Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Straßburg (1651-59). Anschließend akademische Reisen nach Basel und Genf, wo S. mit dem Erweckungsprediger Jean de Labadie zusammentraf, sowie nach Stuttgart und Tübingen. Seit März 1663 Tätigkeit als Freiprediger am Straßburger Münster. Noch am Tag der Promotion zum Doktor der Theologie ehelichte S. am 23.6.1664 Susanne Ehrhardt (1644-1705), die Tochter eines Straßburger Ratsherrn.
Zum Senior des Ffter Predigerministeriums berufen, hielt S. am 1.8.1666 seine Antrittspredigt in der Barfüßerkirche. Der sprunghafte Aufstieg vom Straßburger Frei- bzw. Hilfsprediger in das höchste Kirchenamt der lutherischen Reichsstadt Ffm. bildete den entscheidenden Wendepunkt im Leben des damals erst 31-Jährigen. Im Streit zwischen dem Ffter Rat und den Predigern um die Wiederbesetzung des seit 1665 vakanten Seniorats erschien die Berufung S.s zunächst als eine Notlösung. S. verstand es jedoch, Vorbehalte der Amtskollegen gegenüber der Ernennung eines auswärtigen, graduierten Theologen zu entkräften. Im Nachhinein hat sich die Wahl S.s als Glücksfall für Ffm. erwiesen.
Zu den Amtspflichten S.s zählten u. a. die Sonntagspredigt in der lutherischen Hauptkirche im ehemaligen Barfüßerkloster, das Anhören der Beichte, die Ordination neuer Prediger, die Konzipierung der Kirchen- und Bußgebete sowie der Vorsitz im Predigerministerium. Im Unterschied zur barocken Kunstpredigt der Orthodoxie stand die um Verständlichkeit bemühte Tätigkeit als Prediger im Mittelpunkt seines Wirkens. Darüber hinaus widmete sich S. dem Katechismusunterricht der Jugend und der Kirchenzucht. S.s persönliches Engagement sorgte für eine Aufwertung der Katechismuslehre, so dass die Übungsstunden auch von Erwachsenen besucht wurden und selbst Durchreisende anzogen. Der zur Frühjahrsmesse 1677 im Verlag von
Johann David Zunner unter dem Titel „Einfältige Erklärung der Christlichen Lehr nach der Ordnung deß kleinen Catechismi deß theuren Manns Gottes
Lutheri” veröffentlichte Fragekatechismus gilt mit über 20 Auflagen als S.s verbreitetstes Werk. S.s Eintreten für die in Ffm. nicht gebräuchliche öffentliche Konfirmation war nur ein Teilerfolg beschieden. Lediglich die Konfirmanden der Ffter Landgemeinden wurden künftig vor dem ersten Abendmahl der Gemeinde vorgestellt, über ihr Glaubensbekenntnis befragt und eingesegnet. In der Stadt blieb es bei der von Predigern in Privathäusern vorgenommenen Konfirmation. Auf dem Gebiet der Kirchenzucht kämpfte S. für das Einhalten der Sonntagsheiligung. Wiederholt bedrängte das Predigerministerium den Rat, den Handel während der Messezeiten, das laute Treiben der Juden, Spiel und Alkoholkonsum sowie Berufsarbeit und Bettelei an Sonntagen zu unterbinden. In der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte der „Gassenbettel” überhandgenommen. Es zählte zu den sozialen Verdiensten S.s, dass er mit Predigten und Spendenaufrufen das seit 1639 in Ffm. gehegte Projekt eines Armen-, Waisen- und Arbeitshauses 1679 zu verwirklichen half.
In den Gemeindebibelstunden der Gegenwart leben die von S. seit 1670 neben dem öffentlichen Gottesdienst in Privaträumen abgehaltenen religiösen Zusammenkünfte zur gemeinschaftlichen geistlichen Lektüre und Erbauung fort. Diese „collegia pietatis” genannten Versammlungen fanden bald über Fft.s Grenzen hinaus Nachahmung und haben die pietistische Bewegung (lat. pietas = Frömmigkeit) mitbegründet. Unter dem Motto „ecclesiolae in ecclesia” (= Kirchlein in der Kirche) sammelte der Pietismus eine christliche Basisgemeinde in der Volkskirche. Besuchten in der Anfangsphase nur einige Gebildete die erbaulichen Gesprächszirkel S.s, so traf sich nach 1682 eine nach Hunderten zählende Gemeinschaft zu den Bibelstunden, aus Platzgründen nun in der Barfüßerkirche. Mitglieder des ursprünglichen „collegium pietatis”, die nicht an eine Reform der offiziellen Kirche glaubten und die Öffnung des Kollegiums für jedermann ablehnten, trennten sich in der zweiten Hälfte der 1670er Jahre von S. Als „Saalhof-Pietisten” scharten sich die Separatisten um Eleonore von Merlau.
