Sohn von
Fritz S. und dessen Ehefrau Maria Auguste (zusätzlicher Taufname seit 1850: Louise), gen.
Marie, geb. Reiß (1835-1897). Sechs jüngere Schwestern, von denen eine im Säuglingsalter starb. Enkel von
Salomon Friedrich S. und von
Jacques Reiß.
Besuch der Musterschule (seit 1860), dann des Hassel’schen Instituts (1862-66) in Ffm. Wechsel auf ein Internat in der französischen Schweiz zur Verbesserung seiner französischen und englischen Sprachkenntnisse. Ab etwa 1871/72 kaufmännische Lehre bei der Firma „Reiss Brothers“ in Manchester, der englischen Filiale des Ffter Hauses „Gebr. Reiß“ im Handel von Manufakturwaren, die von Verwandten S.s von der Seite seiner Mutter geführt wurde. Für seinen Unterhalt bekam S. von seinem Großvater
Jacques Reiß 100 Pfund im Jahr. Nach seiner Ausbildung wurde S., zunächst als Commis, bei „Reiss Brothers“ übernommen. Nachdem er im Sommer 1877 zusätzlich die britische Staatsbürgerschaft erworben hatte, trat er mit seinem angesparten Kapital als Teilhaber in die Firma ein. 1877 kurze Geschäftsreise nach Florenz. Anlässlich der Silberhochzeit der Eltern 1878 zweimonatiger Urlaub mit Aufenthalten in Ffm. und Kronberg sowie einer Reise nach Karlsbad. In jenen Jahren hatte das englische Unternehmen der Familie Reiss das Import- und Exportgeschäft mit Ostasien wesentlich ausgebaut und Filialen in Schanghai (1872), Hongkong (1873) und Yokohama (1874) eingerichtet. Aufgrund eines Gesellschaftsvertrags vom 1.4.1879 ging S. als Repräsentant der Firma „Reiss & Co.“ nach Japan, wo er Ende Juni 1879 eintraf und ab 1.5.1880 die Geschäfte der Filiale in Yokohama führte. Er nahm dort am gesellschaftlichen Leben im englischen Club teil, betätigte sich sportlich als Reiter und Golfspieler und begann seine Sammlung ostasiatischer Kunst und kunstgewerblicher Gegenstände. Angesichts der unsicheren politischen Verhältnisse in Japan und China zog S. 1882 nach Hongkong, um die dortige Filiale zu leiten. Wegen des rückläufigen Chinageschäfts gab die Firma Reiss nach einiger Zeit jedoch den Ostasienstützpunkt ganz auf, und im April 1887 kehrte S. nach Ffm. zurück. Hier stieg er im September 1888 mit einer Einlage von 100.000 Mark aus seinem in Ostasien erwirtschafteten Vermögen in das noch junge Unternehmen „Wolf, Jahn & Co.“ ein, das Maschinen und Werkzeuge für die Uhrenindustrie herstellte und vertrieb. S. übernahm per Gesellschaftsvertrag, der am 28.1.1890 rückwirkend zum 1.1.1889 geschlossen wurde, die kaufmännische Leitung der in Bornheim ansässigen Firma, die sich unter jährlichen Umsatzsteigerungen rasch positiv entwickelte. Zum 31.12.1893 zog sich S., noch nicht ganz 40-jährig, aus der aktiven Geschäftsführung zurück. Er blieb jedoch stiller Teilhaber von „Wolf, Jahn & Co.“, was ihm ein Leben als Privatier ermöglichte. Zudem war S. Teilhaber und Aufsichtsratsmitglied in weiteren Unternehmen. Vor allem war er Mitglied und zuletzt stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat der Buderus’schen Eisenwerke in Wetzlar (1901-28), und als wesentlicher Anteilseigner gehörte er dem Aufsichtsrat bzw. später dem Verwaltungsrat der Cronberger Eisenbahngesellschaft an (von 1902 bis zur Verstaatlichung 1914). Nachdem er infolge der Hyperinflation bis 1923 einen großen Teil seines Vermögens verloren hatte, soll S. in den letzten Jahren seines Lebens wieder eine berufliche Tätigkeit ausgeübt haben.
