Sohn des Schreinermeisters Friedrich S. (1847-1925) und dessen Ehefrau Elisabeth, geb. Pfeffer (1847-1884). Verheiratet (seit 1906) mit Lidi S., geb. Strecker (1884-?). Zwei Töchter: Marie (1907-?) und Anna (1908-?).
Besuch der Volksschule und der Fortbildungsschule. Von 1898 bis 1903 Friseurgehilfe in Hamm und Darmstadt. Von 1903 bis 1905 Militärdienst im Infanterie-Regiment 168 in Butzbach, zuletzt als Oberordonnanz im Offizierskasino. Kurze Selbstständigkeit als Friseurmeister. Seit 1906 Beschäftigung bei der Städtischen Straßenbahn in Ffm., zunächst als Wagenreiniger, bald als Schaffner. Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg. Im September 1914 schwere Verwundung („Dienstbeschädigung“ der rechten Hüfte durch einen Granatsplitter) in den Vogesen. Versetzung in den Innendienst.
S. begriff sein Los nicht als Schicksal, sondern nahm den Kampf gegen die Massennot der zahllosen Kriegsopfer als seine Lebensaufgabe an. Bei der Gründung im November 1917 trat er als Mitglied Nr. 28 in die Ffter Ortsgruppe des Reichsbunds der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen ein, wurde deren Schriftführer und im Februar 1919 Erster Vorsitzender. Bereits 1918 hatte er am „Ersten reichsdeutschen Bundestag“ in Weimar teilgenommen und die Ffter Interessen auf dem 1. Gautag des Gaus IX – Hessen-Nassau vertreten. Unter S.s Vorsitz wuchs die Ffter Ortsgruppe des Reichsbunds im Lauf des Jahres 1919 von 3.000 auf 10.000 Mitglieder an.
Das städtische Interesse an einer „gedeihlichen Zusammenarbeit“ mit der Interessenvertretung der Kriegsopfer bewirkte am 1.1.1920 S.s Versetzung in das städtische Fürsorgeamt für Kriegshinterbliebene, wo er als Abteilungsleiter für die Stadtteile Bockenheim und Altstadt bis zum Frühjahr 1933 tätig war und zum verbeamteten Stadtsekretär auf Lebenszeit (ab 1.4.1928) aufstieg. Zudem gehörte er dem Beirat des 1919 neu errichteten Fürsorgeamts für Kriegsbeschädigte an.
Mit seiner beruflichen Tätigkeit korrespondierte das ehrenamtliche Engagement von S. im Reichsbund auf der örtlichen, der Gau- und der Reichsebene. Als Vertreter der Ortsgruppe Ffm. nahm er am 2. Reichbundestag im Mai 1920 in Würzburg teil, der ihn in den Bundesausschuss, die Kontroll- und Beschwerdeinstanz für die Geschäftsführung und die Beschlüsse des Vorstands, wählte. Er nahm dieses Amt, wenn auch kurzzeitig als „Ersatzmann“, bis zur Auflösung des Reichsbunds im Mai 1933 wahr. Außerdem wurde er in Würzburg in die Kommission „Die neue Rentenversorgung des Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen in Deutschland“ gewählt, die die von der Weimarer Nationalversammlung verabschiedete Neuregelung der Kriegsopferversorgung im Reichsversorgungsgesetz (RVG) betraf. Das RVG beseitigte die unterschiedliche Behandlung von Offizieren und Mannschaften und orientierte seine Leistungen zum einen an der Minderung der Erwerbsfähigkeit, zum anderen an der sozialen und beruflichen Situation der Kriegsopfer. Hierfür hatte der Reichbund seit seiner Entstehung gestritten. S. trat in Würzburg auch als Redner zum Thema „Internationale Verbindung aller Kriegsopfer“ auf und verwies auf die Ausstellung seiner Ortsgruppe in der Ffter Messe, die die Not von fast 20.000 Schwerkriegsbeschädigten und deren immensen Bedarf an orthopädischen Prothesen zeigte. Künftig nahm S. an allen weiteren Bundestagen auf Reichsebene teil, in Dresden 1924, Hamburg 1927 bis letztlich Mainz 1930. Er gehörte den Kommissionen für „Versorgung und Rechtsprechung“ und „Sozialpolitik“ an, wobei er sich besonders für „Kriegszitterer“ und Kriegshinterbliebene einsetzte.
