Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
der Artikel des Monats ist diesmal einem ganz großen Frankfurter gewidmet. Selbstverständlich war er bereits in der „Frankfurter Biographie“ vertreten. In Frankfurt heißt heute (wieder) ein Platz in der Innenstadt nach ihm, verleiht eine von Bürgern gegründete Stiftung seit fast einem Vierteljahrhundert einen renommierten Preis zu seinem Gedenken und wurde erst vor wenigen Jahren eine Schule nach ihm benannt. Dennoch sind sein Name, Leben und Wirken im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit weiterhin kaum präsent. Mit besonderer Freude präsentieren wir Ihnen daher die Biographie dieses prominenten Frankfurters in einer grundlegend aktualisierten und überarbeiteten Fassung im Frankfurter Personenlexikon.
Artikel des Monats Oktober 2017:
Einflussreicher Zeitschriftsteller und virtuoser Sprachkünstler
Er gilt als Begründer des kritischen Journalismus: Ludwig Börne. Geboren 1786 als Juda Löw Baruch in der Frankfurter Judengasse, schlug der 25-Jährige zunächst eine Verwaltungslaufbahn als Polizei-Aktuar im Dienst des Großherzogtums Frankfurt ein. Mit dem Ende der napoleonischen Zeit aus dem Staatsdienst entlassen, weil er Jude war, wollte er sich eine neue Existenz als Journalist aufbauen. Aus Furcht vor antisemitischen Vorurteilen änderte er seinen Namen in „Ludwig Börne“, ließ sich taufen (was er aber zunächst nicht publik machte) und begann mit der Herausgabe des Blattes „Die Wage“. Die geschliffenen Essays und scharfsinnigen Kritiken, die er in dieser Frankfurter „Zeitschrift für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst“ von 1818 bis 1821 veröffentlichte, markieren die Erfindung des modernen Feuilletons. Getreu seinem Selbstverständnis als „Zeitschriftsteller“ schrieb Ludwig Börne rücksichtslos und unermüdlich für Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde, gegen Intoleranz, Unterdrückung und Antisemitismus. Als entschiedener Republikaner engagierte er sich bis zuletzt für eine demokratische Entwicklung in Deutschland. Am 12. Februar 1837 endete sein kurzes und bewegtes Leben im Exil in Paris.
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Übrigens würde es das Werk Börnes nicht in der überlieferten Form geben ohne Jeanette Wohl, die Frankfurter Freundin an seiner Seite, deren Biographie ebenfalls in einem grunderneuerten Artikel in dieser Oktoberlieferung des Frankfurter Personenlexikons erscheint.
Dass Ludwig Börne nicht im kollektiven Gedächtnis geblieben ist, mag auch daran liegen, dass er aufgrund seiner jüdischen Herkunft in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Geschichte gestrichen wurde. Oft wirken der nationalsozialistischen Ideologie verhaftete Sichtweisen stärker auf das bundesdeutsche Geschichtsbild nach, als es uns bewusst ist. Auch Selbstdarstellungen von Repräsentanten des NS-Regimes, die sie – nie uneigennützig – in die Historiographie der Nachkriegszeit einbrachten, sind lange unhinterfragt stehengeblieben. Erst kürzlich etwa entlarvte der Zeithistoriker Magnus Brechtken die „Legende vom guten Nazi“, die Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer über sich selbst in die literarische Welt gesetzt und damit in der Geschichtsschreibung etabliert hat, die aber einer kritischen Überprüfung anhand der Quellen nicht standhält.
Auch in der Buchausgabe der „Frankfurter Biographie“ gibt es Fälle, in denen die Artikel teilweise dem perfekt „persilgewaschenen“ Selbstbild erlegen sind, mit dem ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus in der Nachkriegsgesellschaft gut leben konnten. Ein Beispiel dafür ist der Biophysiker Boris Rajewsky, der 1934, als „ausgezeichneter Nationalsozialist“ bekannt, vom Assistenten direkt zum Leiter des Frankfurter „Instituts für physikalische Grundlagen der Medizin“ aufstieg und ab 1949 seine Karriere an dem daraus hervorgegangenen „Max-Planck-Institut für Biophysik“ fortsetzte. Ein deutlich differenzierteres Bild seines Lebens als die „Frankfurter Biographie“ bietet der neue Artikel im Frankfurter Personenlexikon aufgrund der kritischen Quellenrecherche des Autors Dieter Wesp.
Manchmal sind Biographien bekannter Frankfurter gefragt, die aus historischer Sicht noch nicht lückenlos erforscht und daher nicht abschließend zu bewerten sind, gerade wenn es um die Rolle der behandelten Person in der NS-Zeit geht. Das Frankfurter Personenlexikon kommt in solchen Fällen dem Informationswunsch seiner Leser gerne nach, weist aber in dem entsprechenden Artikel darauf hin, wenn noch Forschungsbedarf besteht, der im Rahmen der rein lexikographischen Arbeit unseres Projekts nicht oder zumindest nicht im vollen Umfang zu leisten ist. Aber vielleicht kann das Frankfurter Personenlexikon dadurch den Anstoß für weitere Forschungen geben. Auch das begreifen wir als wichtigen Auftrag im Dienst des wissenschaftlichen Fortschritts.
Goldene Oktobergrüße
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. November 2017.