Meininger, Heinrich Carl August, gen. Heinz. Signum: HM. Häfner. Kaufmännischer Angestellter. Vereinsaktivist. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 22.4.1902 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 16.7.1983 Ffm.
Sohn des evangelischen Schlossers Gottfried M. und dessen katholischer Ehefrau Anna Klara, geb. Müller.
Über M. ist nur wenig bekannt. Zu seiner beruflichen Entwicklung, seinen familiären Verhältnissen oder auch seinen gesellschaftspolitischen Positionen können kaum Angaben gemacht werden. Dabei war M. in den 1950er Jahren einer der prominentesten Aktivisten der deutschen „Homophilenbewegung“. Sie sah ihr Hauptziel in der Abschaffung des Paragraphen 175 StGB (vor allem in der von den Nationalsozialisten 1935 verschärften Form), der gleichgeschlechtliche Handlungen unter Männern mit Strafe belegte. Zu einer Zeit, als Ffm. das führende Zentrum der wieder aufflammenden Emanzipationsbestrebungen homosexueller Männer (und Frauen) in Deutschland war, arbeitete M. mit dem Arzt
Hans Giese (1920-1970) und dem Kaufmann
Hermann Weber (1882-1955) zusammen. Im Spannungsfeld zwischen Kriminalisierung, gesellschaftlicher Ächtung und homosexueller Selbstbehauptung hatte er allerdings einen schweren Stand. Während
Giese trotz aller Kritik an seinem Wirken auf seine beruflichen Qualifikationen verweisen konnte und
Weber die Kontinuität zu den homosexuellen Emanzipationsbestrebungen vor 1933 verkörperte, kam M. in den Ruf, ein „Amüsierler“ zu sein. M. verteidigte in der frühen Nachkriegszeit die Bedürfnisse homosexueller Männer nach Geselligkeit, Unterhaltung und Selbstentfaltung und bot ihnen in Form eines Vereins und einer Mitgliederzeitschrift Raum. Dabei erlangte er überregionale Bedeutung.
M. gründete im Sommer 1949 zusammen mit dem Neurologen
Wolfgang Bredtschneider (1916-1973) in Ffm. den „Verein für humanitäre Lebensgestaltung“ (VhL). Schon nach wenigen Monaten zählte der Verein 120 eingeschriebene Mitglieder. Obwohl er sich mehrfach mit dem Kürzel „e. V.“ schmückte, hat sich bisher kein Eintrag im Ffter Vereinsregister nachweisen lassen. M. übernahm den Ersten Vorsitz des VhL, der sich zunächst im „Kleist-Casino“ in der Großen Bockenheimer Straße 6-10, später im „Felsenkeller“ unter der Anschrift Luginsland 1 in der Innenstadt und ab Dezember 1953 in den „Westend-Betrieben“ (ehemals „Bei Wahl“), Bockenheimer Landstraße 35, traf. In den Lokalen wurden unter anderem Lese-, Spiele-, Tanz- und Filmabende, Vorträge und „Tischgespräche“ veranstaltet. Größere Bälle organisierte man in „Hensel’s Felsenkeller“ in der Buchrainstraße 95 in Oberrad.
Hermann Weber, der bereits vor 1933 dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) des Berliner Arztes und Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld (1868-1935) angehört und dessen Ffter Ortsgruppe geleitet hatte, ließ sich zum Ehrenvorsitzenden des VhL wählen.