Beim 3. Gautag im August 1920 in der Ffter Börse wurde S. zum Ersten Vorsitzenden des Reichsbunds im Gau Hessen-Nassau gewählt, so dass er fortan alle organisatorischen Ebenen der Vereinigung verband und seiner Ortsgruppe zu größerem Einfluss auf Gau- und Reichsebene verhalf. Nicht zuletzt dank seinem Engagement stellte Ffm. mit 10.000 Mitgliedern damals die größte Ortsgruppe des zweitgrößten Gaus im Deutschen Reich. Der rasante Mitgliederanstieg im Gau Hessen-Nassau hielt bis ins Jahr 1921 an: In 920 Ortsgruppen waren schließlich über 70.000 Opfer organisiert. S. war Mitglied im neugewählten Sozialpolitischen Ausschuss, der sich mit der sozialen Lage der Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen sowie deren Vertretung in den Institutionen des demokratischen Staats beschäftigte. Die letzte Kreisvertreterversammlung des Gaus Hessen-Nassau im Juli 1921 in Ffm. stand bereits im Zeichen der steigenden Not und der zunehmenden Inflation. In deren Folge wurde der Gau Hessen-Nassau am 1.7.1922 aufgelöst; er zerfiel in die drei Bezirke Ffm., Darmstadt und Kassel, die Ende 1924 noch insgesamt etwas über 18.000 Mitglieder hatten. Der Verband erholte sich nur langsam von der sozialen Katastrophe. Mit dem Mitgliederzuwachs nach Einführung der Goldmark kam es 1925 wieder zur Bildung von Gauen: Hessen-Freistaat, Hessen-Waldeck und Wiesbaden. Ffm. stellte künftig mit 3.500 Mitgliedern die stärkste Ortsgruppe im Gau Wiesbaden. Als deren Vertreter begrüßte S. im April 1925 die 11. Reichskonferenz in Ffm., die die Einführung einer Sterbekasse für alle Mitglieder beschloss. Auf dem ersten Gautag im September 1927 wurde S. zum Zweiten Vorsitzenden im Gau Wiesbaden gewählt.
Die von ihm geführte Ortsgruppe Ffm. setzte sich erfolgreich für den Erhalt der Sonderabteilung „Fürsorgeamt für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene“ beim städtischen Wohlfahrtsamt ein, u. a. durch Versammlungen, Resolutionen und zahlreiche von S. mitformulierte und -unterzeichnete Eingaben an Oberbürgermeister
Ludwig Landmann und die Stadtverordnetenversammlung. Rund 12.000 Kriegsopfer profitierten von dieser aus der allgemeinen Fürsorge herausgenommenen Einrichtung. Ein weiterer wichtiger Erfolg S.s war die Wiedereingliederung der Stellenvermittlung für Schwerbeschädigte in das „Fürsorgeamt für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene“ im Januar 1927, nachdem der Magistrat die Stellenvermittlung 1924 dem Arbeitsamt übertragen hatte. Zum Durchsetzen der Ziele trug bei, dass sich die Ffter Kriegsopfer mit S. an der Spitze über Parteigrenzen hinweg zu einer sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten, zu der – außer dem Reichsbund – der Bund erblindeter Krieger, der Deutsche Offiziersbund, der Deutsche Reichskriegsopferbund „Kyffhäuser“, der Zentralverband deutscher Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie der Internationale Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit gehörten.
Anfang des Jahres 1929 überreichten der Reichsbund, der Bund erblindeter Krieger und der Verein Hirnverletztenheim eine Denkschrift an Oberbürgermeister
Landmann, Bürgermeister
Gräf und Stadtverordnetenvorsteher
Heißwolf. Die von S. mitunterzeichnete Denkschrift richtete sich gegen die Höhe der von der Stadt festgesetzten Unterstützungsrichtsätze („Fürsorgerichtsätze“), die nach der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht das Existenzminimum für die Bedürftigen sicherstellen sollten. Die Kriegsopferverbände sahen die „gehobene Fürsorge“ für die Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen beseitigt und forderten höhere Leistungen für ihre Klientel. Zentrale Forderung war wiederum der Fortbestand der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenen-Fürsorge in einer selbstständigen Abteilung unter dem Dach des Fürsorgeamts. Mit Ausnahme des Erhalts der selbstständigen Abteilung konnte sich der Verband trotz Unterstützung durch den Regierungspräsidenten mit seinen Forderungen nicht durchsetzen. Dank der Hilfe durch die Stadtverordnetenversammlung wurde den Verbänden jedoch ein Vertreter in der Wohlfahrtsdeputation zugestanden: Seit dem 26.9.1929 gehörte S. als neues Mitglied der Wohlfahrtsdeputation an.