Von 1905 bis 1914 Handelsrichter.
Als Nachfolger seines verstorbenen
Vaters wurde S. 1902 zum Administrator des Dr. Christ’schen Kinderhospitals und der angeschlossenen Entbindungsanstalt gewählt. Die Jahresberichte, die er für die Stiftung von 1903 bis 1919 und 1927 über die Arbeit der Kliniken verfasste, weisen ihn als erfahrenen Kaufmann aus, der, anders als
Vater und
Großvater vor ihm, knapp und nüchtern informierte und dabei fast nie die Jahresbilanz vergaß. Dennoch hatte die Dr. Christ’sche Stiftung, nicht zuletzt aufgrund steigender Betriebskosten bei sinkenden Einnahmen aus Spenden und Zinsen, schon vor dem Ersten Weltkrieg deutliche Betriebsverluste zu verzeichnen. Während des Krieges verursachte die Nutzung des Krankenhauses als Lazarett erhebliche Zusatzkosten. Angesichts der fortschreitenden Hyperinflation musste das Kinderhospital im Ostend zum Jahresende 1922 geschlossen werden, und 1923 erwog die Administration, auch das Kinderhospital in Sachsenhausen und die Entbindungsanstalt aufzugeben: „Carl S. kämpfte entschieden dagegen und konnte durch eine unerwartet erfolgreiche Werbeaktion im In- und Ausland, die Spenden in Höhe von sechs Millionen Mark erbracht haben soll, das bittere Ende abwenden (...). Ohne seine Standfestigkeit und seinen Einsatz hätte das Dr. Christ’sche Kinderhospital die Inflationszeit nicht überstanden.“ (Otto Hövels/Hans Jürgen Schultz in: FS Clementine Kinderhospital 1995, S. 98.)
Auf sozialem Gebiet engagierte sich S. ehrenamtlich auch in der seit 1899 bestehenden „Centrale für private Fürsorge“ und insbesondere in deren „Verein Kinderschutz“, als dessen Geschäftsführer (1903-10) er zugleich dem Vorstand der „Centrale“ angehörte. Der „Verein Kinderschutz“ organisierte eine professionelle Fürsorge für Pflegekinder (und setzte damit ein Anliegen um, für das sich schon S.s
Großvater und
Vater engagiert hatten); zudem bemühte sich der Verein um die Förderung und die Ausbildung körperlich und geistig behinderter Kinder. In diesem Rahmen betreute S. als „freiwilliger Sozialarbeiter“ die aus den drei Ffter Hilfsschulen entlassenen Jungen und Mädchen, die er durch eine individuelle Berufsberatung förderte und beim Start ins Erwerbsleben begleitete (vgl. seine Veröffentlichungen „Acht Jahre Arbeit an schulentlassenen Hilfsschülern“ in der Zeitschrift „Die Hilfsschule“, 1911, und „Minderbefähigte Schulentlassene. Eine Studie über die Erwerbsfähigkeit der in den Jahren 1903 bis 1912 aus den Ffter Hilfsschulen entlassenen Kinder“ in der „Zeitschrift für das Armenwesen“, 1916). Auch unterstützte S. die Bestrebungen der „Centrale für private Fürsorge“ zur Rehabilitation von Kindern mit Sprach- und Entwicklungsstörungen. Er förderte den von der „Centrale“ gegründeten „Verein Kupferhammer“, unter dessen Trägerschaft eine „Arbeitslehrkolonie und Beobachtungsanstalt“ für Jugendliche auf der Steinmühle bei Ober-Erlenbach eingerichtet wurde (1908); im Dezember 1909 stellte S. der „Centrale“ langfristig eine Hypothek von 10.000 Mark zur Verfügung, die wohl den Erwerb der Steinmühle erst ermöglichte. Bis 1921 gehörte S., zuletzt als Vorsitzender, dem Vorstand des „Vereins Kupferhammer“ an. Die Steinmühle ging zum 1.8.1922 in den Besitz des Nassauischen Zentralwaisenfonds Wiesbaden über. Infolge der Inflation musste wohl auch der „Verein Kinderschutz“ bald seine Arbeit einstellen.
