Über die Eltern ist nichts bekannt. Älterer Bruder des Ffter Rats- und späteren Stadtschreibers
Pangratz J. († 1583). Verheiratet in erster Ehe (seit 1553) mit Agatha J., geb. (von) Lichtenau (auch: Liechtenau), einer Tochter des Dr. med. Augustinus (von) Lichtenau (auch: Liechtenau; † vor 1553), in zweiter Ehe (seit 1560) mit Ursula J., geb. Koeler, einer Tochter des Ratsmanns Conrad Koeler (auch: Koler; † vor 1560) in Crailsheim und dessen Ehefrau Margarethe, geb. Beez. Beide Ehen blieben nach den Ffter Taufbüchern kinderlos.
J. wurde beim Schreib- und Rechenmeister Johann (I.) Neudörffer (1497-1563) in Nürnberg zum Rechenmeister ausgebildet, ab 1547 zusammen mit dem späteren Neißer und Breslauer Rechenmeister Caspar Schleupner (1535 bis nach 1598). 1549 verbrachte J. ohne nachweisbare Immatrikulation eine gewisse Zeit an der Universität Leipzig, wo er die lateinische Übersetzung eines hebräischen trigonometrischen Traktats aus dem „Sefer Milhamot“ des Levi ben Gerson (1288-1344) abschrieb (heute UB Ffm., Sign. Ms. lat. oct. 32). J. muss also – ungewöhnlich für einen Rechenmeister – Latein gelernt haben. 1551 beschäftigte er sich mit Visierruten; dazu sind Schriften, Notizen und Zeichnungen von ihm selbst und von
Johann Hartmann Beyer in einem aus mehreren Faszikeln bestehenden „Mathematischen Handbuch“ erhalten (UB Ffm., Sign. Ms. Ff. J. H. Beyer Nachl.-Erg. 1990 Nr. 2). J. zog spätestens 1552 nach Ffm. und wirkte dort bis zu seinem Tod 1564 als Rechenmeister. 1553 wohnte er in der Predigergasse nahe am Dom. Am 20.7.1556 erhielt er das Ffter Bürgerrecht.
J. vollendete 1552 sein großes Rechenbuch (UB Ffm., Sign. Ms. germ. oct. 79) und 1559 sein Visiertraktat „Visirruten machen One wechsel durchs Quadrat“ (UB Ffm., Sign. Ms. germ. qu. 151); beide Manuskripte, die heute in der UB Ffm. überliefert sind, enthalten Setzerzeichen und wurden somit als Druckvorlagen benutzt. Zunächst wurde allerdings das große Rechenbuch aus nicht bekannten Gründen nicht gedruckt.
Daher verfasste J. ein kleines Rechenbuch („Rechenbuch auff den Linien vnd mit Ziffern“), das 1557 in Ffm. erstmalig erschien und den Bürgermeistern und dem Rat der Stadt Ffm. gewidmet war; weitere zwölf, teilweise verbesserte Drucke folgten bis 1613 (Drucker
Christian Egenolffs Erben, Verleger
Adam Lonicerus, Johann Cnipius und Paul Steinmeyer). Von 1571 bis 1583 wurde das kleine Rechenbuch von Simon J.s Bruder
Pangratz J. herausgegeben und um J.s Visiertraktat erweitert.
Das kleine Rechenbuch behandelt damals übliche Themen, beispielsweise Grundrechenarten für ganze Zahlen [mit Ziffern (Federrechnung) und erstaunlicherweise auch noch mit Rechenpfennigen (Linienrechnung)], Dreisatz (Regula de tri), Brüche, verschiedene Längen-, Gewichts- und Gebinde-Einheiten, Währungen (Wechsel), Gewinn und Verlust, Zins („Judenrechnung“), Kaufmannsgesellschaften, Warentausch (Stich), Edelmetalle, Münzlegierungen und Regula falsi, aber keine mathematischen Symbole (Operatoren) und keine Gleichungen mit einer Unbekannten, also keine Algebra. J. stellte – beginnend mit dem Dreisatz – knapp 300 Aufgaben, bei denen das Ergebnis meist ohne Lösungsweg angegeben ist. Deshalb war das Rechenbuch nicht zum Selbststudium geeignet, sondern setzte den kostenpflichtigen Unterricht bei einem Rechenmeister voraus. Der große Erfolg dieses Rechenbuchs liegt wohl in J.s didaktischem Konzept, den gesamten Stoff in Frage und Antwort zu behandeln und für Anfänger in „einfeltigster“ Sprache darzustellen. Der Nürnberger Rechenmeister Johann (II.) Neudörffer (1543-1581) verwendete es in seinem Unterricht und verkaufte es 1575 an seine Schüler für 2 Pfund 3 Pfennig, d. h. für ¼ Rheinischen Gulden.