Der Kampf um die Fürsorgerichtsätze spitzte sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik zu. Der Magistrat hatte die Sätze auf Druck der Reichsregierung zwischen 1930 und 1932 mehrfach abgesenkt. Der Reichbund setzte sich an die Spitze der Protest-Allianz sozialer Ffter Organisationen (Zentralverband der Arbeitsinvaliden, Arbeiterwohlfahrt und Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) gegen die Politik des Sozialabbaus. In vier Kundgebungen mit zehntausenden Teilnehmern versuchte sich der Reichsbund ab März 1931 auch vor Ort in Ffm. der Zerstörung der sozialen Fürsorge und damit dem Untergang der Demokratie entgegenzustellen.
Bereits Anfang 1930 war S. dem demokratischen Schutzbund „Reichbanner Schwarz-Rot-Gold“ beigetreten. Trotz seiner politischen Haltung besuchten ihn im Oktober 1932 NSDAP-Mitglieder in seiner Wohnung und forderten ihn auf, in die nationalsozialistische Partei einzutreten, er sei „eine im Gau Hessen-Nassau sehr bekannte und angesehene Person und dazu ausersehen, in der Spitze der Partei mitzuarbeiten“. S. lehnte ab. Wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, Ende Mai 1933, wurde S. wegen seiner „scharf links eingestellten politischen Richtung“ mit sofortiger Wirkung ins Wohnungsamt versetzt. Mit Antrag vom 18.8.1933 betrieb Oberbürgermeister
Krebs zudem die Entlassung S.s nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Die Begründung lautete: „S. ist bis in die jüngste Zeit als ein großer Hetzer und aktiver Gegner der nationalsozialistischen Bewegung hervorgetreten.“
Im August 1933 war S. der Nationalsozialisten Kriegsopferversorgung (NSKOV) beigetreten. Er folgte damit der Empfehlung des Reichsbunds in dessen Abschiedsbrief an die Mitglieder vom 10.5.1933, sich dem neuen Verband zur Wahrung ihrer Sterbegeld-Ansprüche anzuschließen. Der Reichsbund beschloss unter politischem Druck seine Selbstauflösung zum 31.5.1933. Gemäß der Vereinbarung des Bundesvorstands mit dem Reichskriegsopferführer Hanns Oberlindober (1895/96-1949) sollte die gesamte Organisation mit Vermögen in die NSKOV überführt werden. Diese Aufgabe oblag den Ortsvereinen und ihren Vorsitzenden. S. erledigte seinen Auftrag korrekt und organisierte die fristgerechte Abrechnung der Mitgliederbeiträge, die Erstellung einer vollständigen Mitgliederliste sowie die Aufstellungen über das Gesamtvermögen der Ortsgruppe (in Höhe von 18.869,83 Mark) und über das Inventar der Geschäftsstelle in der Taunusstraße 16.
Mit Bescheid des Preußischen Ministeriums des Inneren vom 11.1.1934 wurde dem Antrag des Ffter Oberbürgermeisters entsprochen und S. aus dem Dienst der Stadt entlassen. Mehr als ein Jahr wehrte er sich gegen seine Entlassung, u. a. in drei Eingaben an das Innenministerium bzw. den Reichsminister Rudolf Hess (1894-1987). Mit Schreiben vom 23.1.1935 hielt das Ministerium an der Entlassungsentscheidung fest. Diesem Bescheid lag eine umfassende Nachprüfung der begründenden Umstände durch die Stadt Ffm. zugrunde. Als Ergebnis hielt das prüfende Gremium fest, dass S. bis zum Frühjahr 1933 „ein ausgesprochener und gehässiger Gegner der nationalen Erhebung“ gewesen sei; Bürgermeister
Linder, der das Ergebnisprotokoll zeichnete, nahm ihm auch den Beitritt in die NSV und die NSKOV nicht als Ausdruck nationalsozialistischer Gesinnung ab. Die Parteibasis teilte dieses Misstrauen; es brachte S. in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre Pöbeleien, Beleidigungen und Tätlichkeiten bis zu Drohungen mit KZ-Haft ein.
