O., ein Cousin von Friedrich Nietzsche (1844-1900), studierte klassische Philologie. 1903 wurde er an der Universität Halle-Wittenberg mit einer Arbeit über „Nietzsches Verhältnis zur vorsokratischen Philosophie“ promoviert. In dieser Zeit wirkte er zusammen mit seinem Bruder Max O. (1875-1946) im Weimarer Nietzsche-Archiv und bereitete u. a. das „Nietzsche-Register“ vor. Es folgte eine nicht näher bestimmte Aus- oder Weiterbildung zum Bibliothekar. Zeitweise war er als Hilfsbibliothekar an der Universitätsbibliothek Bonn beschäftigt. Von 1920 bis 1925 war O. als „Staatskommissar für die Wiederherstellung der Universitätsbibliothek Löwen“ mit Dienstsitz in Leipzig eingesetzt. Seit 1925 leitete er als Direktor die Breslauer Staats- und Universitätsbibliothek.
Im März 1927 wurde O. von der Ffter Stadtregierung unter Oberbürgermeister
Ludwig Landmann zum Direktor der „Städtischen und Universitätsbibliotheken“ bestellt; der offizielle Amtsantritt folgte zum 1.9.1927. Zudem erhielt O. eine Honorarprofessur an der Ffter Universität. Er blieb bis zum 18.5.1945 Leiter der Bibliotheken.
O.s Hauptaufgabe bestand zunächst darin, die zahlreich vorhandenen Bibliotheken in Ffm. auszubauen, mit dem Ziel, die Bücherbestände langfristig in einer neu zu errichtenden Zentralbibliothek zusammenzuführen. Nach Berlin und München sollte Ffm. zu einer reichsweit bedeutenden Bibliotheksstadt entwickelt werden. Für das Projekt qualifizierte O. vor allem seine frühere Tätigkeit als „Staatskommissar für die Wiederherstellung der Universitätsbibliothek Löwen“ als Folge der Reparationsforderungen an das Deutsche Reich laut Artikel 247 des Versailler Vertrags. Die berühmte Bibliothek war im Ersten Weltkrieg von deutschen Soldaten verwüstet worden. Als Staatskommissar hatte O. zwischen 1920 und 1925 sein Organisationstalent als „gewissenhafte(r) deutsche(r) Bibliothekar“ (Schivelbusch: Die Bibliothek von Löwen 1988, S. 38) bei größtmöglicher Schonung deutscher Bibliotheks- und Museumsbestände unter Beweis gestellt. Aufgrund seiner profunden Kenntnisse zur europäischen Bibliothekslandschaft – inklusive wertvoller Privatbibliotheken – sowie zum Kunst- und Antiquariatsbuchhandel war es ihm seinerzeit gelungen, alle Desiderata über den freien Markt durch das eigens gegründete Unternehmen „Einkaufsgesellschaft Löwen GmbH“, eine Tochtergesellschaft des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, abzuwickeln.
O. war aber nicht nur als Bibliotheksfachmann nach Ffm. berufen worden, sondern auch als Kenner philosophischer Werke, etwa von
Arthur Schopenhauer. Er war, und dies sollte Folgen für seine Ffter Tätigkeit haben, „nur mit bestenfalls halbem Herzen Bibliothekar. Ungleich mehr als die Verwaltung von Büchern interessierte ihn die Philosophie Friedrich Nietzsches“ (Wolfgang Schivelbusch). So gehörte O. „zum engsten Kreis der Vertrauten um seine Cousine Elisabeth Förster-Nietzsche [1846-1935], deren Philosophie vom Übermenschen und vom Willen zur Macht er ohne Einschränkung anhing“ (ebd., S. 63). In seinen zahlreichen Schriften über Friedrich Nietzsche redete er einer nationalen und schließlich nationalsozialistischen Rezeption des Philosophen das Wort. In einer „Nachbemerkung“ zu seinem erstmals 1921 erschienenen Artikel „Unsere Zeit im Spiegel von Nietzsches Kulturphilosophie“ in dem 1935 publizierten Werk „Friedrich Nietzsche und die deutsche Zukunft“ schrieb O.: „Darin sind alle Grundlinien der Gedanken vorstehender Schrift bereits hingezeichnet: die Verurteilung der demokratischen Gleichmacherei, der Kulturnihilismus als vorübergehender Zwischenzustand, der Kampf als Grundtatsache von Natur und Leben, aus dem die dauernden Werte hervorgehen, die Vermännlichung des Menschen der Zukunft, der Wille zur Macht als Natur, d. h. als schaffende Kraft, die Vernatürlichung des Lebens, das Herrentum mit gesundem Einschlag vom Volke, d. h. vom Arbeiter- und Bauerntum her, das Streben nach völkischer Einheit, der höchste Mensch als Herr der Erde, das eine Europa als Herrin der Erde, die Notwendigkeit des Führertums u. a. (…). Die Erlösung ist gekommen, die Vollendung ist im Werden.“ (Oehler: Friedrich Nietzsche u. die deutsche Zukunft 1935, S. 130.)