Seit 1898 Mitglied im Kuratorium von Dr. Hoch’s Konservatorium, von 1902 bis 1922 als Kassierer, zeitweise zugleich als stellvertretender Vorsitzender und zuletzt (1923-24) als Vorsitzender. Mitglied im Patronatsverein von Dr. Hoch’s Konservatorium.
Aktionär des Ffter Kunstvereins, in dessen Ritterorden er gewählt wurde; auch erhielt S. bereits 1896 eine Ehrenmünze des Kunstvereins. Aktionär des Palmengartens und der Neuen Theater-AG. In der Oper war S. an dem Nutzungsrecht für eine Loge (die Balkonloge links Nr. 19) beteiligt, das
Jacques Reiß (S.s Großvater) und Emil Ladenburg durch die Stiftung von 10.000 Gulden für den Bau des Opernhauses 1880 erworben hatten. Bis 1929 Mitglied des Ffter Casino-Clubs.
Kinderporträt (von
Otto Scholderer, 1859) als testamentarisches Vermächtnis von S. im Städelschen Kunstinstitut.
Seit seiner Rückkehr aus Ostasien 1887 bis 1906 wohnte S., der unverheiratet blieb und keine Kinder hatte, in seinem Elternhaus am Untermainkai 14. Nach dessen Verkauf zur Erweiterung der benachbarten „Freiherrlich Carl von Rothschild’schen Öffentlichen Bibliothek“ lebte er, zusammen mit seiner ebenfalls ledig gebliebenen Schwester Paula S. (1862-1912), in einer gemieteten Parterrewohnung am Untermainkai 30. Die beiden Geschwister besaßen zudem seit 1903, nach dem Tod des
Vaters, die elterliche Villa in Kronberg/Taunus, wo sie die Sommermonate verbrachten. Gemeinsam reisten Carl und Paula S. häufig nach Italien (an die italienische Riviera) und in die Schweiz (ins Tessin). Paula S., deren künstlerisches Talent durch Malunterricht bei
Anton Burger in Kronberg gefördert worden war, brachte von diesen Reisen zahlreiche Bilder von Land und Leuten mit; sie porträtierte aber auch einige Familienmitglieder, u. a. ihren Vater
Fritz S. (Ölgemälde, um 1900; in Privatbesitz), und ein Paravent mit einem Kinderbildnis ihrer Nichten Nini und Marie Lindheimer auf einer Gartenbank gelangte in den Besitz des Museums für Kunsthandwerk (heute: Museum Angewandte Kunst). Außerdem engagierte sich Paula S. auch auf sozialem Gebiet, u. a. als Schutzfrau im Dr. Christ’schen Kinderhospital (1902-12) und als ehrenamtliche Mitarbeiterin im „Verein Kinderschutz“ der „Centrale für private Fürsorge“. Seit dem Tod der Schwester 1912 nutzte S. das Haus in Kronberg nur noch selten; er schenkte das Anwesen 1921 seiner Nichte Dodo Schultz, geb. Neubronner, und deren Ehemann anlässlich der Taufe ihres Sohnes.
In seinem Testament vom 18.6.1927 bestimmte S. 2.000 Mark für eine „Carl und Paula S.’sche Stiftung“ zur Verpflegung armer Kinder im Dr. Christ’schen Kinderhospital und 4.000 Mark zur Wiederbelebung des von seinem Großvater
Salomon Friedrich S. gestifteten Stiebel-Preises durch die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft.
Beigesetzt im Familiengrab Reiß-S. auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann E an der Mauer 415-417).
Nach S.s Tod 1928 folgte ihm Adolf Reiß (1877-1962), sein Vetter 2. Grades, in der Administration des Dr. Christ’schen Kinderhospitals und Entbindungshauses.
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