Die Begegnung der Frommen in „collegia pietatis” gehörte zu den Kerngedanken S.s in der für den Pietismus wegweisenden Reformschrift „Pia Desideria: oder Hertzliches Verlangen Nach Gottgefaelliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen”. Innerhalb des über 225 Druckerzeugnisse umfassenden Oeuvres gelten die 1675 bei
Zunner in Ffm. verlegten „Pia Desideria” (= Fromme Wünsche) als S.s Hauptwerk. Während S. im ersten Teil der „Pia Desideria” die Orthodoxie harsch kritisierte, entwickelte er im zweiten Teil Reformvorschläge zur Erneuerung des lutherischen Kirchenwesens: Vertiefung der Bibelkenntnis, Übung des allgemeinen Priestertums, Betonung eines Christentums der Tat, Reform des Theologiestudiums sowie erbauliche statt gelehrte Predigt. Die „Frommen Wünsche” fanden im evangelischen Deutschland große Resonanz. Ffm. avancierte zum Zentrum der pietistischen Bewegung. In den Jahren von 1678 bis 1681 beteiligte sich S. am Neubau der zweiten evangelischen Hauptkirche in Ffm., der Katharinenkirche. Unter dem Einfluss S.s schufen die Maler
Christoph Metzger, Heinrich Furck, Johann Valentin Grambs, Daniel Thielen u. a. (nach Vorlagen von
Matthäus Merian d. Ä. u. a.) einen der Umkehr und Hinwendung zu Christus gewidmeten Zyklus von 83 Bildern an den Emporenbrüstungen (80 Bilder erhalten, heute beim Evangelischen Regionalverband in Ffm.; seit 1990/91 acht der Bilder wieder dauerhaft in der Katharinenkirche, von 2017 bis voraussichtlich 2024 Präsentation aller erhaltenen Bilder nach und nach in einzelnen Folgen der Ausstellung „Szenenwechsel“ in der Katharinenkirche). Auf einer der Tafeln findet sich S.s Porträt in der Figur des Propheten Hosea.
Nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Senior hielt S. am 16.6.1686 in der Barfüßerkirche seine Abschiedspredigt. Obwohl er im Epitaphienbuch des St. Peterskirchhofs schon eine Begräbnisstätte hatte vormerken lassen, folgte S. 1686 einem Ruf zum Oberhofprediger des Kurfürsten Johann Georg III. nach Dresden. Die letzte Ruhestätte fand S. in Berlin, wo er seit 1691 an der St. Nikolaikirche gewirkt hatte. Insbesondere von den Wittenberger Theologen des Separatismus beschuldigt und in einen Streitschriftenkampf verwickelt, gehörte S. zu den Kräften, die am Ende des 17. Jahrhunderts nach Reformen innerhalb der lutherischen Kirche Deutschlands strebten. S.s Verdienste liegen in der vereinfachten und erbaulichen Predigt, der Katechese und der praktischen Theologie.
Porträt (von Daniel Thülens, 1685) im HMF. Standbild (von
Carl Rumpf, 1893; kriegszerstört 1944) an der Ostseite auf dem Magazinflügel der alten Stadtbibliothek am Obermaintor.
Anlässlich von S.s 275. Todestag wurde eine Gedenktafel (von
Hans Bernt Gebhardt, 1980) an der Paulskirche (an der Stelle der früheren Barfüßerkirche) angebracht.
Gedenkbriefmarke der Deutschen Bundespost zu S.s 350. Geburtstag (1985).
Am Dornbusch erinnert die S.straße an den wohl berühmtesten Kirchenmann Fft.s. Das Gästehaus des Dominikanerklosters ist nach S. benannt. Seit 1999 Philipp-Jakob-S.-Medaille, verliehen vom Evangelischen Regionalverband für besonderes ehrenamtliches Engagement in der evangelischen Kirche in Ffm.
Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 401-403,
(redigierte Onlinefassung für das Frankfurter Personenlexikon).