Hans Giese, der im Frühjahr 1949 zunächst in Kronberg/Taunus sein „Institut für Sexualforschung“ errichtet hatte, stand dem Verein beratend zur Seite. Wenig später zog
Giese nach Ffm. und gründete hier das Nachkriegs-WhK, mit dem er sich weiter in die Tradition Hirschfelds einschrieb. Einer, der die Aktivitäten
Webers,
Gieses und M.s mit Skepsis beobachtete, war Hirschfelds ehemaliger Mitarbeiter Kurt Hiller (1885-1972), der um jene Zeit im Londoner Exil lebte. Er unterstützte zwar
Giese vorübergehend, doch teilte er schon im August 1949 dem befreundeten
Weber mit: „Ich bin von der Kleistcasinosache mit humanitärer Lebensgestaltung, Tanz und Bar alles andre als entzückt und möchte meinerseits damit genau so viel zu tun haben wie mit ähnlichen Unternehmungen nach 1918 – nämlich nichts. Bewegung und Amüsiererei müssen, im Interesse der Bewegung, aufs rigoroseste auseinandergehalten werden.“
Mit welchen Schwierigkeiten homosexuelle Männer in Ffm. seinerzeit selbst bei „geselligen Zusammenkünften“ rechnen mussten, verdeutlicht der Fall einer massiven Polizeiaktion gegen das „Kleist-Casino“ vom 9.10.1949. Nachdem das Lokal von etwa 60 amerikanischen und deutschen Polizisten umstellt worden war, gingen Uniformierte mit vorgehaltenen Waffen und unter dem Aufgebot von 16 Fotografen von Tisch zu Tisch, um alle Anwesenden fotografieren zu lassen. Zusammen mit
Hermann Weber und dem Wirt des „Kleist-Casinos“ legte M. wenig später beim Ffter Polizeipräsidenten Willy Klapproth (1892-1967) Beschwerde gegen die Aktion ein.
Aus heutiger Sicht stellt sich das Vorgehen der Polizei gegen die Besucher des „Kleist-Casinos“ wie ein Auftakt zu den „Ffter Homosexuellenprozessen“ dar, die ab 1950 die Stadt und überregional vor allem die deutsche „Homosexuellenszene“ erschüttern sollten. Die behördlichen Maßnahmen gelten als „früher Höhepunkt der antihomosexuellen Repression“ in der Bundesrepublik Deutschland. Bis 1951 liefen etwa 240 polizeiliche Ermittlungen gegen 280 Personen, die der Homosexualität bezichtigt wurden; ca. 100 Personen wurden verhaftet. Insgesamt sollen über 700 mutmaßlich homosexuelle Männer vernommen worden sein. In der zeitgenössischen Presse war von mehreren Suiziden die Rede. Auf Verfügung des Ffter Amtsgerichtspräsidenten wurde eine „Sonderkammer“ unter Amtsgerichtsrat Kurt Ronimi (1909-1958) eingerichtet, in der die Fälle verhandelt wurden. Ronimi hatte bereits im „Dritten Reich“ gerichtlich Fälle von „Unzucht“ bearbeitet und darüber entschieden, ob Männer, die nach dem Paragraphen 175 RStGB verurteilt wurden, in ein Konzentrationslager überführt wurden. Viele Homosexuelle reagierten auf die polizeilichen Ermittlungen von 1950/51, die Prozessserie und die öffentliche Berichterstattung mit einem Rückzug aus der Subkultur. Der VhL stürzte derweil in eine tiefe Krise. Ihm gehörten in der zweiten Hälfte des Jahres 1950 weniger als 40 Mitglieder an.
Die meisten Verbindungslinien zwischen der organisierten „Homophilenbewegung“ des Ffter Raums und der Prozesswelle sind unklar. Es hat fast den Anschein, als hätten sich die Aktivisten im Kampf gegen Ronimis Strafkammer zurückgehalten und seien „abgetaucht“, um selbst nicht in die „Schusslinie“ zu geraten. Über M. ist bekannt, dass er sich im Herbst 1950 an mindestens drei Wochenenden in Regensburg aufhielt. Während seiner Besuche bei dem befreundeten Josef Wagner (1905-1962) soll er behauptet haben, er wolle sich mit seiner ganzen Kraft nur noch für „Anständige“ einsetzen; mit „Lustlümmeln“ habe er nichts gemein. Um diese Zeit soll M. auch einen Artikel verfasst haben, der in der Schweizer Homosexuellenzeitschrift „Der Kreis“ erschien und wohl die negativste Berichterstattung bezüglich der Prozesse in Ffm. darstellte. In dem Artikel heißt es: „Kronzeugen sind notorische Strichjungens, die auf Grund von Versprechungen und Extraverpflegung Aussagen machen, die einfach in sich schon den Stempel der Lüge tragen. Aber
diese Menschen nimmt der Richter für voll! (…) Verhaftungen am frühen Morgen und Hausdurchsuchungen sind an der Tagesordnung. Terror feiert fröhliche Urständ.“ Die Zuschreibung des unter dem Kürzel „H. C.“ erschienenen Artikels an M. ist aber nicht gesichert.
