nach der Kapitulation 1945 in der britischen Zone wegen Verstoßes gegen die Ausgangsbestimmungen der Militärregierung verhaftet und zu einer dreimonatigen Haft verurteilt, die sie in Delmenhorst und Vechta absitzen musste. Bald gelangen H. durch das Knüpfen von Kontakten zu britischen Offizieren erste Nachkriegsauftritte mit Gesangsdarbietungen, wobei sich nun die Denunziation und der Ausschluss aus der Reichsfilmkammer von 1935 günstig auswirkten, um von der Militärregierung die Ausübung der künstlerischen Tätigkeit wieder genehmigt zu bekommen. So konnte sie in den unmittelbaren Nachkriegsjahren mit Bunten Abenden auf Tourneen in der britischen und amerikanischen Besatzungszone auftreten, u. a. bei einer Gastspielserie der Ffter Lotte-Specht-Bühne, die am 31.3.1946 im „Titania“ in Ffm.-Bockenheim ihre Premiere hatte. Einer ihrer Moderatoren auf diesen Tourneen war Peter Frankenfeld (1913-1979). Um 1946/47 bezog H. eine Wohnung in der Forsthausstraße (heute: Kennedyallee) in ihrer Geburtsstadt Ffm. In der Rolle als Königin in Cocteaus Schauspiel „Der Doppeladler“ trat sie im Neuen Theater in Herford (20.-23.7.1948) und bei den Städtischen Bühnen im Börsensaal in Ffm. (1.-9.8.1948) auf. Bei der neu gegründeten Produktionsfirma „Euphono“ erhielt H. auch wieder eine Filmrolle, in dem Kriminalfilm „Gesucht wird Majora“ (Regie: Hermann Pfeiffer, 1949; mit Lotte Koch), der jedoch bei der Kritik durchfiel.
Durch die Heirat mit dem Schweizer Holzkaufmann Robert Schnyder 1948 hatte H. die Staatsbürgerschaft der Schweiz angenommen. Seit Beginn der 1950er Jahre wohnte sie auf einem von ihr erworbenen Anwesen in Hechendorf am Pilsensee in Oberbayern. Sie verlagerte das Schwergewicht ihrer künstlerischen Tätigkeit zunehmend auf Bühnenauftritte in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich (Opernhaus Graz) und der Schweiz (Landestheater Bern). Nach dem Kinofilm „Vati macht Dummheiten“ (Regie: Johannes Häussler, 1953; mit Otto Gebühr) konzentrierte sie sich ganz auf Arbeiten für den Hörfunk und ab 1954 für das Fernsehen, insbesondere beim Bayerischen Rundfunk.
Erst 1961 trat H. wieder auf der Bühne auf, in einer Theaterfassung von Colettes Roman „Gigi“ in Düsseldorf, worin sie als Großtante Alicia eine ihrer wichtigsten Rollen der Nachkriegszeit gefunden hatte. Bis 1968 gab sie diese Rolle rund 500-mal, auch an anderen Theatern und auf einer Tournee, mit der sie u. a. im März 1964 im Volksbildungsheim in Ffm. gastierte. Mit einer Nebenrolle in dem in Beirut gedrehten spanisch-italienisch-deutschen Kriminalfilm „El crimen tambien juega / Rebus“ (dt. „Heißes Spiel für harte Männer“, Regie: Nino Zanchin, 1968) stieg sie erneut ins Filmgeschäft ein. Seit 1963 lebte sie in Herrsching am Ammersee.
1981/82 entstand die kurze Filmdokumentation „Camilla Horn sieht sich als Gretchen in Murnaus Stummfilm Faust“ von Hans Sachs und Hedda Rinneberg, die auf zahlreichen Filmfestivals gezeigt wurde und H. nochmals größere Aufmerksamkeit bescherte. Der Film erhielt mehrere Auszeichnungen und wurde 1983 für den „Oscar“ nominiert. Für die Dreharbeiten zu einer Fernsehdokumentation über ihr Leben (ES: ARD, 14.4.1987) kehrte sie 1986 nach Ffm. zurück und besuchte die Orte ihrer Kindheit wie die Sophienschule in Bockenheim. Ihr letzter Kinofilm wurde 1987/88 „Schloß Königswald“ von Peter Schamoni (1934-2011) nach der Novelle von Horst Bienek (1930-1990), in dem H. an der Seite von drei weiteren früheren Ufa-Stars spielte: Carola Höhn (1910-2005), Marianne Hoppe (1911-2002) und Marika Rökk (1913-2004). Gemeinsam mit ihren Filmpartnerinnen wurde H. für ihre Darbietung mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Das Vorhaben, an einer Neuverfilmung des Silvesterklassikers „Dinner for One“ mitzuwirken, konnte H. aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr umsetzen. Seit 1995 lebte sie in einem Seniorenhaus in Gilching bei Herrsching am Ammersee.
„Verliebt in die Liebe“ (Memoiren, 1985).
1974 Filmband in Gold des Bundesfilmpreises für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film. 1976 Auszeichnung mit der Urkunde „Leader dell’Arte“ durch das Europäische Wirtschaftsinstitut in Liechtenstein. 1993 Bundesverdienstkreuz I. Klasse.
H. vermachte ihre umfangreiche Sammlung von persönlichen Papieren, Dokumenten, Zeitungsartikeln, Plakaten, Programmheften, Fotografien, aber auch an Erinnerungsstücken und Kostümen usw. an Louise Gräber-Rüb, eine Vertraute der letzten Lebensjahre aus Herrsching am Ammersee. Dort befindet sich der Nachlass noch (Stand: Mai 2023); eine Übergabe an das Deutsche Filminstitut und Filmmuseum in Ffm. ist angedacht. Einzelne Dokumente gingen bereits in den Besitz des städtischen „Museums im Zeughaus“ in Vechta.
Zum 100. Geburtstag 2003 Ausstellung „Camilla Horn / von Frankfurt nach Hollywood“ im Deutschen Filmmuseum in Ffm.
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