Im Mai 1933 trat O. in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 2.393.316). Er beteiligte sich aktiv an der „Kulturpolitik“ der Nationalsozialisten, etwa als Mitglied im „Kampfbund für deutsche Kultur“ und in dem nunmehr nach dem „Führerprinzip“ organisierten Verein Deutscher Bibliothekare. Zudem war er förderndes Mitglied der SS. O. überwachte 1933 persönlich die Beschlagnahmung der Bibliothek des Ffter Instituts für Sozialforschung. 1937 gab er den „Führer durch die kulturellen Einrichtungen der Stadt Ffm.“ heraus, der – so O. in seiner Vorbemerkung – „die große Bedeutung der alten Reichskulturstadt für Kunst und Wissenschaft“ bilanzierte, nachdem im Sinne nationalsozialistischer „Gleichschaltung“ nahezu alle Spuren jüdischer Traditionen und kritischer Anteile eliminiert worden waren.
Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Truppen der deutschen Wehrmacht die Universitätsbibliothek Löwen am 16./17.5.1940 erneut. In seiner früheren Funktion als „Staatskommissar für die Wiederherstellung der Universitätsbibliothek Löwen“ reaktiviert, besichtigte O. im Juli 1940 die Ruine. Sein gutachterlicher Bericht empfahl, in einem künftigen Friedensvertrag Großbritannien für den Schaden aufkommen zu lassen, wie auch schon zuvor die deutsche Propaganda behauptet hatte, britische Soldaten hätten die Bibliothek in Brand gesteckt. Weiter forderte O. sorgfältige Kontrolle bei der Auswahl der Bücher für die wiederherzustellende Bibliothek: Der neue Buchbestand dürfe kein „Nest von deutschfeindlichem, jüdischem und freimaurerischem Schrifttum“ werden (zit. nach Schivelbusch: Die Bibliothek von Löwen 1988, S. 178).
Unter maßgeblicher Beteiligung von O. hatte der Ffter Oberbürgermeister
Friedrich Krebs ab 1935 verhindert, dass die wertvolle Ffter Judaica- und Hebraica-Sammlung nach München an das gerade gegründete „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ abgegeben wurde. Dessen Leiter Walter Frank (1905-1945) hatte Interesse angemeldet, den Bestand nach Bayern zu überführen, nicht zuletzt um ihn dort unter antisemitischen Aspekten auszuwerten. Es folgten schwierige Verhandlungen, aber schließlich gelang es O. und
Krebs gemeinsam, die Sammlung für Ffm. zu erhalten. Damit verbunden war die Forderung von Reichsleiter Alfred Rosenberg (1893-1946), dem Chefideologen des NS-Regimes, in Ffm. das „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ und damit ein Zentrum für antisemitische Studien einzurichten. Tatsächlich wurde im März 1941 diese erste Außenstelle einer geplanten „Hohen Schule der NSDAP“ in Ffm. eingeweiht. Kurz vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion und knapp sechs Monate vor Beginn der Massendeportationen aus der Stadt nannte
Krebs in seiner Ansprache zur Eröffnung des Ffter Instituts die künftige Parteiuniversität eine „geistige Waffenschmiede für den Endkampf gegen das Weltjudentum“ (ISG, S5/158, S. 58f .).
Spätestens ab 1941 hatte O., wie auch Städeldirektor
Ernst Holzinger und Walter Mannowsky, der Direktor des Museums für Kunsthandwerk, im Gau Hessen-Nassau als „Sachverständiger zur Sicherung und Verwertung von deutschem Kulturgut aus jüdischem Besitz für Zwecke des Reiches“ fungiert, was in Wahrheit Plünderung und willkürliche Beschlagnahme von Buch- und Archivgut in von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern bedeutete. Die Organisation dieses Raubzugs verantwortete der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“.
Eine Bilanz seiner bis dahin etwa 15-jährigen Tätigkeit als nunmehriger Leiter der 1934 umbenannten „Gesamtverwaltung der Ffter Bibliotheken“ erstellte O. aus Anlass einer Haushaltsrede des Oberbürgermeisters am 13.3.1943 über „Zehn Jahre Stadtgeschichte 1933-1943“. Am 2.6.1943 berichtete er
Krebs in einem Schreiben von der großen Vermehrung der Bücherbestände in dieser Zeit, ohne näher zu spezifizieren, auf welche Weise diese erworben worden waren. Nur im Falle des traditionsreichen und international renommierten Antiquariats „Baer & Co.“, von O. als „Altbuchhandlung“ bezeichnet, war euphemistisch von einem „Ankauf der Bestände von über 100.000 Bänden und zahlreichen Doppelstücken“ die Rede, die auf verschiedene Bibliotheken verteilt worden seien. Der Brief O.s schloss mit einem Bekenntnis zu Treue und Selbstlosigkeit: „Mein Bestreben während jahrzehntelanger Beamtentätigkeit ist immer gewesen, der Sache allein zu dienen und jede Regung zugunsten der eigenen Person dabei auszuschalten. Das, was oben als Arbeit in unseren Bibliotheken während der letzten 15 Jahre angeführt worden ist, gehört zu den Dingen, die sich im Innern der Häuser geräuschlos vollziehen.“ (ISG, MA 8.030.) Ein bezeichnendes Indiz dieser noch lange über das Ende des „Dritten Reichs“ fortwirkenden Wahrnehmung „geräuschlosen“ räuberischen Handelns ist etwa die Einschätzung von O.s Ffter Tätigkeit in dem 1985 erschienenen „Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980“; dort heißt es: „O.s Verdienst war der Ausbau des Buchbestandes der Stadtbibliothek von 486.000 auf über 738.000 Bände, der Bestand der Hochschulschriften wurde fast verzehnfacht.“
.