Vereinsintern scheint man im VhL derweil die Hoffnung auf gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen nicht aufgegeben zu haben und bemühte sich um eine überregionale Vernetzung. Ende 1951 fand in Ffm. eine Tagung mit dem Ziel statt, alle existierenden „Homophilengruppen“ der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung „Verein zur Pflege humanitärer Lebensgestaltung“ zusammenzuführen. Neben M. und seinen Ffter Mitstreitern nahmen etwa 30 Vertreter von Gruppen aus Städten wie Hamburg, Hannover, Düsseldorf, München, Karlsruhe und Wiesbaden teil. Das Konzept der orchestrierten Zusammenarbeit zeigte sich aber schon bald als nicht tragfähig.
Wenig später ging M. als treibende Kraft daran, eine Alternative für die Hamburger Zeitschrift „Die Freunde“, die wegen vermeintlich unzüchtiger Abbildungen verboten worden war, als Mitgliederzeitschrift des VhL zu gründen. „Die Gefährten“ erschien zwischen Mai 1952 und August 1954 als „Monatsschrift für Menschlichkeit, Wahrheit und Recht“ – so ihr Untertitel – mit insgesamt 24 Ausgaben. Zentrale Mitarbeiter der Zeitschrift waren bekannte („homophile“) Journalisten, Schriftsteller und Aktivisten wie Johannes Werres („Jack Argo“, 1923-1990), Erich Lifka (1924-2007), Konstantin Ortloff (1913-2003),
August Kruhm (1892-1973) und Werner Schmitz (1919-1981). M. lieferte gelegentlich Beiträge, die mit „Die Redaktion“ oder dem Kürzel „H. M.“ gezeichnet waren. Als Redaktionsanschrift diente M.s Privatadresse in der Ffter Arndtstraße 3. Hier wohnte M. zusammen mit seinem Lebensgefährten Lorenz Hasenbach, der, wie er selbst, von Beruf Häfner war. Im Übrigen ist aber über Hasenbach kaum etwas bekannt. Die beiden Männer sollen sich schon vor 1937 kennengelernt und anschließend über 46 Jahre in einer festen Partnerschaft zusammengelebt haben.
Vom 29.8. bis zum 2.9.1952 richtete das International Committee for Sexual Equality (ICSE) unter dem Titel „Sittengesetze und sexuelle Gleichberechtigung“ seinen zweiten internationalen Kongress in Ffm. aus. M. war im Vorfeld nach Amsterdam gereist und hatte die niederländischen Aktivisten im ICSE überzeugen können, dass der Kongress in Ffm. stattfinden sollte. Er wurde schließlich an der Ffter Universität ausgetragen. Die Teilnehmer appellierten an Bundesregierung und Bundestag, den Paragraphen 175 StGB abzuschaffen, den Paragraphen 175a StGB zu reformieren und für alle aufgrund der beiden Strafbestimmungen verhängten Strafen eine Amnestie zu gewähren. Gut zwei Monate später verfasste M. zusammen mit
Hermann Weber ein Memorandum an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, in dem sie im Namen aller Homosexuellen, ihrer Verwandten und Freunde in Deutschland „eine Aufhebung bzw. Änderung der diskriminierenden Strafgesetze gegen gleichgeschlechtliche Betätigung“ forderten.
