Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
diese Februarlieferung hat es in sich. Sie bringt Beiträge über faszinierende wie polarisierende Persönlichkeiten. Einer schillernden Künstlerfigur der jüngsten Zeit gilt der Artikel des Monats.
Artikel des Monats Februar 2019:
Konturen – nicht nur in Schwarz und Pink
Frankfurt sei eine spannende Stadt, sagte er in einem Interview, er kenne keine andere Stadt, wo er gerne leben wolle: Max Weinberg. Der in Kassel geborene Maler, der als Fünfjähriger mit Eltern und Geschwistern 1933 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen war, kehrte 1959 aus Israel zurück und ließ sich in Frankfurt nieder. Seitdem, fast 60 Jahre lang, war er in der städtischen Kunstszene präsent. Auf Veranstaltungen fiel der Künstler schon durch sein Äußeres auf: Er hatte von schwarzem Kajal umrandete Augen, lange graue Haare und einen wild gewachsenen Vollbart; dazu trug er gern bunte Kleidung, meist mit kleinen Graffitis in Pink besprüht. Ein bisschen glich er den leuchtend bunten Gestalten, die er bevorzugt malte, die aber noch viel schriller sind und zudem in anatomischer Hinsicht fantastisch (etwa mit drei Beinen, vier Brüsten oder nur einem Auge).
In seinem Atelier in der Ostparkstraße, wo er seit Ende der Neunzigerjahre lebte und arbeitete, schuf Weinberg in einem ebenso obsessiven wie spielerischen Prozess seine Werke, rund 4.000 Bilder im Jahr, manchmal bis zu 500 in einer Woche. Er spielte bewusst mit dem Zufall und setzte darauf, dass unter 1.000 Bildern vielleicht zehn oder 15 „Juwelen“ sein könnten, wie er einmal erklärte. Kurz vor seinem Tod im Alter von 90 Jahren 2018 wurde Max Weinberg mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt geehrt, die ihm jedoch erst posthum verliehen wurde. Sein Traum, dass einmal ein Bild von ihm im Städel, im Frankfurter Museum für Moderne Kunst oder gar im Museum of Modern Art in New York zu sehen wäre, blieb unerfüllt.
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Mit seinen Werken wandte sich Max Weinberg gegen Gewalt, Sexismus und Rassismus. Er schätzte den Frieden als Voraussetzung für seine Arbeit: „Wo die Kanonen schießen, ist die Muse tot“, sagte er. Demgegenüber setzte ein anderer Protagonist dieser Artikellieferung, allerdings mehr als 500 Jahre früher, seine Kunst für den Krieg ein. Der Bischof Enea Silvio Piccolomini, einer der meistgelesenen Schriftsteller der Renaissance, war auch als eleganter und charismatischer Redner berühmt. Bei einem Reichstag in Frankfurt, den er angesichts der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 für den Kaiser organisiert hatte, rief Piccolomini in einer flammenden Rede zum Feldzug gegen „die Türken“ auf. Weil er in dieser Frankfurter Rede vom 15. Oktober 1454, vielleicht erstmals überhaupt, „Europa“ als Leitbild heraufbeschwor, wurde er seit den 1950er Jahren gern als „Vater des Europagedankens“ bemüht. Dass er diesen Gedanken bewusst einsetzte, um ein Motiv zum kriegerischen Vorgehen gegen die „Türkengefahr“ zu liefern, lässt Piccolomini aus heutiger Sicht jedoch nicht zum Vorbild taugen, selbst wenn man ihm den Sachverhalt der Re-aktion, der Verteidigung gegen einen ebenso kriegerischen Akt, zugutehalten mag.
Auch seine Haltung gegenüber dem Judentum, die er, inzwischen zum Papst mit dem Namen Pius II. aufgestiegen, etwa anlässlich der Errichtung der Frankfurter Judengasse 1462 zeigte, muss uns fragwürdig erscheinen.
Wenn eine Persönlichkeit durch die Aufnahme in das Frankfurter Personenlexikon geehrt werden sollte, dann würde ich Piccolomini lieber weglassen. Aber unser Projekt dient der Geschichtsschreibung, und vom historiographischen Standpunkt sind Biographie und Schriften von Enea Silvia Piccolomini durchaus bedeutend und interessant.
Und abseits der großen Reichs- und Weltgeschichte lassen sich darin sogar ein paar ganz harmlose Marginalien von echtem kulturgeschichtlichem Wert entdecken. So hinterließ der Papst in seinen Erinnerungen ein hübsches Stimmungsbild, das sich liest, als hätte er seine Zeitgenossen in einem Reiseführer für Frankfurt werben wollen. Natürlich kommt der Römer, wo übrigens Piccolomini einst seine „Türkenrede“ hielt, darin vor. Dort, so berichtet er, seien die „Wähler“ zur Königswahl zusammengekommen. Damit hat er sich nicht geirrt. Tatsächlich berieten die Kurfürsten sich erst im Römer in der – heute nicht mehr vorhandenen und deshalb fast vergessenen – Wahlstube, dem späteren „Kurfürstenzimmer“, bevor sie in der bekannten Kapelle im Dom den eigentlichen Akt zur Wahl des Königs vollzogen.
Noch wichtiger als diese (eher nur nette) Schilderung ist ein anderer Hinweis auf eine Beobachtung aus Frankfurt, der erst 1981 in den Briefen von Piccolomini entdeckt wurde: Danach lässt sich die Vollendung der Gutenbergbibel auf 1454/55 datieren. Der erste Bibeldruck wäre somit fast zwei Jahre früher fertig gewesen, als die Forschung ursprünglich angenommen hatte.
Etwas verspätet hat sich dagegen die diesmalige Monatslieferung des Frankfurter Personenlexikons, wie Sie vielleicht bemerkt haben. Es gab unvorhersehbare redaktionelle Schwierigkeiten. Ich bitte, das verzögerte Erscheinen der Artikel in diesem Monat zu entschuldigen, und würde mich freuen, wenn Sie unserem Werk dennoch weiter gewogen blieben.
Mit den besten Empfehlungen
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. März 2019.