Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
wie sprechen Sie eigentlich? Können Sie frankfurterisch reden? Oder einen anderen Dialekt? Und tun Sie es bei passender Gelegenheit auch? – „Sprich schön!“, so wurden bis in die 1970er Jahre hinein Schüler ermahnt, wenn sie in den Dialekt zu verfallen drohten. Noch heute sind manche Lehrer peinlich bemüht, Kindern die eigentliche Muttersprache möglichst ganz auszutreiben, und es scheint zum guten Ton zu gehören, nur Hochdeutsch zu sprechen. Ganzen Generationen wurde so antrainiert, ihre sprachliche Herkunft stets zu verleugnen. Dabei weist die moderne Sprachwissenschaft darauf hin, dass es kein Makel ist, mit der Mundart aufzuwachsen, sondern eine Chance. Es fördert nicht nur die sprachliche Kompetenz von Kindern, wenn sie beides – die Mundart und das Hochdeutsche – zu beherrschen lernen. Eine, die das Frankfurterische in allen seinen Facetten kannte und konnte, war die beliebte Volksschauspielerin Liesel Christ, der wir den diesmaligen Artikel des Monats widmen.
Artikel des Monats: Frankfurts Darstellerin
Sie war die Botschafterin Frankfurts in der Welt: Liesel Christ. Als Mitglied im Kinderballett des Opernhauses, der heutigen Alten Oper, stand die Vierjährige 1923 zum ersten Mal auf der Bühne. Äußerst beliebt wurde die ausgebildete Schauspielerin in den 1960er Jahren durch die Rolle der Mamma Hesselbach in der Fernsehserie des Hessischen Rundfunks. Seitdem wurde sie überall, ob in Frankfurt, ob in Barcelona, Miami oder Tel Aviv, erkannt. Doch sie ließ sich nicht auf ein Image festlegen und wusste zugleich ihre Popularität zu nutzen: 1971 gründete Liesel Christ das Volkstheater Frankfurt, das sie künftig als Prinzipalin und Erste Schauspielerin leitete. Mit ihrer Bühne wagte sie 1979 eine Inszenierung von Goethes „Urfaust“ auf Hessisch – und setzte damit Maßstäbe für das moderne literarische Volkstheater.
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Wer Mundart spricht, ist deswegen nicht zwangsläufig ein ungebildeter Bauer oder ein engstirniger Spießbürger. Liesel Christ war eine moderne Frau, die – zu einer Zeit, als dies noch nicht üblich und schon gar nicht gesellschaftsfähig war – ihr Leben selbst gestaltete und als alleinerziehende Mutter meisterte. Zugleich fühlte sie sich den Traditionen des Frankfurter Stadtbürgertums verpflichtet, das von jeher für seine liberale und tolerante Haltung bekannt ist. Sie half durch ihr soziales Engagement etwa krebskranken Kindern und alten Menschen, wirkte für Frieden und Völkerverständigung, gastierte mit dem Volkstheater in Israel und ließ ihre Bühne mit einer Inszenierung von Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ 1994, nach den rechtsradikalen Brandanschlägen von Mölln und Solingen, ein Zeichen gegen die Fremdenfeindlichkeit im wiedervereinigten Deutschland setzen.
Liesel Christ ergriff die Chance, Vielfalt zu wagen – nicht nur sprachlich. Vielfalt macht das Leben bunter. Auch in diesen grauen Herbsttagen.
Und Vielfältiges gibt es wieder im Frankfurter Personenlexikon zu entdecken. Ich überlasse Sie nun also ganz Ihrer weiteren Lektüre und verabschiede mich für heute mit den Worten unserer Hauptdarstellerin in diesem Monat:
Also adschö, ihr Leut!
Das rief Liesel Christ immer den Kollegen zu, wenn sie nach der Probe heim ging.
Bis zum nächsten Mal grüßt Sie
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Dezember 2015.