Infolge des Personalnotstands aufgrund der Mobilisierung sämtlicher Ressourcen für den „totalen“ Kriegseinsatz ab Februar 1943 warfen Staat und Partei die Frage einer Wiedereinstellung S.s auf. Der Oberbürgermeister wandte sich an Gauleiter
Sprenger mit dem Ansinnen, S. „für eine gelegentliche Wiedereinstellung vorzumerken“. Aufgrund der Mitgliedschaft in der NSV, der NSKOV und dem RLB (Reichsluftschutzbund) erhob
Sprenger gegen S.s Wiedereintritt in den städtischen Dienst keine Bedenken. Zur Einstellung kam es schließlich aus arbeitsmedizinischen Gründen doch nicht.
Nach Kriegsende nahm sich S. sofort wieder der Schicksale von Kriegsopfern an. Da Oberbürgermeister Hollbach und das Fürsorgeamt die Gründung von neuen Kriegsopfer-Verbänden für „verfrüht“ hielten, suchte er das direkte Gespräch mit der amerikanischen Militärregierung, die eine Wiedergründung des Reichsbunds jedoch ablehnte. Ein Schreiben von S. an den Oberkommandierenden der amerikanischen Streitkräfte, General Dwight D. Eisenhower (1890-1969), blieb unbeantwortet. Nach Gründung der Parteien und Bildung des Landes Hessen im Herbst 1945 fand S. Unterstützung in der SPD. In deren Ffter Parteibüro in der Gutleutstraße hielt er wöchentliche Sprechstunden ab, konnte jedoch den Andrang der Hilfesuchenden dort bald nicht mehr bewältigen. Er „überwinterte“ daraufhin in der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Fft. als „Hilfsstelle für Erwerbsbeschränkte und Hinterbliebene“.
Dank der Unterstützung des hessischen Arbeitsministers Oskar Müller (1896-1970; KPD) erreichte S. am 13.12.1946 die Genehmigung zur Gründung des „Verbandes der Körperbehinderten, Arbeitsinvaliden und Hinterbliebenen (Selbstorganisation)“ (VdK). Auf Geheiß der amerikanischen Militärregierung wurde das Wort „Körperbeschädigte“ im Namen durch „Körperbehinderte“ ersetzt, um eine Mischorganisation für alle Menschen mit körperlichen Behinderungen zu schaffen. Die Gründungsurkunde lautete auf S. und Adam Rembser (1892-?), ebenfalls Reichsbund-Mitglied aus der Zeit vor 1933 und Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt im Jahr 1946. Mit einem Kredit von 10.000 Reichsmark ermöglichte die AWO den Neuaufbau. Zur Gründungssitzung am 1.2.1947 trafen sich neun Männer und zwei Frauen (Maria Kötter und Hedi Fleckenstein) in den Räumen der AWO, Taunusstraße 19. Ziel war die Verbesserung der Kriegsopfer- und Rentenversicherungs-Gesetzgebung im Rahmen der Demokratie als Hort des Friedens und der Menschlichkeit. Ein Jahr nach ihrer Genehmigung hatte die Organisation bereits 18.000 Mitglieder in 25 Kreisverbänden und 300 Ortsgruppen.
S. leitete den VdK Hessen zunächst kommissarisch, bis er im April 1949 auf dem ersten ordentlichen Landesverbandstag zum Vorsitzenden gewählt wurde. Bei drei weiteren Landesverbandstagen wurde er im Amt bestätigt, letztmals 1958 in Kassel. Diese Tagungen verliehen ihm auch das Mandat, den Landesverband im Hauptvorstand des 1950 gegründeten VdK Deutschland auf Bundesebene zu vertreten. Die Mitglieder des VdK, der sich seit 1949 „Verband der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen“ nennen durfte, brachten damit die Wertschätzung für einen Mann zum Ausdruck, der ihre Interessen kämpferisch vertrat, dabei die Spielregeln der Demokratie achtete und sich der parteipolitischen Neutralität des Verbands immer verpflichtet sah. Zahlreiche Kundgebungen in den Jahren 1949 bis 1959 dokumentieren den Kampf des VdK Hessen mit S. an der Spitze um eine sozial gerechte Kriegsopferversorgung.
1953 Bundesverdienstkreuz. 1958 Großes Bundesverdienstkreuz und Ehrenplakette der Stadt Ffm.
Der Kreisverband Ffm. des VdK stiftete 1959 die „Abraham Sauer Verdienstmedaille“ für besonderes Engagement in der Sache der Kriegsopfer, Sozialrentner und Behinderten. Erste Trägerin war S.s Witwe Lidi S.
.