1564 besorgte J. im Auftrag von
Christian Egenolffs Erben die Durchsicht der Neuauflage von Peter Apians (1495-1552) erstmals 1527 erschienener „Newe[r] vnnd wolgegründete[r] vnderweisung aller Kauffmans Rechnung“ und schrieb dazu die Vorrede.
Den Druck seines großen Rechenbuchs („Ein New vnd Wolgegründt Rechenbuch auff den Linien vnd Ziffern“) erlebte J. nicht mehr. Es wurde erst 1565 in Ffm. von seinem Bruder
Pangratz J. herausgegeben, versehen mit einem Trauergedicht und einer eigenen Widmung an Bürgermeister und Rat der fürstlichen Stadt Coburg; weitere drei unveränderte Drucke erschienen bis 1612 (Drucker Georg Rab, Verleger
Sigmund Feyerabend und Simon Hüter).
Das große Rechenbuch hebt sich in Niveau und Inhalt deutlich von den meisten vergleichbaren Werken seiner Zeit ab. Es ist „für Anfänger und die in dieser Kunst Erfahrenen“ geschrieben, hat 349 Blätter und besteht aus drei Teilen. Der erste Teil behandelt wie das kleine Rechenbuch die damals gängige Kaufmannsmathematik für Anfänger. Der zweite, weiter in die Tiefe gehende Teil (ab Bl. 64r) trägt die Überschrift „Welsche Praktik“. Das ist eine frühneuzeitliche Sammelbezeichnung für diverse Rechenvorteile, also Hilfsmittel („Tricks“) zur Erleichterung des Rechnens, die zum Teil aus Venedig (als Hauptumschlagplatz des Warenverkehrs) stammten. Die komplexeren Berechnungen betreffen Multiplikation und Division von Werten in Währungs- und Maßsystemen, bei denen größere und kleinere Einheiten nicht im Verhältnis von Zehnerpotenzen stehen (wie z. B. im früheren britischen Währungssystem). In zwei Einschüben zum zweiten Teil, abseits der Welschen Praktik, bespricht J. anschließend Wurzeln verschiedenen Grades und die damals schon kaum mehr gebräuchliche pythagoreische Proportionenlehre (einen antiken Vorläufer der Bruchrechnung, der heute nur noch bei Tonintervallen in der Musik eine Anwendung findet). Dann kehrt er zur Welschen Praktik zurück und bringt 400 Aufgaben mit Lösungen zur Vertiefung der kaufmännischen Anwendungsgebiete aus dem ersten Teil. Danach befasst er sich mit der Regula falsi. Im dritten Teil über elementare Geometrie (ab Bl. 280v) folgen auf terminologische Grundlagen fast 170 Aufgaben zur Berechnung von Streckenlängen, Flächen- und Rauminhalten.
In der Rezeptionsgeschichte von J.s Werken stößt man auf ein Plagiat. Größere Teile des kleinen Rechenbuchs von J. wurden von dem Nürnberger Rechenmeister Nicolaus Werner (1520-1570) in dessen „Rechenbuch von allerley Kauffmannschlag“ 1569 übernommen, wie schon
Pangratz J. in seiner Vorrede zum kleinen Rechenbuch 1571 beklagte. Es ist Werner aber zugutezuhalten, dass er im Gegensatz zu J. auch die Lösungswege brachte. Sowohl J.s kleines als auch sein großes Rechenbuch enthalten je ein Wortrechnungsrätsel (Bl. 123r-123v bzw. Bl. 279v-280r) mit Lösungshinweisen, aber ohne genauen Lösungsweg und ohne Ergebnis. Bei diesem damals sehr beliebten Aufgabentyp sind – auf beliebig komplexe Art – Zahlen zu bestimmen, die Buchstaben codieren, aus denen sich ein Lösungswort ergibt. Diese beiden Aufgaben löste der beim Nürnberger Rechenmeister Ulrich Hofmann (1610-1682) ausgebildete Regensburger Rechenmeister Georg Wendler (1619-1688) in seiner Handschrift „Analysis vel resolutio“, einer umfangreichen und mathematikhistorisch wertvollen Bearbeitung von Aufgaben von mehr als 40 Rechenmeistern (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 3789, Bl. 495r-496r).
J. vererbte seine Bibliothek und die „mit seiner hand verfertigten mathematischen Instrumente“ testamentarisch seinem Bruder
Pangratz J. Nach dem Tod von
Pangratz J. kam das Erbe über dessen Tochter Clara an deren zweiten Ehemann, den Ffter Arzt und Mathematiker
Johann Hartmann Beyer, der seine gesamte Bibliothek testamentarisch der späteren Stadtbibliothek vermachte.
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