Trotz seines politischen Eintretens für die Sache der Homosexuellen und ihre rechtliche Entdiskriminierung wurde seinerzeit auch in den eigenen Reihen Kritik an M. laut, die zum Teil wohl überzogen und ungerechtfertigt war. Vorgeworfen wurde ihm von anderen Aktivisten vor allem, er würde das „Amüsement“ zu sehr in den Vordergrund stellen. Man bezeichnete ihn und seine engeren Mitarbeiter als „Nachtschattengewächse“ und unterstellte ihnen Leichtsinn und Rücksichtslosigkeit. Mehrfach hieß es, M. sei seiner Aufgabe nicht gewachsen. Otto Hug (1905-1965) aus Baden etwa behauptete, dem VhL und M. sei nur daran gelegen, „Festabende zu arrangieren. Als ob das notwendig wäre.“ Der Darmstädter Ernst Ludwig Driess (1903-1969) erklärte, im Vereinslokal des VhL wimmele es vor Strichjungen, und M. gehe trotz wiederholter Hausdurchsuchungen in den Räumlichkeiten des VhL durch die Kriminalpolizei zu leichtfertig mit den Adressen von Vereinsmitgliedern und Zeitschriftenabonnenten um. Für andere wie
Wolfgang Lauinger (1918-2017) war M. einfach nur ein „behäbiger, spießiger Mann ohne jede Ausstrahlung“.
Josef Wagner wandte sich trotz anfänglicher Freundschafts- und Loyalitätsbekundungen 1952 von M. ab, als er in Regensburg unvermittelt Besuch von der Kriminalpolizei erhielt, die ihn fragte, ob er in Kontakt mit M. und dem Ffter VhL stehe. Die Polizei konfrontierte Wagner dabei mit einem Brief, den er zwei Jahre zuvor an M. geschrieben hatte, und forderte ihn auf, sämtliche Gegenbriefe M.s herauszugeben. Da Wagner diese aber verbrannt hatte, konnte er dem Ansinnen der Polizei nicht nachkommen. Kurt Hiller, der Wagner brieflich beisprang, schrieb: „Vor Kontakt mit jenem Herrn in Frankfurt habe ich Sie stets gewarnt. (…) Es gibt auch in andern Großstädten ähnliche Kreise von Geschäftemachern und Dilettanten, durch die eine gesunde Reformbewegung wieder und wieder diskreditiert und der Sieg der Vernunft gefährdet wird. Leider wollten Sie nicht hören und haben sich auf Korrespondenz mit diesen Lemuren eingelassen.“
Verständlich erscheinen vor diesem Hintergrund die Enttäuschung und Verletzung, die etliche „Homoaktivisten“ der Nachkriegszeit auch unter ihresgleichen empfanden. „Schön, Sie lehnen uns und unser Heft ab. Wir nehmen dies zur Kenntnis“, schrieb M. 1952 an Hiller. Er warf dem Emigrierten vor, er lebe in „längst entschwundenen Zeiten“ und habe mit Deutschland „vollkommen die Fühlung verloren“. Es sei ein Leichtes, die seinerzeit im Land Gebliebenen „vom Altenteil aus immer nur mit Gift zu bespritzen“, und er fragte: „Wo sind denn die Führer und Köpfe, die berufen waren und sind, einer Gruppe ernsthafter Menschen (…) doch wenigstens durch Rat und Tat und produktive Kritik zur Seite zu stehen?“ In der rhetorischen Frage klingen Verzweiflung und Angriffslust an. M. und seine Mitstreiter fühlten sich in den 1950er Jahren offenbar allein auf weiter Flur. Unklar bleibt, in welchem Maß M. seinerzeit persönlich von polizeilichen Ermittlungen, Verhören und Hausdurchsuchungen betroffen war.
Ende 1953 „fusionierten“ der VhL und die Bremer IFLO (Internationale Freundschaftsloge) zu einem nationalen Verband für „Homophile“ in der Bundesrepublik Deutschland. Während die IFLO für den norddeutschen Raum zuständig wurde, kam dem VhL die Aufgabe zu, sich um die Mitglieder im süddeutschen Raum zu kümmern. Nennenswerte Aktivitäten scheint der Verband aber nicht mehr entfaltet zu haben. Angesichts der übermächtigen Wirksamkeit des Paragraphen 175 StGB und wiederholt zunichtegemachter Hoffnungen, die gesetzlichen Bestimmungen zu Fall zu bringen, verfielen mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Strafbarkeit der Homosexualität von 1957 fast alle etablierten bundesdeutschen „Homophilengruppen“ in Agonie und lösten sich auf. Wie lange sich M. noch im VhL betätigt hat, ist unbekannt. Die letzten Jahre seines Lebens soll er in einem Ffter Altersheim verbracht haben.
.